Heft 6/1999
Dezember
1999

Rechter Aufstieg und ratlose Linke

Nicht die Behauptung, alle FPÖ-WählerInnen seien RassistInnen, sondern die Annahme, alle RassistInnen wür­den FPÖ wählen, ist falsch.

Mit dem Ergebnis der jüngsten Nationalrats­wahlen wurde die erfolg­reichste rechtsextreme Partei Europas zur zweitstärksten Partei Österreichs. [1] Eine Woche später lag sie bei Um­fragen noch einige Prozente über ihrem Wahlergebnis von 27,2%. Die bürgerliche Öf­fentlichkeit war sich nach dem Wahlergebnis sofort im klaren darüber, wie ein solches Wahlergebnis zustandekom­men konnte. „Unzufriedene“ und „Modernisierungsverlie­rer“ hatten die FPÖ gewählt. „Berechtigte Ängste“ hatten dabei die Hand zum Kreuzerl für die Haider-Partei geleitet und nicht etwa Rassismus. In der SPÖ konnte sich Karl Schlögl schon als der neue starke Mann im ORF präsen­tieren, ehe einige Funktionäre doch darüber nachzudenken begannen, ob es denn die ideale Strategie wäre, die FPÖ rechts überholen zu wollen.

Auch die Parteispitze der Grünen war sich sicher, daß dieses Wahlergebnis nicht etwa auf den Rassismus in der österreichischen Bevölkerung zurückzuführen wäre, sondern auf Unzufriedenheit. Partei­chef Van der Bellen wollte gar auf Tournee gehen, um der in­ternationalen Öffentlichkeit zu erklären, „daß Österreich kein Naziland ist“. Der grüne Par­tei- und Klubchef in einer Per­son sah den „Wirtschaftsstandort Österreich“ gefähr­det. Erst ein Aufschrei der in­nerparteilichen Restlinken konnte ihn von der Verwirk­lichung dieses Vorhabens ab­halten.

Die einzige Partei, von der während und nach dem Wahl­kampf des öfteren antirassisti­sche Töne zu hören waren — das Liberale Forum — wurde schließlich von den Wähle­rInnen mit dem Hinauswurf aus dem Parlament belohnt.

Die öffentliche Debatte nach den Wahlen konzen­trierte sich schließlich auf Koalitionsspekulationen und die Frage „mit oder ohne Hai­der“. Die Frage, warum denn in einem wirtschaftlich pros­perierenden Land mit einer gefestigten parlamentarischen Demokratie über 27% der WählerInnen einer offen fremdenfeindlichen Partei ih­re Stimme gaben, wurde kaum mehr gestellt.

Selbst ein Großteil der be­wegungsmarxistischen Lin­ken beantwortete diese Fra­ge letztlich mit dem Hinweis auf Sozialabbau und die So­zialdemagogie der FPÖ. Ei­nige trotzkistische Gruppen versuchen seither einmal mehr den FPÖ-WählerInnen zu erklären, daß sie eigent­lich gegen ihre eigenen In­teressen gestimmt hätten. Mit dem Großteil der Linken ver­einigt sie, daß sie — wie seit Jahren — RassistInnen er­klären wollen, daß sie für ei­ne fremdenfeindliche Partei gestimmt haben.

Genau das wissen die FPÖ-WählerInnen jedoch schon, seit sie die FPÖ wählen. In der neuesten Eu­robarometer-Umfrage schätz­ten sich 14% der Österrei­cherInnen selbst für „sehr ras­sistisch“ ein, weitere 28% für „ziemlich rassistisch“ und noch einmal 23% für ein „bißchen rassistisch“. Nicht nur die WählerInnen der FPÖ wissen von sich selbst, wie rassistisch sie sind, und haben ihre Partei genau we­gen deren Fremdenfeindlich­keit gewählt. Den WählerIn­nen dieser Partei zu erklären, daß sie doch einer fremden­feindlichen Partei ihre Stim­me geben, ist im besten Fall Eulen nach Athen tragen, im schlechtesten Wahlwerbung für die FPÖ. Die österreichi­sche Realität sieht anders aus, als sich das die bürgerlichen und linken VerteidigerInnen „des Volkes“ wünschen. Es ist nicht so, daß nicht alle FPÖ-WählerInnen RassistInnen wären, sondern so, daß nicht alle RassistInnen FPÖ wählen.

