FORVM, No. 331/332
Juli
1981

Wehe einer Partei

I.

Die Einheit der Partei ist ein hohes Gut. Ich bekenne mich dazu. Aber es gibt auch den Einheitsfetischismus — so nannte es der kritische Sozialdemokrat Norbert Leser, den ich hier auf diesem Parteitag leider nicht vorfinde; warum eigentlich?

Einheit wird zur Phrase, wenn Meinungsdifferenzen unter den roten Teppich gekehrt werden. Leser sprach vergröbernd von 3A: Androsch, AKH, Atom.

Wir haben auf diesem Parteitag von alledem nicht gesprochen — oder sind wie die Katze um den heißen Brei herumgeschlichen. Und dies aus dem guten Grund, daß wir dem politischen Gegner keinen Dienst erweisen wollten.

Die Frage ist, ob wir damit uns einen Dienst erwiesen haben. Was muß eigentlich noch alles geschehen, damit wir endlich nachzudenken beginnen, einzeln und gemeinsam:

  • Was wird aus einer sozialistischen Partei, die alle Maßstäbe ihres praktischen Handelns und Nichthandelns, ihres Redens und Nichtredens aus der kurzfristigen tagespolitischen Opportunität bezieht?
  • Wie regiert eine sozialistische Regierungspartei, wie regieren Parteien überhaupt, wenn bereits 40 Prozent der jungen Generation dem Parteienstaat überhaupt ablehnend bis gleichgültig gegenüberstehen?

Den Altersdurchschnitt der Parteitagsdelegierten schätze ich auf 50 Jahre. Junge Teilnehmer des Parteitags, die nicht ordentlich gekleidet sind, werden trotz Ansteckkarte beim Eingangstor polizeilich perlustriert.

Vielleicht ist das alles aus Sicherheitsgründen nötig.

Die Sozialdemokratie ist eine robuste Erfolgskonstruktion. Sie hält alles aus, was immer gegen sie probiert wird, ob von ihren Gegnern, oder von uns selbst.

Das ist die bisherige historische Erfahrung. Stimmt sie noch?

Man soll nicht nur die eigenen Leut angreifen, sondern auch den politischen Gegner — mahnte Leopold Gratz. Ich bekenne mich gern als lebhafter Gegner der ÖVP, FPÖ, KPÖ. Jedoch bitte ich gehorsam fragen zu dürfen, ob damit das Wesentliche getroffen ist. Laut jüngster ifes-Umfrage entwickelte sich das Parteienbekenntnis der Bevölkerung wie folgt: Die SPÖ fiel von 45 Prozent (1980) auf unter 42 Prozent. Die ÖVP von 30 Prozent auf unter 23 Prozent. Die FPÖ von 4 Prozent auf 3 Prozent.

Das heißt: Um uns um 3 Prozent herunterzuholen vom Stockerl, mußte die ÖVP sich selber um 7 Prozent herunterholen.

Anders gesagt: die Parteien bringen sich selber gegenseitig um.

Die Zahl derer, die von keiner Partei etwas halten, stieg in der Gesamtbevölkerung binnen Jahresfrist von 21 auf 32 Prozent.

II.

Ich bin kein Androsch-Fresser. Er hat schlechte Seiten, er hat gute Seiten, ich bin sein persönlicher Freund. Und wenn in der Partei etwas nicht in Ordnung ist, soll man es nicht irgendeinem Krampus anpicken: nicht dem Hannes Androsch und nicht dem Josef Cap. Beides ist gedankenlos oder unehrlich.

Aus diesem Grunde möchte ich der jungen Genossin Ederer und dem jungen Genossen Guggenberger ausdrücklich und herzlich gratulieren. Sie haben als einzige offen gegen Androsch gesprochen. 2 haben offen gesprochen, 93 haben still gestrichen. Was ist besser?

Ob die beiden Jungen recht haben oder nicht: sie sind mir lieber als alle jene, die im Saale schwiegen und auf dem Gang über nichts andres redeten als: wer für und wer gegen Androsch ist; wie das kam, daß die Wiener Partei ihn aufstellte; und was die Androsch-Partie alles tut, um der Salcher-Partie eins auszuwischen.

Einheit im Saale, Matschkern auf dem Gang, Messer in der Tagespolitik.

Wie sagte gestern einer der Parteitagspräsidenten so richtig: Wenn die Delegierten reden wollen, sollen sie bitte den Saal verlassen, damit sie den Ablauf des Parteitages nicht stören.

Die Genossen Glotz und Kreisky haben auf die Bedeutung der Geschichte in unserer Partei hingewiesen. Vielleicht sollte man diesmal das Parteitagsprotokoll auf dem Gang oder im Buffet aufnehmen lassen, damit künftige Historiker wissen, worum’s eigentlich ging in diesem Jahr 1981.

III.

„Weniger Staat“ ist der Titel eines Buches von Egon Matzner, dem Mitautor des Parteiprogramm-Entwurfs 1978, den ich hier auf diesem Parteitag leider nicht vorfinde — warum eigentlich?

