FŒHN, Heft 18
 
1993

Unsere Geduld gehört ins Buch der Rekorde        

Eine Million für den Bürgermeister von Innsbruck, gleichzeitig Präsident des Tiroler Landtages (aus dem Präsidiums-Protokoll der Vereinigung Österreichischer Industrieller vom 28.9.1979)

Dies zu lesen, macht entsetzlich wutig. Am Schluß sitzt man da mit seiner bodenlosen Empörung über die Zustände (und wünscht sich vielleicht, man wüßte wenigstens nichts davon). Wohin mit dieser Wut, dieser ohnmächtigen? Warten, bis sie verraucht ist? Wie hält man sie aus? Wie wird man fertig mit diesem Wissen?
Der FÖHN schürt die Wut. Legt Scheit um Scheit nach. Und läßt die Leser, wenn sie das Heft ausgelesen haben damit allein.
Könnte diese Empörung zu etwas nütze sein? Könnte sie der Anfang sein von etwas? Oder vergeht sie wie ein Anfall?
Wie weit reicht die Wut? Bis der Umschlagdeckel zugeklappt ist? Bis es jemandem gesagt ist, daß es ein Wahnsinn ist? Wie weit ist es von dieser Wut zum Handeln?
Lachen die Mächtigen über uns, wenn wir bei dieser Lektüre in Rage geraten? Ja, wenn wir nur in Rage geraten.

G. Stix (FPÖ Tirol) erhält im Wahljahr 1979 von der Industriellenvereinigung (zumindest) die BTV-Schecks mit den Nummern 1744013 (2.3.79), 1744072 (25.4.79) und 1744073 (10.5.79), die sich auf die Gesamtsumme von 446.296,— Schilling belaufen. Darüberhinaus wird ihm am 6.7.79 von der VÖI der Scheck mit der Nummer 2134202 in die Hand gedruckt, der auf den eckigen Betrag von 153.448,— Schilling ausgestellt ist und daher die Abdeckung einer Warenrechnung (Wahlkampfmittel) der FPÖ vermuten läßt.

Sie tun das — und was tun wir?Wir schreiben die Ungeheuerlichkeiten kleinfutzelig in diese kleine Zeitschrift hinein. (Sind wir die Buchhalter ihrer Exzesse?) Wir schauen uns fast die Augen aus dem Kopf mit unserem geilen Blick auf die Obszönitäten der Mächtigen. Sie tun das. Und wir sitzen da wie mit Superkleber auf unseren Lesestuhl angemacht. Was tun wir? Wir giften uns. Ist das schon etwas? Stört sie das?
Während wir hier einen Abdruck einer Bestätigung einer Übergabe eines Schecks in der Hand haben, gehn auf der Seite unserer Gegner die Schecks von Hand zu Hand! Sie handeln - wir lesen. Welches Mißverhältnis! Wenn wir fertig gelesen haben, handeln sie immer noch weiter. Was wir uns über ihre Machenschaften denken, veranlaßt sie nicht zur Änderung.
Wie kommen wir denn mit den Händen in das vor unseren Augen ablaufende Geschehen hinein?

Einem Beschluß der Industriellenvereinigung vom 20.11.79 zufolge werden der rechtsgerichteten Hochschüler-Fraktion JES in gewissem Umfang die Beträge für vorgelegte Rechnungen zurückerstattet. Auch das läppert sich bei Summen von beispielsweise 2.036,— und 2.160,— und 8.721,— und 1.080,— und 6.003,— Schilling zusammen.

Ohnmacht. Was wir hier sehen, erzeugt eine alles niederdrückende Ohnmacht in uns. Jeder FÖHN zerstört — ungewollt — Hoffnungen in uns, statt Hoffnung aufzubauen. Jede neue Nachricht macht uns noch ein wenig kleinmütiger. Der Blick auf die gute Organisiertheit der Oberen vergrößert das Gefühl unserer Machtlosigkeit. Der Skandal ist gar nicht, daß auf der anderen Seite alles geschmiert läuft, sondern, daß wir nichts dertun!
Wir haben vorerst nur unsere Ohnmacht. Die allerdings haben wir. Aus ihr muß es kommen!
Was ist Ohnmacht? Ohnmacht ist eine Kraft, die sich nicht auskennt. Eine zerstörerische Kraft, die sich gegen uns selbst richtet, wenn wir ihr nicht zeigen, wo sie anpacken kann.

