ZOOM 6-7/1998
Dezember
1998

Washington – Bruxelles – Wien

Entscheidungen, Verlautbarungen und Bekenntnisse

Die internationale Entwicklung wurde synchronisiert. Nato, Weu und EU stehen weder gegeneinander noch nebeneinander, sondern sie werden zusammengeführt: Hier ein gestärkter europäischer Nato-Pfeiler und dort eine EU mit vierter Säule, die sich auf den europäischen Nato-Pfeiler bezieht. Die Weu wird aufgehoben.

Der europäische Nato-Pfeiler

Die Entwicklung eines eigenständigen europäischen Pfeilers der Nato wurde bereits 1996 beim Nato-Rat in Berlin auf die Schienen gelegt. Die Stärkung und der Aufbau eines europäischen Nato-Flügels könnte folgende Änderungen mit sich bringen: Die Nato-Kommandostellen für den Kontinent könnten an Europäer übertragen, US-amerikanische Truppen endgültig abgezogen werden. Der Beitrag europäischer Nato-Mitglieder zum Budget müßte entsprechend gesteigert werden; eine eigenständige Einsatzmöglichkeit in den eigenen Einflußsphären geschaffen werden; dies hätte zur Voraussetzung, daß die europäischen Nato-Streitkräfte auch ohne US-Beteiligung Interventionsfähigkeit erlangen. Dazu bedarf es einer Erhöhung der Verteidigungsbudgets und einer neuen hochtechnologischen Aufrüstungswelle in Westeuropa. Das Bestreben, daß durch gemeinsame europäische Rüstungsprojekte (Eurofighter, ...) der westeuropäische Anteil am Rüstungsmarkt insgesamt wächst, ist mit dieser Entwicklung eng verbunden.

Die nahen Einflußsphären eines europäischen Nato-Blocks wären Ostmitteleuropa, Südosteuropa und der Mittelmeerraum ohne dem Nahen Osten. Aber auch Interessensdurchsetzung in weiter entfernten Regionen wie beispielsweise in Afrika – den ehemaligen Kolonien Frankreichs – oder in Fernost könnte mittelfristig angestrebt werden. Die USA wird sich dies teuer abkaufen lassen. Sie wird nicht mehr weiterhin mehr als 70 Prozent aller militärischen Investitionen in der Nato tragen wollen. Der Verteidigungshaushalt der USA ist im Jahr 1997 bei 273 Mrd. US-Dollar gelegen. Alle europäischen Nato-Mitglieder gaben demgegenüber im selben Zeitraum „nur“ 173 Mrd. US-Dollar aus. [1] Rüstungskosten auf Europa abzuwälzen, wäre also aus Sicht Washingtons naheliegend. Dementsprechend meinte der Nato-Oberkommandierende Wesley Clark zum Vorschlag Blairs, die EU und die Weu (Westeuropäische Verteidigungsunion) zu verschmelzen: „Alles, was den Willen und die Kohäsion der Nato-Länder stärkt, ist ein Wert in sich. Und was vom Willen begleitet ist, auch Ressourcen zur Verfügung zu stellen, ist noch wertvoller. Wir hoffen, daß dies eine Initiative ist, die den Zusammenhalt unter den Nato-Ländern stärkt und zu einer Vermehrung der Ressourcen führt.“ [2] Zum Teil könnte diese Umverteilung auch über die Osterweiterung der Nato abgewickelt werden. Möglicherweise werden auch große euroatlantische Rüstungsgeschäfte etwaige Differenzen überbrücken helfen. ABER: Letztlich werden sich die USA das Veto-Recht im Nato-Rat vorbehalten. Damit behält Washington auch das letzte Wort im Spiel der Weltmächte. Auch eine Veränderung der heutigen materiellen Lastenteilung von 70 zu 30 wird an der politischen Hegemonie der USA in der Nato auch die nächsten zehn Jahren nichts ändern.

Die vierte Säule der EU

Zwei Ereignisse werden die Zukunft der Weu beeinflussen: das Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages im Frühjahr 1999, der noch einen Ausbau der Weu zum Verteidigungsarm der EU vorsieht – was inzwischen schon wieder überholt scheint – und der Washingtoner Nato-Gipfel im April, wo eine Stärkung des europäischen Pfeilers innerhalb des atlantischen Bündnisses festgeschrieben werden soll.

