MOZ, Nummer 54
Juli
1990

Warum nicht gleich wieder Deutschland?

Den Brüdern und Schwestern im Osten kann es nicht schnell genug gehen.

Zwei Wochen vor der sogenannten Wirtschafts- und Währungsunion mit der BRD stellte man in der Volkskammer den Antrag, sofort den Antrag zu stellen — um Aufnahme in die bundesdeutschen Westgebiete. Auf den Rat des Präsidenten hin reichten die Abgeordneten die Entscheidung dann allerdings an die Ausschüsse weiter.

Trotz der warnenden Stimmen — von Oskar Lafontaine bis Karl Otto Pöhl — lockt die Westmark und mit ihr die Erfüllung der Sehnsucht, endlich auch zu den erfolgreichen Deutschen gehören zu dürfen. DDR-Betriebsschließungen, Arbeitslosigkeit, Anheizung der Inflation im Westen und ähnliches bleibt erst mal außen vor. Kein Thema in Ost wie West, das nicht das Thema Nr. 1 berührte. In Berlin und Frankfurt, Leipzig und Dresden, Autonome wie Alternative, Yuppies und Bürgerliche, alle reden sie von der deutsch-deutschen Zusammenführung. Alle auf ihre Weise. Denn was deutsch ist, soll auch deutsch sein dürfen, gemeinsam und nicht getrennt.

Die Deutschen aller Länder vereinigen sich.

Was aber, wollten alle hören, sollte denn nun mit Österreich passieren? Ich als Österreicher hätte dies doch zu wissen.

Wenn sie alle wieder zusammenkämen, wieso sollte die südliche Alpenrepublik draußen warten, diese österreichische Nation, die doch vom Kärntner Ministerpräsidenten als „Mißgeburt“ bezeichnet wurde. Dies Land ohne Tradition, ohne richtige eigene Industrie, mit dem Präsidenten, das Land, das ja schon einmal jubelte, als es soweit war und nur mehr Gott es schützen sollte. Wann überlegt Ihr denn die politische Annäherung? fragten die, die das sicher nicht möchten, aber nicht verstehen können, wie es anders kommen könnte.

Warum die Endlos-Debatte um Oder und Neiße, mal Bestätigung, mal Hinterfragung und Lavieren, jedenfalls aber Thematisierung. Warum nicht auch mal einen Disput um die österreichischen Grenzen, wie ihn der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl vor ein paar Monaten angeregt hatte? Als er vom „stärksten Wirtschaftsraum der Welt" schwärmte, in dem die „Deutschen ihren Platz haben, mit offenen Grenzen zur CSSR, zu Polen, zu Ungarn.“ Wir in Österreich, meinten alle, hätten da sicher ’ne heiße Diskussion zum Thema.

Mitnichten. Selbst Helmut Kohls vorsichtige Aufforderung blieb ohne nennenswerte Resonanz. Vielleicht hier und da eine scheue Stimme, die sich erhebt zum Ruf nach droben, doch heiße Diskussionen? — keinesfalls.

Wir Österreicher und Österreicherinnen haben doch wirklich keine Gründe, wieder dorthin zu wollen, wo wir doch schon einmal waren und was uns verheerende Folgen brachte. Denn wie könnten wir wollen, wenn die, zu denen wir wollen sollten, uns im Moment gar nicht mögen? Sind doch die Deutschen soeben mehr als beschäftigt mit ihrer eigenen Zusammenführung, damit, die polnische Westgrenze beschwörend zu bestätigen, das gemeinsame Haus Europa zu bauen, immer mehr zu exportieren, die ganze Welt — und insbesondere die Sowjets — von ihrer Harmlosigkeit zu überzeugen, die DM zu stählen und sämtliche deutsche Aussiedler und Aussiedlerinnen aus aller Welt zusammenzusammeln. Eine Integration der Alpenrepublik käme da, auch wenn sie noch so schnell und einfach erfolgen könnte, denkbar ungelegen und würde die deutsch-deutsche „Wiedervereinigung“ empfindlich stören. Und weil wir das in Österreich wissen und respektieren, diskutieren wir das gar nicht erst offiziell.

Und das meinst du wirklich? Soll das der Grund sein dafür, daß es so ruhig ist bei Euch um vieles, das einen Anschluß betreffen könnte?

