Warum ich auf keine Friedensdemo ging
Dieser und die zwei folgenden kurzen Artikel sind persönliche Blitzlichter auf die Friedensbewegung insbesondere in Österreich bzw. in Deutschland, die an Diskussionen, die innerhalb der Redaktion geführt wurden, anknüpfen. Sie stehen also zueinander in — wie zu lesen ist — streitbarer Beziehung, die die kontroversen Positionen benennt und kritisch gegeneinander stellt. Die Debatten sollen damit keineswegs abgeschlossen werden, auch die Reihenfolge der Beiträge soll keine „Entscheidung“ nahelegen, es werden Beiträge anderer Redaktionsmitglieder in der nächsten Ausgabe von Context XXI folgen. Die Veröffentlichung solcher Diskussionen soll auch zeigen, wie wesentlich der Prozess der Auseinandersetzung innerhalb der Linken bleibt, auch über reale bzw. vermeintliche Gräben hinweg.
Bis in den Bekanntenkreis hinein erntete ich mit meiner Weigerung, an einer der Demos gegen den Irak-Krieg teilzunehmen, zumindest Verwunderung. Als Linker müsse mensch doch ganz allgemein gegen Krieg sein, im Besonderen, wenn es sich um einen offensichtlich imperialistischen oder neokolonialen handle. Bar jedes historischen Bewusstseins, wurde mir entgegengehalten, dass Krieg keine Lösung sei. Ganz so, als ob Auschwitz durch ökumenisches Wettbeten oder pazifistisches Sitzstreiken befreit worden wäre, Vietnam nicht zurecht mit der Intervention in Kambodscha dem Schlachten dort ein Ende bereitet hätte. Jede Skepsis gegenüber der Friedenssehnsucht der Eliten wie eines Großteils der Bevölkerung des „alten Europa“ wurde umgehend als bellizistisch abgetan. Und dass auch und gerade von Leuten, die angesichts der Menschenrechtsbombardements Jugoslawiens mindestens schwiegen. Aber viel mehr noch als der Charakter der alliierten Intervention im Irak war es die Verfasstheit und das Erscheinungsbild der Friedensbewegung, welche mich auf kritische Distanz zu dieser gehen ließ. Wissend um die vielfältige individuelle Motivation bin ich jedoch weit davon entfernt, alle DemonstrantInnen pauschal über einen Kamm zu scheren. Dennoch müssen sich auch die vermeintlich Wohlmeinenden kritische Fragen gefallen lassen, etwa die nach ihrem Schweigen zur Außenwirkung der Bewegung.
Zunächst war schon mal der Name der Bewegung oder der ihres Zieles irreführend: Im Irak herrschte kein „Friede“, sondern permanenter Krieg gegen die Bevölkerung. Exilierte irakische Oppositionelle, die diesen Namen auch verdienen, gingen daher aus gutem Grund von Anfang an auf Distanz zur Anti-Kriegsbewegung. Dass sogar die OrganisatorInnen der Demos sich nicht ganz wohl in ihrer Haut fühlten, belegten ihre Vorgaben, wonach „Parolen, die sich positiv (...) auf Saddam Hussein beziehen“ und „Nationalfahnen“ nicht erwünscht seien. Dass es sich bei dieser Veranstaltung eben auch um Manifestationen für das baathistische Terrorregime handelte, musste die Grüne Landtagsabgeordnete Susanne Jerusalem am eigenen Leib erfahren: Ihre Rede am 15. Februar ging in Buh-Rufen und einem Pfeifkonzert unter, als sie es wagte, Kritik an Saddams Herrschaft zu artikulieren. Auch war die Demo geprägt von einem Meer aus irakischen und palästinensischen Fahnen. Wenigstens in der arabischen Welt wurden die Friedensdemos als das identifiziert, was sie waren. So bezog sich auch Saddam in seiner Rede vom 20. März positiv auf diese: „Liebe Freunde, der Friede sei mit Euch, die Ihr das Böse in der Welt bekämpft. Ihr habt festgestellt, wie der rücksichtslose Bush Euren Protest gegen den Krieg abgetan hat.“