Der britische Premier Blair hat sich am EU-Sondergipfel in Pörtschach wie auf Bestellung Bundeskanzler Klimas zum Fürsprecher einer eigenen europäischen Sicherheitspolitik gemacht. Erst nach und nach wurde klar, daß er damit keine Parallelstrukturen von Weu und Nato meint, sondern eindeutige Zuständigkeit von EU und Nato. Hinter Blairs Vorschlag steckt ein Konzept des britischen „Centre for European Reform“ (CER). Dieser Vorschlag sieht das Aufgehen von Weu in einer vierten Säule der EU vor. In dieser vierten Säule sollen die politischen Funktionen der Weu vergemeinschaftet werden. Die militärische Komponente selbst – also jene, die eine EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik in die Praxis umsetzt – soll der Nato vorbehalten bleiben. Dieses Modell entspricht weitgehend den Nato-Beschlüssen von Berlin 1996, wo den Westeuropäern eine eigene sicherheitspolitische Koordination in der Allianz eingeräumt wurde. Nach dem CER-Modell würde also die Verteidigungspolitik der westeuropäischen Nato-Mitglieder in dieser vierten Säule angesiedelt werden. Der Amsterdamer Vertrag behielte in jenen Passagen, wo er die Verschmelzung von Weu und EU vorgezeichnet hat, seine Gültigkeit, dort wo er von einem eigenständigen militärischen Verteidigungssystem spricht, wäre er überholt.

„Österreich, Finnland, Irland und Schweden könnten an diesem vierten Pfeiler nicht teilnehmen“, argumentiert das „Centre for European Reform“. Da aus dem Art. 5 des WEU-Vertrages die Beistandspflicht übernommen wird, ist diesem Argument nur beizupflichten. Das ist auch der Grund, warum die Verteidigung nicht im zweiten Pfeiler, wo die Außen- und Sicherheitspolitik angesiedelt ist, verankert werden kann. In der vierten Säule wären also alle Nato-Mitglieder auf Ministerebene vertreten, die restlichen Länder könnten dann, so wie in der Euro-11-Gruppe, draußen bleiben.

Interessant an dem Vorschlag Blairs erscheint vor allem, daß er auf die außenpolitischen Differenzen in der EU nicht eingeht. Vielmehr scheint es so, als würde das Modell Euro auf die Sicherheitspolitik übertragen: Wurde beim Euro mittels der Konvergenzkriterien auf technokratische Weise wirtschaftspolitische Gestaltungskraft eingeschränkt und die Gestaltungskraft der Politik gefesselt, so soll offenbar nun auch im sicherheitspolitischen Bereich über technokratische Vorgaben die Entwicklung bestimmt werden. Durch die Homogenisierung der Nato-Streitkräfte in der EU verspricht Blair seinen europäischen Partnern einen Transmissionsriemen für die Entwicklung gemeinsamer außenpolitischer Ansätze zu finden. Dieses Versprechen wird ebensowenig eingehalten wie jenes, daß die Konvergenzkriterien dauerhaft eine Wirtschaftspolitik der Union überflüssig machen werden und ewige Stabilität durch die Kapitalkräfte unter den Binnenmarktbedingungen erschaffen würde. Vielleicht kann damit eine zeitlang Sicherheitspolitik im Affekt der Medienhysterie hervorgebracht werden. Ohne Diskussion und Kompromiß der außenpolitischen Interessen ihrer Einzelmitglieder wird es letztlich jedoch keine wirksame gemeinsame Außenpolitik der EU geben. Gemeinsame Verteidigungspolitik ist freilich über den Militärisch-industriellen Komplex und dessen Bedingungen wesentlich leichter auf einen gemeinsamen (westeuropäischen) Nenner zu bringen.

