FORVM, No. 445-447
März
1991

Was wir im Krieg versäumen

Wiener Zeitungen befreien Kuwait

Daß hohe Kosten für die Rückgewinnung des Emirats am Ölgolf zu bezahlen sind, damit war von vornherein zu rechnen. Überraschend kam, daß die österreichische Neutralität ein Posten in der Rechnung sein soll. Die Kriegsfurie packte die neutrale Republik.

Bei den Grünen üben sich Promis in der Kunst der Stammtischstrategie, Clausewitze in den Wiener Redaktionen bombadieren smart die einheimischen Drückeberger und deutschen Friedensdemonstranten. Infantilismus („Lieber Ami, schütze unseren Benzinhahn“) plus Übereifer („Mitkriegen und Mitsiegen!“) machen sich in der veröffentlichten Meinung breit. Ein aufgeregter Zeitungskolumnist bescheinigte der anders orientierten kleinformatigen Konkurrenz, ihr seien „die letzten emotionalen Sicherungen durchgeknallt“. Na bitte, es knallt! Während die erschrockene Bevölkerung von der „Logik des Krieges“ nicht zu überzeugen ist, machen Großformate auf rosa oder weißem Papier die immerwährende Neutralität systematisch schlecht.

Nach einigen Wochen Luftangriffen stellte sich gewissen Blättern die Gewissensfrage: „Ist es gut für uns, neutral zu sein?“ Im Kriegsfall auf jeden Fall, müßte man meinen. Weit gefehlt, denn schon vor Beginn der Attacken ersuchte der Abgeordnete Fritz König um „Rücksicht auf den Handel mit dem Westen“ („Wochenpresse“ vom 17. Jänner).

Taten wurden ja gesetzt. Amerikanischen Bergepanzern, von Pazifisten gebremst, ebnete die Polizei die Bahn zum Brenner, mit einer Härte, welche Saddam Hussein seinen Elitetruppen nachrühmt. Doch zuvor verzögerte der Innenminister einen britischen Munitionstransport diplomatisch übers Wochenende hinaus, womit sich die Angelegenheit glücklich von selbst erledigt hat ... Der wirtschaftsliberale Journalismus raste.

Jetzt haben sie alle den Blauhelm auf. Zeitgemäß versammelt sich der Hurra-Patriotismus unter der unverdächtigen Flagge der Vereinten Nationen. Es nützt nichts, daß der UNO-Generalsekretär hartnäckig bestreitet, am Ölgolf werde ein UN-Krieg geführt. Beim Wort „Sicherheitsrat“ wird stramm gestanden. Am Bildschirm und auf Zeitungspapier machen sich allerlei Experten breit, die willig einen Gegensatz zwischen dem neutralen Status Österreichs und seiner Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen konstruieren.

„Gehorsam ist des Christen Schmuck“: stimmt exakt im Kreuzzug gegen hochgefährliche Mohammedaner. Ein Interviewer ım „Kurier“ vom 16. Februar belehrte den Bundeskanzler persönlich: „Als UNO-Mitglied muß das neutrale Österreich Beschlüsse des Sicherheitsrats befolgen.“ Unverzüglich, wie sich von selbst versteht.

Preisfrage: Wer hat die UNO-Charta gelesen? Im Artikel 2, Absatz 1 steht geschrieben: „Die Weltorganisation gründet auf dem Prinzip der Gleichheit und Souveränität aller ihrer Mitglieder“ („the sovereign equality of all its members“). Von „befolgen“ ist da keine Rede, ebensowenig wie ım Artikel 43, der in drei Absätzen die Zusammenarbeit bei militärischen Maßnahmen des Sicherheitsrats regelt. Aber in Österreich wird die Meinung verbreitet, die UNO sei so etwas wie der Generalissimus des Erdballs. Und ein bestimmter Staat — der mit den Marschflugkörpern — sei souveräner als die anderen.