Mitte März 1979 zieht der ÖVP-Generalsekretär S. Lanner als Wahlkämpfer durch Tirol (‚6. Mai — Volkspartei‘). Am 16. ist er auf ‚Politikertour durch das Oberland‘ und am 17. auf ‚Wahlreise im Tiroler Unterland‘ (NTZ, 17. und 18.3.79). Seinen Aufenthalt an diesen beiden Tagen nimmt er im Hotel Europa. Eine Woche später begibt sich der Bundesparteiobmann und Kanzlerkandidat der ÖVP, J. Taus, samt Wahlkampf-Tross nach Tirol. Auch er steigt im ersten Haus der Stadt ab. Die Rechnung für die angefallenen Spesen (S 5.630,— und S 11.396,—) geht selbstredend an die VÖI.

Nutzt FÖHN lesen? Eine Zeitschrift wie diese läuft immer Gefahr, Zuschauer zu produzieren. Wie die Schaulustigen beim Baggeraushub am Brückenpfeiler gaffen sie auf das, was im FÖHN zutage gefördert wird und stehen auch noch im Weg.
Vielleicht wollen die Leute auch nur Lesestoff. Vielleicht nur wie mit dem ’Goldenen Blatt’ am Englischen Königshof mit dem FÖHN dabeisein bei den Schweinereien der Gstopften hierzulande. Sollen die Reaktionen der Leser (‚Weiter so!‘ / ‚Gratuliere!’ Großartig!‘) heißen, daß ich Heft für Heft mehr zum Begaffen aufdecken soll? Was könnten sie sonst heißen?
Die Lösung wäre, daß viel mehr Leute den FÖHN läsen, meinen manche. Ach was! Du liest ihn ja auch und es hilft uns nix. FÖHN lesen ist noch gar nix. Grad soviel, wie ihn nicht lesen Das Kopfbeuteln auch noch so vieler Leute gibt noch keinen Wind der diese Verhältnisse über den Haufen bläst.

Am 5. und 6. April wird der Klubobmann der ÖVP, A. Mock, zum Wahlkämpfen nach Tirol geschickt (‚Ein neuer Frühling für Österreich‘). Auch die von ‚Herrn Dr. Mock und Begleitung‘ im Hotel Europa verursachten Kosten übernimmt die VÖI.

Als am 2. und 3. Mai 1979, drei Tage vor der Nationalratswahl, S. Lanner mit Begleitung zu Abschlußkundgebungen nach Tirol kommt, logiert er ebenfalls im Hotel Europa. Die Industriellen lassen ihre Büttel von ihrem Luxus kosten und bezahlen auch diese Spesenrechnung.

Wir sind Helfershelfer. Ohne uns so brav da herunten wäre bald fertig breitarschig obengesessen. Im Prinzip sind wir gegen die hier geschilderten Zustande. Im wirklichen Leben aber können wir nicht mit uns rechnen.
Unser Gehorsam diesem Unrechtsstaat gegenüber stärkt diesen Unrechtsstaat. Es ist, als zeichneten wir ständig Kriegsanleihen der Gegenseite. Weniger als 10 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher glauben (nach einer Umfrage des Linzer Market-Instituts), ‚daß sich die beiden Regierungsparteien für die Anliegen des kleinen Mannes einsetzen‘ (Kurier, 4.10.92). Aber dreiviertel der Wähler wählen sie.
Durch unsere Kompromisse mit den Feinden unseres eigenen einzigen Lebens hintergehen wir unsere Vorsätze.

Am Tag vor der Nationalrats-Wahl 1979 schaltet die ÖVP ein Inserat auf Seite 3 der Tiroler Tageszeitung. Der Landeshauptmann Wallnöfer wirft sich in die Schlacht. ‚Sie haben zu entscheiden, ob Sie den Weg der SPÖ in den bürokratischen Sozialismus gehen wollen ... Wählen Sie ÖVP, Liste 2‘. Er hat leicht werfen. Die satten Kosten für diese Wahlwerbung übernimmt die Vereinigung Österreichischer Industrieller.

