Café Critique, Jahr 2006
August
2006

Über die Israelsolidarität in Zeiten des Krieges

Kaum eine Aussendung von Café Critique hat bislang eine so große Zahl an Reaktionen ausgelöst, wie unser Aufruf zu einer Solidaritätskundgebung mit Israel, die wir in Zusammenarbeit u.a. mit der Israelitischen Kultusgemeinde am 20. Juli 2006 in Wien veranstaltet haben, und an der auch der israelische Botschafter in Wien, Dan Ashbel, teilgenommen hat. „Die Israel Defense Forces“, so schrieben wir in diesem Aufruf, „machen in diesen Tagen nur das, was sie immer tun, tun müssen und was ihr Name schon sagt: sie verteidigen Israel. (…) Für Israel selbst handelte es sich um einen notwendigen und unaufschiebbar gewordenen Akt, die NGOs und GOs der Vernichtung zurückzudrängen, ihre Infrastruktur zu zerstören, um einfach wieder etwas Zeit zu gewinnen.“ Den Krieg gegen die Hisbollah bezeichneten wir als „notwendige Sisyphosarbeit in einer Welt, die den antisemitischen Vernichtungswahn systematisch hervorbringt. (…) Ohne [diese Sisyphosarbeit] gibt es für Israel keine Atempausen, ohne sie kann das Schlimmste nicht weiter verhindert werden, und dieses Schlimmste zu verhindern ist die Voraussetzung dafür, dass einmal wirkliche Versöhnung möglich wäre.“ Wir haben betont, dass der Krieg im Libanon keine „Lösung des Nahostkonfliktes“ zur Folge haben wird, und dennoch geführt werden muss, sollte eine Lösung dereinst möglich sein.

Defensive und andere Kriege

Der Unabhängigkeitskrieg Israels von 1948/49 war ein klarer Defensivkrieg: Seit dem Teilungsbeschluss der Vereinten Nationen am 29. November 1947 schwelten die bewaffneten Auseinandersetzungen, die schließlich mit der Invasion der arabischen Staaten am 15. Mai 1948 auf eine neue Stufe gehoben wurden – nur einen Tag, nachdem Israel seine Unabhängigkeit erklärt hatte. Nur wenige Beobachter glaubten in diesen Tagen an eine Überlebenschance des jungen jüdischen Staates, dessen schlecht ausgerüstete Einheiten gegen hochgerüstete arabische Armeen zu kämpfen hatten. Dennoch konnte sich Israel behaupten, teils aufgrund besserer Führung und Motivation der eigenen Truppen, teils wegen der Uneinigkeit der arabischen Staaten, die jeweils eigene Kriegsziele verfolgten und damit ein einheitliches, koordiniertes Vorgehen gegen den „zionistischen Feind“ verunmöglichten. Auch wenn nur wenige Staaten bereit waren, den Staat Israel konkret zu unterstützen, galten ihm vielerorts die Sympathien. Selbst die Sowjetunion, die in den folgenden Jahrzehnten zum stärksten Förderer der revanchistischen arabischen Staaten werden sollte, ergriff zunächst Partei für den Judenstaat; am deutlichsten in der berühmten Rede Andrej Gromykos vor den Vereinten Nationen. Glaubt man den einschlägigen Studien, war die Linke bis in die sechziger Jahre hinein mehrheitlich solidarisch mit Israel.

Der Sechstagekrieg 1967 wurde zum Lackmustest für die Solidarität, und große Teile der internationalen Gemeinschaft wie der Linken bestanden ihn nicht. Solidarisch, so die implizite Kernaussage des fortan dominierenden Antizionismus, war man, wenn überhaupt, nur noch mit toten Juden, die man auf Gedenkkundgebungen auch betrauerte. Den Lebenden hingegen, die den Präventivkrieg Israels gegen Ägypten, Jordanien und Syrien führen mussten, wurde das Recht abgesprochen, sich der angekündigten Vernichtung entgegenzustellen. Von nun an galt Israel als aggressive Besatzungsmacht, die die Lebensgrundlage der Palästinenser in den besetzten Gebieten zerstöre. Kaum jemand interessierte sich dafür, dass weder der Gazastreifen noch die Westbank zuvor unabhängig gewesen, sondern von Ägypten und Jordanien okkupiert bzw. annektiert waren. Genauso wenig war von Bedeutung, dass Israel im Juni 1967 überhaupt nicht vorhatte, diese Gebiete zu besetzen. Erst als klar wurde, dass König Abdullah nicht gedachte, von der erwarteten Verteilung der Beute ausgeschlossen zu werden und seine Armee in Bewegung setzte, wurde die Besetzung der Westbank unausweichlich. Mehrfach war Jordanien im Vorfeld des Krieges dazu aufgefordert worden, sich aus dem bevorstehenden Konflikt mit Ägypten und Syrien herauszuhalten. Israel war sich der Verletzlichkeit seines 1949 gesicherten Territoriums völlig bewusst. Jedem war klar, dass der schmale Streifen zwischen der Mittelmeerküste und der Westbank militärisch kaum zu verteidigen war. Und dennoch: Hätte Jordanien nicht in den Krieg eingegriffen und damit den Pessimisten in Israel Recht gegeben, es hätte nicht zu der bis heute anhaltenden Besetzung des Westjordanlandes kommen müssen.