Verteidigungsminister Fasslabend hat mittels des EU-Treffens mit seinen Amtskollegen am 3./4. November 1998 versucht, diesem technokratischen Zugang zu einer gemeinsamen Sicherheitspolitik den Weg zu ebnen. Eine Frage, die ganz oben auf der Tagesordnung stand, war: „Sind wir überzeugt, daß Europa heute auch tatsächlich über all jene operationellen Kapazitäten verfügt, die zur erfolgreichen Wahrnehmung der Petersberg-Aufgaben erforderlich sind?“ [3] Allerdings erzeugte er mit seinem Vorstoß mindestens so viel Irritation in der EU, wie er glaubte, an Renommee damit zu gewinnen. Immerhin ist ein EU-Verteidigungsministertreffen nicht vorgesehen. Weder im Amsterdamer Vertrag, wo es nur den Rat der Außenminister gibt, noch sonstwo im EU-Recht. Verteidigungsminister können sich nach dem EU-Recht nur im Rahmen der Weu zusammensetzen. Da hat Fasslabend wiederum das Problem, daß er mangels österreichischer Mitgliedschaft nicht gleichberechtigt mitreden kann, geschweige denn diesen Rat einberufen dürfte. Entsprechend Art. 13 des Amsterdamer Vertrages ist für die Weiterentwicklung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäische Rat der EU zuständig. Einen Verteidigungsministerrat innerhalb der EU gibt es nach EU-Recht nicht. Der Weu-Rat ist ein Verteidigungsministergremium auf europäischer Ebene. Sowohl der Art. 17 des Amsterdamer Vertrages als auch ein Verordnungsentwurf des EU-Rates legen die Zuständigkeiten für militärische Sicherheitspolitik der EU fest. Sie sind klar zwischen dem Rat der EU und der Weu aufgeteilt. Die Zuständigkeit eines Verteidigungsministertreffen aller EU-Mitglieder gibt es nicht. So wurde das Treffen zu einer Repräsentationsfeier für Medien, wo der konservative österreichische Verteidigungsminister den Vorschlag des sozialdemokratischen britischen Premiers schärfstens begrüßte und erklärte, daß es „Krisenmanagement ohne militärische Dimension de facto nicht gibt“. [4] Die Rolle der Neutralen in der EU sei bei dem Treffen nicht auf der Tagesordnung gestanden, und es sei auch „müßig, sich mit diesem Thema weiter zu beschäftigen“. [5] Der britische Verteidigungsminister Robertson hat davor gewarnt, im Zuge der Schaffung einer europäischen Sicherheitsorganisation „die Nato zu unterminieren oder zu duplizieren“. [6]

Kriegerisches Europa

Eine weitere Priorität des Treffens hat die europäische Rüstungsindustrie dargestellt. Im November 1998 ist Österreich Mitglied in der Westeuropäischen Rüstungsagentur (WEAG) geworden, die gemeinsame Projekte sowie die Beschaffung und Entwicklung von Rüstung koordinieren soll.

Damit wird die Nato auch weitgehend jene Allianz bleiben, die sie bereits ist. Nämlich der militärische Arm der außenpolitischen Interessen der USA, der auch Westeuropas Außenpolitik dominiert. Blair wird mit diesem Vorschlag an seinen spezifischen britischen Interessen erkennbar: das britisch-amerikanische Bündnis zum „gemeinsamen“ europäischen Modell hochzustilisieren. Als Köder wird den EU-Partnern ein technokratisches Modell angedient, das angeblich die Probleme mit der GASP (Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik) löst. Die dahinterstehenden Gegensätze werden der EU noch viele Konflikte bereiten. Sie wird sich damit gegenüber den USA nicht emanzipieren. Während die Nato im April 1999 bei ihrem Gipfel das Tempo vorgeben, den europäischen Nato-Pfeiler institutionalisieren und damit vollendete Tatsachen schaffen wird, wird die Union noch mindestens zehn Jahre mit der Formulierung einer gemeinsamen Außenpolitik beschäftigt sein. Es wird eine militärische Interventionsmacht Westeuropas, aber es wird keine Außenpolitik der EU geben. Eine gefährliche Entwicklung. Das Mittel wird vorliegen, das Ziel aber unklar – bzw. von Washington vorgegeben – bleiben. Ähnlich dem Euro, der als Mittel geeignet ist, die stärksten Konzerne in der EU noch stärker zu machen und alle mittleren und kleinen Unternehmen unter großen Druck zu setzen, könnte die gemeinsame Militärpolitik der EU über die Nato die stärksten Staaten noch mächtiger machen und den Einfluß der Kleinstaaten noch stärker beschneiden. Vor allem wird sich auf diese Weise die atlantische Achse USA-Großbritannien ihren weltpolitischen Einfluß auf Jahrzehnte sichern.

