Heft 2/2001
April
2001

Ticket To Ride

Die Auseinandersetzung mit den theoretischen und praktischen Formen des Antizionismus der linksradikalen militanten und bewaffnet kämpfenden Gruppen in Deutschland scheint angesichts ihrer historischen und politischen Niederlage wie eine überflüssige, billig zu habende Profilierungs- oder Rachegeste von „Spätgeborenen“. Dabei bieten sie sich als Analyseobjekt durch ihre eigene Exponiertheit unabweisbar an.

Vertraten diese Gruppen doch den Anspruch, die avancierteste, konsequenteste und radikalste Form des Antizionismus zu vertreten, die theoretisch und praktisch Richtung und Taktik der antiimperialistischen und internationalistischen Linken jahrzehntelang vorgab. In der aktuellen politischen Diskussion um die Bewertung, Entsorgung und/oder Historisierung der Revolte der 60er Jahre und angesichts der beispielhaften Resozialisierung ihrer Exponenten zum Herrschaftspersonal der aufstrebenden Großmacht Deutschland dient die Rekonstruktion der Quellentexte und Aktionen des Antizionismus als Leitmotiv und Basisideologie der radikalen Linken, gleich welcher Fraktion, darüber hinaus der Kritik einer fortdauernden Denk- und Bewusstseinsform. Ihr Geschäft ist die Normalisierung des Ressentiments von links, die Wiedergutwerdung der deutschen Nation und die Entsorgung von Auschwitz durch seine Funktionalisierung. Äusserst gelegen kommt dabei der Versuch der Justiz, beim Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder der Revolutionären Zellen (RZ) in Berlin, die staatliche Interpretation der Geschichte linksradikaler Militanz juristisch sanktioniert, festzuschreiben.

Bis in die zweite Hälfte der 60er Jahre dominierte im progressiven und linken Milieu Deutschlands ein vom Bewusstsein um die historische Verantwortung geprägtes Bild Israels. Die entstehende Neue Linke verfolgte mit Interesse die sozialistischen Versuche der Kibuzzimbewegung und verhielt sich im Nahostkonflikt weitgehend neutral. Die Position Ulrike Meinhofs kann daher als durchaus repräsentativ für die damalige Stimmungslage gelten: „Es gibt für die europäische Linke keinen Grund, ihre Solidarität mit den Verfolgten aufzugeben, sie reicht in die Gegenwart und schließt den Staat Israel ein (...) Wer den Bestand dieses Staates glaubt zur Disposition stellen zu sollen, muss wissen, dass nicht die Täter, sondern wiederum die Opfer von damals getroffen würden.“ [1]

Die selbstverständliche Kritik an der Politik Israels schloss das Existenzrecht ebenso selbstverständlich mit ein. Allerdings schwang dabei eine spürbare Befangenheit, latente Schuldgefühle und das Bedürfnis, sich vom öffentlich zur Schau getragenen Philosemitismus abzugrenzen. Das änderte sich mit dem militärischen Erfolg Israels im Sechs-Tage-Krieg vom Juni 67 schlagartig. Die Euphorie der Springer-Presse, die „Blitzkrieg“ und „Wüstenfuchs“-Metaphern für General Dayan und die militaristische Begeisterung für die Effizienz der israelischen Armee ließen die APO auf eine fast reflexhafte Distanz gehen. [2]

Ein erstes deutliches Signal für den Paradigmenwechsel im Verhältnis der Linken zu Israel war ein Beschluss des SDS [3] auf seiner 22. Delegiertenkonferenz im September 1967 zum jüdisch-arabischen Konflikt. Darin findet sich bereits das gesamte terminologische Repertoire antizionistischer Agitation der späteren Palästina-Solidaritätsbewegung und der argumentative Grundstock der Guerilla:

„Der Krieg zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn kann nur auf dem Hintergrund des antiimperialistischen Kampfes der arabischen Völker gegen die Unterdrückung durch den angloamerikanischen Imperialismus analysiert werden (...) Der SDS verurteilt die israelische Aggression gegen die antiimperialistischen Kräfte im Nahen Osten. (...) Zionistische Kolonisierung Palästinas hieß und heißt bis heute: Vertreibung und Unterdrückung der dort lebenden eingeborenen arabischen Bevölkerung durch eine privilegierte Siedlerschicht. (...) Die Anerkennung des Existenzrechts der in Palästina lebenden Juden durch die sozialrevolutionäre Bewegung in den arabischen Ländern darf nicht identisch sein mit der Anerkennung Israels als Brückenkopf des Imperialismus und als zionistisches Staatsgebilde“. [4]

Der Umschwung zum verbalmilitanten Antizionismus [5] entsprach der aktuellen weltpolitischen Einschätzung des antiimperialistischen Teils der APO. Vervollständigt wurde das Begriffsarsenal durch den seither unverzichtbaren Vergleich der Politik Israels mit dem Nationalsozialismus.