Wenn die offene Unterstützung des Baathismus auch beschränkt war auf österreichische Antiimperialistinnen und panarabische Nationalisten oder islamistische „Heilige Krieger“, so war es immerhin die tatsächliche oder vermeintliche Identität der Angreifer, welche die Friedensmärsche größtenteils in Gang setzte. Nicht die „Weltgemeinschaft“ führte den Krieg, um den Menschenrechten oder dem Völkerrecht zum Durchbruch zu verhelfen, sondern die USA, noch dazu aus materiellen Interessen. Es war vor allem der Antiamerikanismus, dieses massenhafte Ressentiment gegen die USA als das personifizierte Böse, welcher die Menschen öffentlich protestieren ließ. Weil antiamerikanische Diskurse stets auf das Engste verwoben sind mit antisemitischen, war es auch kein großer Schritt, im Einklang mit Saddam, Israel oder den „Zionismus“ als den eigentlichen Drahtzieher des Angriffes auszumachen. Der Wiener Philosoph Rudolf Burger, dieser organische Intellektuelle der sekundären Volksgemeinschaft, meinte in der Presse (8.3.2003): „Man muss sich also fragen, wer daran (am Krieg, Anm.) ein Interesse hat. Nun weiß man, dass sogenannte Lobbys in den USA viel stärkeren Einfluss auf die Politik ausüben als in den europäischen Staaten. (...) Und in jüngster Zeit ist in den USA die Israel-Lobby sehr mächtig geworden, die politisch von den Zinsen des Holocaustkapitals lebt. (...) Wir haben es also mit einer einmaligen Interessenskoalition im amerikanischen Regierungsapparat zu tun: der Öllobby, der jüdischen Lobby, die heute vor allem im Pentagon eine große Rolle spielt, und den fundamentalistischen Evangelikalen am rechten Flügel der Republikaner“. Ausgehend von der tatsächlichen Verbesserung der Sicherheitslage Israels durch den Sturz des irakischen Baath-Regimes, welches das suicide bombing alimentierte und den jüdischen Staat von der Landkarte tilgen wollte, und der stets am Beginn von Verschwörungsmythen stehenden Logik des „cui bono?“ folgend, identifizierten nicht nur Neonazis die „Zionisten“ als die eigentlich verantwortliche Kriegspartei. Auch in liberalen Blättern wie etwa profil oder Kurier wurden die für den Kriegskurs verantwortlich gemachten US-Politiker und Politikberater als Juden gekennzeichnet.
Tatsächlich konnte die Friedensbewegung den Vorwurf nicht entkräften, sie sei auch oder vor allem eine Bewegung gegen Israel. Auf den Demos drückte sich die anti-israelische Gesinnung etwa aus in Parolen wie „Israel, USA — Menschenrechte, Hahaha!“, „Intifada!“-Rufen und in mitgetragenen Bildern von Sharon, verziert mit Hitlerbärtchen und Hörnern.
Angesichts der antiamerikanischen und (mindestens implizit) antisemitischen Stoßrichtung überrascht es nicht, dass auch Rechtsextremisten sich den Friedensdemos angeschlossen haben. In Linz marschierte der Bund Freier Jugend mit, in Wien die Volkssozialistische Bewegung Österreichs und die rechtsökologische Initiative Heimat und Umwelt. Ungehindert konnten Freiheitliche ihre „Resolution gegen den drohenden Irak-Krieg“ verteilen. Die Verantwortlichen vom Austrian Social Forum wussten wieder schon vorher, was droht, und dekretierten daher: „Nazis haben auf einer fortschrittlichen Demo keinen Platz und werden von uns unter keinerlei Umständen geduldet werden.“ Aber wie fortschrittlich ist eine Demo, welche Rechtsextreme anzieht? Ich war bisher nur auf Demos, die aufgrund ihrer politischen Ausrichtung von Rechtsextremen schlimmstenfalls angegriffen wurden, und werde das auch in Zukunft so halten.
