ZOOM 6-7/1998
Dezember
1998

Währungs-Advent

Das Euro-Projekt und die transnationalen Finanzmärkte

Die Europäische Währungsunion (EWU) wird von der politischen Werbung als „logischer“ Schritt im Prozeß der „europäischen Einigung“ dargestellt. Das ist – so die folgende Analyse – gar nicht gelogen. Allerdings handelt es sich bei dieser Einigung nicht um die Hebung von Produktivität und Prosperität der EU-Länder auf ein gemeinsames Niveau, sondern um eine „Verschuldungs- und Inflationsgemeinschaft“, an der sich die „aufgestaute Krisenpotenz“ des Finanzüberbaus dereinst machtvoll entladen könnte.

Wie das kam und was das soll, erklärt folgender Beitrag.

1.

Es ist auffallend still geworden um den „Euro“. Das Stichdatum 1.1.1999, an dem die elf EWU-Teilnehmerstaaten mit der endgültigen Fixierung der Umtauschkurse den letzten Schritt zur Einheitswährung vollziehen, rückt immer näher; Bürger und Medien nehmen dies pflichtschuldig zur Kenntnis, damit hat es aber auch schon im Wesentlichen sein Bewenden.

Zweierlei dürfte vornehmlich für das abflauende Interesse verantwortlich sein. Zum einen sind die Würfel längst gefallen. Selbst in der Bundesrepublik Deutschland, wo die Mehrheit der Bevölkerung dem Euro lange äußerst skeptisch gegenüberstand, haben die Gegner resigniert. Man akzeptiert die Euro-Einführung als Fait accompli. Zum anderen ist das Projekt Einheitswährung in den Windschatten der Asienkrise geraten. Angesichts der dramatischen Entwicklung im pazifischen Raum mutet Euro-Europa fast schon wie eine Insel der Seligen an.

Die Euro-Befürworter wissen das propagandistisch umzumünzen. Wurde die Einheitswährung noch vor anderthalb Jahren als Wunderwaffe im Kampf gegen die vermeintlich übermächtige Konkurrenz aus Fernost verkauft, so heute als unentbehrlichen Schutzwall gegen die möglichen Rückwirkungen der pazifischen Misere. Daß trotz der Wechselkurskapriolen zwischen den Weltwährungen Dollar, Yen und D-Mark wenigstens die innereuropäischen Währungsrelationen stabil geblieben sind, soll bereits ein Verdienst der kommenden Einheitswährung sein. Der Euro, so verkünden seine Propagandisten vollmundig, spiele bereits eine stabilisierende Rolle und werde das auch in Zukunft tun.

Es ist verständlich, daß die brennende Dynamitfabrik in der unmittelbaren Nachbarschaft die ganze Aufmerksamkeit der europäischen Voyeure auf sich zieht. Dennoch könnten sich ihre Dankgebete an Sankt Florian nicht nur deshalb als voreilig erweisen, weil das asiatische Feuer auf das „europäische Haus“ überzuspringen droht; vor allem taugt der vermeintliche Brandschutz selber als weiterer veritabler Brandherd. Der Übergang von der fordistisch-keynesianischen Ordnung der 60er und 70er Jahre zum postmodernen Kasinokapitalismus, hat nicht allein im pazifischen Raum schreiende ökonomische Widersprüche hervorgetrieben, die sich entladen müssen, sondern auch in Europa. Das Euro-Projekt ist überhaupt nur in diesem Kontext zu verstehen. Selber bereits wesentlich als Produkt der kasinokapitalistischen Wende entstanden, ist es keineswegs geeignet, den aufgehäuften Sprengstoff zu entschärfen, sondern bereichert den globalen Finanzüberbau nur um einen weiteren, wohlplazierten Sprengsatz.

2.

