FORVM, No. 219
März
1972

Rote Woche in Rom

Die Besetzung von Häusern breitet sich von Castelbruciato nahe Centocelle aus. Die proletarischen Versammlungen organiseren den Kampf von 500 Familien. Besetzung durch die Polizei.

Die Besetzung der Straße Diego Angeli (Tiburtino, Casalbruciato) beginnt in der Nacht von Freitag auf Samstag, den 27. April 1971. Es sind etwa dreißig Familien aus dem Bezirk Tiburtino. Seit mehr als einer Woche hat die Gruppe Lotta Continua von San Basilio die Aktion mit den Leuten des Bezirks Alessandrino diskutiert.

Samstag, 27.: Andere Familien vereinigen sich mit den ersten Besetzern. Das Gerücht, daß die Häuser von Casalbruciato besetzt sind, beginnt sich in den Volksbezirken auszubreiten. Um 21 Uhr stoßen beinahe 100 Familien zu den Besetzern. Mitten auf der Straße wird ein Feuer angezündet. Ein Spruchband: „Die Proletarier brauchen keine Reform, sie nehmen die Häuser selbst!“

Sonntag, 28.: Sehr früh am Morgen besetzt eine Gruppe von Familien aus San Basilio ein anderes Wohnhaus. Man weiß nicht, ob es der Gemeinde gehört. Nachmittag gibt es Feststimmung: auf einem Balkon wird ein Grammophon mit Lautsprecher installiert, und alle anderen Balkons sind voll von Leuten, die gekommen sind, um die Eltern, die Freunde zu besuchen. Die erste Versammlung wird organisiert. Alle sind einverstanden: „Wenn die Häuser privat sind, soll die Gemeinde sie kaufen und uns geben!“ Die ersten Polizisten beginnen sich aufzupflanzen, niemand beachtet sie. Die Laute von der PCI und der und der UNIA (Nationale Mieterunion) kommen zurück. Sie waren heute morgen schon hier gewesen, aber Besetzer und Regen hatten sie vertrieben. Sie wollen, daß man die Häuser verlassen und an die Gemeinde Petitionen richten soll. Das Volk verjagt sie und sagt: „Petitionen haben wir jahrelang gemacht. Wenn ihr welche einbringen wollt, tut es, wir rühren uns nicht vom Fleck!“ Gegen 20 Uhr sind alle Häuser (ungefähr 400 Wohnungen) der Via Angeli besetzt. Das Volk kommt mit Pfannen, Matratzen, Kochöfen, es will bleiben. Um 22 Uhr versammeln sich die Stiegenhausdelegationen (nachmittags war in jedem Stiegenhaus eine Versammlung) ... Man beschließt, für die anderen Bezirke Wandzeitungen zu machen, eine Erklärung für die Studenten zu verfassen, eine Delegation zu entsenden, die morgen zur Gemeinde gehen soll; Wachposten werden für die Nacht organisiert.

Montag, 29.: Am Morgen kommen Maurer, die mit der Schlußfertigung am Bau beschäftigt sind. Die Besetzer machen eine Wandzeitung und diskutieren mit den Arbeitern, daß der Kampf ein gemeinsamer ist. Einer sagt, daß er nachmittags mit seiner Familie kommen wird. Die Maurer arbeiten nicht und bleiben lange mit den Besetzern zusammen. In der Straße und zwischen den Häusern findet eine permanente Versammlung statt. Die Genossen beginnen vom Kampf gegen die Arbeitslosigkeit zu reden. Der Zustrom hält an. Die Zeitungen, die kommunistische „Unitá“ inbegriffen, haben nicht von diesem Kampf berichtet, weder Samstag, noch Sonntag, noch Montag. Wenn sie zwei Zeilen geschrieben haben, so nur, daß es sich um dreißig Familien handelte, und um zu unterstreichen, daß es private Wohnbauten sind. Dank tausenderlei Kommunikationsmittel, Verwandtschaftsbeziehungen, Dorf und Heimatgemeinschaft, früherer PCI-Mitgliedschaft, Café-Öffentlichkeit usw. weiß alle Welt von den Besetzungen. Um 15 Uhr kommt eine Delegation mit leeren Händen zurück: sie wurde nicht empfangen. In der Nacht werden Barrikaden gebaut.

Dienstag, 30.: Die Militär-Parade beginnt. Die Karabinieri und die CRS-Leute kommen von allen Seiten, es sind mindestens 3.000. Das Mißverhältnis der Kräfte ist evident. Hinter den Barrikaden singt man die Internationale. Zwei Typen von der PSIUP und der PCI kommen. Sie garantieren Verhandlungen und die Bereitschaft der Polizei, die für eine Versammlung der Besetzer nötige Zeit zu bewilligen. Die Besetzer sagen: „Nehmen wir einige Bretter weg.“ Aber kaum wird damit begonnen, rücken die CRS vor und laden durch. Tausende von CRS-Leuten schleifen die Barrikaden und beginnen das Volk zu vertreiben. Die Frauen auf den Balkons geben ein Beispiel. Einige haben sich derart verbarrikadiert, daß die Polizei Stunden braucht, um die Türen einzubrechen. Die Kämpfe dauern bis zehn Uhr abends.

Mittwoch, 31.: Es kommt neuerlich zu einzelnen Besetzungen. Die Polizei greift aber massiv ein.

Donnerstag, 1.: Die Polizeikräfte bleiben im Bezirk.

Freitag, 2.: In der Versammlung mit den Familiengruppen wird beschlossen, einige Tage verstreichen zu lassen, ehe die Besetzung wieder aufgenommen wird.

Samstag, 3.: Auf einer Versammlung von Arbeitern und Studenten in der Universität, bei Beteiligung der Genossen von Potere Operaio und Manifesto, werden Ziele und Inhalt der Besetzungen beleuchtet, man gibt organisatorische Hinweise. Am Abend wird auf einer Versammlung mit anderen Familien die sofortige Wiederaufnahme der Besetzung in einem neuen Quartier von Centocelle, in der Via Carpenito Romano, beschlossen. Während der Nacht finden sich an die fünfzig Familien zusammen. Die Polizei versucht eine Intervention, aber angesichts der Barrikaden und des Risikos, daß der Kampf sich weiter ausdehnt, zieht sie sich wieder zurück.

Sonntag, 4.: Die in Casalbrusciato gemachten Erfahrungen wiederholen sich: Stiegenhauskomitees, Ausdehnung der Besetzung auf weiteren Wohnblöcke.

Am Montagmorgen um 6 Uhr schreitet die Polizei massiv ein. Die heftigen und kurz aufeinanderfolgenden Kämpfe können das Quartier nicht entmutigen. Die Schüler aus zwei Schulen des Wohnbezirks streiken und geraten in Auseinandersetzungen mit der Polizei.

(Lotta continua, April 1971)

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