Sicher ein Grund, wenn auch nicht der einzige. Da ist auch noch die heimischerorts ziemlich konsensuell angestrebte Integration Österreichs in die Europäische Gemeinschaft bzw. in das, was die mal werden wird. Selbst Landeshauptmann und „Anti-Nationalist“ Jörg Haider wünscht sich dies zum möglichst baldigen Zeitpunkt. Beide Integrationen nun, die ins Neue Deutschland und in die EG, sind selbst für die außenpolitisch so versiert auftretende österreichische Bundesregierung, in diesem Fall repräsentiert von Alois Mock, schwierig hinzukriegen. Man stelle sich die Reaktion eines Francois Mitterrand vor, einer Margaret Thatcher oder eines Michail Gorbatschow, wenn sie über einen Austro-Anschluß an ein Großdeutschland entscheiden sollten und, parallel, über eine Integration in die Europäische Gemeinschaft. Die mühevolle Kleinarbeit des regen österreichischen Außenministers wäre mit einem Schlag zunichte gemacht. Keine Ordonnanzen mehr in Paris, keine mehr in Brüssel, Straßburg, London und Rom. Wo doch gerade im Moment alles, was unsere EG-Ambitionen betrifft, so optimistisch klingt. Da sind eben Prioritäten zu setzen, und dies tun wir in Brüssel und Paris — nach Berlin können wir immer noch gehen. Außerdem wären wir dann, wenn in der Gemeinschaft, den Deutschen sowieso wieder ein kleines Stück näher.

Und sonst?

Und sonst sollte man mal die Mär entkräften, nach der die Österreicher und die Österreicherinnen immer nur nach Norden streben. Wer sagt denn, daß das so sein muß? Traditionell waren wir doch eher gen Osten hin orientiert, dort haben wir ja auch unsere ruhmreichste Geschichte vorzuweisen.

Wer so richtig rückschrittlich, blickt nun nicht nach Bonn oder Berlin, sondern nach Prag, Budapest und Belgrad. Und die Fortschrittlichen tun dies ja sowieso, seit es diese Eisernen Vorhänge nicht mehr gibt. Ein paar Deutschnationale, so viele sind es wirklich nicht, mit denen macht man keinen Stich, und außerdem haben wir heute eine ganz andere Situation als in den zwanziger und dreißiger Jahren. Und schließlich: Warum sollten sie, die Österreicher und Österreicherinnen, was offiziell anstreben, was doch inoffiziell sowieso schon seit geraumer Zeit besteht? Warum sollten sie sich belasten mit Überlegungen, deren Inhalt von der real existierenden Ökonomie eindrucksvoll bestätigt wird? Warum die Plaudereien von den Stammtischen in die Medien holen, nur um ein paar schnöselige Wähler/innen/stimmen zu kriegen, während man sich, gleichzeitig, eventuell unheilvollst diskreditieren könnte? Spätestens seit Waldheim weiß man ja heimischerorts, wie sehr die internationale Meinung bares Geld wert sein kann. Welche Beträge für Imageausbesserung abgezweigt werden müssen, nur weil ein einsamer Mann in seiner Burg ein paar dusselige Sätze zu erwähnen vergessen hat.

Man denke nur an den Erklärungsaufwand der immer exportorientierten heimischen Unternehmer anläßlich ihrer zahlreichen Auslandsverhandlungen in fremden Hauptstädten. Und erst der immense politische Schaden, der entstehen könnte bei allzu großer Unvorsichtigkeit.

Angesichts unserer Außenhandelsstatistiken müssen wir uns wirklich nicht beeilen. So wurden etwa im Jahre 1988 immerhin 68% der Einfuhren und 63% der Ausfuhren mit der EG abgewickelt. Daß aber 65% der EG-Importe aus der BRD kommen und 55% der österreichischen EG-Exporte in die BRD gebracht werden, hört man viel zu selten hier im Land.

Alleine die Zulieferindustrie für die bundesdeutschen Autoproduzenten offenbart das Maß an bereits erfolgter Anbindung. „Die österreichische Zulieferindustrie für die westdeutsche Automobilindustrie“, schreibt die Wissenschaftlerin Margit Scherb, „ist mit diesem Teil der bundesdeutschen Wirtschaft über den Außenhandel — und in geringerem Maß auch über Direktinvestitionen — besonders intensiv verbunden.“ In den letzten zehn Jahren ist der Wert der Zulieferungen von ca. 2,8 Mrd. auf stolze 25,5 Mrd. Schilling gestiegen.

Ein Grad an ökonomischer Verknüpfung, quer durch alle Branchen, der den Ruf nach politischer Integration — in der momentanen Situation — unerhört bleiben läßt. Hierzulande passiert alles ein bißchen langsamer als etwa in Deutschland, und gegebenenfalls können wir uns ja dann in Berlin wieder melden.

P.S. Und wieder fehlt der „Gegentext“ in der MONATSZEITUNG, der politische Kommentar aus der BRD von Jutta Ditfurth. Wir hoffen, beim nächsten Mal klappt’s wieder.

Und — die nächste MONATSZEITUNG erscheint am 31.8.1990.

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