Sexualisierte Gewalt gegen Frauen während der NS-Verfolgung
In den Details der Verfolgungsstrukturen war das Geschlechterverhältnis zwischen TäterInnen und Opfern von Bedeutung, auch wenn das NS-Regime in seinem Tötungswahn keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen kannte.
Das nationalsozialistische Regime und seine RepräsentantInnen machten in der Verfolgung und Ermordung der Opfer keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Das Geschlecht der Verfolgten und Inhaftierten hatte keine Relevanz. Dennoch bekam das Geschlechterverhältnis zwischen TäterInnen und Opfern in den Details der Verfolgungs- und Vernichtungsstrukturen spezifische Relevanz, auch wenn bei den politischen und rassistischen Ursachen der Verfolgung sowie bei Ablauf und Inhaftierung nicht nach Geschlecht unterschieden wurde. Zum einen nutzten männliche Täter die Hierarchie des Geschlechterverhältnisses gegenüber weiblichen Opfern, zum anderen wurde der Faktor Geschlecht von den verfolgten Frauen in spezifischer Art und Weise erlebt.
Wir werden im Folgenden anhand zweier Beispiele die Rolle des Geschlechterverhältnisses im Kontext nationalsozialistischer Verfolgung für weibliche Opfer sowie die unterschiedlichen Formen sexualisierter Gewalt gegen Frauen während ihrer KZ-Haftzeiten genauer beleuchten.
Sexualisierte Gewalt und ihre ideologischen Verknüpfungen
Bislang existieren Untersuchungen zu sexueller Gewalt gegen Frauen primär für die Bereiche ziviler Alltag und Krieg. Es wäre unzureichend, diese Erklärungsansätze und Analysen auf den Kontext nationalsozialistischer Verfolgung anzuwenden, da unter diesen Bedingungen mit dem Vernichtungswillen der TäterInnen qualitativ andere Zielsetzungen und Motivationen als in zivilen und kriegerischen Kontexten bestanden haben. Wir bevorzugen die Bezeichnung sexualisierte Gewalt gegenüber dem Ausdruck sexuelle Gewalt, da es im Kontext nationalsozialistischer Verfolgung nicht nur um direkte, körperliche Gewalt gegenüber Frauen, bezogen auf ihre Sexualität, geht, sondern um darüber hinausgehende „Grenzüberschreitungen“ wie Verletzung des Schamgefühls, verbale Erniedrigungen, psychische Nötigung zu sexuellen Handlungen und sexuelle Ausbeutung. Der Begriff der sexualisierten Gewalt bezieht sich daher sowohl auf die Dimension der direkten/personalen Gewalt als auch auf die Dimension der indirekten/strukturellen Gewalt.
Grundlegend für unsere Fragestellung ist die Annahme, dass in jedem Repressions- und Verfolgungskontext immer auch sexualisierte Gewalt — also Gewalt verbunden mit sexuellen Konnotationen — angewendet wird, sowohl gegen Frauen als auch gegen Männer. Sexualisierte Gewalt gehört zum Grundinstrumentarium jeder Repression und Verfolgung. [1]
Die Wechselwirkung zwischen NS-Ideologie und Verfolgungszielen führte zu qualitativ spezifischen Formen von Gewalt. Wir unterscheiden daher zwischen sexualisiert-frauenfeindlicher, sexualisiert-antisemitischer und -rassistischer, sexualisiert-eugenischer sowie sexualisiert-heterosexistischer Gewalt. Die Differenzierung von sexualisierter Gewalt in diese Gewaltbereiche ist notwendig, um unterscheiden zu können, ob sie sich ihrer Funktion nach gegen die Frau als Frau oder gegen die Frau auch als Repräsentantin und Symbol einer definierten (Verfolgten-)Gruppe richtete. Sexualisiert-frauenfeindliche Gewalt zielte gegen ihre Identitäten, gegen ihre sexuelle Integrität sowie gegen ihre freie Entscheidungs- und Verfügungsgewalt über den eigenen Körper und die individuellen Reproduktionswünsche. Sexualisiert-rassistische und -antisemitische Gewalt richtete sich gegen weibliche Repräsentantinnen