Die Konsequenz aus Israels Erfahrungen, nicht zuletzt auch aus dem Yom Kippur-Krieg 1973, lautet bis heute: Wenn Israel warten würde, bis es tatsächlich auf eigenem Territorium angegriffen wird, könnte es aufgrund der besonderen geographischen Gegebenheiten bereits zu spät sein. Daher gibt es zwei klare Vorgaben: Erstens muss auf mögliche Bedrohungen schon lange vor dem Zeitpunkt reagiert werden, an dem sie ihr volles Gefährdungspotenzial entfalten können. Beispielhaft hierfür ist der israelische Angriff auf den irakischen Reaktor Osirak im Juni 1981, mit dem auf enorm effiziente Art und Weise das irakische Atomwaffenprogramm um entscheidende Jahre verzögert werden konnte. Zweitens: Wenn schon ein Krieg geführt werden müsse, dann außerhalb der Grenzen Israels. Dies war die Logik hinter der Libanoninvasion 1982: Die PLO Arafats hatte sich im vom Bürgerkrieg zerrütteten Libanon, wie zuvor bereits bis zum Schwarzen September in Jordanien, zum Staat im Staate entwickelt. Ebenso wie die Hisbollah heute den Südlibanon, nutzte die PLO das Gebiet als Basis für ihre Attacken auf Israel. Die Invasion 1982 folgte der klaren Vorgabe, nicht warten zu wollen, bis Arafats Mörderbanden sich von einem sicherheitspolitischen Risiko zu einer strategischen Bedrohung entwickeln konnten.

Die israelische Militärstrategie, so alternativlos sie ist und so effektiv sie im Einzelnen sein kann, hat zwei grundsätzliche Nachteile. Einerseits kann das präventive Handeln unvorhergesehene oder unterschätzte Folgen zeitigen. So wurde die PLO zwar aus dem Libanon vertrieben und verlegte ihr neues Hauptquartier ins vergleichsweise fernab liegende Tunis. Doch entstand mit der Hisbollah eine Bedrohung neuer Art: eine islamistische Gruppierung, finanziert und unterstützt von Syrien und dem Iran. Der andauernde Kleinkrieg zermürbte die israelische Armee und ihre libanesischen Verbündeten. Ehud Barak gewann die Wahlen 1999 unter anderem mit dem Versprechen, dass Israel sich aus dem Libanon zurückziehen werde. Allerdings sollte dieser Abzug Teil eines Friedensabkommens mit Syrien sein. Die Verhandlungen mit dem bereits todkranken Assad scheiterten im März 2000, der Rückzug aus dem Libanon wurde dennoch durchgeführt. Anstatt das Resultat eines offiziellen Friedensabkommens zu sein, feierte die Hisbollah den israelischen Truppenabzug als großartigen Sieg des „berechtigten Widerstandes“ gegen die „zionistischen Besatzer“.

Andererseits besteht bei präventivem Agieren immer das Problem, das eigene Handeln gegenüber Außenstehenden nachvollziehbar machen zu müssen; begründen zu können, dass die Bedrohung tatsächlich so unmittelbar sei, dass keine Alternative mehr bestehe, als dagegen vorzugehen. Kritiker einer präventiven Verteidigungsdoktrin können immer das im Grunde banale Argument vorbringen, dass bislang ja nichts Nennenswertes geschehen sei. Doch zu welchem Zeitpunkt war beispielsweise die Bedrohung Israels durch irakische Atomwaffen so groß, dass gehandelt werden musste? Als Saddam Hussein einen Reaktor bauen ließ, über dessen Funktion man kaum Zweifel haben konnte? Erst wenn die Atomanlage ihren Betrieb aufgenommen hätte? Nur wenn sicher gewesen sei, dass der Irak tatsächlich über Atomwaffen verfügte? Oder gar erst, wenn er die letzten erforderlichen Schritte unternommen hätte, um mit nuklearen Sprengköpfen versehene Raketen auf Israel abzufeuern? Darüber hinaus: Was für einen vernünftigen Grund hätte es für Israel geben sollen, so lange zu warten, bis es möglicherweise zu spät gewesen wäre? [1]

