radiX, Flugblätter
Februar
2001

Temelin und Österreich abschalten!

Seit jeher braucht es zum nationalen Schulterschluß innere und äußere Feinde, in deren Angesicht Mob und Eliten zusammenrücken. Besondere Wirksamkeit entfalten dabei jene Feindbilder, die eine starke historische Tradition aufweisen. In Österreich waren und sind das einerseits die Juden und Jüdinnen, andererseits die vormaligen Helotenvölker der Monarchie. Insbesondere die TschechInnen, deren Beitrag zum Untergang der bis heute als “Vielvölkerstaat” verklärten Despotie nie vergessen wurde, eignen sich als Abladefläche nationalistischer Ressentiments. Aktualisiert wurde das Bild vom tschechischen Erzfeind nach der Aufnahme der rechtsradikalen FPÖ in die Regierung. Wagte es die Tschechische Republik doch, sich den “Sanktionen” der EU-Staaten gegen die FPÖVP-Koalition anzuschließen. Den jüngsten Schulterschluß gegen die “Feinde Österreichs” (Jörg Haider) sollten die verhaßten NachbarInnen im Norden dann auch umgehend zu spüren bekommen, nämlich in Form der Drohung, deren Aufnahme in die EU zu verhindern.

Zunächst preschte die FPÖ vor: Als Vorwand für das Veto dienten ihr zunächst die Beneš-Dekrete, deren anhaltende Gültigkeit mit “europäischen Menschenrechtsstandards” nicht vereinbar wäre. Tatsächlich stehen diese Verordnungen, mit welchen die Enteignung und Aussiedlung der fünften Kolonne des Nationalsozialismus geregelt wurde, einer Revision der Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges und der Durchsetzung materieller und wohl bald auch territorialer Ansprüche der “Volksdeutschen” im Wege. Die FPÖ sah sich seit jeher als Anwalt der “Vertriebenen”, mit denen sie den Primat des Völkischen teilt. Zudem konnte mit dem Verweis auf den “Vertreibungs-Holocaust” der tatsächliche Holocaust relativiert und die Entschädigungsforderungen der NS-Opfer abgewehrt werden.

Da sich aber der konservative Koalitionspartner dem freiheitlichen Ansinnen, den EU-Beitritt Tschechiens an die Aufhebung der Beneš-Dekrete zu knüpfen, versperrte, mußte ein anderes Thema gefunden werden. Im Gegensatz zur “Wiedergutmachung” für “Sudetendeutsche”, welche gerade mal das revanchistische Milieu mobilisierte und dazu das kritische Ausland alarmierte, mußte es massenwirksam und gleichzeitig politisch unverfänglicher sein. Im grenznahen Atomkraftwerk Temelin wurde die Regierung rasch fündig: Ein paar Tage nach der öffentlichen Distanzierung der ÖVP von außenamtlichem Revanchismus titelte das FPÖ-Parteiblättchen Ende August 2000: “Koalition: Kein EU-Beitritt Tschechiens mit Temelin!”

Nun wurde der nationale Schulterschluß Wirklichkeit: Sämtliche Parteien, Medien — allen voran das Zentralorgan des österreichischen Ressentiments, die Neue Kronen Zeitung — und gesellschaftlich relevanten Gruppen (außer der Industrie) sammelten sich unter dem rot-weiß-roten Banner vermeintlicher und tatsächlicher AtomkraftgegnerInnen.

Im nun mit ökologischen Argumenten medial aufbereiteten antitschechischen Klima begannen im Sommer 2000 die Grenzblockaden der sich zur Oberösterreichischen Überparteilichen Plattform gegen Atomgefahr zusammengeschlossenen BürgerInneninitiativen. Mit überparteilich ist jedoch nicht etwa gemeint, dass sich diese Plattform gegen oder unabhängig von Parteien organisieren will, sondern, dass sie eine alle Parteien umfaßende — eben über den Parteien stehende — Plattform zu sein beabsichtigt. Das ganze grenznahe Volk sollte sich gemeinsam gegen die atomare Bedrohung von jenseits der Grenzen wehren. Unterstützung aller Art nimmt die Überparteiliche Plattform deshalb auch von allen Parteien an, komme sie von den Grünen, der ÖVP, der SPÖ oder eben der FPÖ.