einer Verfolgtengruppe. Gegen sie wurden sexualisierte Gewaltmethoden als Frauen und Jüdinnen, als Frauen und Romni bzw. Sintezza eingesetzt. Ebenso wurde sie gegen Frauen eingesetzt, die sich der rassistischen Bevölkerungspolitik widersetzten. Unter sexualisiert-eugenischer Gewalt verstehen wir medizinische Zwangseingriffe in die Sexualität und Reproduktionsfähigkeit, die Eingriffe in die körperliche Integrität und freie Reproduktionsentscheidung bestimmter Bevölkerungs- und Verfolgtengruppen darstellten (zum Beispiel sogenannte „Asoziale” und Menschen mit „Behinderung”). Sexualisiert-heterosexistische Gewalt machte Menschen zu Verfolgten und Opfern, die nicht gemäß den moralischen und sexuellen Normen der nationalsozialistischen Ideologie lebten. Die Differenzierung der sexualisierten Gewaltformen macht deutlich, dass im Kontext nationalsozialistischer Ideologie sexualisierte Gewalt gegen Frauen nicht ausschließlich als Ausdruck von Frauenfeindlichkeit begriffen werden kann. Antisemitische, rassistische, eugenische und heterosexistische Intentionen sind relevante Faktoren, die das Ausmaß, die Art und die Zielsetzung der Gewalttat maßgeblich strukturierten. Um den Opfern und den ihnen aufgezwungenen Gewalterfahrungen und Traumatisierungen annähernd gerecht zu werden, ist daher eine deutliche Differenzierung unerlässlich.
Anhand der Themen Aufnahmeprozedur und sexuelle Ausbeutung (Zwangssexarbeit) in Konzentrationslagern wollen wir uns nun mit den Auswirkungen des Geschlechterverhältnisses sowie mit einer Form sexualisierter Gewalt gegen Frauen auseinandersetzen.
Sexualisierte Gewalt während der KZ-Aufnahmeprozedur
Neuankommende Häftlinge erlebten bei der Ankunft in einem Konzentrationslager — sofern sie eine zuvor stattgefundene Selektion überlebt hatten — die Aufnahmeprozedur. Diese setzte sich prinzipiell aus folgenden Stationen zusammen: Die Ankommenden mussten ihre Kleidung ausziehen und sämtlichen Besitz und alle Wertgegenstände abgeben. Anschließend wurden alle Körperhaare geschoren. Davon waren besonders Jüdinnen, Russinnen, Polinnen und „Bettpolitische”, die wegen intimer Beziehungen zu Zwangsarbeitern inhaftiert waren, betroffen. Die Frauen mussten mit kaltem Wasser duschen, wurden von einem SS-Arzt untersucht, bekamen Häftlingskleidung und eine KZ-Nummer sowie einen Häftlingswinkel zugeteilt. Diese Prozedur machten Männer und Frauen durch. Was bedeutete dies aber für Frauen, wie haben sie diese Prozedur erlebt? Uns interessiert hier vor allem die Wirkung der Anwesenheit und des Verhaltens der männlichen SS-Angehörigen auf das Erleben der Frauen.
Martha N. [2] musste bei ihrer Ankunft in Birkenau nicht nur die ganze Prozedur erleben, sie wurde aufgrund ihrer jüdischen Herkunft von einem SS-Mann auch antisemitisch beschimpft. „Ich kam nach Birkenau und das war für mich ganz schrecklich, weil du weißt eh, da ist man komplett nackt ausgezogen (worden), weil das Gewand einem weggenommen worden ist, und es sind die Haare geschoren worden, das war das Allerärgste für mich. Ja, heute ist das ganz modern, dass die Frauen so etwas machen, aber damals war es ganz unmodern und für mich ganz fremd, und plötzlich kam die SS durch, und so als junges Mädchen habe ich mich so umgedreht, weil ich ganz nackt dort gestanden bin. Das dürfte der eine (SS-Mann) überzogen haben und ist zurückgekommen und hat mich umgedreht, hat mich von Kopf bis Fuß gemessen und hat gesagt: ‚Bist ja doch eine dreckige Saujüdin!‘ Das werde ich nie vergessen, das war das Allerschrecklichste.“ [3] Dies ist ein explizites Beispiel sexualisiert-antisemitischer Gewalt in verbaler Form.