Strategische Bedrohung

Seit dem 12. Juli führt Israel wieder einen Krieg, in dem es um die Sicherung seines Fortbestehens und das Überleben seiner Bürger geht. Der Anlass allein hätte nach allen Regeln internationalen Verhaltens scharfe, d.h. auch militärische Reaktionen gerechtfertigt: Von Hisbollahstellungen im Südlibanon aus wurden als Ablenkungsmaßnahme Raketen auf Nordisrael geschossen, während auf israelischem Hoheitsgebiet eine Grenzpatrouille überfallen, acht Soldaten getötet und zwei in den Libanon verschleppt wurden. Es war dies nicht der erste Vorfall dieser Art. Bereits am 21. November vergangenen Jahres scheiterte der Versuch, israelische Soldaten zu verschleppen – die Vorgangsweise der islamistischen Kommandos entsprach bis ins Detail dem Angriff vom 12. Juli 2006: Katjuscha-Raketen schlugen in Metulla ein, die Bevölkerung mehrerer Städte (darunter Metulla, Kiriyat Shmona und Nahariya) wurde zum ersten Mal seit sechs Jahren aufgefordert, die Schutzbunker aufzusuchen. Vier Hisbollahkämpfer wurden getötet als sie versuchten, israelische Soldaten über die Grenze zu verschleppen. Bereits damals hatte die israelische Regierung davor gewarnt, dass die vom UNO-Sicherheitsrat im September 2004 geforderte Entwaffnung der Hisbollah bislang nicht einmal begonnen worden war und die libanesische Regierung, in der die Hisbollah Ministerämter bekleidet, offenbar keinerlei Schritte unternahm, die Provokationen und Attacken an der libanesischen Südgrenze zu verhindern. [2] Im ersten Halbjahr 2006 wurde der Raketenbeschuss durch die Hisbollah zu einer konstanten Bedrohung für die Orte im Norden Israels. Nach dem Angriff vom 12. Juli reagierte die israelische Armee zunächst eher zurückhaltend. Im Rahmen einer begrenzten Aktion drangen Truppen in den Südlibanon vor, um möglicherweise die entführten Soldaten noch befreien zu können. Dabei gerieten sie in einen Hinterhalt, mehrere Soldaten wurden getötet. Gleichzeitig nahm die Hisbollah mit ihren Raketen den Norden Israels massiv unter Feuer. Israel hätte angesichts der Bedrohung schon in den letzten Jahren jede Berechtigung gehabt, präventiv gegen die Hisbollah vorzugehen – nun aber blieb ihr nichts anderes übrig, als über begrenzte Operationen im Südlibanon hinauszugehen und ernsthaft gegen die Krieger Allahs vorzugehen.

Und seit diesem Tag stellt sich ein großer Teil der Öffentlichkeit blöd. Der ORF-Korrespondent im Libanon etwa, Karim El-Gawhary, wird nicht müde, in den allabendlichen Nachrichtensendungen die vermeintlich kritische Frage zu stellen: „Ist die Entführung zweier israelischer Soldaten diese Zerstörungen wert?“ [3] Er verschweigt dabei, wie so viele andere auch, dass die Befreiung der entführten Soldaten nur eines der erklärten Ziele der israelischen Armee ist. Die IDF werden nicht müde zu betonen, was die tatsächliche Ursache dieses Krieges ist: Dass die Hisbollah die vergangenen sechs Jahre dazu genutzt hat, mit syrischer und iranischer Hilfe vor den Augen der uninteressierten Weltöffentlichkeit an über 12.000 Raketen zu gelangen, die keinem anderen Zweck dienen, als eines Tages Israel zu vernichten. In den Worten eines israelischen Militärexperten:“The purpose of the rockets is not to decorate south Lebanon." [4]

Der Großteil dieser Raketen stellt durch ihre Reichweite eine konstante Bedrohung Nordisraels dar. Schon vor Ausbruch des Krieges war aber auch bekannt, dass die Hisbollah über Geschoße anderer Bauarten verfügt, mit denen sie bis nach Haifa schießen kann. Diese von israelischen Stellen immer wieder geäußerte Vermutung hat sich leider bestätigt. Seit vier Wochen ist Haifa, mit 270.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt Israels und eines der wirtschaftlichen Zentren des Landes, Ziel der Angriffe. Die IDF haben darüber hinaus eigenen Angaben zufolge mehrere Raketen noch rechtzeitig vor deren Abschuss zerstört, die Tel Aviv und Jerusalem treffen könnten. All das ist, was in militärischer Sprache als strategische Bedrohung bezeichnet wird. Hier geht es nicht mehr um das Leben zweier entführter Soldaten – ob die andauernden Militäroperationen zu deren Freilassung führen werden, ist zumindest fragwürdig. Es geht darum, angesichts einer tödlichen Bedrohung Zeit zu gewinnen; darum, die Hisbollah zumindest für einige Zeit so zu schwächen, dass sie keine unmittelbare Gefahr für Israel mehr darstellt.