Die übliche Argumentation der Euro-Befürworter, insbesondere der bundesdeutschen, kennzeichnet eine seltsame Diskrepanz. Geht es um die politischen Implikationen des Übergangs zum Euro, so führen sie beständig die Vokabel »historisch« im Munde. Die Gemeinschaftswährung wird regelmäßig als der entscheidende Schritt zur europäischen Einigung gefeiert, der am Ende des Jahrhunderts den endgültigen Bruch mit der unsäglichen und blutigen nationalistischen Tradition markiere. Der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl verstieg sich sogar soweit, die Euro-Einführung gleich zu einer Frage von »Krieg und Frieden« hochzustilisieren. Sobald die Euro-Protagonisten dagegen auf die Bedeutung des neuen Geldes für das Wirtschaftsgefüge zu sprechen kommen, hört der Mantel der Geschichte sofort auf zu rauschen. Der Übergang zum Euro, wird zu einer überfälligen, mehr oder minder bloß geldtechnischen Maßnahme verharmlost, der bei weitem nicht die Tragweite früherer Geldumstellungen, wie etwa der bundesdeutschen Währungsreform nach dem 2. Weltkrieg zukäme. Mit der Gleichung „ein Markt – eine Währung“ erklärt man das Euro-Projekt zur ebenso logischen wie im Grunde unspektakulären Fortsetzung der europäischen Einigung. Die Einführung des neuen Geldes beseitige mit der währungspolitischen Spaltung Europas einen Anachronismus, der eigentlich schon längst hätte verschwinden müssen.

Diese Interpretation mag vom einzelkapitalistischen Standpunkt aus gesehen durchaus plausibel klingen. Für die großen Konzerne in den Niederlanden, der BRD oder auch in Österreich, die einen Gutteil ihres Umsatzes im künftigen Euro-Raum machen, stellt die monetäre Zersplitterung und die Gefahr von plötzlichen Wechselkursbewegungen zwischen den europäischen Währungen in der Tat nichts weiter als ein Ärgernis dar. Unvorhergesehene Auf- und Abwertungsbewegungen können im Handumdrehen jede betriebswirtschaftliche Kalkulation zur Makulatur machen. Wenn gravierende Währungsschwankungen schon in den den Handelsbeziehungen zu den USA und Japan nicht zu verhindern sind, dann sollten sie wenigstens im europäischen Rahmen verunmöglicht werden und zusammen mit den übrigen währungsbedingten „Transaktionskosten“ verschwinden.

Wechselt man von mikroökonomischen zur makroökonomischen Perspektive, dann sieht die Sache allerdings etwas anders aus. Was aus dem mikroökonomischen Blickwinkel als überfällige Flurbereinigung erscheint, erweist sich dann als Jahrhundertexperiment ohne Parallele. Die Existenz verschiedener Währungen innerhalb Europas ist nämlich keineswegs einfach ein störendes Überbleibsel aus einer Epoche nationaler Eitelkeiten gewesen, sie hatte über Jahrzehnte durchaus eine handfeste volkswirtschaftliche Funktion. Bei einem »Integrationsprozeß«, der insofern nie einer war, als er die gravierenden Entwicklungsgefälle zwischen den beteiligten europäischen Volkswirtschaften eher versteilt denn eingeebnet hat, war die Währungszersplitterung weniger ein Hindernis, denn umgekehrt die unabdingbare Voraussetzung für die Zusammenfassung dieses Gebietes zu einem gemeinsamen Markt. Unterschiedlich produktive Volkswirtschaften können nämlich überhaupt nur ohne schützende Zollschranken und nichttarifäre Handelshindernisse in einem gemeinsamen Markt nebeneinander bestehen, wenn den weniger kapitalstarken Teilnehmern zumindest die Möglichkeit offen steht, durch periodische Abwertungen ihre Wettbewerbsnachteile partiell auszugleichen. Nur die abwertungsbedingte Verteuerung von Importgütern und die gleichzeitige Verbilligung der eigenen Exporte ermöglichte es Ländern wie Italien, Spanien, Portugal (mit Abstrichen gilt Ähnliches auch für Großbritannien ja sogar für Frankreich), ihre volkswirtschaftliche Substanz im Kern zu retten und dem Schicksal zu entgehen, bereits in den 60er und 70er Jahren zu verlängerten Werkbänken der kapitalistischen Vormächte degradiert zu werden.

Nichts stellt die historische Entwicklung denn auch mehr auf den Kopf als die ebenso naive wie weit verbreitete Vorstellung, der Herausbildung eines Weltmarkts müsse die sukzessive Überwindung seiner monetären Fragmentierung entsprechen. Der geschichtliche Prozeß hat von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zu den 1980er Jahren genau den entgegengesetzten Gang genommen. Bis zum 1. Weltkrieg, also in einer Phase, in der gemessen am heutigen Niveau ein nur sehr geringer Grad an internationaler Verflechtung erreicht war, existierte in der Gestalt des Goldes so etwas wie ein einheitliches Weltgeld. Sämtliche Währungen waren in einem bestimmten fixierten Verhältnis mit dem Edelmetall konvertibel und fungierten von daher faktisch nur als regionale Bezeichnung für das immer gleiche Gold-Geld. Im selben Maße wie das wirtschaftliche Gewicht der Staatstätigkeit zunahm und sich der Konkurrenzkampf der Volkswirtschaften intensivierte, wurde dieser Zustand aber unhaltbar. Die bis auf den amerikanischen Dollar allesamt von der Bindung ans Edelmetall abgelösten, politisch regulierten Währungen repräsentierten nun das Produktivitätsniveau ihrer nationalen Ökonomien.