Die Aufnahmeprozedur bedeutete für Frauen, unabhängig der sozialen Herkunft, einen immensen Bruch mit dem bisherigen Leben, ihrer Sozialisation und den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Dies wird auch an Grete A.’s Schilderung deutlich, wie sie im Herbst 1942 die Ankunft in Ravensbrück erlebte. „Nun selbstverständlich, was ich ja auch immer wieder sage, mein erster Eindruck, wenn wir dann ins Lager gekommen sind, das Ausziehen vor den Männern, nackt da stehen, ausgelacht zu werden, eventuell haben sie sich erlaubt vielleicht auch manche Frauen zu berühren und eben, wir sind anders erzogen, in unserer Jugend war es nicht so sich nackt zu zeigen vor anderen, oft nicht einmal vor den Frauen, nicht. Zum Beispiel in meiner Familie, ich habe meine Mutter nie nackt gesehen, und jetzt kommst du dort hin und bist vom Kind bis zur Greisin dort, und jetzt gehen die uniformierten SS-Männer in den Reihen und lachen und machen sich lustig. Also das ist, das war eine furchtbare Erniedrigung. Das war der erste schreckliche Eindruck, als ich ins Lager gekommen (bin), abgesehen von dem, was ich auf der Lagerstraße sofort bemerkt habe. Also da, die Frauen, die da so armselig herum geschlichen sind, abgemagert und so. Also das war auch ein ganz schreckliches Erlebnis.“ [4]
Zweifelsohne bereitete es den SS-Männern Vergnügen, die nackten Frauen zu beobachten, zu belästigen und zu schikanieren. Sie spielten mit ihrer Macht, und keine Frau war davor sicher, belästigt zu werden. In den meisten Erinnerungen werden als anwesende SS-Angehörige nur Männer erwähnt. Das heißt, dass entweder wirklich nur SS-Männer und keine SS-Aufseherinnen anwesend waren — was für Ravensbrück sehr unwahrscheinlich ist —, oder dass die Anwesenheit von weiblichen SS-Angehörigen in dieser Situation (und in den Erinnerungen) für die weiblichen Häftlinge (vergleichsweise) irrelevant war, da die Scham über die eigene Nacktheit vor diesen Frauen geringer war.
Die Darstellungen der Aufnahme in den Lebensgeschichten zeigen deutlich, dass die Form der Aufnahmeprozedur für Frauen eine spezifische Erfahrung umfasste. Unbestritten ist, dass unabhängig vom Geschlecht der neuangekommenen Gefangenen die Stationen und der Modus der Aufnahmeprozedur generell als Entindividualisierung, Einschüchterung, Demütigung und Terrorisierung empfunden werden sollte. Dies war die systematische Intention der SS und des KZ-Systems. Es kommt für Frauen aber noch eine zusätzliche Dimension hinzu. Sie wurden bei der Aufnahmeprozedur in Birkenau und Ravensbrück auch von männlichen SS-Angehörigen bewacht, beobachtet und schikaniert. Das heißt, dass dieses Geschlechterverhältnis für die Frauen eine zusätzliche Demütigung und Bedrohung darstellte, die sie in vielen Fällen physisch selbst erleben mussten, die sich aber als psychische Gewalt auf alle Frauen ausgewirkt hat.
Sexuelle Ausbeutung von Frauen durch die SS
Nicht die Abschaffung der Prostitution war Ziel des NS- Regimes, sondern deren uneingeschränkte staatliche Kontrolle und Instrumentalisierung für die Durchsetzung nicht nur der eigenen Sexualvorstellungen, sondern vor allem auch machtpolitischer, expansionistischer und wirtschaftlicher Interessen. Bordelle für Angehörige der Wehrmacht existierten ab Herbst 1939. Ab 1940 wurden Bordelle für „Fremdarbeiter“ eröffnet. Im Juni 1942 wurde schließlich auf Befehl Himmlers in Mauthausen das erste Lagerbordell für Häftlinge eingerichtet. Weitere Zwangsbordelle für Häftlinge wurden in Auschwitz, Buchenwald, Flossenbürg, Neuengamme, Dachau, Sachsenhausen und Mittelbau-Dora eröffnet. Nachweislich gab es für SS-Wachmannschaften Bordelle in Buchenwald, Mittelbau-Dora und Flossenbürg. Sehr wahrscheinlich sind solche auch für Mauthausen, Dachau und Auschwitz. [5]
Sexuelle Ausbeutung und Nutzbarmachung weiblicher Körper für männliche Bedürfnisse hatte im Konzentrationslager sowohl offiziell (Zwangssexarbeit) als auch inoffiziell System (alltägliche gewaltsame Übergriffe durch SS-Männer im Lager). In der offiziell organisierten Zwangsprostitution äußerte sich wiederum eine der schwersten Formen staatlich organisierter, sexualisiert-frauenfeindlicher Gewalt, welche massiv in die Verfügungsgewalt über den eigenen Körper eingriff oder diese vollständig negierte. Deutlich wird die rassistische Komponente sexualisierter Gewalt, wenn (später) auch Frauen, die aufgrund „verbotenen Umgangs“ („Bettpolitische“) zur Zwangsprostitution ausgesucht wurden, oder wenn sich sexuelle Gewalt auch gegen Romnis, Sintezzas oder auch Jüdinnen richtete. Hier wurde zusätzlich zur allgemeinen Demonstration männlicher Macht, welche sexuellen Übergriffen und sexueller Nötigung innewohnt, auch die nationalsozialistische Macht und Dominanz gegenüber rassistisch erniedrigten Frauen demonstriert.