Wenn man uns einreden möchte, die Statuten der UNO, noch dazu freihändig interpretiert, stünden höher als die Bundesverfassung, dann ist es höchste Zeit, die verbindlichen Texte und das Völkerrecht unter die Lupe zu nehmen. Entdeckungen warten auf den Neugierigen. Etwa, daß im Jänner 1991 ein Krieg von niemandem gegen nichts ausgebrochen ist. Kriegserklärungen fehlen, der Irak sitzt in der UNO, die kriegerische Resolution 678 des Sicherheitsrats enthält eine Ermächtigung, doch keinen Auftrag, den Neutrale zu befolgen hätten.

Eine noch schönere Sprachregelung kursiert. Außer an die heilige „Solidarität mit der Völkergemeinschaft“ wird an die lukrative „Zugehörigkeit zur westlichen Wertegemeinschaft“ appelliert. Gehupft wie gesprungen, denken sich die schlauen Prediger, denn die eine Phrase tönt so melodisch wie die andere. „Völker“ hört sich gut an, „Werte“ besser, am besten „Gemeinschaft“. Absolute Spitze ist die „Solidarität“, wer fragt schon: mit wem? Hauptsache, wir sind auf anständige Art und Weise unsere scheußliche Neutralität los.

Ein Häkchen ist dabei, sozusagen ein Hakerl. Unter den 159 Mitgliedstaaten der UNO — alle „souverän und gleich“ — kommen die „westlichen Werte“ statistisch schlecht zur Geltung. Die Generalversammlung brütete seinerzeit jene Zionismus-Resolution aus, welche dem alten Herrn in der Wiener Hofburg heute noch böses Blut macht. Ständige Mitglieder des Sicherheitsrates sind China und die Sowjetunion, mit Vetorecht (als „Njet“ bekannt). In den zwei Großstaaten leben Buddhisten, Kommunisten, Mohammedaner ... möglicherweise wertvoll, aber überhaupt nicht westlich! Hand aufs Herz, was wäre das für ein Club der „westlich Wertvollen“, wenn alle Welt dabei sein dürfte?

Im „Glaspalast der Weltpolitik“ (Kurt Waldheim) sind viele böse Buben, die mit Steinen werfen. Sie zahlen nicht einmal ihre Schulden zurück. Sie könnten sich allerdings eines Tages dazu aufraffen, es den verwöhnten Bubis heimzuzahlen ... Angenommen, der Sicherheitsrat faßt einschlägige Beschlüsse, die sich ausnahmsweise einmal nicht gegen die Dritte Welt richten, dann sitzen wir in der Patsche. Denn laut herrschender Völkerrechtslehre von „Standard“, „Kurier“ und „Presse“ ziemt uns Kadavergehorsam gegenüber militärischen Resolutionen des Sicherheitsrates.

Die Charta der Vereinten Nationen trägt das Datum vom 26. Juni 1945, ein interessanter Kalendertag. Japan ist im Kriege, die Insel Okinawa hat sich den Amerikanern ergeben, in ein paar Wochen fallen die ersten Atombomben. Jene Mächte, die den zweiten Weltkrieg erfolgreich überstanden haben, sind jene fünf „ständigen Mitglieder“, die heute im Sicherheitrat über das Schicksal Mesopotamiens entscheiden. Auf dem Stand des Jahres 1945 kann die UNO den „kleinen“ Weltkrieg gegen den Irak schwerlich überdauern.

Wird Japan, Mitzahler beim zweiten Golfkrieg, zukünftig nicht „ständig“ mitreden wollen? Deutschland brauche Mitsprache, erwiderte Hans Dietrich Genscher auf die Kritik an der deutschen Abstinenz gegenüber der famosen „internationalen Polizeiaktion“ (was übrigens ein Verlegenheitsausdruck ist). Im obersten Gremium der Vereinten Nationen sind weder islamische Staaten noch Schwarzafrika und auch nicht Lateinamerika „ständig“ vertreten. Zwischenfrage: Welche Nationen sind da „vereint“? Die „westliche Wertegemeinschaft“, im Grunde eine AG Kapital Global, dankt moralisch in diesem Wüstenkrieg ab. Daß der Begriff „Wert“ finanziell zu verstehen ist, bewiesen die Handelspartner des Hochrüsters Saddam Hussein.