Die Empörung über den Vietnamkrieg und die insistierenden Fragen zur NS-Vergangenheit bildeten die theoretischen Säulen der radikalen Opposition. Doch schon die Analyse des Nationalsozialismus blieb bei der ökonomistisch verkürzten Variante à la Dimitroff stehen. Faschismus galt als gigantische Verschwörung von Bourgeoisie und Kapital zur Zerschlagung der organisierten Arbeiterklasse. Der eliminatorische Antisemitismus kam, wenn überhaupt, als Marginalie, als besonders grausames Verbrechen, nicht jedoch als Essenz des NS vor. Der Mühe im Sinne Adornos, das Unbegreifbare begreifbar zu machen, sich reflektierend selbstkritisch mit dem Täterkollektiv auseinander zu setzen, unterzog sich die Bewegung nicht.

Nachdem Ende der 60er Jahre die Hoffnung auf eine baldige revolutionäre Umwälzung in den Metropolen sich endgültig zerschlagen hatte, intensivierte sich die moralisch-idealistische Begeisterung für unterlegene Gruppen, die in exotischen Gegenden für utopische Ziele kämpften. Als eine Verarbeitungsform der zerfallenden antiautoritären Revolte kristallisierte sich die Tendenz zur Retraditionaliserung unter Rückgriff auf maoleninistische Theoriefragmente heraus. Dieser neue Antiimperialismus kam mit einer schematischen, vom einem simplen Dualismus geprägten Weltsicht aus. Einem monolithisch vorgestellten Imperialismus unter der hegemonialen Dominanz der USA standen die heroisch um ihr Selbstbestimmungsrecht kämpfenden Völker des Trikonts unversöhnlich gegenüber. Die selbstverschuldete und beharrlich verteidigte Fehlinterpretation von sozialer als nationaler Revolution führte zwangsläufig zur Mystifizierung „kämpfender Völker“ zu homogenisierten Kollektivsubjekten im Kampf um Boden und nationale Selbstbestimmung. Da diese Auseinandersetzung in den moralischen Kategorien von Gut und Böse definiert wurde, ergab sich zwar eine argumentationsfrei hergestellte Eindeutigkeit, jedoch geriet Solidarität im selben Moment unter den Zwang zur Identifikation.

Je illusionärer die Revolution im eigenen Land wurde, desto inniger wurde sie in der Ferne imaginiert und als Teil der eigenen politischen Identität projektiv affirmiert. Denn der positive Bezug auf die eigene Nation und seine Volksgemeinschaft schien durch die „deutsche Tat“ Auschwitz unwiderruflich diskreditiert und nur in der Negation, als radikaler Antifaschismus praktizierbar. Das Dilemma lag im unaufhebbaren Widerspruch, dass das Täterkollektiv das umschwärmte Subjekt der Befreiung blieb, dessen Sympathie nicht durch die konsequente Konfrontation mit der eigenen Verbrechensgeschichte desavouiert werden durfte. Hier liegt eine Wurzel für den „sekundären Antisemitismus“ nach 45.