Kosovo, ein Beispiel

Am Kosovo konnte im Herbst 1998 auf dramatische Weise beobachtet werden, wie Interessenskollissionen zwischen EU, Nato und den USA zu einer vollkommenen Paralysierung bei der Konfliktlösung führen. Der Waffenstillstand hält auch nach dem Einlenken Milosevic nicht. Die Kampfhandlungen, die jetzt häufig von der albanischen UCK-Untergrundarmee ausgehen, genießen jedoch nicht dasselbe Medieninteresse wie jene vor Beginn der Holbrooke-Mission. Politische Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien sind noch nicht einmal aufgenommen. Von politischen Lösungen ist man nach wie vor weit entfernt. Stockt die Entwicklung weiterhin so wie bisher, ist zu befürchten, daß es im nächsten Frühjahr zu ersten Luftschlägen durch die USA kommt, der Krieg endgültig außer Kontrolle gerät.

Der unerquickliche Status quo wurde durch die Luftschlagsdiplomatie des US-Sonderbotschafters Holbrooke herbeigeführt. Die USA hat die Nato zum Militäreinsatz für ihre Politik benützt. Die UNO und die Resolution 1199 des Sicherheitsrates wurden von den USA einmal mehr desavouiert. Diese Resolution erkennt die Souveränität Jugoslawiens voll an und drängt auf eine Lösung im Rahmen bestehender Grenzen, drängt auf die Einhaltung der Rechte der Albaner und auf Autonomie des Kosovo. Darüber hinaus wird der Einsatz internationaler Organisationen zur humanitären Hilfe für die vertriebenen Kosovo-Albaner gefordert. Wenn der Waffenstillstand gebrochen wird, werden weitere Maßnahmen gegen die Führung in Belgrad angedroht, jedoch keine Basis dafür geschaffen, auch militärisch zu intervenieren. Rußland und China wurden als destruktive Elemente im Sicherheitsrat denunziert, die eine solche Gewaltdrohung aus unlauteren Eigeninteressen verhinderten. Schließlich äußerte sich die US-Administration dahingehend, daß selbst diese Resolution 1199 zum Gewalteinsatz hinreicht. Gleichzeitig wurde die Nato auf den Plan gerufen und Richard Holbrooke startete sein paradoxes Programm militärischer Drohung gegen Serbien und Verhandlungen mit Milosevic. Im letzten Moment lenkte Milosevic ein. Er verlor immerhin politisch auch gar nichts. Die Bedingungen der Resolution der UNO waren ihm nicht unangenehm. Allerdings akzeptierte er unbewaffnete OSZE-Beobachter und Nato-Luftüberwachung, was einer Internationalisierung im kommenden Jahr Tür und Tor öffnet. Innenpolitisch ging Milosevic einmal mehr gestärkt aus dem Konflikt mit den USA hervor. Er schränkte die demokratischen Grundrechte ein und stilisierte sich innenpolitisch einmal mehr zum David gegen den imperialistischen deutschamerikanischen Goliath, der „Terrorbanden“ im Kosovo unterstützt, nachdem er schon zuvor die Zerschlagung Jugoslawiens befördert hatte.

Die EU hat sich in dem Konflikt, obwohl er sich direkt vor der eigenen Tür befindet nicht konstruktiv einschalten können. Ein EU-Sonderbotschafter Gonzalez wurde von jugoslawischer Seite nicht akzeptiert. Auch die Nato-Drohungen wurden von den europäischen Partnern nicht abgefangen. Der österreichische Botschafter Petritsch wurde mit EU-Vertretungsaufgaben betraut. Aus der Schwäche der EU insgesamt wurde plötzlich eine Stärke des neutralen Kleinstaates, der als letzter seine Botschaft in Belgrad offen gehalten und seine Gesprächsfähigkeit mit allen Konfliktparteien erhalten hat. Die konstruktiven Beiträge waren in dieser Situation jedoch kaum zu erbringen und an den Rand gedrängt.

USA am Balkan, eine Erfolgsstory?