Ein Freund Israels hat Bedenken

Über dreißig Jahre lang war die Linke in Deutschland und Österreich stramm antizionistisch. Zwar gingen nicht alle so weit wie die RAF, die die Ermordung israelischer Sportler bei den olympischen Spielen 1972 in München gar zur antifaschistischen Aktion ersten Ranges erhob, die besondere „Menschlichkeit“ der von der PLO ausgesandten Mörder lobte und Moshe Dayan zum „Himmler Israels“ erklärte [5], aber die „Palästina-Solidarität“ samt dazu gehöriger Israelverdammung waren fixer Bestandteil des linken Weltbildes. Daher hat es uns nicht sonderlich verwundert, als uns nach Veröffentlichung unseres Aufrufes eine Vielzahl von Mails geschickt wurde, in denen die jahrelang antrainierten und nur notdürftig an die aktuelle Situation angepassten antizionistischen Phrasen zum Schlechtesten gegeben wurden. Die Namen der Verfasser tun nichts zur Sache – sie sind so auswechselbar wie die „Argumente“, derer sie sich bedienen. [6] Eine Auswahl: Der Staat Israel, so wurde uns mitgeteilt, sei auf „Terror und Totschlag gebaut“. Der „Führer“ des „faschistischen“ Israel sei ein Kriegsverbrecher, der „vor das Haager Kriegsverbrechertribunal [gehört], wo sich vor kurzem Milosevic zu Recht noch verantworten musste“. (Das hat uns denn doch verwundert. Bislang ist uns offenkundig entgangen, dass Israel auch für Massaker und sonstige Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien verantwortlich war.) Solidarisieren müsse man sich hingegen mit der „israelitischen [sic!] Friedensbewegung“, denn die protestiere wenigstens gegen den „erneuten militärischen Amoklauf“. Israel würde den Libanon „kaltblütig bombardieren, nur um Rache zu nehmen“. Der Westen müsse alle Kontakte mit dem „Terrorland“ – drei Mal dürfen Sie raten – „Israel“ abbrechen. Selbstverständlich durfte auch der antisemitische Sermon nicht fehlen, die Israelis würden ein weiteres Mal den Holocaust funktionalisieren, um den Völkermord an Palästinensern und Libanesen zu legitimieren. Nur weil die Juden von den Nazis verfolgt worden wären, hätten sie noch lange nicht das Recht, und so weiter und so fort. Unser Aufruf erinnere an „Artikel und Propaganda aus dem Dritten Reich“; überhaupt sollten wir „Linksfaschisten“ uns, etwas höflicher ausgedrückt, „verziehen“.

Unter all diesen Anwürfen war allerdings auch eine Zuschrift, mit der wir nicht gerechnet haben; sie kam nämlich nicht aus den Reihen derer, die seit Jahr und Tag „Nieder mit dem Staat Israel!“ brüllen, sondern von Thomas Schmidinger, mit dem wir in den letzten Jahren des Öfteren zusammengearbeitet haben, von jemandem also, der in der Vergangenheit das Recht Israels auf Selbstverteidigung gegen antisemitische Mörderbanden betont hat. Doch just zu einem Zeitpunkt, an dem genau dieses Recht wahrgenommen werden muss, hat er es sich anders überlegt. Wie so viele Freunde Israels fühlt er sich nun bemüßigt, seine Freundschaft durch Aufkündigung der Unterstützung kundzutun. [7]

Schmidingers Hauptargument lautet, dass durch den Krieg im Libanon die spärlichen Fortschritte der Demokratie im Nahen Osten zerstört würden. Gerade diese Demokratisierungsprozesse seien aber „im vitalen Interesse Israels“. Die „Fehlentscheidung der israelischen Regierung – und um eine solche handelt es sich meines Erachtens beim jüngsten Krieg“ – werde im schlimmsten Fall zu einer Eskalation führen und damit die Region vom Iran bis zum Gazastreifen in Krieg stürzen.

Damit wird aber, vermeintlich ganz kritisch-solidarisch, nicht weniger getan, als Israel die Verantwortung für die Zukunft des gesamten Nahen Ostens aufzubürden. Der Frieden in der Region sei demzufolge nur zu sichern, wenn Israel – ja was eigentlich täte? Durch den Krieg könnten „die Konflikte im Irak angeheizt werden.“ Demnach sollte Israel der Aufrüstung der Hisbollah zu- und der Vernichtung des eigenen Landes zusehen, um eine Solidarisierung irakischer Schiiten mit „ihren libanesischen Glaubensbrüdern“ zu vermeiden? Die libanesische Regierung, so eine weitere Befürchtung, könnte sich doch noch dazu durchringen, gegen die Hisbollah vorzugehen. Das würde den Libanon wieder in einen Bürgerkrieg stürzen, in den auch Israel hineingezogen werde. Abgesehen davon, dass die Hisbollah in eben jener libanesischen Regierung selbst mit zwei Ministern vertreten und ein konsequentes Vorgehen gegen die Islamisten daher doch eher unwahrscheinlich ist, wie lautet die Alternative? Israel soll die Hisbollah nicht bekämpfen – wegen der Gefahr regionaler Destabilisierung (siehe oben). Die Regierung des Libanons soll auch nicht gegen sie vorgehen – wegen der Gefahr nationaler Destabilisierung. Wer, so kann man nur fragen, sollte denn etwas unternehmen? Oder aber, so die dritte Befürchtung, die libanesische Regierung könnte sich mit der Hisbollah solidarisieren und gemeinsam in den Kampf gegen Israel ziehen. Selbst wenn dies eine realistische Gefahr wäre, sollte Israel deshalb der weiteren Aufrüstung der Hisbollah zusehen?

