Heft 1-2/2005
Mai
2005

Über Widerstand und Regenschirme

Drei Empfehlungen

Der diesjährige Theodor Kramer Preis für Schreiben im Widerstand und im Exil geht an einen meiner Lieblinge: an Georg Stefan Troller. Er schrieb das sehr autobiographische Drehbuch zu Axel Cortis Trilogie „Wohin und Zurück“. Die drei Filme gehö­ren wohl zu dem, was mich vom Bildschirm herab am meisten berührt hat. Wien 1938 — Prag, Paris, Marseille — der Zwischenstop in Casablanca wird übersprungen — New York. Der Traum eines Jugendlichen, in der Frem­de verloren, vom Wilden Westen, von Santa Fe, die Rückkehr to Old Europe als GI, die endgültige Vertreibung, diesmal nicht durch den Wiener Mob, sondern durch die Wiener Normalität.

Der 1921 in Wien geborene Georg Stefan Troller lebt heute in Paris. In seinem neuen Zuhause verfasste er fürs deutsche Fern­sehen seit den 60er Jahren drei Jahrzehnte lang seine berühmten und beeindruckenden Personenbeschreibungen und sein Pariser Journal. Vor zwei Jahren erschien dann auch ein Buch über Paris: Dichter und Bohemiens. Ein verrückter Streifzug durch eine verrückte Stadt, voller Geschichte und Geschichten. Ge­nauso lesenswert, weil genauso ins Vergessene und Unbekannte ausschweifend ist sein neuestes Buch: Das fidele Grab an der Donau — mein Wien 1918-1938. Im Zentrum des Geschehens: Georg, der gymnasiale Jäger nach Autogrammen und seine bald massakrierte Welt.

In Trollers Parisbuch ist natürlich auch von den Regenschir­men der Armen: den Passagen, die Rede. Also von jenen über­dachten Gassen, die Paris durchziehen und denen Walter Benja­min seine letzte große Arbeit gewidmet hat: das Passagen-Werk. Eine ganz besondere Annäherung zu diesen Regenschirmen und vor allem zu Benjamin hat Karin Stögner in Traum-Zeit Moder­ne — das ewige Bild der Weiblichkeit unternommen. Die Auto­rin, Mitarbeiterin des Instituts für Konfliktforschung, hat jene Ansätze bei Benjamin gesucht und gefunden, die man durchaus als feministisch bezeichnen kann. Indem Benjamin die Geschich­te des Kapitalismus und seiner Herrschaftsformen anhand der Kulisse beschreibt, die Paris ihm geboten hat, erzählt er auch von der „ewigen Wiederkehr des immer Gleichen“ in den zwi­schenmenschlichen Beziehungen und den damit verbundenen Unterdrückungen und Revolten. Karin Stögner geht jenen Ge­danken Benjamins nach, welche die Weiblichkeit in der Moderne evozieren und führt die LeserInnen dabei in die schrillsten und dunkelsten Ecken sowohl der Seine-Stadt, wie auch der bürgerlichen Gesellschaft. „Wie in der antiken Sklavenhaltergesellschaft war auch in der bürgerlichen die Gleichheit der Herrschenden zu haben nur über die Beherrschung anderer. Die Verblendung von Moderne und Antike entlarvt derart die Scheinhaftigkeit von bürgerlicher Gleichheit und Freiheit, die in ihrer Partikularität die Geschlechtergrenzen verschärfte und die Versklavung der Massen in der Lohnarbeit erforderte.“ (Stögner, S. 28)

  • Georg Stefan Troller: Das fidele Grab an der Donau. Mein Wien 1918-1938. Wien 2004,
  • Georg Stefan Troller: Dich­ter und Bohemiens. Literari­sche Streifzüge durch Paris. Wien 2003.
  • Karin Stögner: Traum-Zeit Moderne — das ewige Bild der Weiblichkeit. Eine Annäherung an Walter Ben­jamins Passagen-Werk. Braunmüller-Verlag: Wien 2004.
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