Short Cuts
Michael Steffen: Geschichten vom Trüffelschwein
Politik und Organisation des Kommunistischen Bundes 1971 bis 1991. Assoziation A, Berlin — Hamburg — Göttingen 2002, 416 Seiten, EUR 24,—
Der Kommunistische Bund (nicht zu verwechseln mit dem österreichischen KB, dem in der BRD der Kommunistische Bund Westdeutschland entsprach) war eine der einflußreichsten Organisationen der Neuen Linken in der Bundesrepublik. Er verfügte zeitweise über rund 2.500 Aktive und sein vierzehntägig erscheinendes Zentralorgan, der „Arbeiterkampf“, erreichte eine Auflage von bis zu 23.000 Stück. Bei allem Blödsinn, den auch der KB als eine Kampforganisation des Marxismus-Leninismus zwangsläufig verzapft hat, erscheint er im Vergleich zu den anderen K-Gruppen geradezu als ein Hort der Vernunft. Im Gegensatz zu den meisten maoistischen Gruppen lehnte er die Drei-Welten-Theorie ab, mit der die chinesische Führung den „sowjetischen Sozialimperialismus“ zum Hauptfeind erklärte, und die lediglich der Legitimation der Pekinger Außenpolitik diente. Auf Grund seines guten Riechers für aktuelle politische Themen (darauf spielt der Titel des Buches an) konnte er in den Neuen Sozialen Bewegungen einigen Einfluß gewinnen.
Während jene K-Gruppen, deren Protagonisten heute zum Teil das Personal im grünen Außenministerium stellen, zur „Vaterlandsverteidigung“ aufriefen und die Wiedervereinigung forderten, thematisierte der KB schon früh die besonders aggressive Rolle der BRD, ihre Versuche, mittels der europäischen Einigung eine Vormachtstellung in Konkurrenz zu den USA zu erlangen und die Spezifik der postfaschistischen deutschen Gesellschaft. An der „Faschisierungs-These“ des KB gibt es zwar jede Menge zu kritisieren, bemerkenswert ist aber, daß nicht nur von einer Faschisierung des Staates, sondern auch der Gesellschaft ausgegangen wurde. Angesichts dieser, vom damaligen linken Mainstream durchaus abweichenden Einschätzungen ist es wohl kein Zufall, daß aus der Fraktionierung und Auflösung des KB, die maßgeblich durch die unterschiedliche Einschätzung der Wiedervereinigung bedingt waren, Anfang der 90er Jahre jene Strömung mithervorgegangen ist, die seither unter dem Etikett „Antideutsche“ für einige Furore gesorgt hat, während die ehemalige „KB-Mehrheit“ größtenteils bei der PDS Unterschlupf gefunden hat und als linker Flügel des Vaterlandes agiert.
Die im Rückblick als zentral erscheinenden inhaltlichen Differenzen im KB in bezug auf Israel und den Antisemitismus arbeitet Michael Steffen nur unzureichend heraus. Dennoch hat er mit seiner detaillierten und um Distanz zumindest bemühten Studie die erste umfassende Gesamtdarstellung einer jener Gruppen vorgelegt, die in der BRD den antiautoritären Aufbruch von 1968 in das Grauen leninistischer Kaderdisziplin überführt haben.
Thomas Haury: Antisemitismus von links
Kommunistische Ideologie, Nationalismus und Antizionismus in der frühen DDR. Hamburger Edition, Hamburg 2002, 530 Seiten, EUR 35,—
Entgegen einem Verständnis von Antisemitismus als bloßem Vorurteil gegenüber Juden und Jüdinnen legt Haury seiner Studie einen Begriff des Antisemitismus zu Grunde, der ihn als ein Weltbild faßt, das wesentlich durch die Personifikation gesellschaftlicher Prozesse, die Konstruktion identitärer Kollektive und einem letztlich auf Vernichtung zielenden Manichäismus strukturiert ist. Bevor er den Antisemitismus und Antizionismus in der jungen DDR analysiert und den Nationalismus des Partei- und Staatssozialismus im Kalten Krieg als einen der Hauptgründe für antisemitische Ausfälle von links kenntlich macht, stellt er die historischen und theoretischen Bezugspunkte jener Marxisten-Leninisten dar, die nach 1945 den jüdischen Opfern des Nationalsozialismus mit eisiger Kälte begegneten, jüdische Gemeinden von der Stasi schikanieren ließen, gegen „zionistische Monopolisten“, „jüdische Kapitalisten“ und den „Kosmopolitismus“ wetterten und Schauprozesse gegen jüdische Genossen anstrengten.
Haury weist auf die Marxsche Übernahme antisemitischer Stereotypen in „Zur Judenfrage“ hin, widerspricht aber auf Grund einer akribischen Analyse des Entstehungs- und Argumentationszusammenhangs dieser Frühschrift völlig zu Recht jenen Autoren, die in Marx einen unbelehrbaren Antisemiten sehen. Lenins leidenschaftliches Engagement gegen den Antisemitismus wird ebenso beleuchtet wie die strukturellen Affinitäten der Leninschen Theorie zur antisemitischen Ideologie. Diese Nähe resultiert aber gerade nicht aus der „radikale(n) Verwerfung alles Bestehenden und (dem) militante(n) Willen, es völlig umzugestalten“, wie Haury meint, sondern gerade aus einem Mangel an Radikalität in der Kritik.
Die ansonsten von Haury sehr plausibel dargelegten strukturellen Affinitäten des Leninismus zum Antisemitismus waren es, die in der DDR und in anderen Ländern des Realsozialismus einem eindeutig antisemitisch konnotieren Antizionismus, der mit der Ablehnung des zionistischen Projektes, wie sie noch von Lenin und anderen formuliert wurde, nichts mehr gemein hatte, den Weg ebneten.