Antiamerikanismus und Antizionismus bildeten in der Folge die Kristallisationskerne der antiimperialistischen Theorie und Praxis. Sie erlaubten eine theoretisch unaufwendige und folgenlose Maximaldistanz zur Tätergeneration unter Beibehaltung einer radikal linken Attitüde, bei gleichzeitiger ressentimentgeladener Feindbildpflege mittels eines flexiblen Codes. Der durchaus intendierte Nutzeffekt lag einerseits in einer aktiven Selbstaufwertung. Wenn Israel faschistisch und ein „Brückenkopf des Imperialismus“ ist, die Palästinenser die „Opfer der Opfer“ sind und an ihnen systematischer Völkermord betrieben wird, ist Antizionismus eine besonders edle Form des Antifaschismus, für Deutsche zumal ein Akt des „nachholenden Widerstandes“ praktiziert mit dem Pathos eines doppelt reinen Gewissens — nachgeboren und links. [6] Andererseits dient der Antizionismus der Selbstentschuldung. In der fortgesetzten Bagatellisierung und Trivialisierung der Shoa, als ein marginales Detail des Nationalsozialismus bzw. dessen Relativierung durch die mit „obsessiver Beharrlichkeit“ [7] fabrizierten Analogien zwischen der israelischen Politik und der nazistischen Judenvernichtung wird die (uneingestandene) Sehnsucht nach Normalisierung, nach Entlastung des eigenen völkischen Kollektivs spürbar.

Nachdem das ideologische Terrain solchermaßen abgesteckt war, war es nur eine Frage der Zeit, bis der aktionistische Teil der in Auflösung befindlichen APO die praktische Umsetzung in Angriff nahm. Rege Besuchskontakte auf Initiative der Al Fatah führten deutscher Aktivisten, etwa des SDS, 1969 zu Informationsreisen nach Jordanien. [8] Beeindruckt von der Entschlossenheit der Kämpfer radikalisierte sich nach der Rückkehr die Verbandspolitik. So endete eine Resolution des Frankfurter SDS im Februar 1970 mit der unmissverständlichen Forderung: „Nieder mit dem chauvinistischen und rassistischen Staatsgebilde Israel.“ [9]

Ebenfalls in Jordanien geschult wurden in diesem Sommer einige spätere Mitglieder der Bewegung 2. Juni. In einem Versteck in Berlin Schöneberg sitzt im Herbst der Kommunarde Dieter Kunzelmann und schreibt seine Briefe aus Amman. Darin moniert er den „Judenknax“ der Linken, der die Solidarität mit den Palästinensern verhindere. „Wenn wir endlich gelernt haben, die faschistische Ideologie ‚Zionismus‘ zu begreifen, werden wir nicht mehr zögern, unseren simplen Philosemitismus zu ersetzen durch eindeutige Solidarität mit Al Fatah, die im Nahen Osten den Kampf gegen das Dritte Reich von Gestern und Heute und seine Folgen aufgenommen hat.“ Ein Hindernis sei allerdings „die Vorherrschaft des Judenkomplexes bei allen Fragestellungen.“ [10]

An der praktischen Aufhebung diese Zustandes arbeiteten inzwischen andere. Dabei ist es ebenso bezeichnend wie verblüffend, wie instinktsicher und mit welch klarem Blick für historische Zusammenhänge das erste Angriffsziel der entstehenden klandestin und militant kämpfenden Linken ausgewählt wurde. Eine aus der Berliner antiautoritären Subkultur stammende Gruppe namens Schwarze Ratten/Tupamaros Westberlin — eine Vorläuferin der späteren Bewegung 2. Juni — lieferte mit einer paradigmatischen antizionistischen Aktion die Initialzündung für die westdeutsche Guerilla. Sie wählte den Jahrestag des Novemberpogroms 1969, um mehrere jüdische Mahnmale mit „Shalom und Napalm“ sowie „El Fatah“ zu beschmieren. Im jüdischen Gemeindehaus wurde eine Brandbombe deponiert (die allerdings nicht zündete). Im Flugblatt zur Aktion [11] wird folgerichtig die theoretische Lähmung der Linken bezüglich des Nahostkonflikts als „Produkt deutschen Schuldbewusstseins“ herausgearbeitet. „Die neurotisch-historizistische Aufarbeitung der geschichtlichen Nichtberechtigung eines israelischen Staates überwindet nicht diesen hilflosen Antifaschismus. Der wahre Antifaschismus ist die klare und einfache Solidarisierung mit den kämpfenden Fedayin. (...) Jede Feierstunde in West-Berlin und der BRD unterschlägt, dass die Kristallnacht von 1933 heute täglich von den Zionisten in den besetzten Gebieten, in den Flüchtlingslagern und den israelischen Gefängnissen wiederholt wird. Aus den vom Faschismus vertriebenen Juden sind selbst Faschisten geworden, die in Kollaboration mit dem amerikanischen Kapital das palästinensische Volk ausradieren wollen.“ In der sicheren Gewissheit, der Konkurrenz eins ausgewischt zu haben, wird noch betont, dass beide Aktionen „nicht mehr als rechtsradikale Auswüchse zu diffamieren sind“ [12]

