Heft 2-3/2003
Mai
2003

Short Cuts

Änneke Winckel: Antiziganismus

Rassismus gegen Roma und Sinti im vereinigten Deutschland. Unrast-Verlag, Münster 2002, 200 Seiten, EUR 14,—

Ausgehend von der Analyse überregionaler Wochen- und Tageszeitungen gibt Winckel einen Überblick über Ver­breitung und Ausdrucksfor­men des Antiziganismus im neuen, an alte Traditionen anknüpfenden Deutschland, das bereits zum Mauerfall protestierende Roma von ei­ner KZ-Gedenkstätte prügeln ließ. Sie untersucht die Ressentiments gegenüber Sinti und Roma bei staatlichen Stellen, in der Bevölkerung sowie in den Medien und kommt auf Grund ihrer Ana­lysen, bei denen man auch einiges über die Ausfälle grü­ner Funktionäre und über den deutsch-nationalen Attac-Helden Oskar Lafon­taine erfährt, zu dem Schluß: „Das antiziganistische Den­ken und Handeln beträchtli­cher Teile der deutschen Mehrheitsbevölkerung wur­de seit 1989 konsequent von staatlicher Seite unterstützt und legitimiert.“

Winckel verweist auf den antikommunistischen Ent­stehungszusammenhang des deutschen Asylrechts und gibt einen Einblick in die personellen und strukturel­len Kontinuitäten bei der Verfolgung von Sinti und Ro­ma im postfaschistischen Deutschland. Sie betont, daß der Antiziganismus genauso wie der Antisemitismus mit dem Rassismusbegriff nicht ausreichend erfaßt werden kann. Winckel deutet auf die Momente autoritärer Rebel­lion und projektiver Identifi­kation im Antiziganismus hin und arbeitet Gemeinsamkei­ten zwischen Antisemitismus und Antiziganismus heraus, ohne die zentrale Differenz einzuebnen: „Der Antiziga­nismus halluziniert den ‚Zigeunern‘ keine derart unfass­bare, allumfassende Macht wie der Antisemitismus den Jüdinnen und Juden.“ Es fin­den sich einige Ausführun­gen über den Zusammen­hang von der Konstruktion bürgerlicher Subjektivität und des Antiziganismus in der Moderne. Die sind je­doch so knapp ausgefallen, daß sie es kaum vermögen, ideologiekritisch die spezifi­sche Funktion des Antiziga­nismus als eine Art Misch­form aus Elementen des Antisemitismus und des Ras­sismus im bürgerlichen Be­wußtsein mit seiner Abgren­zung gegen „Überwertige“ und „Unterwertige“ adäquat darzustellen.

Jürgen Elsässer: Der deutsche Sonderweg

Historische Last und politische Herausforde­rung. Hugendubel-Verlag, Kreuzlingen — München 2003, 264 Seiten, EUR 19,95

Elsässer war seit Beginn der 90er Jahre einer der wichtig­sten Kritiker des wiedervereinigten Deutschland und auch in seinem neuen Buch finden sich dort, wo er älte­re Arbeiten zusammenfaßt, brauchbare Ausführungen zur Vorgeschichte des Natio­nalsozialismus, zur postnazis­tischen Außenpolitik der BRD, zur Wiedervereinigung und zum Jugoslawienkrieg. Spätestens seit dem 11. Sep­tember hat sich Elsässer al­lerdings mit einer fast kin­disch anmutenden Realitäts­verweigerung daran gemacht, Antisemitismus zu leugnen oder schönzureden, um wie­der ganz traditionell in Anti­imperialismus, ML-Antifaschismus und Arbeiterbewe­gung der Marke IG Metall machen zu können.

Der Unterschied zu früheren Texten wird an ei­nem einfachen Beispiel deut­lich. Im vorliegenden Buch schreibt er, die Versuche der BRD, aus dem Schatten der NS-Vergangenheit heraus­zutreten und diese für aktu­elle Zwecke zu instrumenta­lisieren sei ohne die Hilfe der USA nicht möglich ge­wesen. Der Hinweis aber, daß sich das amerikanische Nachgeben gegenüber der­artigen Ambitionen wie et­wa beim gemeinsamen Be­such von Reagan und Kohl auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg auch aus der Sorge begründete, ein anderes Ver­halten würde den Antisemi­tismus in Deutschland even­tuell noch stärker fördern, findet sich nur in älteren Texten des Autors.

Die Distanzierung von der antideutschen Kritik geht bei Elsässer, der in besseren Tagen mit dem Slogan „Bom­ber Harris, don’t miss the right time“ in Verbindung gebracht wurde, inzwischen so­weit, daß die Bombardierung der volksgemeinschaftlichen Festung Dresden nur mehr als „Massenmord an Zivilisten“ bezeichnet wird. Vom Antisemitismus ist bei ihm nur noch die Rede, wenn es um Luther oder Hitler, also um Vergangenes geht. Bei der Beschreibung der gegenwärtigen Situation findet er über weite Strecken keine Er­wähnung. Und wenn doch, dann so: „Eine Zunahme des Antisemitismus war nicht festzustellen.“ Wenn einen et­was nicht mehr interessiert, bekommt man es offenbar auch nicht mehr mit. Und wenn es erst einmal soweit ist, vergißt man offenkundig selbst noch die grundlegen­den Einsichten antideutscher Kritik. Elsässer hält die deut­sche Ablehnung der britisch­amerikanischen Militärinter­vention im Irak keineswegs für etwas Besonderes.

Schließlich würden die mei­sten Staaten dieser Welt den Krieg ablehnen. Dabei wird völlig außer Acht gelassen, daß ein regierungsamtlicher Pazifismus in einem Nachfolgestaat des Dritten Reiches in einer anderen Konstella­tion stattfindet als in anderen Ländern.

Auch wenn man es ange­sichts des Untertitels des Bu­ches, der sich des Jargons halbamtlicher Politikberatung bedient, nicht erwarten kann, ist Elsässer im Gegensatz zum Großteil der von ihm so ho­fierten Friedensbewegung be­wußt, daß es sich bei der neu­en Achse Berlin-Paris-Moskau um keine pazifistische Gesinnungsgemeinschaft han­delt. Dennoch hält er den „Bruch mit Amerika“ für „das Gebot der Stunde“, da­mit seine abenteuerlichen Spekulationen über ein „eu­rasisches Friedensnetz“ zu­mindest „eine Chance auf Gehör“ bekommen. Das wird den Israel- und USA-Hassern in der Antiglobalisierungs­- und Friedensbewegung eben­so gefallen wie Elsässers neu­en Arbeitgebern in der „jun­gen welt“, deren Bericht­erstattung er noch vor fünf Jahren als Beleg für den anti­kommunistischen und antise­mitischen Charakter der Mehrheit der Linken ange­führt hat.

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