FORVM, No. 495
März
1995

Recht muß rechts bleiben

Österreichische Gerichtsbarkeit 1985 bis 1989

In Zeiten wie diesen, da man sich daran gewöhnt hat, daß Ausländer zur Abschiebung freigegeben sind, mutet es fast wie ein Märchen an: Ein britischer Staatsbürger, über den ein Aufenthaltsverbot verhängt worden ist, erhebt Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof (VwGH). Dieser bringt die Causa in ein gerade laufendes Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) ein, in dem der Frage nachgegangen wird, ob die Erlassung von Aufenthaltsverboten überhaupt verfassungskonform erfolgte. Die Frage wird vom VfGH verneint; der VwGH kann darob den Briten von seinem Aufenthaltsverbot befreien. Der Mann will den Verdienstentgang, der ihm entstanden ist, von der Republik Österreich abgegolten haben, und der Oberste Gerichtshof (OGH) gibt ihm schließlich auch darin recht.

Nun, erstens handelt es sich nicht um ein Märchen; und zweitens handelt es sich leider nicht um ein Märchen. Denn eine solche Behandlung durch die Höchstgerichte wird natürlich nicht jedem beliebigen Fremden zuteil. Der besagte Brite ist niemand anderer als der Selfmade-Zeithistoriker David Irving, der sich Ruhm und Ansehen, bei den Neonazis in aller Welt verdient hat wie nur wenige.

Auf Betreiben der NDP sollte Mister Irving Ende Juni 1984 einige Vorträge über Rudolf Heß halten. Dazu kam es nicht: Die Polizei tat, was man sich von ihr wünscht, observierte Irvings ersten Auftritt in Wien, beendete die Veranstaltung nach einer halben Stunde, indem sie den Referenten festnahm, und verbrachte ihn noch am selben Tag außer Landes, nachdem sie sein Reisegepäck mit einem Bescheid über ein unbefristetes Aufenthaltsverbot bereichert hatte: Da Irving in Verdacht stehe, nationalsozialistisches Gedankengut zu verbreiten, gefährde sein Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit.

Am 12. Dezember 1985 hob der VfGH den § 3 des damaligen Fremdenpolizeigesetzes auf, der die Grundlage für die Verhängung von Aufenthaltsverboten bildete: Der Paragraph sei verfassungswidrig, weil er den Artikel 8 der Menschenrechtskonvention nicht achte, also das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Es war nämlich nicht festgeschrieben worden, unter welchen Bedingungen das Interesse des Staates an der Ausweisung eines Ausländer dessen Interesse an seinem Privat-und Familienleben in Österreich überwiege. Knapp vor dem Abschluß dieses Gesetzesprüfungsverfahrens stellte der VwGH an die Kollegen Verfassungsrichter noch eigene Anträge auf Aufhebung des § 3, gestützt auf zwölf bei ihm anhängige Beschwerden, darunter jene David Irvings gegen seinen Landesverweis. Dem VfGH ging es einzig um die Wahrung des Privat- und Familienlebens; diese war im Falle Irvings in Ermangelung familiärer Bande an Österreich nicht in Gefahr. Dessen ungeachtet, mußte der VwGH alle anhängigen Beschwerden, die den § 3 zum Gegenstand hatten, vorlegen. Seine Anträge wurden jedoch zu spät eingebracht, um noch geprüft werden zu können; dem VfGH blieb nur noch Zeit, auch ihnen „Anlaßfallwirkung“ zuzuerkennen, sprich: Der VwGH konnte die Aufhebung des § 3 rückwirkend auf die zwölf Beschwerden, die er namhaft gemacht hatte, anwenden. So wurde Mister Irving glücklich von seinem Aufenthaltsverbot befreit. Er wird es der Vorsehung hoffentlich zu danken wissen, daß er in den Genuß der Früchte eine Verfahrens kam, das ihn überhaupt nicht betraf.

Irvings neu erwachtes Vertrauen in die österreichische Justiz ließ ihn eine Amtshaftungsklage einbringen: Die Republik möge seinen Verdienstentgang, den sie durch seine Fernhaltung von den seiner harrenden Veranstaltungssälen verschuldet habe, vergüten. Zwar besteht ein derartiger Anspruch nur, wenn die Behörde das geltende Gesetz verletzt hat.