Schmidinger zerbricht sich den Kopf über eine Reihe von Folgen, die der Krieg gegen die Hisbollah zeitigen könnte, und entwickelt düstere Zukunftsszenarien. Mit all diesen Überlegungen weicht er aber der zentralen Frage aus: Was wären die Konsequenzen gewesen, hätte Israel nicht auf den Angriff reagiert? Kein Wort verliert er über die Bedrohung, die von der Hisbollah ausgeht; kein Wort darüber, dass das Ziel der Partei Allahs die Vernichtung Israels und die Errichtung eines islamischen Gottesstaates ist; kein Wort über die massive Aufrüstung mit Raketen, die keinem anderen Zweck dienen, als so viele Juden wie möglich zu ermorden. Stattdessen reiht sich Schmidinger in den Kreis jener „Freunde Israels“ ein, die es als besonderen Ausweis der Solidarität betrachten, dem Judenstaat gerade dann die Unterstützung zu versagen, wenn dieser nichts anderes tut, als sich gegen eine tödliche Drohung zu verteidigen.

Der Krieg im Libanon, das ist auch einem Gastkommentar in der Presse zu entnehmen, hat Schmidinger offenbar ratlos gemacht. Denn plötzlich fühlt er, der in der Vergangenheit nicht gerade Scheu davor zeigte, seine Ansichten öffentlich zu äußern, sich unter Druck gesetzt; er verspürt „geradezu (…) einen Zwang, zum ’Nahostkonflikt’ eine Position zu beziehen, und zwar eine möglichst eindeutige, die keinerlei Ambivalenzen zulässt.“ [8] Er könnte sich dem vermeintlichen Zwang freilich leicht entziehen, schließlich wird niemand dazu genötigt, Gastkommentare zu verfassen. Weil Schmidinger aber von den schrecklichen Bildern, die tagtäglich in alle Welt gesendet werden, so tief beeindruckt ist, kann er nicht schweigen. Über die Sache, den Krieg im Libanon, sagt er wenig. Vielmehr hat er beschlossen, Analyse durch Gefühle zu ersetzen, und endet bei sich reflektiert gebendem Geraune: „Vergessen wir nicht, dass die Region für christlich sozialisierte Menschen nicht nur eine reale, sondern auch eine mythische Region darstellt. Jeder von uns ’kennt’ Jerusalem, Jericho, Ägypten oder das Zweistromland (…) als mythische Orte, die in das (christliche) Unterbewusstsein eingedrungen sind.“ Spätestens an diesem Punkt sollten alle Alarmglocken läuten: Mythische Orte sind in ein Unterbewusstsein (sic!) eingedrungen? Die Erzählung über die Posaunen von Jericho soll auch nur ansatzweise etwas mit dem gegenwärtigen Konflikt zu tun haben? Aber halt! Es geht gar nicht um den Konflikt, sondern, ganz auf der Höhe der postmodernen Geschwätzigkeit, um den eigenen Sprechort. Damit ist jede Aussage prinzipiell um ihren Wahrheitsanspruch gebracht. Wir hier in Europa könnten demnach gar nicht über den Nahen Osten sprechen, weil wir den Ballast unserer christlichen Sozialisation mitzuschleppen zu hätten. Wir hätten nur unsere beschränkten Wahrheiten. „Was über den angeblich ’realen’ Nahen Osten gesagt und geschrieben wird, ist in den meisten Fällen nichts als Ideologie.“ Wenn Café Critique also die Hisbollah als antisemitische Mörderbande bezeichnet, weil sie predigt, dass Juden Abkömmlinge von Affen und Schweinen seien, dann hängt das sicher auch nur damit zusammen, dass „die Angst vor dem Islam tief in das europäische Bewusstsein eingeschrieben“ sei.