3.

Auch wenn die geld- und wirtschaftstheoretische Aufarbeitung dieses Zusammenhangs unzureichend blieb, hat er sich doch im praktischen wirtschaftspolitischen Handeln bis in die 70er Jahre hinein stets Geltung verschafft. Das gilt auch für den ersten Anlauf zu einer Währungsunion in der damaligen EG, dem 1970 erstmals vorgelegten und 1972 verabschiedeten „Werner-Plan“. In der vom luxemburgischen Ministerpräsidenten Werner geleiteten Arbeitsgruppe setzten sich die sogenannten „Ökonomisten“ durch. Sie sahen in der Angleichung der Wirtschaftspolitik in den Teilnehmerländern die unabdingbare Voraussetzung für die damals bereits für 1980 angepeilte Währungsunion. Weil sich eine derartige Vereinheitlichung aber nur hätte durchhalten lassen, wenn die gravierenden Entwicklungsgefälle verschwunden wären, die nun einmal unterschiedliche volkswirtschaftliche Strategien erzwangen, mußte das ganze Projekt ein frommer Wunsch bleiben und in den Schubladen verstauben.

Aber nicht allein das Fernziel war unerreichbar; selbst der allererste Schritt, der Versuch, angesichts der durch die Krise des Dollars verursachten Wechselkurskapriolen ein Festkurssystem zu installieren, scheiterte bereits im Ansatz. Die realwirtschaftlichen Divergenzen innerhalb der EG schlugen sich in den 70er Jahren unter anderem im deutlichen Auseinanderlaufen der Teuerungsraten nieder. Allein das schon hätte aber auf der Basis eines europäischen Festkurssystems zu einer chronischen, grotesken Überbewertung der besonders inflationsträchtigen Währungen führen müssen. Weil die Teilnahme für die im Produktivitätswettlauf hinterherhinkenden Länder nur um den Preis eines Deflationsimports zu haben war, erwies sich die im März 1972 ins Leben gerufene sogenannte Währungsschlange als unhaltbar. Großbritannien sah sich bereits nach einem Vierteljahr genötigt, auszusteigen, Italien folgte einige Monate später, und mit dem Ausstieg Frankreichs 1974 degenerierte die Währungsschlange endgültig zu einem DM-Block, dem neben den Beneluxstaaten und Dänemark nur noch die Nicht-EG-Mitglieder Österreich und Schweden angehörten.

4.

Heute, kurz vor der Jahrtausendwende, sind die EU-Staaten genauso wenig dabei, zu einer halbwegs homogenen Makro-Volkswirtschaft zusammenzuwachsen, wie vor dreißig Jahren. Der Abstand zwischen den Mitgliedsstaaten hat sich im Gegenteil mit dem Beitritt von Ländern wie Spanien, Portugal und Irland noch deutlich verstärkt. Dennoch wird nun eine Währungsunion durchgezogen, die fast alle EU-Staaten umfassen soll (außer Griechenland haben alle Länder die Beitrittskriterien im wesentlichen erfüllt), ohne daß sich das Projekt bereits im Vorfeld ad absurdum führt. Diese Entwicklung wäre völlig unerklärlich, wenn sich seit den 70er Jahren nicht etwas ganz Grundlegendes verändert hätte. Das nationalökonomische Steuerungsinstrumentarium insgesamt ist in Zersetzung begriffen und das gilt ganz besonders für die Regulation des Außenwerts der Währungen. Die Euro-Einführung muß gar nicht mehr mit der Herausbildung einer kontinentalen Mega-Volkswirtschaft einhergehen, weil die klassische volkswirtschaftliche Regulation überhaupt paralysiert ist. Das Wechselkursventil scheint verzichtbar, weil der Übergang zum globalen Kasinokapitalismus dessen Funktion bereits nachhaltig beeinträchtigt hat.