Historische Kontinuitäten

Was diesen weit verbreiteten Rassismus betrifft, gibt es sehr wohl historische Kontinuitäten. Durch die sehr oberflächliche „Entnazifizie­rung“ Österreichs und die These, das erste Opfer des Nationalsozialismus gewesen zu sein, konnte sich eine ganze Bevölkerung vor der Auseinandersetzung mit den ideologischen Grundlagen, die zum Nationalsozialismus geführt haben, drücken. Vie­le der Ideologeme, die sich in den dreißiger Jahren zu ei­nem geschlossenen faschisti­schen und schließlich nationalsozialistischen Gedanken­gebäude zusammenfügten, konnten so nicht nur überle­ben, sondern auch an zukünftige Generationen wei­tergegeben werden. Als mit der Waldheim-Affäre die österreichische Vergangen­heit langsam ein Thema wur­de, wurde dies schließlich mit einem „Jetzt erst recht“-Effekt als volksgemeinschaftli­che Schuldabwehr beant­wortet. Bis 1986 war die Schuldverstrickung von ÖsterreicherInnen in die Ver­brechen der Shoah nie the­matisiert worden. Danach beschwerten sich die TäterIn­nen und deren Nachkommen darüber, daß „die Juden“ sie mit diesen alten Geschichten nicht in Ruhe lassen könnten.

Dies sind letztlich Spätfol­gen der Art und Weise, wie sich der Übergang vom Nationalsozialismus zum postfa­schistischen Parlamentarismus vollzogen hat. Die Demokra­tie nach 1945 etablierte sich ohne eine entsprechende Um­erziehung der Bevölkerung. In der überwiegenden Mehrheit wurde sie von (ehemaligen) Nazis und deren MitläuferIn­nen getragen. SPÖ und ÖVP wie natürlich auch die später gegründete FPÖ hatten schließlich ein massives Inter­esse daran, die Vergangenheit zu vergessen. Schließlich be­fanden sich genug „Ehemali­ge“ in den eigenen Reihen und schließlich bildeten diese „Ehemaligen“ ein wichtiges WählerInnenpotential, denn tote Jüdinnen und Juden, to­te Roma oder Homosexuelle gehen nun einmal nicht mehr zur Wahl. Das ist der Boden­satz auf dem die FPÖ ab Mit­te der achziger Jahre groß wer­den konnte. Natürlich spielt dabei ein allgemeines An­wachsen rechtsextremer Par­teien in Europa auch eine Rol­le. Dies erklärt aber noch lan­ge nicht die besondere Stärke der FPÖ in Österreich und die Vorreiterfunktion, die die­ses Land bei der Durchset­zung dieses neuen Rechtsex­tremismus in Europa spielte und spielt. Diese Vorreiterrol­le muß also mit dieser spezi­fisch österreichischen Ge­schichte des Verdrängens und Vergessens, der Flucht in die Opferrolle und der Tradierung von Antisemitismus, Rassis­mus und autoritärem Denken zusammenhängen.

Solange sich diese Hal­tungen nicht ändern und kei­ne wirkliche Auseinanderset­zung des Täterkollektives mit den ideologischen Wurzeln des Nationalsozialismus stattfindet, kann die Hoffnung auf das „andere Österreich“, der Hinweis darauf, daß „über 70% Haider nicht ge­wählt“ hätten, bestenfalls ei­ne naive Wirklichkeitsverweigerung darstellen.

Das Volk und die Massen

Das „Volk“, diese rassisti­sche und antisemitische „Volksgemeinschaft“, die sich selbst zelebriert und fei­ert, gälte es anzugreifen, soll­te wirklich Widerstand ge­gen Antisemitismus und Ras­sismus geleistet werden. Wenn die Mehrheit der ÖsterreicherInnen aus Ras­sisten und Antisemiten be­steht, muß eben eine Auseinandersetzung mit dieser Mehrheit, mit dem „Extre­mismus der Mitte“ geführt werden. Da müßten dann auch Reaktionen aus dem Ausland auf den Wahlerfolg der FPÖ nicht nur verstan­den, sondern auch unter­stützt werden und nicht — nur weil sie zum Teil von nicht allzu sympathischen Personen kommen — volksgemeinschaftlich abgewehrt werden. Wenn von der öster­reichischen Bevölkerung im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus nichts ande­res zu erwarten ist als die Be­teiligung am Pogrom, dann muß sich ein Hilferuf der von diesem Pogrom Be­drohten an die internationa­le Öffentlichkeit wenden.

Mit Ausnahme einiger an­tinational ausgerichteten Grüppchen tut jedoch der überwiegende Teil der Linken nichts dergleichen und be­schäftigt sich lieber weiterhin damit, die Gründe für den Rassismus im Sozialabbau zu suchen. Der Antisemitismus, der mit und seit diesem Wahl­kampf in viel offenerer Form zu Tage tritt — Ariel Muszikant, Präsident der israeliti­schen Kultusgemeinde, sprach davon, daß sich die Übergrif­fe auf Jüdinnen und Juden verzehnfacht hätten —, inter­essiert viele dieser Linken so­wieso nicht.