Was wollen wir? Es ist erst ein Leiden unter diesen Zuständen. Das Wollen zu etwas anderem ist noch nicht stark genug. Es hält uns immer noch viel mehr zurück, als uns vorwärtstreibt. Unser zögern gleicht dem jenes Mannes, den Bert Brecht in einer Fabel beschrieben hat. Als dieser alarmiert wird, daß sein Haus, in dem er sich aufhält, brennt, will er erst wissen, ob wohl nicht zu starker Wind wehe heraußen und es wohl nicht regne.
Solang uns, wie die hunderttausend Profil-Leser, nur die Umtriebe der Oberen stören und nicht unsere eigenen Lebensbedingungen, werden wir übers Neinschütteln nicht hinauskommen.
Wollen wir? Oder wollen wir nur davon reden, daß wir wollen?

Im Juni 1979 stehen Arbeiterkammerwahlen an. Der Tiroler Arbeiter- und Angestelltenbund (AAB) will mit allen Mitteln erstmals eine schwarze Mehrheit schaffen. Das Mitgliederblatt Signale veröffentlicht im Hinblick auf die Wahlen haßtriefende ‚Gastkommentare‘ des extrem rechten Publizisten Karl Steinhauser (Signale 1/79) und seiner Mitarbeiterin vom Büro Medienmanagement, Ilse Martischnig (Signale 2/79). Sinnigerweise lautet der Slogan dieser AAB-Zeitschrift: ‚In Signale steht mehr als Sie glauben‘. Die Rechnung für die Steinhauser-Tirade wird — erraten von der Industriellenvereinigung beglichen.
Dazu: Als anläßlich des 40. Geburtstages der VÖI, 1987, ein inzwischen schwarzer Präsident der Tiroler Arbeiterkammer ‚die Festgrüße der Tiroler Arbeiterschaft (!) überbrachte‘, ‚unterstrich er auch, daß es Ausdruck echter Partnerschaft sei, daß die, die zusammenarbeiten, auch gemeinsam feiern.‘ (Die Industrie, 25.3.87)

Der Fehler dieser Zeitschrift.Der FÖHN bekommt viel Applaus. Aber nach dem Beklatschen der einzelnen Nummern stecken die Leser die Hände wieder zurück in die Hosensäcke (wo sie auch das nächste Mal kommod herzunehmen sind). Liegt es an den Leuten? Nein, es liegt am FÖHN. Die Beschreibungen der Zustände greifen nicht ein in die Zustände! Die Feststellung der Untaten ficht die Untaten noch nicht an.
Es geht um die Änderung der Lage, nicht um deren immer wieder neue Schilderung. Wer nach 1000 Beispielen nichts tut, wird sich auch nach 5000 nicht aufraffen. Wie kann man aus Lesern Handelnde machen?

Für den Arbeiterkammer-Wahlkampf 1979 läßt der AAB von der Mattes Bürstenfabrik KG in Vomp 41.300 Kleiderbürsten in der Form von kleinen gelben Schutzhelmen anfertigen, auf deren Schild der Slogan ‚AK-Wahlen 1979: Tiroler AAB — sicher und sauber‘ eingeprägt ist.

Kandidat des AAB für den Ledersessel des Präsidenten ist der von den Swarovskis aufgebaute Zentralbetriebsratsobmann E. Abendstein. Daß selbst das Unternehmer-Magazin Trend den gesamten Betriebsrat der Swarovski-Werke einmal als ‚taubstummblind‘ (12/75) bezeichnet hat, erspart uns weitere Worte über diese Sorte Arbeitervertreter. Dem jetzigen AK-Präsidenten und langjährigen AAB-Funktionär F. Dinkhauser (‚habe anläßlich von AK-Wahlen im organisatorischen und werblichen Teil eine Mitverantwortung für die AK-Fraktion getragen‘) ‚fehlt jegliche Information über allfällige Zuwendungen oder Unterstützungen seitens der Vereinigung Österreichischer Industrieller an die AK-Fraktion‘ (Schreiben vom 14.9.92). Dem Manne kann geholfen werden. Die Kleiderbürsten des so ‚sauberen‘ zahlt in zwei Teilen (227.150,— und 148.101,— Schilling) natürlich die Industriellenvereinigung. (Im Gegensatz zu Schecks sind solche Sachleistungen sogar steuerfrei.)