Zu Beginn versuchte die SS noch, Frauen zur Zwangssexarbeit „anzuwerben“. Mit Verheißungen nach besserem Essen, besserer Kleidung und schließlich sogar Freilassung versuchten sie, Frauen für diese Tätigkeit zu gewinnen. Diese Versprechen werden von mehreren Zeitzeuginnen erwähnt. Die SS in Ravensbrück rekrutierte zudem mit Vorliebe in Blöcken, in denen die Lebensbedingungen besonders verheerend waren, und unter Frauen, die in besonders schlechten Arbeitskommandos zwangsverpflichtet waren — in Situationen also, wo die Frauen nach jedem Strohhalm griffen, der sich ihnen bot, um dieser Hölle zu entfliehen. Gemäß den Überlieferungen in Zeitzeuginnen-Berichten warb oder selektierte die SS in Ravensbrück unter Frauen, die als Prostituierte inhaftiert waren, im Strafblock, aber auch sofort nach Ankunft und Quarantäne, bei Selektionen vor Blöcken, bei Appellen, im provisorischen Zelt oder bei medizinischen Untersuchungen. Gegen Ende des Krieges wählte die SS bei jeder Gelegenheit Frauen für das Bordellkommando aus.
Im Hinblick auf SS-Bordelle ist die Quellenlage allerdings noch schlechter und sind die Forschungslücken noch größer als bei den Häftlingsbordellen. Aus Überlebendenberichten wissen wir, dass die hübschesten und noch gesündesten Frauen für die SS-Bordelle ausgesucht wurden. „Und ich habe mir gedacht, warum probieren sie sie aus? Ist ihnen so viel, wohin schicken sie sie? Und dann haben sie sie eingeteilt. Die Schönsten, und das weiß ich auch genau, die Schönsten kamen in die SS-Bordelle. Prostitution verboten, bei den Nazis. Die weniger Schönen in die Soldaten-Bordelle, und die Schlechtesten in die KZ(-Bordelle). Nach Mauthausen sind auch welche gekommen.“ [6] Frauen, welche als politische Häftlinge eingestuft waren und Zwangssexarbeit leisten mussten, bekamen nach ihrer Rückkehr nach Ravensbrück den roten Winkel durch einen schwarzen Winkel ersetzt. Dies erzählt Rita K. über einen Mithäftling. „Die R. hat sich gemeldet. Sagt sie: ‚Komm’, geh’ mit‘, hat sie gesagt, ‚wir kommen da sowieso nicht mehr heraus, ist ja wurscht, gell, haben wir wenigstens noch ein schönes Leben. Das ist aber nur für ein halbes Jahr.‘ Sie ist gekommen in ein Bordell, wo die SSler aus und ein gegangen sind. Und da mußte sie acht Männer am Tag verkraften, ja, das hat sie mir dann erzählt, wie sie zurückgekommen ist. Wie sie zurückgekommen ist, war sie in den Siemens-Werken, da hat sie aber nicht mehr den roten Winkel gehabt, da hat sie einen schwarzen Winkel gekriegt, als Asoziale. (...) Ich habe sie dann getroffen, sie hat ausgeschaut wie ein abgebranntes Dorf, das ist so klar. Ja, ist sie dann wieder zurückgekommen, aber mit dem schwarzen Winkel.“ [7] Die SS-Bordelle waren bei den Frauen gefürchtet, nachdem sich Berichte von zurückkehrenden Frauen im Lager sehr rasch verbreitet hatten. Die Gewalt in den SS-Bordellen scheint enorm gewesen zu sein, die betroffenen Frauen berichteten von unglaublichen Obszönitäten und Perversitäten.