Die Wachstum spendende Wirkung der Kombination von Staatsverschuldung (deficit spending) und Abwertung, die Anfang der 70er Jahre die Regierungen und Währungshüter der ökonomisch schwächeren westeuropäischer Länder zur Anwendung brachten, war an zwei Umstände gebunden. Zum einen war in dieser Zeit reichlich billiges Geldkapital vorhanden. Zum anderen – und das ist noch wichtiger – waren die Kapitalmärkte noch wesentlich national strukturiert. Im Laufe der 80er Jahre fielen beide Bedingungen fort. Mit den Reaganomics, die aus den USA den größten Geldkapitalstaubsauger aller Zeiten machten, stieg nicht nur das globale Realzinsniveau sprunghaft (was zur finanziellen Erdrosselung zahlreicher Staaten der 3. Welt führte); zugleich wurden die Finanzmärkte mit der Beseitigung aller Hindernisse im internationalen Kapitalverkehr zu transnationalen Finanzmärkten. Damit wurde die günstige Versorgung mit Geldkapital, sowohl für die sich verschuldenden Staaten wie für die Unternehmen, von der Stabilisierung des Außenwerts der jeweiligen Landeswährung abhängig. Weil Geldkapital nun die völlig freie Wahl hatte, in jeder Ecke der Welt seine günstigste Anlagemöglichkeit zu suchen, wurde jedes Land, das in den Verdacht geriet, seine Währung könne demnächst an Außenwert einbüßen, unweigerlich mit einem Zinszuschlag abgestraft (der kompensierte die erwarteten Wechselkursverluste). Damit gerieten die »Währungshüter« in den schwächeren Ländern in einen unauflöslichen Zielkonflikt. Während die realwirtschaftlichen Konkurrenzverhältnisse auf den Warenmärkten eigentlich Wechselkurskorrekturen nahelegten, verbot die Konkurrenz um Geldkapital die Anwendung dieses Mittels.

Dieser Verlust an Handlungsfähigkeit betraf alle westeuropäischen Staaten, bis auf das Lieblingskind der Finanzmärkte. Die Deutsche Mark gewann gerade durch die Transnationalisierung eine Sonderstellung im europäischen Geldsystem und stieg zur Ankerwährung auf. Damit rutschte die Deutsche Bundesbank de facto in die Rolle einer gesamteuropäischen Zentralbank hinein, an deren Vorgaben sich alle anderen Notenbanken nolens volens zu halten hatten. Welche Zinspolitik die Frankfurter Herren aufgrund binnenökonomischer Überlegungen auch immer betrieben, die übrigen EU-Staaten waren genötigt, diesen Vorgaben zu folgen, wollten sie die Bindung an die deutsche Währung aufrechtzuerhalten. Während der 70er Jahre hatten das realwirtschaftliche Übergewicht der Bundesrepublik und seine Auswirkungen auf die Devisenmärkte das Zustandekommen stabiler innereuropäischer Währungsverhältnisse verhindert. In den 80er Jahren wurde paradoxerweise die unbedingte Hegemonie der D-Mark zur Grundlage der europäischen Währungsordnung.

Seinen institutionellen Ausdruck fand dieser neue Strukturzwang in dem 1979 auf Initiative von Helmut Schmidt und Giscard d’Estaing aus der Taufe gehobenen Europäischen Währungssystem. Was als verbesserte Neuauflage der verblichen Währungsschlange begonnen hatte, entwickelte sich binnen weniger Jahre zu einem die EUübergreifenden D-Mark-Block. Waren die Austauschparitäten in den Jahren von 1979 bis 1983 noch siebenmal in größerem Umfang angepaßt worden, so in den nächsten vier Jahren nur mehr viermal und von 1987 bis zum Zusammenbruch des EWS 1992 gar nicht mehr.

5.

Daß insbesondere die größeren EU-Staaten von der asymetrischen EWS-Ordnung und dem damit verbundenen Souveränitätsverlust wenig begeistert waren, versteht sich von selber. Unter den bestehenden Umständen gab es für sie aber nur eine Möglichkeit, zumindest wieder eine Hand ans geldpolitische Steuer zu bekommen. Die Hegemonialwährung mußte zugunsten einer kollektiv kontrollierbaren Gemeinschaftswährung verschwinden. Genau diesen Weg beschritten Frankreich und Italien, als sie 1988 auf den verblichenen Werner-Plan zurückkamen; und auch in den vom Präsidenten der Europäischen Kommission Jacques Delors im April 1989 vorgelegten Dreistufenplan ging der Wunsch nach Rückgewinnung nationalstaatlichen Einflusses auf die europäische Geldpolitik als Motiv ein.