Was ist das Nützliche an dem, was wir hier sehen? Sie sind entsetzlich klein in ihren Handlungen, die Großen. Uns hält ja der Schein ihrer Stärke zurück und nicht ihre Stärke!
Wenn wir das sehen, was wir hier sehen, verlieren wir vor den Herren Regierenden den letzten Funken Achtung, auf die wir vom Windelalter an abgerichtet sind. Wir mit unserer eingebauten Machtlosigkeit sehen hier plötzlich ihre knappen Möglichkeiten.
Wir bekommen vor Augen geführt, daß ihre Herrschaft nicht auf Klugheit, sondern auf unglaublicher Primitivität gründet. Welche Schwächen von ihnen, die der Negativabdruck von Starken unsrerseits sind, verraten uns diese Geschichten außerdem?

Ebenfalls 1979 faßt der Nationalratsabgeordnete und ÖVP-Wirtschaftsbundfunktionär O. Keimel bei der VÖI einen Scheck über S 236.000,— (29.5.79) und einen über S 64.000,— (17.8.79) aus, für was oder wen auch immer.

Wie geht handeln? Wie fängt ‚das andere‘ wirklich an? Welche ist der erste Schritt? Ich meine, der allererste? Wenn ich sage, wir müssen aufhören, uns eine Regierung gegen uns zu wählen, ist das ja ein Satz und kein Schritt. Papier ist eines der geduldigsten Materialien, die bisher entdeckt worden sind. Die oben fürchten sich — zurecht — nicht vor meiner Schreibmaschine.
Die andere Seite handelt (siehe oben, siehe unten) ununterbrochen. Wie geht handeln auf unserer Seite? Was wir wollen, bekommen wir nicht aus den Händen derer, die oben sitzen. Wir müssen es ihnen entreißen! Wie geht das? Wie geht der erste Handgriff?
Millionen Forscher denken weltweit an alles andere (Gentechnik, Laserwaffen usw.) als daran, wie die Völker sich von ihren Unterdrückern befreien könnten. Denen, die glauben, es gebe keinen Ausweg aus dieser Unterdrückung, will ich damit nur sagen, daß weltweit nur 0,0001 Promille aller geistigen Energie für die Suche nach der Überwindung des Kapitalismus aufgewendet wird während ‚der Rest‘ in die Erhaltung und Absicherung des Systems geht.

Als die ÖVP für den herbstlichen Landtagswahlkampf 1979 bei den Vereinigten Kellereien Marsoner & Rainer 2.000 Fläschchen Wein bestellt, ergeht die Rechnung (26.6.79) automatisch an die VÖI, die die 42.480 Schilling auch postwendend zur Einzahlung bringt.

Die VÖI hat einfach die besseren Argumente (links, Ausschnitt) gegenüber den Politikern, als wir sie haben (rechts, Ausschnitt).

Wie ist es mit uns? Wenn wir wissen möchten, was wir wirklich denken, müssen wir auf unsere Hände sehen, nicht auf unseren Mund. Jeder von uns tut unbewußt genau das, was er für richtig hält. Und das nicht, was in seinem Kopf noch nicht ausgemacht ist.
Haben wir uns schon entschieden, unser Leben zu leben und nicht das Leben eines uns im Grunde fremden Menschen? Wenn die Kräfte des Veränderns über die Kräfte des Beharrens siegen sollen, müssen zuerst in uns selbst die Kräfte des Veränderns über die Kräfte des Beharrens siegen.

Der ÖVP-Seniorenbund muß im September 1979 seine Mitglieder mit 3.570 Herzen mit Band (zum Preis von je S 4,70) und mit 500 Herzen ohne Band (zum Preis von je S 3,50) für die Landtagswahl ködern. Die Rechnung in der Höhe von S 20.011,— wird, versteht sich, von der Vereinigung Österreichischer Industrieller beglichen.

Was können wir tun? Die Fragen die nicht mit Buchstaben, sondern nur mit dem Leben zu beantworten sind, sind die schwierigsten. Dieser Frage wegen gibt es diesen FÖHN und den FÖHN überhaupt. Wir sind kein Abonnentensammlerverein.
Was können wir tun, du und ich und der Dietmar und alle die, die wir noch gar nicht kennen? An was denkst du? Könnten uns Erfahrungen aus der Geschichte nützen, unserer und der anderer Völker? Wo gibt es lehrhafte Beispiele? Wo ist hier und jetzt ein Ansatz? Nein, ich meine, ein wirklicher Ansatz. Kampf gegen Armut kann nur Kampf gegen die Reichen sein, wie Kampf gegen Arbeitslosigkeit nur Kampf gegen die kapitalistisch angerichtete Produktion und Kampf gegen die Wohnungsnot nur Kampf gegen Zinswucher, d.h. gegen die Zinswucherer sein. Wie geht dieser Kampf?
Quadratwurzelziehen lernt man in der Schule, das leider nicht!