Aber Schmidinger hat noch eine andere Erinnerung. Von den Geschichten über mythische Orte springt er zu jener Geschichte, die vom iranischen Präsidenten regelmäßig als Mythos bezeichnet wird: „Vermutlich ahnen wir (…) doch irgendwo, dass die Existenz Israels direkt mit dem Antisemitismus zusammenhängt, mit dem unsere Vorfahren einen großen Teil der jüdischen Bevölkerung Europas vertrieben haben.“ Zur Klärung der Frage, wo das Irgendwo der Ahnung angesiedelt sein könnte, können wir leider nichts beitragen. Wir „ahnen“ aber, dass die Behauptung, mit (sic!) dem Antisemitismus sei ein Großteil Juden aus Europa vertrieben worden, eine krasse Untertreibung ist. „Und vermutlich wissen wir auch irgendwo – und sei es nur in einem ständig zu verdrängenden Unterbewussten –, dass die israelische Angst vor der Zerstörung ihres Staates nicht zuletzt mit der Erfahrung der Shoah zusammenhängt, die tatsächlich zur millionenfachen Vernichtung führte.“ Man könnte natürlich auch dazusagen, dass die „israelische Angst“ nicht bloß mit der Erinnerung an den deutsch-österreichischen Massenmord, sondern auch damit zu tun hat, dass der Judenstaat von Nachbarn umgeben ist – von der Hamas über die Hisbollah zum Iran, um nur einige zu nennen –, die den Massenmord an Juden als vorbildliche Tat betrachten und keine Gelegenheit auslassen, seine Neuauflage zu fordern. Und man könnte daraus die Konsequenz ziehen und die Israelis zumindest symbolisch unterstützen, wenn sie sich gegen die islamistische Vernichtungswut zur Wehr setzen. Jedoch ließe das dem aufstrebenden Nahostexperten nicht genügend Raum für „Ambivalenzen“, zu wenig Platz für „Zweifel“. Denn man würde damit die Überzeugung zum Ausdruck bringen, „auf der moralisch richtigen Seite [zu] stehen“. Vielleicht sollten wir ja alle ein bisschen mehr zweifeln; uns überlegen, ob nicht doch ein Fünkchen Berechtigung dahinter steckt, wenn die Hisbollah und andere islamistische Faschisten Israel ausradieren wollen.

Zivile Opfer und das Ende der Solidarität

Schmidinger fordert ein „Minimum an Empathie, ein Fragen nach den zivilen Opfern auf beiden Seiten“. Inakzeptabel ist für ihn eine Haltung, „die das Leben arabischer oder muslimischer Menschen geringer schätzt als das Leben anderer“. Er hat vollkommen Recht. Es ist tatsächlich inakzeptabel und zeugt von der Geringschätzung des Lebens der iranischen Bevölkerung, wenn etwa der iranische Expräsident Rafsandschani im Dezember 2001 darüber sinniert, dass bereits der Einsatz einer Atombombe, gezündet in der Nähe von Tel Aviv, ausreichen werde, um Israel zu vernichten. Dieses Ziel sei so erhaben, dass dabei der Tod von Millionen Iranern (als Folge eines israelischen Gegenschlages) in Kauf genommen werden müsste. Es ist tatsächlich inakzeptabel und zeugt von der Geringschätzung des Lebens der libanesischen Bevölkerung, wenn die Hisbollah mit Hilfe ihrer syrischen und iranischen Unterstützer Zivilisten ganz bewusst zu ihrer stärksten Waffe macht, indem sie sie zu menschlichen Schutzschilden für ihre Angriffe auf Israel macht; wenn sie die Bevölkerung im Südlibanon daran hindert, das Kampfgebiet zu verlassen; wenn sie Waffen gezielt in Wohnhäusern lagert; wenn sie Schulen und Krankenhäuser über ihren Bunkern errichtet; wenn sie Zerstörung über den Libanon bringt, den sie zur Geisel ihres Dschihads gegen die Juden gemacht hat. Es ist inakzeptabel und zeugt von der Geringschätzung des Lebens der Palästinenser, dass die Hamas nicht das geringste Interesse an einer Verbesserung der Lebenssituation der Bevölkerung in den palästinensischen Gebieten hat, weil das nur vom Kampf gegen Israel ablenken würde; dass sie aus bewohnten Gebieten Raketen auf Israel abfeuert, wohl wissend und bewusst in Kauf nehmend, dass bei etwaigen Gegenschlägen Zivilisten gefährdet sind; dass die Palestinian Authority auch schon vor der Machtübernahme der Hamas ihren Kindern und Jugendlichen nichts besseres zu bieten hatte, als systematische Erziehung zum Hass auf Juden und Vorbereitung auf den vermeintlichen Märtyrertod.

Doch beschleicht uns das Gefühl, dass Schmidinger all das mit seiner Forderung nach Empathie gar nicht gemeint hat. Er unterstellt vielmehr den Unterstützern Israels, sie seien von einer „kindischen Sehnsucht“ ergriffen, „auch einmal Militärstratege zu spielen“, würden den Krieg „bejubeln“ [9] und sich für (arabische) Zivilisten nicht interessieren. Ihm fällt gar nicht auf, dass es niemanden gibt, der über den Krieg „jubelt“ oder auch nur erfreut ist. Es ist furchtbar, dass libanesische Zivilisten zu Schaden kommen, verletzt oder getötet werden. Genau deshalb geht die israelische Armee auch mit großer Zurückhaltung vor. Hätte sie, wie hier in Europa in der medialen Berichterstattung des Öfteren behauptet wird, tatsächlich vorgehabt, ohne Rücksicht auf zivile Opfer Beirut oder den Südlibanon dem Erdboden gleich zu machen, sie hätte das innerhalb kürzester Zeit tun können. Aber was für ein Interesse sollte, außer der Hisbollah und anderer Feinde Israels, auch nur ein Mensch daran haben können, dass libanesische Zivilisten ums Leben kommen? Statt überraschend anzugreifen, warnt die israelische Armee die Bevölkerung, damit sie rechtzeitig aus den Kampfzonen fliehen kann. „Israel knows that these leaflets and warnings give the Hezbollah fighters time to escape and regroup. The advance notification as to where the next attack is coming has allowed Hezbollah to set up elaborate ambushes. The result? Unexpectedly high Israeli infantry casualties. Moral scrupulousness paid in blood. Israeli soldiers die so that Lebanese civilians will not“. [10]