Darüber hinaus hat mich die Symbolik abgeschreckt: Wer US-amerikanische und/oder israelische Fahnen verbrennt, zeigt damit seine/ihre Bereitschaft, am Ende auch US-AmerikanerInnen und jüdische Israelis zu verbrennen. Verstärkt wird dieses Bild noch von den mitgetragenen irakischen und palästinensischen Fahnen.
Schließlich war es meine Skepsis gegenüber dem nationalen Konsens, wie er sich in der Friedensbewegung ausdrückte, welche mich von einer Teilnahme abhielt. In diesen Tagen hat die Rede vom Burgfrieden eine ganz neue Bedeutung bekommen: Nicht mehr zum Krieg gegen den äußeren Feind schlossen sich Herrschende und Beherrschte zusammen, sondern um diesen zum „Frieden“ anzuhalten. Kaum eine gesellschaftlich relevante Kraft und keine Partei konnte und wollte sich dem Schulterschluss gegen die USA (und Israel) verschließen. (Im Wiener Landtag wurde etwa die bereits erwähnte FPÖ-„Resolution“ einstimmig angenommen.)
Neben dem massenhaften Konformismus drückte sich in der Friedensbewegung aber auch so etwas wie Protest aus. Und das macht die ganze Veranstaltung erst so richtig widerlich: In den Scheinaufständen richtet sich der rebellische Impuls nie gegen die tatsächliche, nationale Herrschaft, sondern stets gegen die der Anderen. Im „alten Europa“ wurden diese seit jeher prototypisch als „Juden“ identifiziert. Heute sticht die Ähnlichkeit der den USA zugeschriebenen Attribute mit der antisemitischen Stereotypenbildung ins Auge: Vom Drang nach „Weltherrschaft“ bis zur „Profitgier“ darf keine Vorhaltung fehlen. Die konformistischen Rebellinnen kritisieren nicht den Kapitalismus, sondern immer nur dessen „Auswüchse“. Wird das Kapitalverhältnis als solches grundsätzlich bejaht, kann seine innere Logik nur als Ausfluss der bösen Absicht der „Kapitalisten“ oder — noch deutlicher — der „Hochfinanz“ begriffen werden. Das gilt auch und gerade für die Kriegslogik unter den Bedingungen der Kapitalverwertung, welche das fetischisierte Bewusstsein nicht kritisch hinterfragen kann. Die mit dem Habitus der Entlarvung vorgetragene Binsenweisheit, die Kriegspolitik der Alliierten würde vorrangig materiellen Interessen gehorchen, wird so zum Ausdruck von Ressentiment. Daneben suggeriert die Forderung, kein Blut für Öl zu vergießen, dass ein Krieg im Namen einer höheren Moral denkbar ist. Während die Anderen immer nur für den schnöden Mammon Krieg führen, gehorchen wir nicht so niedrigen Motiven, oder wie es Richard Wagner mal auf den Punkt brachte: „Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen tun.“
Wie falsch das Bewusstsein vieler FriedensdemonstrantInnen ist, zeigte sich nicht zuletzt in den allerorts geäußerten Befürchtungen. Die mehr herbeigesehnten als befürchteten Horrorszenarien sind zum Glück allesamt nicht eingetreten. Weder forderte der Krieg Tausende oder gar Hunderttausende Todesopfer unter der Zivilbevölkerung, noch opferten sich die irakischen Soldaten massenhaft ihrem angeblich so geliebten Führer. Weder hat Israel im Schatten des Irak-Krieges mit der „Deportation“ der PalästinenserInnen begonnen, noch ist es zum „Flächenbrand“ im Nahen Osten gekommen. Hin und wieder siegt die Realität über die wüstesten Projektionen. Aber leider bleibt dies in der Regel ohne positive Auswirkungen auf die Projizierenden, ganz im Gegenteil.