Da sich in Österreich seit der Ablehnung des AKW-Zwentendorf in einer Volksabstimmung alle Parteien gegen Atomkraftwerke wenden, ist es auch und gerade im Falle Temelins kein Problem, eine Einheitsfront herzustellen, die eben von ganz links bis ganz rechts reicht. Die Gemeinschaft der Umweltbewegten hat auch jenseits der nationalen Aufwallung Tradition. Die bereits erwähnte Volksabstimmung über das einzige österreichische AKW wurde von einer Allianz aus völkischen HeimatschützerInnen, lebensschützerischen KatholikInnen, TrotzkistInnen, MaoistInnen, FPÖ und ÖVP gewonnen. Einzig die regierende SPÖ setzte damals auf das falsche Pferd. Beim zweiten großen Event der österreichischen Ökologiebewegung, der erfolgreichen Besetzung der Hainburger Au gegen die Errichtung eines Flußkraftwerkes, fiel zwar die mittlerweile mit der SPÖ regierende FPÖ weg, mit dabei waren diesmal dafür Neonazis. Friedensreich Hundertwasser, ein Wortführer der BesetzerInnen, meinte dazu: “Ein grüner Nazi ist ein guter Nazi, wenn er sich schützend vor einen Baum stellt.” Schon im Falle Hainburgs spielte darüber hinaus die extrem rechte Neue Kronen Zeitung, die täglich von mehr als 40% der ÖsterreicherInnen gelesen wird, eine nicht zu unterschätzende Rolle für den siegreichen Ausgang der konformistischen Revolte zur Rettung der Au.

Damit soll nicht gesagt werden, dass die österreichische Umweltbewegung an sich rechts wäre. Berührungsängste mit rechten HeimatschützerInnen kennen aber nur wenige. So ist es auch kein Wunder, dass es sich auch Jörg Haider nicht nehmen ließ, den blockierenden Temelin-GegnerInnen durch einen medial begleiteten Besuch seine Solidarität zu versichern. Der Freiheitliche Pressedienst jubelte am 10. Oktober 2000: “Mit vereinten Kräften und im wahrsten Sinne an der Front ‘Wullowitz’ zeigten sich gestern Abend bis in die späten Nachtstunden die Freiheitlichen Oberösterreichs im Kampf gegen die für Montag geplante Inbetriebnahme des AKW Temelin.” Die dermaßen Beglückten wehrten sich weder gegen den Besuch Haiders, noch gegen andere FPÖ-PolitikerInnen und FPÖ-Transparente vor Ort. Umgekehrt kann sich die FPÖ rühmen, bereits 1997 den EU-Beitritt Tschechiens auch von der Inbetriebnahme Temelins abhängig gemacht zu haben. Gehörte der “Atomkraft? — Nein Danke!”-Aufkleber einst zur Standardausrüstung von ÖkoaktivistInnen, so kommt heute kein/e FPÖ-PolitikerIn bei öffentlichen Auftritten ohne gut sichtbar getragenen “Stopp Temelin!”-Button aus.

Die Kritik einiger linksradikaler Anti-Atom und Ökogruppen an der Politik der Überparteilichen Plattform gegen Atomgefahr richtet sich aber nicht nur gegen den Besuch Haiders und die unkritische Annahme jeder Unterstützung, komme sie auch aus noch so rechtem Eck. Die Aktionsform der Grenzblockade an sich ist es, die PolitikerInnen wie Haider geradezu einlädt, sich daran zu beteiligen. Wenn sich Protest gegen eine Technologie, deren Folgen im Ernstfall keine Staatsgrenzen kennen, ausgerechnet in der Blockade nationalstaatlicher Grenzen äußert, zeigt dies nicht nur die Stupidität dieser Art von Protest, sondern insbesondere den positiven Bezug zu einem auf die Nation und ihre Grenzen fixierten Heimatbegriff, der sich auch in den auf den Blockaden verwendeten Transparentsprüchen äußert. Immer wieder geht es hier um den Schutz “unserer Dörfer”, “unserer Kinder”, “unserer Heimat”. Dass sich die blockierenden Bauern wechselseitig als “Kameraden” bezeichnen, rundet dieses Bild ab. Anstatt sich gegen eine zerstörerische Technologie an sich zu wenden, soll der eigene Heimatboden von einer aus dem Ausland kommenden Gefahr geschützt werden. Kaum wer kommt auf die Idee, die Menschen hinter der Grenze zu fragen, was sie von Aktionsformen halten, die erstmals seit der Öffnung des eisernen Vorhangs 1989 zur Schließung der Grenzen zwischen Österreich und Tschechien führen.

Unkritische Unterstützung für diesen Heimatschutz kommt aber nicht nur von jenen, die solche Politik seit Jahren betreiben. Auch Oliver Korschil, der Umweltreferent im Grünen Parlamentsclub, erklärte sich in einem mail an die Ökologische Linke Wien mit den Blockaden solidarisch: “Erst durch das persönliche Engagement tausender österreichischer BürgerInnen, die in einer Art ‘Notwehraktion’ wochenlang die Grenzübergänge zu Tschechien blockierten, ist die Bundesregierung praktisch ‘fünf vor zwölf’ aufgewacht.” Welch Umkehrung der Verhältnisse: Die zunächst obrigkeitsstaatlich geduldeten, ja sogar geförderten Blockaden werden zum Akt zivilgesellschaftlichen Aufbegehrens gegen die Obrigkeit umgelogen. Dass etwa der oberösterreichische Landesschulrat im Herbst einen Tag schulfrei gab und die Kinder in Bussen zu den Blockaden karren ließ, wird da geflissentlich übersehen.