Statt endlich den Mut zu haben, die Grundfesten die­ser „Volksgemeinschaft“ anzugreifen, wiegen sich poli­tisch völlig isolierte Linke lie­ber in der Illusion, doch noch irgendeine Massenrelevanz zu haben. Und bei solch einer halluzinierten Massenrele­vanz muß natürlich auf die­se Massen geachtet werden. Es können ja nicht jene ge­schlagen werden, deren Her­zen doch gewonnen werden sollen oder bereits gewonnen geglaubt sind. Nicht der kon­sequente Kampf gegen jeden Nationalismus, Antisemitis­mus und Rassismus steht so­mit im Mittelpunkt solcher virtueller Massenbewegun­gen, sondern der Versuch, den FPÖ-WählerInnen zu er­klären, daß Jörg Haider doch gar kein Sozialist ist, der sich wirklich um die „kleinen Leute“ kümmern würde. Stattdessen wird dem „klei­nen Mann“ erklärt, daß es eh nicht so viele „Ausländer“ gibt wie er glaubt und es im übrigen zu seinem eigenen Schaden wäre, sich auf die FPÖ-Politik einzulassen.

Demokratisierter Faschismus

Genau das ist aber keinesfalls gesagt. Es ist durchaus vor­stellbar, daß ein FP-regiertes Österreich für viele Wähler­Innen der Freiheitlichen Vor­teile brächte. Eine Gesellschaft mit privilligierten „weißen“ MehrheitsösterreicherInnen, die von der Ausbeutung und Rechtlosigkeit von MigrantIn­nen leben, ist durchaus eine mögliche Langzeitperspektive eines FP-Regimes. Und dazu bedürfte es keiner Ausschal­tung der „Demokratie“. Hai­ders ständigen Beteuerungen, daß er doch kein Faschist, sondern Demokrat ist, sind zur Hälfte richtig. Demokra­tie und Faschismus werden nämlich im 21. Jahrhundert nicht mehr zwangsläufig ein Gegensatzpaar sein.

Mit einer Bevölkerung wie der österreichischen ist es durchaus denkbar, für faschistische Politik Mehrheiten zu finden und die parlamentari­sche Demokratie im Prinzip nicht antasten zu müssen. Natürlich ist es möglich, daß jenen, die diesem demokrati­sierten Faschismus Wider­stand leisten, eine verstärkte Repression ins Gesicht blasen wird. Sofern dieser Wider­stand eine gesellschaftliche Relevanz entwickelt, ist dies sogar mit Sicherheit der Fall. Den grundsätzlich demokra­tischen Charakter einer FPÖ-Herrschaft würde dies jedoch nicht in Frage stellen. „Demokratie“ heißt schließlich nicht Herrschaftslosigkeit, sondern Volksherrschaft — und bei der Konstituiertheit die­ses „Volkes“ ist auch ein ganz demokratisches Pogrom durchaus keine Spekulation, die nur der pessimistischen Phantasie von deprimierten Volksfeinden entspringt.

Jörg Haiders FPÖ ist nicht entweder demokratisch oder rechtsextrem, sondern beides. Das Erfolgsrezept dieser Partei macht nicht nur ihre offene Fremdenfeindlichkeit aus, son­dern auch die Modernisierung und Demokratisierung jenes Gedankengutes, auf dem die Partei ideologisch aufbaut. Die FPÖ ist heute die modernste Partei Österreichs. Die Art ih­rer Präsentation ist voll und ganz auf die postmoderne Popkultur der Jahrtausend­wende zugeschnitten. Sie ist modern, jung, dynamisch, frech, leistungsstark und bis zu einem bestimmten Grad postmodern-prinzipienlos. In ihren Inhalten dient sie primär als Verstärkeranlage der Bier­tische und anderer Foren der „Volksseele“. Für die Jungen wird in der Disko gerockt, für die Alten im Bierzelt ge­schunkelt, und so kann die FPÖ selbst die Generationen miteinander versöhnen und je­ne Volksgemeinschaft in ihrer Partei verwirklichen, die sie zu einer wahrhaften „Volkspar­tei“ anwachsen ließ.

Mit Ausnahme der eben­falls sehr erfolgreichen Alleanza Nationale in Italien hat keine andere rechtsextreme Partei Europas den Sprung von einer verstaubten Altherrenpartei zu einer modernen, demokratischen Massenpartei so erfolgreich bewältigt wie die FPÖ. Zusammen mit dem hi­storisch guten Boden für so ei­ne Politik in Österreich und dem vorauseilenden Gehor­sam der SPÖVP-Koalitionsregierung gegenüber der FP-Politik, ist dies wohl einer der Hauptgründe für den politi­schen Höhenflug der FPÖ, der vielleicht schon bald ins Kanzleramt führen könnte.

[1Mit der Bezeichnung „rechtsextrem“ wird keine strafrechtlich relevante oder verfassungsfeindliche Tat oder Gesinnung unter­stellt. Das mit der Bezeich­nung implizierte Urteil ist rein politischer Natur und basiert auf dem in den Sozialwissenschaften ent­wickelten Rechtextremis­mus-Begriff wie er bei­spielsweise von Wilibald Holzer dargelegt wurde (Vgl. Holzer, Willibald L: Rechtsextremismus — Kon­turen, Definitionsmerk­male und Erklärungs­ansätze, in: Stiftung DÖW (Hg.): Handbuch des öster­reichischen Rechtsextre­mismus. Wien 1993).

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