Im Landtagswahlkampf 1979 lockt uns die ÖVP mit allerlei Werbeunrat wie Mappen, Kulis, Spielkarten usw. Aber Wahlen sind ein im vorhinein abgekartetes Spiel, bei dem wir nie stechen werden.

Der Landesparteisekretär der ÖVP, R. Fiala, schickt am 30.8. die bei ihm eingelangten Rechnungen über 1491 Stk. Aktenmappen, über 8.000 Stk. Kugelschreiber und über 8023 Spiele doppeldeutscher Karten mit einer Gesamtsumme von 209.674,49 Schilling an die Industriellenvereinigung (samt ‚Aktenvermerk‘). Am 12.9. kann Fialas Sekretärin D. Crepaz einen Scheck — genau auf diese Summe ausgestellt — ... ins Büro der VÖI abholen kommen. Es handelt sich also bei der ÖVP, wie man sieht, um die Kulis der VÖI.

Formen des Handelns. Unsere Stärke liegt in unserer Zahlenstarke. Alleine ist es ratsam, den Gehsteig und den Zebrastreifen zu benützen. Wenn wir viele sind, können wir gefahrlos auch auf der Straße gehen. Schon die Aufkündigung unserer Zusammenarbeit erschüttert die Macht über uns, z.B. wenn wir uns nicht mehr meinungsbefragen lassen, z.B. wenn wir die für uns aufgezogenen Massenveranstaltungen spritzen, z.B. wenn wir keine Forderungen mehr an die Politischen Vertreter der Macht richten, z.B. wenn — oder was ist dein Beispiel liebe Leserin, lieber Leser?
Wer nicht Sand in diesem Getriebe ist, ist was? ist Öl! Welche Leistungen, die den Fortbestand dieser ungerechten Ordnung stützen, erbringen wir täglich (freiwillig), die wir, ohne Gesetze zu brechen und ohne uns selbst weh zu tun, auch unterlassen können? Oh! So viele?
Dieses Herrschaftssystem bettelt geradezu auch um Boykott. In den Dokumenten oben und unten winselt es zum Herzerweichen um Wahlboykott. Der Konsumdruck verlangt von uns einen Konsumboykott, und die Art, wie die Arbeit verteilt und nicht verteilt ist, schreit nach Arbeitsboykott. Wo, liebe Leserin, lieber Leser, hörst du noch nach uns rufen?
Wie können wir den Herrschaftsapparat sabotieren? Wie können wie diesen geschmierten Ablauf des ganzen, wie er in diesem Heft gezeigt wird, nachhaltig stören? Wie, was meinst du, können wir dieses System wenigstens am Funktionieren hindern? Wem ist das schon zuviel? Wem noch zuwenig?

Die ÖVP bringt zur Landtagswahl 1979 (als Wahl-Sondernummer ihrer Funktionärszeitung Information ausgegeben) ein buntes Bilderheft ‚... lebenswertes Tirol‘ mit 32 Seiten im Großformat heraus, das an jeden Haushalt in Tirol versandt wird. Dieses Magazin enthält keine einzige Werbeeinschaltung. Trotzdem verrechnet die Redaktion des Information, die ÖVP-Landesparteileitung, der Vereinigung Österreichischer Industrieller zwei Einschaltungen zum Preis von 300.000,— Schilling.
Was anderes könnte der von Geschäftsführer Bachmann (‚Ba‘) angebrachte Aktenvermerk (s. nächste Seite) besagen, als daß lt. Rücksprache mit TIWAG-Direktor und VÖI-Vorstandsmitglied Dr. Praxmarer die TIWAG (die jährlich um die vier Millionen Schilling an Mitgliedsbeiträgen in die Industriellenvereinigung buttert) auf die eine oder andere Weise die Begleichung der Rechnung ‚übernimmt‘?
Jene TIWAG, die im Aufsichtsrat neben jeder Menge ÖVP-Politikern stets auch den jeweiligen VÖI-Präsidenten sitzen hat.