Es gibt keinen Krieg ohne zivile Opfer, aber trotzdem gibt es für Israel keine andere Alternative, als diesen Krieg zu führen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Situation nicht von all den anderen Kriegen, die Israel seit 1948 führen musste. Im Unterschied etwa zum Sechs-Tage-Krieg wird dieser Krieg jedoch live auf den Fernsehkanälen übertragen. Viele müssen zum ersten Mal bewusst miterleben, was es für Israel heißt, von Todfeinden umgeben zu sein, gegen die vorgegangen werden muss. Aber insofern die Rede vom Selbstverteidigungsrecht des Judenstaates nicht bloß eine hohle Phrase sein soll, die sofort zurückgenommen wird, wenn man mit den Konsequenzen der einzig möglichen – also militärischen – Verteidigung konfrontiert wird, kann man nur tun, was eigentlich selbstverständlich sein müsste: Israel unterstützen und hoffen, dass es der Armee gelingen wird, die Hisbollah entscheidend zu schwächen, bevor der internationale Druck einen „Frieden“ erzwingt, der an der Bedrohungslage nichts ändert.

Wien, August 2006

Anhang

Schmidinger, Thomas: Warum ich nicht auf die Kundgebung von Café Critique „Solidarität mit Israel“ kommen werde.

Email vom 18.07.2006

Liebe FreundInnen von Cafe Critique,

ich werde nicht auf eure Kundgebung kommen, da ich eure in diesem Aufruf formulierte Position als Öl im Feuer eines Krieges betrachte, der leider nur in einer Katastrophe enden kann. Abgesehen davon, dass ihr in diesem Aufruf kein Wort über die getöteten libanesischen ZivilistInnen verliert, und mit Vorwürfen, wie dass die Kritik, dass die Militäraktionen Israels unverhältnismäßig wären nur die ’alten Mordphantasien am besten verbergen’ würden ein langsames Abdriften in eine Parallelrealität signalisiert, unterstützt ihr damit nichts weiter als ein v.a. für Israel selbst äußerst gefährliches Manöver.

Israel kann die Hizb Allah nicht selbst militärisch — wie die letzten Tage gelegentlich formuliert — ’vernichten’. Dazu war es bereits im ersten Libanon-Krieg mit einer wesentlich schwächeren und militärisch schlechter bewaffneten Hizb Allah nicht in der Lage. Vielmehr werden durch den gegenwärtigen Krieg die spärlichen demokratischen Fortschritte, die der Libanon die letzten zwei Jahre gemacht hat, zerstört und die Konflikte im Irak angeheizt werden. Dabei wäre eben diese Demokratisierung des Libanon und anderer arabischer Staaten auch im vitalen Interesse Israels.

Was sind denn die möglichen Zukunfsszenarien, wenn es zu keinem baldigen Ende der Kämpfe kommen sollte?

1. die libanesische Regierung entschließt sich nach langem Zögern doch gegen die Hizb Allah vorzugehen. Dadurch wird der Libanon in einen neuen Bürgerkrieg mit äußerst ungewissem Ausgang und ebenso ungewisser Dauer getrieben in den angesichts der israelischen Angriffe auch Israel selbst erneut direkt beteiligt sein wird. Das Ganze wäre also eine Art Wiederholung des Szenarios des Libanon-Kriegs Nr. 1

2. die libanesische Regierung rückt mit der Hizb Allah zusammen. Auch Gruppen die bisher gegen die Hizb Allah waren sehen in ihr angesichts der offensichtlichen Ohnmacht der libanesischen Armee die einzige militärische Garantie für den Libanon und solidarisieren sich mit ihr. Dadurch erhält die Hizb Allah einen innerlibanesischen Machtzuwachs und wird zu einer noch größeren Bedrohung für Israel als sie es vor dem neuen Krieg war.

3. Der Krieg weitet sich auf Syrien aus mit potentiellem Übergreifen auf Iran und Irak. Die irakischen Schiiten solidarisieren sich mit ihren libanesischen Glaubensbrüdern. Selbst Gruppierungen die bisher mit den Besatzungstruppen im Irak zusammengearbeitet haben sehen sich unter dem Druck militanterer Gruppen und der eigenen Basis gezwungen auf Konfrontationskurs zu gehen, wodurch die Situation im Irak völlig eskaliert und damit eine Region vom Iran bis zum Gaza-Streifen in das Kriegsgeschehen hineingezogen wird.