Das zitierte Flugblatt war in den Räumen des Republikanischen Clubs in Berlin deponiert worden, was diesen nach einer Hausdurchsuchung zu einer bemerkenswerten Distanzierung von der Aktion veranlasste. [13] Der RC lehnt die Aktionen als ungeeignet ab, um auf „faschistische Entwicklungen in Israel hinzuweisen“. Dann folgt die eigene Analyse der im Flugblatt kritisierten Beziehungen zwischen der BRD und Israel. Wiedergutmachungszahlungen und Entwicklungshilfe seien getarnte Militärhilfe, deutsche Investitionen dienten „unter dem schuldbewussten Deckmantel der faschistischen Greueltaten gegen Juden“ der Begehung analoger Greueltaten an Palästinensern. In den Gefängnissen würden Gestapo-Foltermethoden angewandt. „Das rassistische und zionistische Israel“ liefere den Beweis, dass der Imperialismus „nur durch den lang andauernden bewaffneten revolutionären Volkskrieg“ zu bekämpfen sei. Der Inhalt der geforderten konsequenten antiimperialistischen Strategie bleibt — unspezifiziert — der Fantasie der LeserInnen überlassen.

Trotz der folgenden heftigen Auseinandersetzungen [14] um die Aktion war ein Fanal und der praktische Antizionismus auf die militante Tagesordnung gesetzt, der antiimperialistische survival-kit für die nächsten zwei Jahrzehnte gepackt und das rhetorische Arsenal des antizionistischen Codes annähernd repräsentiert. Kunzelmann selbst wärmt in seinen Memoiren die Theorie vom Anschlag als einer Staatsschutzaktion wieder auf und meint, eine solche Aktion verbiete sich angesichts der deutschen Vergangenheit von selbst. [15] Die Einsicht wird allerdings durch den einige Seiten vorher faksimiliert und unkommentiert abgedruckten oben zitierten „Brief“ dementiert. Mitte der 70er Jahre tadelt übrigens auch B. Baumann in seinen Erinnerungen die Aktion als nicht vermittelbar, „weil es eben dummerweise auch noch die Reichskristallnacht war, dass wieder Deutsche in der jüdischen Synagoge eine Bombe deponieren(...).“ [16] Das scheinbare Versehen und die daran sich knüpfende Fehleinschätzung waren ihm also das einzige Problem.

Mit der Konstitution der RAF als bewaffnet kämpfender Gruppe erreichte die Verschränkung von antizionistischer Agitation und propalästinensischer Aktion einen neue Qualität. Es soll hier nicht über die Intensität der Kontakte oder den Grad der logistischen, materiellen und ökonomischen Abhängigkeit der westdeutschen Guerilla namentlich von der PFLP [17] spekuliert werden. Fakt ist eine jahrelange Zusammenarbeit, die auf eine entsprechende Interessenkonvergenz schließen lässt. Wie bei anderen europäischen Guerillagruppen auch gehörte die Befreiung palästinensischer Genossen zum Aktionsrepertoire. In der Fokussierung auf ihre antizionistische Theorie und Praxis ist aber weder die Geschichte noch die Bedeutung der RAF hinreichend differenziert beschrieben. Ihre Bedeutung liegt in der exemplarischen Ausstrahlung auf die Praxis des militanten antiimperialistischen Widerstandes der 70er und vor allem 80er Jahre, auf die hier nur verwiesen werden kann.