Weiters kritisiert Korschil die Bundesregierung nicht etwa für eine nationalistische Einschüchterungspolitik gegenüber Tschechien, sondern dafür, dass sie den Trumpf des EU-Vetos aus der Hand gegeben hätte. Korschil: “Schüssel hat für ein schwaches Verhandlungsergebnis auch einen guten Verhandlungstrumpf aus der Hand gegeben und die Aufhebung der Blockade des Energiekapitels in den Erweiterungsverhandlungen mit Tschechien zugesagt.”

Aber selbst dezidiert linke Anti-Atom-Gruppen erkennen in Österreich oft nicht die fatale Symbolik, die in der Schließung der Staatsgrenze zu den tschechischen NachbarInnen liegt. Die aus dem linksgewerkschaftlichen Bereich kommende Gruppe Gewerkschafter gegen Atomenergie meint zwar, der “Kampf gegen Temelin wird und kann nur erfolgreich sein, wenn gleichzeitig genauso vehement gegen die anderen AKW im Westen, die oft schon 30 Jahre und älter sind, aufgetreten wird”, bezieht sich aber trotzdem positiv auf die Grenzblockaden: “Besonders in den letzten Monaten und Wochen sind tausende Menschen in Nieder- und v.a. Oberösterreich sichtbar an der Grenze zur (sic!) Tschechien gegen das AKW Temelin aktiv geworden. Der Protest der Menschen war und ist so stark angewachsen, dass sich die Politiker, insbesondere Landeshauptmann Pühringer von Oberösterreich, wieder einmal des Protestes ‘annehmen’ mußten.” Wieder wird die Realität zurechtgebogen: Der “Protest” sei nicht erst nach dessen Bestellung durch die herrschende wie oppositionelle Politik “angewachsen”, sondern hätte vielmehr selbst die Politik quasi vor sich hergetrieben. Gerade das Beispiel des ÖVP-Landeshauptmannes Josef Pühringer belegt eindrucksvoll das hinter den Anti-Temelin-Aktivitäten stehende Prinzip des nationalen Schulterschlusses: Einerseits konkurriert Pühringer mit der FPÖ um die Anwaltschaft “sudetendeutscher” Anliegen, andererseits stellte er sich rasch an die Spitze der scheinbar umweltbewegten antitschechischen Empörung. Im Interview mit dem regierungsnahen Wochenblatt Zur Zeit, dem österreichischen Ableger der Jungen Freiheit, antwortet der “Landesvater” auf die Frage nach seiner Position gegenüber den Blockaden, dass er diese “sicherlich nicht verhindern” werde. Als ob die konformistischen BlockiererInnen dessen bedürften, appelliert er an diese, “mit ihren Aktionen im legalisierten Rahmen zu bleiben, keine Kurzschlußhandlungen zu setzen und jegliche Gewalt zu vermeiden.” Pühringer abschließend: “Denn auch im demokratischen Verhalten wollen und müssen wir uns von unserem Nachbarn Tschechien unterscheiden.” (ZZ, Nr. 43/00)

Wenn hier ausgerechnet die Position der Grünen und linker AntiatomaktivistInnen kritisch betrachtet wurde, so nicht, weil es sich dabei um eine besonders wichtige oder üble handeln würde, sondern weil sie zeigt, wie unkritisch selbst solche Gruppierungen mit nationalistischer und isolationistischer Rhetorik und Symbolik umgehen, wenn es um den “gemeinsamen Widerstand gegen Temelin” geht. Wenn von Seiten der FPÖ eine solche Politik betrieben wird ist es ja kaum verwunderlich, von Grünen und Linken mag sich mancheR aber immer noch anderes erwartet haben.

Ganz anders hört sich da ein offener Brief an, den einige linksradikale Ökogruppen um ecodefense! Dresden an die Überparteiliche Plattform richteten: “Grenzblockaden sind Aktionsformen, bei denen mensch Bauchschmerzen haben kann. Im konkreten Fall muss bewusst sein, dass es sich bei der FPÖ um eine Partei des demokratischen und modernisierten Faschismus handelt, die für massive rassistische Propaganda gegen MigrantInnen steht und dass Österreich eine Vorreiterrolle bei der Abschottung der ‘Festung Europa’ einnimmt. (...) Eine zentrale Forderung Anti-Atom-Bewegter ist noch immer die nach der sofortigen Stillegung aller Atomanlagen weltweit.” Die Antwort auf diese Kritik kam direkt von Josef Pühringer, dem Namensvetter des Landeshauptmannes und Geschäftsführer der Überparteilichen Plattform: “Ich weise darauf hin, dass dieser Artikel eine Lüge ist, aus Zeitgründen mir aber eine ausführliche und detaillierte Distanzierung/Richtigstellung dazu im Moment nicht möglich ist. Lügenverbreiter sollten nicht überbewertet werden durch besondere Beachtung. (...) Temelin zu verhindern ist mir im Moment wichtiger, als auch Denunziantenartikel wie diesen (ähnliches wird auch in Tschechien immer wieder verbreitet) — egal aus welchem Eck — einzugehen. (...) Sollten aber weitere Lügen dieser Art verbreitet werden, erlauben wir uns, dagegen gerichtlich vorzugehen”.

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