Neben den kanalisierten, offiziell geduldeten sexuellen Übergriffen von SS-Männern gegenüber Häftlingsfrauen in den SS-Bordellen gab es noch viele weitere Formen direkter, physischer sexualisierter Gewalt, denen Frauen von SS-Seite her ausgesetzt waren. In den Berichten wird von zweierlei „Beziehungsformen“ erzählt, und zwar von willkürlichen gewaltsamen Übergriffen, von denen grundsätzlich alle bedroht waren, und von sexuellen Verhältnissen („Liebschaften“) zwischen SS-Männern und Häftlingsfrauen, mit einer gewissen Regelmäßigkeit der Kontakte und mit (unterschiedlichen) Vorteilen für beide Seiten. Wobei bei diesen sexuellen Verhältnissen immer die hierarchische Beziehung zwischen SS-Mann und gefangener Frau mitgedacht werden muss. Denn im Kontext der permanenten Lebensbedrohung in einem Konzentrationslager kann generell weder von unbeeinflusster Entscheidungsfindung noch von freien Wahlmöglichkeiten gesprochen werden.
Judith S. wird auf Nachfragen im Interview sehr deutlich: Wenn ein SS-Mann an einer Häftlingsfrau Gefallen gefunden hat, dann war ihr Schicksal besiegelt, da gab es keine Möglichkeit, sich zu wehren oder zu entkommen, „wenn der [der SS-Mann] wollen hat, hat er sich’s genommen und aus“. Frau S., die auch in Auschwitz-Birkenau inhaftiert war und vor allem auch auf die Erfahrungen dort Bezug nimmt, meint, dass solche Übergriffe üblich, an der Tagesordnung waren. [8] Es gibt einige Hinweise darauf, dass gerade bei Vergewaltigung und sexueller Nötigung die SS das Verbot der „Rassenschande“ nicht beachtete, Jüdin, Romni oder Sintezza zu sein, keinen Schutz vor Übergriffen darstellte. Von einer solchen Erfahrung berichtet Frau Elias. Sie erzählt von den traumatisierenden Ereignissen, denen junge jüdische Mädchen ausgesetzt waren. „Einige Male erschien plötzlich die SS in unserem Block. Das Tor zum Block wurde aufgerissen, und die SS-Leute fuhren auf ihren dröhnenden Motorrädern besoffen in unseren Block ein. Die Musikkapelle wurde hereinbefohlen, und die SS-Männer begannen zu singen und weiterzutrinken und sich, durch die Musik angetrieben, in ihre Laune hineinzusteigern. Ohne Scham fingen sie an, sich Mädchen aus den Bettstellen herauszuziehen, jüdische Mädchen, welche sie mit sich nahmen, um sie dann zu vergewaltigen. Vergewaltigung jüdischer Mädchen war erlaubt. Das war doch keine Rassenschande. Es ist unmöglich zu beschreiben, in welchem mitleiderregenden Zustand diese armen Geschöpfe zurückkamen.“ [9] Aus Angst vor Bestrafung versuchten manche SS-Männer derartige Gewalttaten zu vertuschen, indem sie diese Frauen nach dem Missbrauch einfach ermordeten. [10]
Friedl Burda
Friedl Burda ist das Kind einer Wiener Arbeiterfamilie, ihre Mutter ist Funktionärin bei der Sozialdemokratischen Partei, sie selbst Mitglied im Arbeiter-Sängerbund. Als sie am Tag des Einmarschs der Nationalsozialisten in Österreich die älteren sozialdemokratischen Genossen fragt: „Und was machen wir jetzt?“ und sie zur Antwort bekommt: „na ja, gegen unseren deutschen Bruder können wir doch net kämpfn“, beschließt sie zur Kommunistischen Partei zu gehen.