Einschlägig exponiert hat sich die RAF mit dem von Ulrike Meinhof verfassten Text zur Geiselnahme israelischer Sportler bei der Olympiade in München 1972 durch ein palästinensisches Kommando der Gruppe Schwarzer September. [18] Sie lobt die Aktion als antiimperialistisch, antifaschistisch und internationalistisch und betont die „Sensibilität für historische und politische Zusammenhänge“, die sie dokumentiere. [19] Was als menschenverachtender Zynismus erscheint, als „Großer Sprung zurück“ [20] folgt der dem Antiimperialismus inhärenten Logik. Im Abschnitt über den Nationalsozialismus etwa kritisiert sie die Ungeduld der raffgierigen Kapitalistenklasse, die den NS als Vorwegnahme des imperialistischen Systems der multinationalen Konzerne forcierte. Dabei sei sie ein Bündnis mit dem absterbenden Kleinbürgertum und dessen irrationalem Antisemitismus eingegangen. Durch Krieg und Antisemitismus schließlich hätte sich die herrschende Klasse vor den Massen voll entlarvt. [21] Der Text gipfelt in der abstoßenden Behauptung, Israel hätte „seine Sportler verheizt wie die Nazis die Juden — Brennmaterial für die imperialistische Ausrottungspolitik.“ [22] Hatte die RAF für ihre Aktionen immer eine besondere Sorgfalt in der Differenzierung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten, Verantwortlichen, Beteiligten und Unbeteiligten für sich beansprucht, gelten ihr nun Juden a priori als Geiseln eines Staates, unabhängig von politischer Einstellung, Status oder ähnlichem. Hierin manifestiert sich die Konstruktion einer Art linker Kollektivschuldthese, mindestens aber Sippenhaftung, die in Entebbe mit zynischer Konsequenz exekutiert wurde.

Was die RAF unter ihrem programmatischen Motto: „Dem Volke dienen!“ verstand, erläuterte Meinhof später in bemerkenswert offenherziger Weise als Zeugin im Prozess gegen Horst Mahler. Als Beruf gibt sie „Antifaschistin“ an.

„Ohne dass wir das deutsche Volk vom Faschismus freisprechen — denn die Leute haben ja wirklich nicht gewusst, was in den Konzentrationslagern vorging -, können wir es nicht für unseren revolutionären Kampf mobilisieren“ führte sie aus. [23] In dem von der Roten Hilfe herausgegeben Band mit Reden und Mitschriften aus dem Prozess heißt es: „Ohne den Freispruch, dass dies hinter ihrem Rücken geschehen ist, haben sie (die älteren Leute) Angst, wieder eingeseift zu werden.“ (142) Der Antisemitismus sei seinem Wesen nach antikapitalistisch, den Hass der Menschen auf das Geld und die Ausbeutung habe der Kapitalismus — Finanzkapital und Banken — von sich ab und auf die Juden gelenkt. [24] Und Mahler sekundiert in seiner Prozesserklärung: „Das deutsche Proletariat hat den Faschismus nicht niederhalten, den rassistischen Frevel an Millionen jüdischer Mitbürger, die Ermordung von sechs Millionen europäischen Juden nicht verhindern können. Die reaktionäre zionistische Ideologie konnte nur unter dem Eindruck der faschistischen Ausrottungspolitik zu einer politischen Kraft werden. Mit der mitleidlosen und grausamen Vertreibung des palästinensischen Volkes aus seinem seit zweitausend Jahren angestammten Lebensraum hat der Zionismus auf makabre Weise das Erbe des deutschen Faschismus angetreten.“ [25] Der paradoxe Schluss, aus der Nichtverhinderung der Shoa erwachse dem deutschen Volk die Schuld am Zionismus und damit eine besondere Verantwortung für die Palästinenser, ist die implizite Aufforderung es beim zweiten Mal besser zu machen.

Die Lektüre der Zellenzirkulare, Briefe und Kassiber würde noch eine Reihe ähnlicher Belege zu Tage fördern, die Antisemitismus als Täuschungsmanöver der Bourgeoisie und den Zionismus als wahren Faschismus entlarvt. Wie abstrakt und beliebig das Label Antifaschismus in der Praxis platziert wurde, zeigte schließlich die Schleyer-Entführung. Hier wäre die Gelegenheit gewesen, an einem ehemaligen SS-Offizier die postfaschistische Kontinuität der Funktionseliten bei der Rekonstruktion Deutschlands exemplarisch zu entfalten. Allerdings wäre dabei möglicherweise auch die ungebrochene Kontinuität der nationalen Volksgemeinschaft in den Blick und die Kritik geraten. Wie bekannt, kam es nicht dazu. [26]