Nicht die EU

Als Anfang 1992 die Außen- und Finanzminister der EU in Maastricht die Weichen in Richtung EWU stellten, diente die Wechselkursstabilität im EWS als Beleg dafür, daß Europa für die monetäre Fusion mittlerweile reif sei. Das Dementi ließ freilich nicht lange auf sich warten. Zwar hatten die Finanzmärkte die Wechselkursfixierung und damit die Folgsamkeit der westeuropäischen Staaten gegenüber den Bedürfnissen des spekulativen Kapitals mit dem ersehnten Schrumpfen der Zinsdifferenz zur Bundesrepublik honoriert; damit waren aber keineswegs die realwirtschaftlichen Diskrepanzen aus der Welt geschafft, die vormals über das Wechselkursventil ihren Ausgleich gefunden hatten. Auf der monetären Ebene drückte sich dies vordergründig in weiterhin unterschiedlichen Inflationsraten aus. Während in der Bundesrepublik die Verbraucherpreise zwischen 1985 und 1992 um insgesamt 15 Prozent gestiegen waren, legten sie im gleichen Zeitraum in Großbritannien um 46 Prozent, in Italien um 47 Prozent, in Spanien um 53 Prozent und in Portugal gar um 105 Prozent zu. Die Verteidigung des äußeren Währungswerts mußte vor diesem Hintergrund zu Lasten der in diesen Ländern ansässigen Unternehmen gehen.

Die Lage wurde vollends unhaltbar, als die Bundesbank 1991/92 einen besonders restriktiven Geldkurs einschlug, um den möglichen inflationären Folgen des kreditär finanzierten deutschen Einigungsbooms gegenzusteuern. Der Höhenflug der Mark gegenüber dem Dollar und den anderen außereuropäischen Währungen drohte, in Kombination mit der Zwangseuropäisierung der deutschen Hochzinspolitik, den währungs-angekoppelten EU-Ländern hohe Zahlungsbilanzdefizite und eine Rezession zu bescheren. In dieser prekären Situation wirkten paradoxerweise die Devisenmärkte als eine Art Realitätsprinzip. Die einsetzende massive Spekulationsbewgung gegen das britische Pfund, die italienische Lira und schließlich den französischen Franc erzwang jedoch nicht nur die überfälligen massiven Abwertungen dieser Währungen, sondern sprengte das EWS überhaupt. Am 1.8.1993 wurden die Bandbreiten, in denen die Außenwerte der EWS-Währungen zum ECU schwanken dürfen, von 4,5 auf 30 Prozent erweitert; damit war das EWS de facto tot.

Die Spekulationswellen und der Zusammenbruch des EWS legten zwar die Unhaltbarkeit eines Systems fester Wechselkurse zwischen den ungleichen europäischen Partnern offen; doch hatten sie natürlich in keiner Weise für die westeuropäischen Staaten den Zwang zur Orientierung an der D-Mark aus der Welt geschafft. Das Ankerland, die Bundesrepublik Deutschland, war der Verpflichtung ledig, die Kurse der europäischen Partnerwährungen mit zu stützen; die Nicht-D-Mark-Länder taten aber von sich aus alles, um ihre Währungen, auf der Grundlage der neuen Paritäten wieder im Bereich des ausgesetzten engen Bandes zu halten, um auf diese Weise die anfallenden »Risikoprämien« zu minimieren. Sie hatten auch allen Grund dazu. Wenn Länder wie Italien oder Belgien mittlerweile rund 30 Prozent ihres Haushaltes für die Bedienung von Altschulden ausgeben müssen, dann bringt sie jedes zusätzliche Zinsprozent dem Staatsbankrott einen Schritt näher. Die notorisch gedächtnisschwachen Finanzmärkte reagierten auf die Stabiltätssimulation auch wie erwartet, und so sicherte das post-mortale Fortleben des EWS in doppelter Hinsicht zugleich das Überleben des EWU-Projekts. Zum einen reproduzierte die einseitige freiwillige Zwangsankopplung an die D-Mark all die Probleme, von denen eine europäische Einheitswährung die Nicht-D-Mark-Länder erlösen sollte. Folglich blieb auch die Motivation erhalten, den eingeschlagenen Kurs weiter zu verfolgen. Zweitens bot die erneuerte Wechselkursfixierung im langen Schatten der D-Mark die für den Übergang zur Einheitswährung unerläßliche mehrjährige Scheinstabilität.