Kurz darauf beginnt sie in der „Roten Hilfe“ mitzuarbeiten. 1941 wird sie gefragt, ob sie Illegalen Quartier geben könnte. In der Wohnung wird bis zu Friedl Burdas Verhaftung die Zeitung „Die Wahrheit“ geschrieben und abgezogen. Ab April 1943 wird Friedl Burda zur Firma Reichert, den Optischen Werken, die für die Wehrmacht produzierten, „dienstverpflichtet“. Sie leitet die ausländischen Arbeiter dazu an, möglichst viel Ausschuss zu produzieren. Im Februar 1944 werden Friedl Burda und ihre Mutter verhaftet, sie sitzen sieben Monate im Gefängnis, bevor sie nach Ravensbrück deportiert werden. Selbst unter den katastrophalen Bedingungen des KZ versucht Friedl Burda weiterhin durch Sabotage die Rüstungsindustrie zu schädigen. Sie wird gewarnt, dass ihre „schlechte Kontrolle“ aufgeflogen ist und kann sich durch die Hilfe von Genossinnen bis Kriegsende retten.
Quelle: Karin Berger u.a. (Hg.): Der Himmel ist blau. Kann sein. Frauen im Widerstand. Wien 1985
Rachel Cheigham
Rachel Cheigham verzichtet ihrer Brüder zuliebe auf ein Studium und beginnt in einer Sportbuchhandlung zu arbeiten. Uber Freunde kommt sie zur Sportredaktion des „Petit Parisien“, einer großen Pariser Tageszeitung. Seit dem Einmarsch der Deutschen in Paris übernimmt Rachel Cheigham immer wieder Kurierdienste für eine Widerstandsgruppe. Als sie nach ihrer Flucht aus Paris in Nizza ankommt, beschließt sie „richtig Widerstand (zu) leisten, aber zusammen mit Juden.“ Über einen jüdischen Rechtsanwalt kommt sie in Kontakt mit der „Armee Juive” in Nizza, einer jüdisch-zionistischen Widerstandsorganisation, die sowohl Rettungsaktionen durchführte, als auch im bewaffneten Kampf aktiv war. Im Juli 1944 geht die Pariser Gruppe der Gestapo in die Falle. Rachel Cheigham wird nach Paris entsandt, um dort eine neue Gruppe aufzubauen. Sie wird zur Chefin des Verbindungsdienstes ernannt und wird Mitglied des Führungstrios. In den Kämpfen um die Befreiung von Paris hält sie den Kontakt zwischen den einzelnen Gruppen aufrecht.
Quelle: Ingrid Strobl: Die Angst kam erst danach. Jüdische Frauen im Widerstand 1939-1945. Frankfurt/M. 1998.
[1] vgl. Inger Agger: The Blue Room. Trauma and Testimony among Refugee Women. A Psycho-Social Exploration. London 1994, S. 7
[2] Aufgrund des sensiblen Themas haben wir alle Namen geändert.
[3] Interview mit Frauen des KZ Ravensbrück, (IKF) 3_1, S. 3
[4] IKF-Rav-Int. 35_3, S. 5 f.
[5] Vgl. Andreas Baumgartner: Die vergessenen Frauen von Mauthausen. Die weiblichen Häftlinge des Konzentrationslagers Mauthausen und ihre Geschichte. Wien 1997; Karl Fallend: Zwangsarbeit — Sklavenarbeit in den Reichswerken Hermann Göring am Standort Linz. (Auto-)Biographische Einsichten. Wien — Köln — Weimar 2001; Christa Paul: Zwangsprostitution. Staatlich errichtete Bordelle im Nationalsozialismus. Berlin 1994; Christi Wickert: Tabu Lagerbordell. Vom Umgang mit der Zwangsprostitution nach 1945. in: Insa Eschebach/Sigrid ]acobeit/Silke Wenk (Hg.): Gedächtnis und Geschlecht. Deutungsmuster in Darstellungen des nationalsozialistischen Genozids. Frankfurt/M. — New York 2002
[6] IKF-Rav-Int. 20_3, S. 32 f.
[7] IKF-Rav-Int. 22_1, S. 32
[8] vgl. IKF-Rav-Int. 25_3, S. 16 f.
[9] Ruth Elias, zit. in Janet Anschütz/ Kerstin Meier/ Sonja Ohajdin: „... dieses leere Gefühl, und die Blicke der anderen...,,. in: Claus Füllberg-Stollberg u.a. (Hg.): Frauen in Konzentrationslagern. Bergen-Belsen, Ravensbrück. Bremen 1994, S. 130
[10] vgl. ebd., S. 130
Dieser Artikel basiert auf dem unveröffentlichten Forschungsbericht „Sexualisierte Gewalt gegen Frauen im Kontext nationalsozialistischer Verfolgung“.