In der ersten Nummer der Zeitschrift Revolutionärer Zorn bezeichnen die Revolutionären Zellen als eines von drei wesentlichen Aktionsfeldern „Aktionen gegen die Filialen und Komplizen des Zionismus in der BRD.“ [27] Als Verband illegaler, autonom operierender, militanter Kleingruppen, in Abgrenzung zum Avantgardeanspruch der RAF 1973 erstmals in Erscheinung getreten, sind die Revolutionären Zellen charakterisiert durch einen sozialrevolutionären und einen internationalistischen Flügel. 1974 werden Anschläge auf eine Maschinenfabrik und auf ein EL-AL Büro verübt, 1977 folgt ein Brandanschlag auf ein Kino, das den Entebbe-Film zeigt. 1978 und 79 werden Anschläge auf israelische Obstimportfirmen verübt. Die Erklärungen bedienen sich der bekannten militant-antizionistischen Rhetorik. [28] 1975 und 1976 beteiligen sich RZ-Mitglieder am Überfall auf die Opec-Zentrale in Wien und der Geiselnahme bzw. an der Entführung einer Air-France-Maschine nach Entebbe. Mit letzterer Aktion sollten 53 Gefangene freigepresst werden. Bei der Erstürmung der Maschine wurden die Mitglieder des Kommandos, darunter die Deutschen Kuhlmann und Böse, erschossen. Das einzige zivile Opfer war eine ehemalige KZ-Gefangene. Die beispiellose Selektion der jüdischen Passagiere durch die deutschen Kommandomitglieder erzeugte eher in der bürgerlichen Presse, kaum aber innerhalb der Linken, die der Aktion angemessene Empörung. Die sorgte sich eher um die Verletzung der ugandischen Souveränität durch die eingeflogene israelische Anti-Terror-Einheit.

Innerhalb der RZ sorgte die Aktion für das Einfrieren der Beziehungen zu den palästinensischen Gruppen und die Sistierung der Zusammenarbeit, und führte später zur Spaltung und der weitgehenden Aufgabe internationalistischer Aktionen. Es dauerte allerdings bis 1991, um diese Fakten einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich werden zu lassen. [29]

Bereits 1977 hatte ein Beteiligter des Wiener Opec-Überfalls, der Frankfurter Hans-Joachim Klein, mit Hilfe früherer Freunde und Genossen seinen Ausstieg aus den RZ organisiert. In einem Brief an den Spiegel nennt er als ausschlaggebendes Motiv seines Ausstiegs die Vereitelung eines geplanten Anschlages auf die Vorsteher der Jüdischen Gemeinden von Berlin und Frankfurt. [30] In einer Replik antworten die RZ in einer Art, die den Skandal eines (ob realen oder erfundenen sei dahingestellt) Anschlags noch weit in den Schatten stellt. Nachdem Galinskis materielle und propagandistische Unterstützungsfunktion für die „Verbrechen des Zionismus“ herausgestrichen wird, wird der Anschlag nicht etwa als Denunziation empört zurückgewiesen, sondern darüber räsonniert „was man dagegen machen müsste und was man in einem Land wie unserem dagegen machen kann ...“. [31] Wer oder was sie wohl daran hindert, ihre Fantasien in die Tat umzusetzen, darüber kann spekuliert werden.

Das „Albartus“-Papier — eine versuchte Aufarbeitung von Entebbe durch die RZ — ist bis heute eine der ganz wenigen Bemühungen um eine linksradikale Selbstkritik an den Implikationen des Begriffs Antizionismus, seiner strukturellen Nähe zu antisemitischen Ressentiments, des darin zum Ausdruck gelangenden „Ausmaß an historischer Amnesie und moralischer Desintegration“. [32]

In Deutschland war diese Haltung prägend für bestimmte subkulturelle Milieus innerhalb der radikalen Linken. Antizionismus wurde zum Erkennungszeichen und Loyalitätstest für Ernsthaftigkeit und Konsequenz der individuellen politischen Haltung. Unter dem Label des Internationalismus betrieb sie die Wiederaneignung von Volk, Nation und Vaterland. Diese Mission scheint heute erfüllt, vertritt Aussenminister Fischer, der ideelle Gesamtantiimperialist, diese Anliegen konsequent und routiniert.

Die Frage der historischen oder aktuellen Legitimität militanter und bewaffnet kämpfender Gruppen entscheidet sich an ihrer theoretischen und praktischen Fähigkeit zur Aufhebung des Begriffs und der Sache von Ökonomie, Nation und Volk.