Ende Februar 1994 wurden die Serben in Bosnien-Herzegowina von der Nato erstmals mit Luftschlägen angegriffen. Diese führten keineswegs zum Einlenken. Eine Unzahl gebrochener Waffenstillstände und die weitere Eskalation des Krieges folgten. Nach weiteren Angriffen der Nato im April 1994 wurden UN-Soldaten von serbischen Spezialeinheiten als Geisel genommen, was ein halbjähriges Aussetzen der Luftschlagspolitik des Westens brachte. Erst ein Jahr später, als die Nato im September 1995 tagelang Angriffe auf Stellungen bosnischer Serben flog, setzte sich die Nato-Luftstreitmacht durch. Vor dem Hintergrund einer abgeschlossenen Teilung Bosniens durch ethnische Säuberungen einerseits und durch Annäherungen bei den Genfer Kontaktgruppenverhandlungen andererseits, konnte der Friedensvertrag von Dayton unter Dach und Fach gebracht werden. Vom ersten Eingreifen der Nato bis zum Ende des Bosnienkrieges waren noch mehr als 100.000 Todesopfer zu beklagen. Der Krieg eskalierte. Das Allheilmittel der internationalen „Friedenseinsätze“ hat einmal mehr sein kriegerisches Gesicht gezeigt.

Die Situation im Kosovo kann sich nächsten Frühling ganz ähnlich darstellen. Ohne politische Zielsetzung der Staatenwelt könnten neuerliche Kämpfe zwischen Albanern und Serben zu einer Nato-Intervention führen. Die bringen dann auch den Krieg erst so richtig in Gang. Ein rasches Ende ist nämlich auch dort kaum herbeizubomben. Die OSZE bliebe mit ihrer zivilen Mission alleine und ein weiteres mal desavouiert. Sie gäbe ähnlich wie die UNO in Bosnien den Sündenbock und den dummen August gleichzeitig ab. Aber das Hauptproblem an dieser US-Politik ist, daß von Kriegen niedriger Intensität eine Eskalation in kürzester Zeit zu befürchten ist. Ein Angriff auf die Serben in diesem Zusammenhang wird zu militärischen Vergeltungsschlägen gegen die Albaner führen, die deren Masse treffen und nicht nur Infrastruktur oder Stellungen der UCK.

Die EU hat es also nicht geschafft, der aggressiven amerikanischen Drohpolitik eine zivile Außenpolitik entgegenzusetzen, die beispielsweise mittels Wirtschaftshilfe – durchaus auch entlang eigener Interessen – den Konflikt vor Ort befriedet hätte. Dies ist nicht nur am fehlenden Willen gescheitert, sondern auch an den unterschiedlichen Interessen Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens in der Region. Was bleibt, ist, daß die Nato auch den europäischen Partnern eine Form der Sicherheitspolitik vorgibt, die statt diplomatischen und wirtschaftlichen Konfliktlösungsmitteln militärische Durchsetzungspotentiale in Stellung und letztlich zum Einsatz bringt. Auch dieses Vorgehen der britisch-amerikanischen Achse ist eine Politik der vollendeten Tatsachen, die gerade aufgrund der emotionell machtvollen archaischen Rache- und Vergeltungsmuster, die über die Medien vermittelt werden, letztlich ohne Alternative zu sein scheint.

Die Rolle der Neutralität nach Abschluß des Amsterdamer Vertrages

Die immerwährende Neutralität Österreichs hat zwei rechtliche Bezugsfelder: Ein völkerrechtliches, das durch die Anerkennung dieses Status’ durch die Staatengemeinschaft definiert ist. Und ein verfassungsrechtliches, das durch die Beschlußfassung des Neutralitätsgesetzes am 26.10.1955 in Kraft getreten ist und seither nicht geändert wurde.

Der völkerrechtliche Bestand der Neutralitätsdoktrin wurde mehrfach in Frage gestellt. Sowohl die Panzerdurchfuhr in den 2. Golfkrieg als auch der Beitritt Österreichs zur Nato-PfP – einer Vorfeldorganisation der Nato – wie auch Übereinkünfte mit der Nato (das Nato-Truppenstatut und das Nato-Sofa) stellen die neutrale Rolle des Landes in der Staatenwelt doch massiv in Frage.

Der Kern der verfassungsrechtlichen Regeln der immerwährenden Neutralität besteht aus:

Erstens: Neutralität bedeutet Bündnisfreiheit, die Freiheit, keiner militärischen Allianz mit Bündnisautomatik und Beistandsverpflichtung anzugehören. Daher ist Neutralität in den aktuellen Diskussionen um Nato- bzw. Weu-Beitritt von größter Bedeutung. Neutralität ist ein realpolitisch wichtiger Ansatzpunkt und gibt die verfassungsrechtliche Legitimation, sich im Aufbau von kooperativen Sicherheitssystemen jenseits von Militärpakten zu engagieren.