Wollt ihr das wirklich? Solidarität mit Israel bedeutet nicht, jede Fehlentscheidung der israelischen Regierung — und um eine solche handelt es sich meines Erachtens beim jüngsten Krieg — zu bejubeln, sondern auch nach ehrlichen Lösungen zu suchen die tatsächlich den Fortbestand dieses Staates in einer Form ermöglichen, die auch eine für seine BewohnerInnen ein Leben in relativer Freiheit und Sicherheit garantiert. Dazu halte ich eure Aufrufe für ungeeignet.

mit freundlichen Grüßen
Thomas Schmidinger

[1Vgl.zur Frage präventiven Handelns: Dershowitz, Alan M.: Preemption: A Knife that cuts both ways, New York 2006.

[2Vgl. Intelligence and Terrorism Information Center at the Center for Special Studies (C.S.S.): Hezbollah attacks along Israel’s northern border to cover an attempted abduction of Israeli soldiers, 22. November 2005, www.terrorism-info.org.il/malam_multimedia/English/eng_n/pdf/hezbollah_ec1105.pdf.

[3El-Gawhary ist der ORF-Verbindungsmann zur Hisbollah: Tagtäglich berichtet er aus Gebieten, in die er eingestandenermaßen gar nicht ohne „Begleitschutz” durch islamistische Kämpfer gelangen könnte. Dennoch versucht er den Zusehern weiszumachen, dass seine Interviewpartner gänzlich unbeteiligte Zivilisten sind, die nichts mit der Partei Allahs zu tun hätten und nur ihre unabhängigen Beobachtungen erzählen. Wen wundert’s, dass er nur zu hören bekommt, was direkt dem Propagandaapparat der Hisbollah entstammt?

[4Zit. nach Devenny, Patrick: Hezbollah’s Strategic Threat to Israel, in: Middle East Quarterly, Winter 2006, www.meforum.org/article/806.

[5Vgl.: Rote Armee Fraktion: Die Aktion des „Schwarzen September“ in München. Zur Strategie des antiimperialistischen Kampfes, in: Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, Berlin 1997, S.151-177. Nur in einem Punkt hatte die RAF unfreiwillig einen wahren Satz zu Papier gebracht: „An der Aktion des Schwarzen September in München gibt es nichts mißzuverstehen.“

[6Die folgenden Zitate sind Mails entnommen, die wir erhalten haben. Wir haben der Lesbarkeit zuliebe lediglich grammatikalische und orthografische Fehler korrigiert.

[7Die folgenden Zitate stammen aus dem uns geschickten Text „Warum ich nicht auf die Kundgebung von Café Critique ’Solidarität mit Israel’ kommen werde“. Der Bitte, im Falle einer öffentlichen Antwort den gesamten Text zu veröffentlichen, kommen wir gerne nach. Daher also im Anhang Schmidingers Kritik an unserem Aufruf, der auf unserer Homepage (www.cafecritique.priv.at) zu finden ist.

[8Schmidinger, Thomas: Projektionsfläche Nahost, in: Die Presse, 1. August 2006, www.diepresse.com/textversion_article.aspx?id=575602. Die folgenden Zitate sind diesem Kommentar entnommen.

[9Warum ich nicht auf die Kundgebung von Café Critique ’Solidarität mit Israel’ kommen werde, a.a.O.

[10Krauthammer, Charles: ’Disproportionate’ in What Moral Universe?, 28. Juli 2006, http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2006/07/27/AR2006072701725.html?sub=AR. Rückblick auf das Frühjahr 2002: Nach einem der verheerendsten Selbstmordattentate der Hamas startete die israelische Armee die Operation „Defensive Shield“. Sie marschierte wieder in Städte im Westjordanland ein, die im Zuge des Oslo-Friedensprozesses der Kontrolle der Palestinian Authority übergeben worden waren. (Innerhalb weniger Jahre hatten sie sich zu Terrorzentren entwickelt, von denen, ungehindert durch palästinensische Sicherheitskräfte, zahlreiche Attentate ausgingen.) In Jenin kam es zu schweren Kämpfe um ein paar Häuserblöcke, in denen sich Kämpfer der Hamas, des palästinensischen Dschihads und der al-Aqsa-Brigaden verschanzt hatten. Statt diese Straßenzüge aus der Luft zu bombardieren, schickten die IDF Soldaten in den Häuserkampf. Große Verluste auf israelischer Seite waren die Folge. Die Weltöffentlichkeit (inklusive der UN unter der Führung Kofi Anans) interessierte sich dafür nicht, sondern beklagte ein vermeintliches „Massaker“ an über 500 unschuldigen Zivilisten. Der CDU-Politiker Norbert Blüm etwa sprach von einem israelischen „Vernichtungskrieg“ – tatsächlich waren rund 50 Palästinenser ums Leben gekommen, die Hälfte davon militante Kämpfer. Das nie vorgefallene „Massaker von Jenin“ gehört heute, ungeachtet der Tatsachen, zu einem der Fixpunkte der antiisraelischen Propaganda.