6.

Viele insbesondere linke Euro-Skeptiker haben darauf hingewiesen, wie einseitig die Maastricht-Verträge auf reine monetäre Größen ausgerichtet sind. Und in der Tat, keines der sogenannten Konvergenzkriterien (Zins-, Inflations-, Wechselkurs-, und Verschuldungskriterium) bezieht sich auf Eckdaten wie die Produktivitätsentwicklung, die Arbeitslosenzahlen oder die Wachstumsziffern. Es wäre indes ein Mißverständnis, wollte man diese Eigentümlichkeit als »Baufehler« deuten, um einen besseren, mehr realwirtschaftlich orientierten Weg zur Einheitswährung zu fordern. Die Vorstellung, der Euro könne als Schlußstein und „Krönung“ einer umfassenden ökonomischen und sozialen Angleichung eingeführt werden, ist heute noch viel unrealistischer als zu Zeiten des Werner-Plans. Eine solche gegen die polarisierende Wirkung der transnationalen Konkurrenz durchgesetzte Annäherung würde ein Maß von zwischenstaatlicher Umverteilung voraussetzen, das weder politisch durchsetzbar noch ökonomisch tragbar wäre. Wenn sich die BRD schon bei dem Versuch, die ehemalige DDR mit ihren 16 Millionen Bewohnern auf Weltniveau zu bringen, gründlich überhoben hat, wie um alles in der Welt sollte dies dann bei mehr als 200 Millionen Euro-Bürgern gelingen? Die knapp zwei Prozent des gesamteuropäischen Bruttosozialprodukts, die dem EU-Haushalt jährlich zur Verfügung stehen, können diese Wunderwirkung garantiert nicht vollbringen. Eine Währungsunion kann es demnach nur in der vorgesehenen Fassung oder gar nicht geben.

Daß es keinen anderen Weg zur Einheitswährung geben kann, garantiert freilich keineswegs den längerfristigen Erfolg des eingeschlagenen Kurses. Das Euro-Projekt, die Schaffung eines gesamteuropäischen monetären Bezugsrahmens, läßt sich aus der Perspektive von Italien und Frankreich als eine Art Flucht nach vorn verstehen. Eine solche Flucht beseitigt aber nicht die Widersprüche, in denen sich die westeuropäischen Staaten dank ihrer Abhängigkeit vom transnationalen Finanzüberbau befinden, sondern verändert lediglich deren Durchsetzungs- und Verlaufsform.

7.

Seitdem Staaten überhaupt so etwas wie Wirtschafts- und Geldpolitik betreiben, fielen Währungsraum und wirtschaftspolitischer Regulationsraum stets zusammen. Weil die EWU eine monetäre Vereinheitlichung ohne realökonomische Fundierung anstreben muß, wird diese in der volkswirtschaftlichen Theorie und Praxis immer selbstverständlich vorausgesetzte Kongruenz erstmals in der Geschichte aufgesprengt. Während die Geldpolitik bei der Europäischen Zentralbank zentralisiert wird, verbleiben die wirtschaftspolitischen Kompetenzen bei den elf Mitgliedsstaaten; und auch die etatistische Umverteilung (Sozialtransfers, Subventionen, Infrastruktur etc.) findet weiterhin im Wesentlichen innerhalb der alten nationalstaatlichen Grenzen statt.

Angesichts dieser strukturellen Anomalie fällt den Vätern der EWU nichts besseres ein, als penetrant die „stabilitätspolitische Verpflichtung der Mitgliedsstaaten“ zu beschwören. Die Einzelstaaten werden dazu angehalten, die gemeinsame Geldwertstabiltät höher zu schätzen als die Förderung des Binnenwachstums. Die Festlegung auf das „Subsidaritätsprinzip“, wie sie vor allem die alte Bonner Regierung durchgedrückt hat, soll die Einzelstaaten von einer forcierten Staatsverschuldung abhalten und den Gleichklang der nationalen Wirtschaftspolitiken mit der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank sichern. Man muß schon ausgesprochen naiv sein, um zu glauben, daß diese Rechnung aufgehen kann. Der Maastricht-Vertrag schließt in Wirklichkeit eine alle Mitgliedsstaaten umfassende Umverteilungsverpflichtung nur aus, um an ihre Stelle eine andere, indirekte Form kollektiver Haftung zu setzen: nolens volens paraphiert er eine Verschuldungs- und Inflationsgemeinschaft.