Wieviel ist davon zu halten, wenn uns die Landeselektrizitätsgesellschaft in einem Schreiben ihres Direktors Mayr wissen läßt: ‚Die TIWAG beteiligt sich nicht an der Finanzierung politischer Parteien‘ (13.1.190) und wenn der Geschäftsführer der VÖI uns mitteilt: „Es ist völlig unrichtig, daß beispielsweise die TIWAG als Mitglied der Vereinigung Österr. Industrieller, Landesgruppe Tirol, auf dem Umweg über Mitgliedsbeitragszahlungen an die Industriellenvereinigung ‚die ÖVP massiv unterstützt habe‘“ (Schreiben vom 29.7.92) und wenn der langjährige Landesparteisekretär der ÖVP, Fiala, poltert: „Nie floß je ein Schilling Parteispende von der TIWAG an die ÖVP.“ (TT, 5.12.9l)?

Wie dem auch sei, die Vereinigung Österreichischer Industrieller bezahlt (in wessen Auftrag auch immer) für zwei Einschaltungen, die nie erschienen sind, vier Tage vor der Landtagswahl per Scheck 300.000,— Schilling an die ÖVP. Schon ein bißchen dumm von uns, angesichts all dieser Scheck-Zettel noch auf Stimm-Zettel zu setzen.

Vorschlag: Wir müssen aufhören anfangen, allein zu bleiben mit unserem Entsetzen, unserer Ohnmacht, unserem Suchen. Vielleicht kann dieses Heft ein wenig dabei helfen, daß wir zueinander kommen mit unserer je einzelnen klitzekleinen Hoffnung, die man vom Nachbarkopf aus schon gar nicht mehr sieht.
Das Umfeld aus Menschen, in dem wir etwas tun können, müssen wir uns selber schaffen. Das wird uns nicht geschenkt. Vorschlag: Gib dieses Heft weiter an zehn Leute. Fünf oder drei davon erwischen die geschilderten Zustande dort, wo sie dich erwischen. Es ist dies von uns aus kein besonders gerissener Versuch, die Auflage zu steigern. Mehr FÖHN-Hefte sind nicht besser, wenn jede Empörung doch nur für sich bleibt, aber dann, wenn die eine eine andere findet und noch eine, und eine Auflehnung noch auf andre Auflehnung trifft. 
Die Menschen, um die es geht, sind um uns herum, so einfach ist das, so schwierig. Für den im Waldviertel sind die im Waldviertel und für die im Olympischen Dorf sind die im Olympischen Dorf die wichtigsten Leute. Es muß uns gelingen, unsere Tante und unseren Nachbarn zu erreichen, das andere ist Träumerei

Das oben genannte Bilderheft der ÖVP zur Landtagswahl am 30. September 1979, 20 deka schwer, geht mit der Post an jeden Haushalt in Tirol. Die am 13.9.79 ausgelegten Beförderungskosten der Wahlprospekte für 32.394 Innsbrucker Haushalte, 39.720 Schilling, werden der ÖVP ruckzuck am 21.9.79 von der Industriellenvereinigung ersetzt.

 

Was wir tun müßten:Allein um die Sache mit den Wohnungen in Ordnung zu bringen, müßte die Regierung gestürzt werden, müßten die Bankhäuser ausgeschaltet, die Wohnbaufirmen zerschlagen werden usw. Wie aber schreiten wir an Zerschlagung, Ausschaltung, Sturz?
Der Mensch, den wir im Kapitalismus vor uns haben, ist ein fast ganz verhunzter, ein durchmanipulierter, verletzter, rücksichtsloser, auf den eignen Vorteil gelenkter. Statt miteinander auf die Zustände und ihre Profiteure loszugehen, konkurrieren wir einander, Kleinanzeige gegen Kleinanzeige. Wir werden gegeneinander gehetzt und lassen uns gegeneinander hetzen. Unterbieten einander in den Ansprüchen und überbieten einander in den Mietpreisen!

Wie in den Jahren vorher und in den Jahren nachher inseriert die VÖI auch 1979 ständig in der ÖVP-Funktionärszeitung Information, die, scheint’s, nur in die Welt gesetzt wird, um über Inserate staats- und landeseigener Firmen sowie von Staats- und Landesaufträgen lebender Firmen (s. ausführlich in FÖHN 15) Geld in die Parteikassa der ÖVP zu holen.