Literatur:

  • Baumann, „Bommi“ 1979: Wie alles anfing. München
  • Blues, der o.J.: Gesammelte Texte der Bewegung 2. Juni, 2 Bände. o.O.
  • Haury, Thomas 1992: Zur Logik des bundesdeutschen Antizionismus. In: Poliakov, Leon: Vom Antizionismus zum Antisemitismus. Freiburg i.Br.
  • Ders. 1999: Der Antizionismus der Neuen Linken der BRD von 1967 bis Anfang der 90er Jahre. In: calcül — Zeitschrift für Wissen und Besserwissen, Nr. 6 (September 1999)
  • Klein, Hans-Joachim 1979: Rückkehr in die Menschlichkeit. Appell eines ausgestiegenen Terroristen. Reinbek/Hamburg
  • Kloke, Martin W. 1994(2): Israel und die deutsche Linke. Zur Geschichte eines schwierigen Verhältnisses. Schriftenreihe des Deutsch-Israelischen Arbeitskreises für Frieden im Nahen Osten e.V., Band 20. Frankfurt/Main
  • Kunzelmann, Dieter 1998: Leisten Sie keinen Widerstand! Bilder aus meinem Leben. Berlin
  • Meinhof, Ulrike Marie 1967: Drei Freunde Israels. In: Deutscher, Isaac: Der israelisch-arabische Konflikt. Voltaire Flugschrift 21, Frankfurt/Main
  • Redaktionsgruppe 1993: Die Früchte des Zorns. Texte und Materialien zur Geschichte der Revolutionären Zellen und der Roten Zora. Berlin
  • Rote Armee Fraktion 1997: Texte und Materialien zur Geschichte der RAF. Berlin
  • Schily/Ströbele 1973: Plädoyers einer politischen Verteidigung. Reden und Mitschriften aus dem Mahler-Prozeß. Internationale Marxistische Diskussion, Arbeitspapiere No. 11. Berlin
  • Winters, Peter Jochen 1972: Ulrike Meinhof lässt sich nur die Stichworte geben. Frankfurter Allgemeine Zeitung 15.12.

[1Meinhof 1967, 3

[2Der Krieg begann 3 Tage nach dem Tod B. Ohnesorgs bei der Anti-Schah Demonstration in Berlin in einem Klima der staatlichen Repression und medialen Hetze besonders von Seiten der Zeitungen des Springer-Konzerns.

[3Sozialistischer Deutscher Studentenbund

[4zitiert nach Kloke 1994, 125(2.Auflage)

[5Haury 1999, 29

[6Haury 1992, 153

[7Kloke 1994, 139

[8Kloke 1994, 128f

[9ebd., 130

[10abgedruckt in: Der Blues — gesammelte Texte der Bewegung 2. Juni, 1. Band, 82f (hier 83)

[11ebd., 152f

[12ebd., 153

[13ebd., 150ff

[14Kloke 1994, 164ff

[15Kunzelmann 1998, 129

[16Baumann 1979, 69

[17Volksfront zur Befreiung Palästinas

[18RAF: Texte 1997, 151-177

[19ebd., 151. Bei der dilettantischen Befreiungsaktion auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck kamen alle neun israelischen Geiseln, fünf Mitglieder des Kommandos und ein Polizist ums Leben.

[20Haury 1992, 135

[21RAF: Texte 1997, 168

[22ebd., 173

[23Winters in der FAZ vom 15.12.1972.

[24Winters, a.a.O.

[25Rote Hilfe 1973, 127

[26Das wurde zumindest ansatzweise und hilflos im Auflösungspapier der RAF von 1998 zu leisten versucht. Ambivalent blieb dort auch die Analyse zur Flugzeugentführung nach Mogadischu im Herbst 1977. Die völlige Preisgabe der eigenen Unterscheidungskriterien wird zwar als „Bruch mit der Gesellschaft“ konstatiert, gleichzeitig aber den bei der Befreiung getöteten Kommandomitgliedern ewiges Angedenken versichert.

[27Früchte des Zorns 1993, Band 1, 88

[28ebd., 129-133

[29ebd., 20-34. In dem Papier Gerd Albartus ist tot wird die Liquidierung eines Genossen einige Jahre früher zum Anlass einer bemerkenswert selbstkritischen, wenn auch in wesentlichen Punkten — z.B. der Kritik an den palästinensischen Gruppen — vage und unbestimmt bleibenden Aufarbeitung von Entebbe und den Konsequenzen für die Politik der RZ.

[30Ebd., 190

[31Klein 1979, 245

[32Früchte 1993, Band 1, 25

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