Zweitens: Neutralität bedeutet Nichtteilnahme an Kriegen. Ist in diesem Sinne das „Ende der Neutralität“ gekommen? Johan Galtung spricht angesichts der Nato-Osterweiterung vom „Beginn eines Zweiten Kalten Krieges“; wir stehen unter dem Eindruck des Säbelrasselns im Kosovo. In allen Konfliktgebieten zeigt sich, daß militärische Interventionen unfähig sind, den Frieden zu schaffen. Politische Konfliktlösung und vorbeugende, zivile Konfliktbearbeitung sind mehr als gefragt. Gerade die neutralen Staaten könnten hier ein Signal geben: nichtmilitärische Beiträge zum Friedensaufbau sind gefragt! „Keinen Krieg zu führen und sich auch nicht kriegerisch an Konflikten zu beteiligen“ (Johan Galtung) ist gerade in einer Welt, wo nach wie vor Kriege herrschen, ein zeitgemäßes politisches Programm.

Drittens: Neutralität bedeutet die Freiheit, „nein“ zur Stationierung fremder Truppen und Waffen im eigenen Land zu sagen. Wie die gegenwärtige Diskussion im Zusammenhang mit einem Atomverfassungsgesetz zeigt, betrifft dies auch die Stationierung von Atomwaffen. Warum blockiert die ÖVP die Aufnahme der Atomwaffen in das Gesetz für ein „atomfreies Österreich“? Die Logik der Nato fordert, im „Ernstfall“ auch Atomwaffen stationieren zu können, wofür es freilich schon im vorhinein einen Stationierungsplan braucht.

Sukzessive Weglegung der Neutralitätsdoktrin

Bereits eine Novelle des Wehrgesetzes und eine Änderung des Entsendegesetzes im Jahr 1997 brachten sogenannte „Friedenssicherung“ als neue Aufgabenstellung für das österreichische Bundesheer. Friedenssicherung kann eben auch in Kampfeinsätzen bestehen. Das wäre ein Bruch des neutralitätsrechtlichen Verbotes, sich an Kriegen zu beteiligen.

Auch die Änderungen der österreichischen Verfassung im ersten Halbjahr 1998 haben vor allem im Hinblick auf die zweite Verpflichtung der Nichtteilnahme an Kriegen Einschränkungen gebracht. Vor allem Artikel 17 des Amsterdamer Vertrages ist in diesem Zusammenhang interessant. Die innere Widersprüchlichkeit des Vertrages in seinen die GASP betreffenden Bestimmungen wird darin auch deutlich. Auf der einen Seite enthält er Hinweise auf „den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik seiner Mitgliedsstaaten“ (Art. 17 (1)), andererseits wird eine „schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik“ ebd. normiert. Der Absatz zwei hebt die sogenannten Petersbergaufgaben – von humanitären Aufgaben bis hin zu „Kampfeinsätzen bei der Krisenbewältigung“ – in den Rang des EU-Rechtes.

Gleichzeitig mit der Ratifikation des Amsterdamer Vertrages durch den Nationalrat wurde der Art. 23 f in der österreichischen Bundes-Verfassung geändert. Auch darin wurden die besagten Petersberg-Aufgaben zum Verfassungsbestand gemacht. Für eine Zustimmung Österreichs im EU-Rat zu „Gemeinsamen Aktionen“ und für die Weiterentwicklung der GASP reicht – dem neuen Art. 23 f B-VG zu Folge – das Einvernehmen von Bundeskanzler und Außenminister. Das Veto-Recht im EU-Rat hält die neutrale Position potentiell aufrecht. Die Einführung des Art. 23 f B-VG kann jedoch insgesamt nur als deutliche Abwendung der jetzigen Bundesregierung von der immerwährenden Neutralität verstanden werden.

Die Teilnahme an internationalen Einsätzen ist jetzt nicht mehr bloß auf der Basis von UN-Beschlüssen, sondern auch auf Grund von Beschlüssen des EU-Rates möglich. Die Folge war auch die Einschränkung des Strafrechtsdeliktes „Neutralitätsgefährdung“ (§320 StGB) durch SPÖVP und LiF: Waren bisher nur UN-Einsätze als Ausnahme für eine Beteiligung an internationalen Aktionen (Kap. 7 UN-Charta) bestimmt, kamen jetzt auch EU-Kampfeinsätze als Ausnahme hinzu.