Wien, 18. Jänner 1991. Auf der Titelseite der „Presse“ ist die gespaltene Zunge des bürgerlichen Geistes zu bewundern. Ein Wirtschaftsredakteur verrät moralisches Unbehagen: ihn quälen „die Freudentänze, die die Börsianer seit Kriegsausbruch auf den Parketten der Weltbörsen aufgeführt haben“. Gleich daneben, unter dem verführerischen Titel „Wir und der Krieg“, jubelt der Chef über die „Koalition der Gerechten“ (gemeint ist auch Assad von Syrien) und warnte seine Leser davor, sich „in geistigen Neutralismus zu flüchten“.

Nachdem ein guter Kunde von Kanonen, Raketen, Giftgasanlagen durch die „höhere Gewalt“ des Sicherheitsrats ausgefallen ist, macht man den neutralen Status der Republik Österreich zum Handelsobjekt. Auf dem Schachbrett der internationalen Spekulation lassen sich Kleinstaaten — nicht nur Kuwait! — mit leichter Hand herumschieben. Unsere Wiener Kreuzritter, die am liebsten die immerwährende Neutralität unterm Ölteppich begraben möchten, haben das Gefühl, daß sie etwas versäumen. Nämlich die Aufteilung der Beute.

Die „neue Weltordnung“, ein Werbegag des Präsidenten Bush, hat konkret einiges zu bieten. Eine britische Zeitung meldete, daß Bush und Premierminister Major den Emir von Kuwait daran erinnerten, beim Wiederaufbau des Emirats amerikanische und britische Baukonzerne einzuladen. Daß die Projekte großzügig kalkuliert werden, ist zu erwarten. So betrachtet, meinen es unsere Anti-Neutralen gut mit uns allen. Es wäre ja wirklich zu blöd, wenn — formeller Skrupel wegen — österreichische Zulieferer bei der rauschenden Siegesfeier am Bohrloch nicht zum Zuge kämen.

Da sprach der Scheich zum Emir:
Jetzt zahln wir und dann gehn wir.
Da sprach der Emir zum Scheich:
Gehn wir doch lieber gleich!
Da sprach der Abdul Hamid:
Und ’s Tischtuch nehmma a mit.

P.S.: Daß Österreich

den Blauhelm nicht mit dem Stahlhelm verwechseln darf, lehrt die Moskauer Intervention im 100-Milliarden-Dollar-Krieg. Die nicht mehr neutrale Republik wäre in der traurigen Lage der Haustiere, die in der Sendung „Wer will mich?“ angeboten werden. Im Sicherheitsrat, dieser Menschheitsinstanz, haben das letzte Wort die Signatarmächte des Staatsvertrags, ohne ihren Konsens gibt es keine UNO-Aktion, und mit ihnen haben wir die immerwährende Neutralität ausgehandelt. Das ist die Grundlage unserer Stellung in der Welt, unbeschadet der Rauscher im Blätterwald.

Bloßgestellt

Der Blitzsieg in der Wüste hat unsere Kriegstrompeter unangenehm überrascht. Die Desinformatoren fühlen sich bloßgestellt. Nach der Feuerpause erweist sich ja, daß die Neutralen durchaus gefragt sind. Und daß die Aufgabe der UNO (samt österreichischer Blauhelme) erst bei Kriegsende anfängt. Die berufenen und unberufenen Völkerrechtler müssen umlernen. Vielleicht schaffen sie es, sich nützlich zu machen: bei der Unterbindung des mörderischen Weltwaffengeschäfts?

Heimatfront

„Im Golfkrieg leistete sich das Fernsehen öfter Unsicherheiten in der Einschätzung“, rügt barsch eine „Kurier“-Glosse vom 2. März. Der Rauscher im Blätterwald verlangt vom ORF „erfahrene Leute mit Urteilskraft als Kontroll-Instanzen“. Um die rechte Gesinnung geht’s, die sich bei der Zählung der Leichen offenbart. Der Glossator konstruiert eine vage Verbindung zwischen einem „linksgerichteten Anwalt“ und einer Fernsehsprecherin, die es gewagt hatte, in der ZiB von hunderttausend Toten zu sprechen. Interessant, wie der amerikanische Blitzsieg die Geister des Kalten Kriegs erweckt. Nachdem die Berichte von den Fronten zensuriert worden sind, kommt die Berichterstattung im Hinterland dran.

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