Wir werden dem Thema auf Dauer nicht ausweichen können: Was wird aus einer sozialistischen Partei, wenn sie ein Jahrzehnt den Staat beherrscht?

Gestern auf dem Grazer Hauptplatz, als Bruno Kreisky sprach, standen Jugendliche mit Plakaten gegen die Rüstungsproduktion. Sie mögen kurzfristig ökonomisch unrecht haben. Moralisch haben sie recht (und mittelfristig haben sie sogar ökonomisch recht).

Ein Parteitag, der begeistert klatscht, wenn es gegen die Jungen geht, ein Parteitag der betreten schweigt oder gerade noch ein bißchen klatscht, wenn es gegen Rüstung geht. Es ist nicht die Hauptfrage, wer in der aktuellen Tagesdiskussion kurzfristig recht hat.

Wehe einer sozialistischen Partei, die die Jugend nicht ernst nimmt. Wehe einer sozialistischen Partei, die über Fragen der Moral diskussionslos zur Tagesordnung übergeht.

Bruno Kreisky hat auf dem Hauptplatz richtig und souverän reagiert. Er brummte ungnädig: Laßt doch die jungen Menschen!

Aber Polizei und Staatspolizei haben die Jugendlichen und ihre Plakate dennoch wegzuräumen versucht, haben junge Menschen abgeführt, ihre Personalien notiert — und zwar die Personalien der jungen Plakatträger, und nicht jener Erwachsenen, die diese Jugendlichen tätlich angegriffen haben.

Die da so angegriffen wurden, sind unser aller Kinder. In 35 Jahren Demokratie hat sich noch nicht herumgesprochen, daß diese Jugendlichen nichts weiter taten als ein Grundrecht auf Meinungsfreiheit auszuüben, das seit kaiserlichen Zeiten in unserer Verfassung steht.

Nach der Rede Kreiskys bin ich auf dem Hauptplatz geblieben, es gab noch zwei Stunden Diskussion. Da waren es Genossen und Genossinnen der hier im Saal so geschmähten Sozialistischen Jugend und Jungen Generation, die mit den Plakatträgern diskutiert und die Partei verteidigt haben. Von den 500 erwachsenen Parteitagsdelegierten hab ich fast keinen dort gesehen. (Hinter meinem Referat meldeten sich zwei, die dort waren. — G. N.)

Heute stehen wieder junge Leute draußen im Regen vor dem Tor des Parteitags mit Plakaten; Katholiken, Sozialisten. Mit diesen jungen Leuten redet niemand außer die Staatspolizei. Unsere Genossen fahren mit dem Auto dran vorbei.

Wir sind stolz auf unsern Rechtsstaat, auf unsere Gelassenheit und Stärke, mit der wir auf Gewalt antworten. Ich empfinde Respekt und Freundschaft für Innenminister Erwin Lanc, der nicht nur ein erstklassiger Sicherheitspolitiker ist, sondern einer unserer besten Gesprächspartner mit der Jugend. Was würde aus einer sozialistischen Partei, die mit jungen Menschen nicht mehr umgehen kann?

Hier im Saale sind die Erfolge der sozialistischen Studenten bei den Hochschülerschaftswahlen gefeiert worden. Kein Redner hat daran gedacht: die wir hier feiern, sitzen gar nicht bei uns. Sie haben keinen Delegierten. Die Beziehungen zwischen der Partei und ihren Studenten sind eingefroren. Vielleicht sollte man sie ein bißchen weniger feiern und statt dessen da hier wieder hereinlassen.

Vielleicht sind die Jungen manchmal gar nicht so blöd wie uns vorkommt. Vielleicht tun ausnahmsweise wir Erwachsenen ihnen manchmal ein bißchen Unrecht. Andrerseits: vielleicht würden ihnen zu enge Beziehungen zur Partei schaden auf der Uni.

Eines ist es, hier im Saal die Jugend herunterzuputzen. Das ist leicht. Ein andres ist es, draußen in der Wirklichkeit die junge Generation unseres Landes in ihrer Mehrheit für uns zu gewinnen. Das ist viel schwieriger.

„In unsrer Parteigarderobe fehlt der Mantel der christlichen Nächstenliebe“, sagte Victor Adler. Stimmt nicht mehr. Nur verteilen wir ihn ungerecht. Manche Genossen decken wir mit einer Barmherzigkeit fast ohne Grenzen — manche lassen wir in Regen und Kälte, z.B. die Jugend.

IV.

Ich habe von den sehr großen positiven Seiten unsrer Bewegung und unsrer Regierung nicht gesprochen. Das ist sehr ungerecht. Aber ich gehe davon aus, daß Sozialisten keinen bloßen Jubelparteitag wollen.

Entweder wir gewinnen die junge Generation, oder wir verlieren die Zukunft. Wenn wir diesen Satz beachten, können und werden wir weiterhin gewinnen.

Parteitagsrede, Graz, 23. Mai 1981

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