Die innenpolitische Entwicklung

Die Neuorientierung der SPÖ, aber auch der gesamten Bundesregierung ist bereits seit längerem absehbar. Anfang April gab es zwar keinen Optionenbericht der Koalition, aber es gab und gibt eine klar erkennbare Option. Diese lautet: Zuerst legen wir das Kleid der immerwährenden Neutralität Stück für Stück ab, dann stehen wir ohne Dokrin, ohne sicherheitspolitisches Fundament da. Schlußendlich treten wir der vorhandenen westlichen Militärallianz, der Nato, bei. Über das Tempo des Prozesses mag es unterschiedliche Auffassungen geben. Das Ziel und seine Teilschritte kristallisieren sich immer deutlicher als einheitliche Linie der gesamten Bundesregierung heraus.

Die Weglegung der Neutralitätsverfassung wird in erster Linie durch Mitarbeit am Aufbau eines sicherheitspolitischen EU-Pfeilers – der inzwischen auch so benannten vierten Säule der EU – stattfinden. Gleichzeitig wird der europäische Pfeiler der Nato gestärkt und die Westeuropäische Union dadurch überflüssig. Zuletzt wird die große Regierungspartei SPÖ einen Beschluß fassen, daß nach den Umstrukturierungen – egal wie grundlegend sie ausfallen werden – die EU und der europäische Nato-Pfeiler die einzige und beste vorhandene europäische Sicherheitsstruktur darstellen. Ob dazu dann eine Volksabstimmung durchgeführt wird oder all das unter dem Titel „politische Neutralität“ eingeführt wird, wird dann wohl mehr als taktische Frage angesehen werden.

Die innenpolitische und die internationale Entwicklung wurden synchronisiert. Nato, Weu und EU stehen weder gegeneinander noch nebeneinander, sondern sie werden zusammengeführt: Hier ein gestärkter europäischer Nato-Pfeiler und dort eine EU mit vierter Säule, die sich auf den europäischen Nato-Pfeiler bezieht. Die Weu wird aufgehoben. Der neue deutsche Außenminister Fischer kommentierte diese Entwicklung nach Ende des Weu-Rates in Rom Mitte November so: „Wir sind der Auffassung, daß es schwieriger ist, ein kohärentes Handeln zu gewährleisten, wenn zwei separate Organisationen – die EU und die Weu – zusammenwirken müssen, als wenn das gesamte Spektrum der Handlungsfähigkeit in der EU vereinigt ist.“ [7]

Auch in der österreichischen Innenpolitik haben sich nach dem gescheiterten Optionenbericht die Positionen weiter angenähert. Nachdem Fasslabend und Schüssel mit ihrem Nato-Jetzt-Kurs gescheitert sind, haben sie sich der SP-Strategie, die über die EU in die Nato will, angeschlossen. Das EU-Verteidigungsministertreffen in Wien und der Sondergipfel mit Blairs Visionen in Pörtschach waren dafür repräsentativer Ausdruck. Bundeskanzler Klima spricht seitdem nur noch von der Teilnahme an einer europäischen Sicherheitsarchitektur. Daß das auf die Stärkung des europäischen Nato-Pfeilers hinausläuft, verschweigt er vorerst geflissentlich. Die Liberalen haben für diese herrschende Tendenz, die auch von ÖVP, SPÖ und Freiheitlichen unterstützt wird, einen zusätzlichen Verkaufsschmäh entdeckt: die Bundesheerabschaffung! Liberale Bundesheerabschaffung heißt jedoch europäisches Berufsheer, das Österreich mitfinanzieren und mit Söldnern beschicken soll.

Zur vollkommenen Verwirrung der Öffentlichkeit fehlt jetzt nur noch eines: Jörg Haiders obligater Seitenwechsel und seine Rochade vom Nato- zum Neutralitäts-Befürworter. Diese Wandlung wird nicht mehr sehr lange auf sich warten lassen. Ein Absegnen der Regierungspolitik in einer Volksabstimmung würde dann zur reinen Formsache werden. Haider wird einmal mehr der großen Koalition aus der Patsche geholfen haben. Aber all das kommt erst nach den Nationalratswahlen.

[1ISS, London: „Military Balance 1998/99“

[2Die Presse vom 20.11.1998, S.1

[3Fasslabend, APA 228, 4.11.1998

[4APA 197, 3.11.1998

[5APA 448, 4.11.1998

[6APA 270, 4.11.1998

[7Fischer, J. in APA 353, 17.11.1998

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