Zweierlei macht diese Entwicklung in hohem Maße wahrscheinlich. Zum einen bleibt den nationalen Regierungen gar kein anderer Weg in der Konjunkturpolitk, als die zusätzliche Verschuldung; denn die EWU schneidet sie von den anderen traditionellen Möglichkeiten zur Wachstumsbeeinflußung via nationaler Geldschöpfung ab. Zum anderen beseitigt die EWU de facto gerade die Restriktionen, die einer noch exzessiveren Nutzung des Kredits im Wege standen. Unter den Bedingungen einer Einheitswährung treffen nämlich die direkten Negativeffekte verstärkter staatlicher Kreditaufnahme (vor allem steigendes Zinsniveau) nicht mehr den jeweiligen Einzelstaat, sie schlagen vielmehr auf sämtliche Mitglieder gleichermaßen zurück. Während also die Lasten vergemeinschaftet werden, kommen die positiven ökonomischen Effekte (Ankurbelung der Konjunktur, Sicherung von Arbeitsplätzen durch Subventionen, sozialstaatliche Maßnahmen) dem Staat zugute, der sich an den Finanzmärkten bedient. Diese, mit der Inkongruenz von einheitlichem Währungsraum und zersplitterten wirtschafts- und haushaltspolitischen Bezugsräumen institutionalisierte, Variante der Kostenexternalisierung macht vom partikular-staatlichen Standpunkt auch dann noch Sinn, wenn die Zinsen im europäischen Währungsraum das heutige Durchschnittsniveau wieder deutlich übersteigen. Denn da die Kreditaufnahme jeder einzelnen Regierung die im EWU-Rahmen weitgehend einheitlichen Zinssätze nur relativ wenig beeinflußt (insbesondere, wenn es sich um kleinere Länder handelt), bleibt der Verschuldungsanreiz dauerhaft erhalten. Ein solcher struktureller Mechanismus »negativer Konkurrenz« auf der Ebene des Staatskredits wird sich schwerlich durch irgendwelche Absichtserklärungen aushebeln lassen. Daß der Europäische Rat bzw. die EU-Kommission Länder mit „übermäßigem Defizit“ abstrafen können, hat eher propagandistischen denn praktischen Wert. Zum einen dürfen diese Gremien bloß Empfehlungen aussprechen, zum anderen versammeln sich in ihnen ohnehin nur potentielle Sünder. Wie ernst das Stabilitätsgebaren zu nehmen ist, zeigt bereits die Verschuldungsentwicklung im Jahr 1998. Außer Griechenland gelang es allen Ländern fristgerecht für das Stichjahr 1997, durch entsprechend „kreative Buchführung“ (Verlagerung von Ausgaben in die Zukunft, Privatisierungsgewinne, Einmal-Darlehen bei den Bürgern etc.), ihre laufende Verschuldung in den Bereich der im Maastricht-Vertrag vorgesehenen Richtgröße von 3,0 Prozent zu drücken. Schon im Jahr danach sind außer Luxemburg sämtliche Teilnehmerländer, trotz vergleichsweise positiver konjunktureller Entwicklung, wieder meilenweit von dieser Marke entfernt, ohne daß man darüber auch nur ein Wort verloren hätte.

8.

Zunächst mag dies fast schon wieder beruhigend wirken. Euro-Land wird garantiert kein Experimentierfeld für die antietatistische neoliberale Utopie. Das Stabilitätstheater ist das eine, die reale Entwicklung etwas ganz anderes. Auf den zweiten Blick jedoch verändert sich das Bild erheblich. Die Stabilitätssimulation, die Beschwörung der Euro würde so „stark wie die Mark“, richtet sich nämlich nicht nur an den inflationsphoben deutschen Wähler, sie hat noch einen zweiten, viel wichtigeren Adressaten: die transnationalen Finanzmärkte. Der Euro schließt keineswegs, wie seine Propagandisten dem werten Publikum zu suggerieren suchen, einige lokale Währungen zu einem neuen kontinentalen Supergeld zusammen, das dem Dollar endlich Paroli bieten kann; der Euro tritt vielmehr die Nachfolge einer längst etablierten Welt- und Reservewährung an, nämlich der D-Mark, in der heute ungefähr 25 Prozent der Weltliquidität gehalten werden.