Ein Aktenvermerk des VÖI-Geschäftsführes Bachmann

Unsere Kraft. Wir müssen auf das Volk sehen, wie Naturforscher auf ein Gebirgsbächlein sieht: Welche Macht liegt darin, wenn es organisiert wird! Nur der Tor sagt, es gibt sie nicht, weil sie sein Auge nicht sieht. Auch das Korn dünkt sich stark am vorbeirinnenden Wasser, solange bis es von eben diesem zwischen Mühlsteinen zermalmt wird.

Am 18.9.1979 erscheint die Tageszeitung Die Presse mit einer Tirol-Beilage. Darin findet sich unter anderem, es sind noch 12 Tage bis zur Landtagswahl, ein halbseitiges Wallnöfer-Inserat (‚Ein Landeshauptmann für jeden Tiroler‘). Die Rechnung über 30.000,— Schilling unter dem Titel ‚Druckkostenbeitrag‘ ergeht wie selbstverständlich an die Industriellenvereinigung in Innsbruck und wird nach Rücksprache mit dem Landesparteisekretär R. Fiala auch bezahlt.

Was täte ihnen weh? Wenn uns in unseren Köpfen derweil, das Rechte zu tun schon nicht einfallen will, denken wir doch einmal in den Köpfen unserer Gegner darüber nach, wovor sie sich vor uns fürchten! Denn sie wissen um unsere Stärken, auf die wir bei allem Grübeln nicht kommen wollen, und es ist ihr täglicher Bammel, daß sie auch uns klar werden könnten.
Welche Angst, als Großindustrieller, treibt mir den Schweiß mehr als das Preisdumping des Konkurrenten? Welche Vorstellung allein schon krampft mir die Luftröhre zusammen? Und was tut mir nicht weh? Zum Beispiel eine Zeitschrift wie diese, wenn sie nicht über die letzte Seite hinausgeht.
Wenn wir wissen, wovor die Mächtigen, die nur Geldmächtige sind, nur Papiermächtige, sich schrecken, und wovor sogar auch schon, können wir ihnen diesen Schrecken bereiten.

Auch J. Thoman, führender Funktionär des Tiroler Arbeiter- und Angestelltenbundes (AAB), hat, wie jeder in der ÖVP, sein Packl zu tragen. Es ist der 21.12.1979, an dem der frisch gekürte Präsident des Tiroler Landtages ins Büro der Vereinigung Österreichischer Industrieller geheißen wird: Der Abholschein für ein Packl mit 150 Tausendern liegt für ihn bereit.

Was zu tun ist. Schon die Wörter für das, was getan werden muß, lassen viele von uns zu Tod erschrecken: ‚Aufstand‘, ‚Kampf‘, ‚Umsturz‘. Aber Selbstbeschiß hilft nicht. Nettere Wörter meinen auch etwas anderes.
Wenn es leicht wäre, wenn es von zuhause aus ginge, wären wir nicht so in Verzug. Wir können die Geld-Diktatur nicht über den Haufen reden. Auch mit noch einmal so vielen FÖHN-Heften (eins über die Banken, eins über die Wohnungsfrage, eins über die Krankheiten-Industrie, usw.) nicht. Wir werden die Hände nehmen müssen, und weil wir damit in den Schmutz hineinfahren werden müssen, werden wir sie uns schmutzig machen.
Natürlich muß der Landtag, diese Jasager-Maschine, auseinandergejagt werden- Natürlich muß die Sparkasse Tirol, die sich in 170 Jahren an der Arbeit der hier Lebenden zum Riesen hinaufgefressen hat, den hier Lebenden zurückgegeben werden. Usw. Dafür, daß die Bevölkerung in Österreich bestimmen kann, was hier geschehen und was hier nicht geschehen soll, müssen alle bestehenden Institutionen des Staates bis zum kleinsten Bezirkssekretariat der SPÖ herunter zerschlagen werden. Drunter geht’s nicht.
Bevor eine Täuschung darüber in uns Platz greift, ist’s besser, daß überhaupt nix in uns Platz greift.