Der VwGH hatte sich dazu nicht geäußert; die Entscheidung des VfGH hatte ihn von dieser Pflicht entbunden. Aber das Landesgericht Wien fühlte sich, um Irvings Vertrauen nicht zu enttäuschen, verpflichtet, den VwGH zu ersetzen: Auch nach der ursprünglichen Formulierung des § 3 habe sich die Fremdenpolizei schuldhaft verhalten, befand es am 29. Februar 1988, und sprach dem Kläger 166.549 Schilling und 55 Groschen zu.

Begründung (zitiert nach dem später ergangenen OGH-Urteil): „Wenn der Kläger aus seiner Tatsachenauffassung die Schlußfolgerung ziehe, Rudolf Heß gebühre der Friedensnobelpreis (dies nämlich hatte Irving bei der aufgelösten Veranstaltung anno 1984 verkündet, R. S.), so nehme er damit noch nicht eine Glorifizierung und Gutheißung von NS-Zielen oder eine Glorifizierung einer das NS-Regime verkörpernden Leitfigur vor. Er beschränke sich vielmehr darauf, ein Ereignis losgelöst von dem das Dritte Reich charakterisierenden Zeitgeist aus seiner Warte historisch darzustellen, ohne die Absicht zu verfolgen, die im Verbotsgesetz inkriminierte Gefährdung herbeizuführen. “ Ergo: keine Wiederbetätigung, kein Grund zur Aufregung, kein Grund für ein Aufenthaltsverbot. Die behördliche Befürchtung nachteiliger Wirkungen für die öffentliche Ruhe und Ordnung habe Irving „insbesondere wegen seiner mitreißenden Vortragsweise“ erregt.

Ein Jahr darauf gab das Oberlandesgericht der Republik, die berufen hatte, voll und ganz recht. Vergebens: Am 11. Oktober 1989 stellten die Herren Schragel, Schubert, Hofmann, Schlosser und Graf, Richter am OGH, das famose Urteil erster Instanz wieder her, schwangen sich also ebenfalls und rechtswidrig zum Reserve-VwGH auf - und legten noch ein paar Schäuferln nach:

Wiederbetätigung könne „auch in einer unverkennbaren Glorifizierung der Person Adolf Hitlers und dem erkennbaren Gutheißen seiner Lebensaufgabe liegen.“ Vergleichbares habe Irving mit Heß nicht getan, habe er doch nur dessen Flug nach Großbritannien gerühmt. (Wir folgern: Wer Hitler etwa nur für den Massenmord in den Vernichtungslagern loben wollte, täte es ungestraft; nur wer Hitlers ganze „Lebensaufgabe“ verherrlicht, ist ein Nazi.)

Adolf Hitler hat sich jedenfalls niemals öffentlich zu den Rudolf Heß verfolgten Absichten bekannt, so daß nicht einmal auszuschließen ist, daß Rudolf Heß, dessen Stern 1941 eher im Sinken war, gegen die Intentionen Adolf Hitlers und der NSDAP gehandelt hat. Wie immer man sein Verhalten wertet, kann darin jedenfalls kein Anhaltspunkt für eine neonazistische Tätigkeit liegen. (...)

Es mag sein, daß die Person des Klägers und die Personen, die seine Vorträge arrangierten, Anlaß zu Vermutungen gaben, man wolle mit der Heß’schen Aktion auch ein wenig die Untaten des NS-Regimes rehabilitieren; deswegen aber die innere Sicherheit oder anerkennenswerte öffentliche Interessen gefährdet anzusehen, bestand (...) keinerlei Anlaß.

Der Kampf gegen den Faschismus ist eben kein anerkennenswertes öffentliches Interesse; er ist offenbar überhaupt kein öffentliches Interesse, sonst könnten Schragel, Schubert, Hofmann, Schlosser und Graf wohl kein öffentliches Amt bekleiden.

Ironie am Rande: Zu den Menschenrechten gehöre es eben auch, sagt der OGH, Ideen aussprechen zu dürfen, „die verletzen, schockieren und beunruhigen“. Diese Formulierung stammt vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, den derselbe OGH brüskiert hat, als er — wie den Lesern des FORVM wohl erinnerlich — in der Causa Oberschlick konstatierte, mit der nämlichen Formulierung könne nicht entschuldigt werden, daß man eine Anzeige wegen Wiederbetätigung gegen einen freiheitlichen Politiker publiziere.

Natürlich, ich gestehe es ein, ist der Titel, den ich für diesen Text gewählt habe, ungerecht. Was kann schließlich das Recht dafür, daß es sich von österreichischen Gerichten auslegen lassen muß.