Die D-Mark verdankt diese Karriere ihrem in Jahrzehnten erworbenen Ruf als Inbegriff von Solidität. Während der US-Dollar, das Weltgeld Nummer 1, die Rolle derjenigen Währung spielte, in der Geld »gemacht« wurde (nämlich im Spekulationsboom der letzten 25 Jahre), fungierte die Weltwährung Nummer 2 demgegenüber als der sichere Hafen. Dieses Vertrauen stabilisierte die D-Mark auch dann noch, als es dafür längst kein festes realökonomisches und fiskalisches Fundament mehr gab, weil auch in der BRD die Staatsverschuldung immer weiter anstieg und die globale Konkurrenz ihre Opfer forderte. Aber in Zeiten der allgemeinen Fiktionalisierung des Kapitals und der Simulation von Prosperität, wollte das niemand so genau wissen. Die Weltgeldfunktionen der Aufbewahrung von Wert und der Funktion des universellen Tauschmittels haben sich also aufgespalten. Diese Arbeitsteilung wird mit dem Übergang zum Euro hinfällig. Sollte der Euro vorübergehend Karriere machen, dann nicht als Kontrapunkt zum Dollar, wie die verblichene D-Mark, sondern als eine Art Ersatz-Dollar. Die etablierte Wertaufbewahrungswährung geht also verloren, und das macht den globalen Finanzüberbau insgesamt noch krisenanfälliger, als er ohnehin schon ist.

Die aufgestaute Krisenpotenz könnte sich zunächst am Euro selber entladen. Wenn die Finanzmärkte dem Stabilitätstheater nicht aufsitzen, den Euro also nicht als die Fortsetzung der D-Mark mit anderen Mitteln und erweiterten Möglichkeiten akzeptieren, könnte es zu einer allgemeinen Absetzbewegung von der neuen Währung kommen. Die ehemalige Funktion der deutschen Währung innerhalb des globalen Spekulationsüberbaus würde dann zum Fluch für die EWU, weil nun die über die gesamte Welt verteilten, gigantischen und realökonomisch ungedeckten D-Mark-Massen als Euro-Ansprüche geltend gemacht würden. Nicht nur der Außenwert der Einheitswährung würde angesichts dieses Zustroms in den Keller stürzen, die Aufblähung der inneren Geldmenge müßte unweigerlich einen gewaltigen Inflationsschub auslösen. Daher ist es für die EWU eine unumgängliche Notwendigkeit, die Stabilitätsfarce um jeden Preis aufrechtzuerhalten.

Diese bedrohliche Absetzbewegung schien sich übrigens bereits im Vorfeld der Euro-Einführung anzudeuten. Der Wechselkurs der D-Mark gegenüber Dollar und Pfund gab im selben Maße nach, wie ihr baldiges Ableben zur Gewißheit wurde. Hatte auf dem Höhepunkt der Mexiko-Krise 1995 der Greenback noch 1,30 DM gekostet, so kletterte sein Wert in der Folge kontinuierlich immerhin bis auf 1,80 DM. Allein die Dazwischenkunft der Asienkrise, die unmittelbarer auf die US-Wirtschaft zurückwirkt als auf die europäische, und die damit einhergehende exzessive amerikanische Geldschöpfung haben in der Zwischenzeit für eine Trendumkehr gesorgt und eine verstärkte Fluchtbewegung aus der D-Mark (nach dem Motto: Der Euro kommt, wir gehen) verhindert. Zwei Währungssäulen, die sich gleichzeitig verdächtig neigen, stützen einander vorläufig ab. Daß eine solche Konstellation schwerlich für dauerhaft stabile monetäre Verhältnisse sorgen kann, dürfte auf der Hand liegen.

Eine Nachricht, ein Kommentar?
Vorgeschaltete Moderation

Dieses Forum ist moderiert. Ihr Beitrag erscheint erst nach Freischaltung durch einen Administrator der Website.

Wer sind Sie?
Ihr Beitrag

Um einen Absatz einzufügen, lassen Sie einfach eine Zeile frei.

Hyperlink

(Wenn sich Ihr Beitrag auf einen Artikel im Internet oder auf eine Seite mit Zusatzinformationen bezieht, geben Sie hier bitte den Titel der Seite und ihre Adresse bzw. URL an.)