Zu Weihnachten 1979 gibt’s auch für Finanzlandesrat L. Bassetti (ÖVP) noch eine Bescherung. Die VÖI überrascht ihn mit einem Scheck über eine halbe Million Schilling.

Wir — und nicht sie! Wem das Herz noch schneller geht, wenn er das liest, der wird sich überlegen wie wir da herauskommen. Wen ’s nicht anrührt, der nicht. Der wird vielleicht sagen, es ist unmöglich. Etwas früher oder etwas später werden wir allesamt stocksteif in nasse Erde gelegt. Und da wartet kein Himmel mehr irgendwo oben und keine Hölle mehr irgendwo unten auf uns. Ätsch, die Einteilung in Oben und Unten ist auf dieser Erde gewesen!
Es gibt keinen besseren Zeitpunkt gegen das, was jetzt passiert, etwas zu tun, als den jetzigen. Und es gibt keinen besseren Vertreter deiner Interessen als dich.
Wir sind nicht wenige! Alle die, die sagen, ‚allein kann man doch nichts machen‘, zusammengenommen, sind schon die Mehrheit.

Und so fort. Weiteres Material liegt vor.

Landesrat B., Landtagspräsident T., Landeshauptmann W. (Foto: ÖVP)

An alle! Der FÖHN ist kein Unterhaltungsblatt. Der Kauf eines Heftes berechtigt niemanden zu diesem Mißbrauch. Wer seinen Hintern nur grad so weit derhebt, daß er ans Geldbörsl kommt, um das FÖHN-Abo zu bezahlen, kann gleich ganz drauf hocken bleiben. Jeder trifft die Entscheidung, bewußt oder unbewußt, für diese Zustände oder gegen diese Zustände. Der, der keine Möglichkeit sucht, die Dinge zu ändern, wird keine finden.
Alles, was ich an Ansätzen in diesem Heft formuliert habe, verhält sich zu dem, was den Leserinnen und Lesern dieses Heftes einfallen kann, wie 1:5.000 oder 1:10.000. Drum: Ratet, helft, regt an, sagt, meint! Macht Vorschläge, überzogene und untertriebene, zu weitgehende scheinbar und scheinbar zu kurzgreifende. Auch ein so groß Ding wie die Überwindung dieser Unordnung fängt klein an, wie ein Haus mit einem einzigen kleinen Schaufelstich, mit vielen kleinen Schaufelstichen. Kein Vorschlag ist von vornherein schlecht. Von vornherein schlecht ist nur: kein Vorschlag!

Wenige, die etwas tun, sind immer mehr als alle, wenn sie nichts tun. Wenn wir über die 20 cm Höhe mal 13 cm Breite des FÖHN nicht hinauskommen, ist deine Investition nur eine in die Druckindustrie und in den Zeitschriftenhandel. Wir haben 5.000 Köpfe mit Macht über 10.000 Hände. Das ist nicht viel. Das ist nicht wenig. Die Mittel zur Beseitigung der entdeckten Mißstände brauchen wir nicht im Kopf zu erfinden, wir müssen sie mit dem Kopf in den Verhältnissen selbst finden. Wo siehst du die Möglichkeit anzufangen? Red’! Ein Vorschlag ergibt den anderen. Im nächsten Heft ist soviel Platz dafür da wie nötig. Die Leserinnen und Leser werden sich auf die Vorschläge der Leserinnen und Leser einlassen. Auch Überlegungen die den FÖHN brauchbarer machen wollen, sind gefragt, auch solche, die ihn überflüssig machen.
Was kannst du in deinem Dorf, du in deinem Stadtviertel, eine jede und ein jeder draußen, wo sie ist und er ist, tun? Eine Armlänge vor uns fängt es an. Nicht erst wo, wo wir hinfahren müssen! Was meinst du, können die FÖHN-Lesenden allesamt zusammen miteinander gemeinsam tun?
Schreibt alle!*
Jede ernstgemeinte Zuschrift wird ernstgenommen, jeder nützliche Anstoß wird bekanntgemacht.

Der Preis für die besten Vorschläge ist: unser aller Nutzen aus ihrer Verwirklichung.

*Wer zu diesem dringenden Aufruf schweigt, sagt uns, daß ihn dieses Heft nicht wirklich erreicht hat. Wir schicken ihm dann statt des nächsten FÖHN-Heftes lieber das Geld zurück.

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