Streifzüge, Heft 30
März
2004

Welchen Reichtum?

Die Dritte Oekonux-Konferenz trägt das Motto: „Reichtum durch Copyleft“. Mit der Wahl dieses Mottos sind zwei Annahmen oder Hypothesen verbunden, die Gegenstand der Konferenz sein werden: Erstens wird dem wirtschaftlichen System, das mit geistigem Eigentum verbunden ist, zumindest von einigen Teilnehmern des Diskurses die Legitimation bestritten, dass es ein System ist, das Reichtum per se produziert. Die reichtumshemmenden Potenzen, so die These, entfalten sich progressiv mit der Informatisierung und dem Vergesellschaftungsgrad der Arbeit. Und zweitens geht es um die Frage, ob der Zweck Reichtum nicht in einer anderen Form des Wirtschaftens besser aufgehoben wäre, das sich ganz generell durch die Abwesenheit von geistigem Eigentum (Lizenzen, Patente, Nutzungsausschluss im Urheberrecht etc. ) auszeichnet. Kann man an freier Software also nicht nur eine andere Produktionsweise studieren, sondern eine, die grosso modo genau die Resultate hervorbringt, die die herrschende Wirtschaftsform nur mehr in der Form des Dementis kennt – Reichtum und Wohlstand für alle?

Eine solche Argumentationsstrategie tut gut daran, sich ihrer eigenen Voraussetzungen zu versichern. Denn die Arbeiterbewegung als organisierte „Besetzung der Kommandohöhen der Volkswirtschaft“ ist ja mit denselben beiden Annahmen angetreten. Genüsslich wird ihr vom Gewinner des Systemvergleichs das historische Scheitern der alternativen Produktionsweise, die so alternativ nicht war, unter die Nase gehalten. Der rastlose Drang des als Privateigentum organisierten Reichtums sich zu vermehren gilt so als die einzig sichere Methode der Reichtumsproduktion, um deren Erträge man sich einzig streiten dürfe. Dass dieser Drang Mensch, Natur und Reichtum kaputt macht, dieser Beweis ist also ebenso wenig überflüssig wie der komplementäre, dass eine andere Art der Reichtumsproduktion existiert, die tatsächlich so universell und nachhaltig ist wie der Kreislauf von Geld, Kapital und Ware.

Die kapitalistische Gesellschaft legitimiert sich durch ihre Fähigkeit, Reichtum zu produzieren. Sie sagt aber nie dazu, welchen.

Kein Zweifel, wir sind in entwickelten kapitalistischen Gesellschaften von einer Fülle von Gebrauchswerten umgeben. Dass diese nicht einfach zum Gebrauchen da sind, ist aber jedermann und jederfrau geläufig: sie werden produziert, um sie zu verkaufen. Um sich gegen bares oder kreditiertes Geld tauschen zu können, müssen sie zunächst einmal gegen bedürftige Menschen aller Art geschützt werden. Ein beträchtlicher Teil des Reichtums existiert als Lagerhallen, Zäune, Schlösser, Alarmanlagen und alimentiert ein Heer von Bewachern.

Kein Zweifel, wir sind in einer kapitalistischen Gesellschaft von einer Fülle von Gebrauchswerten umgeben. Dass diese nicht für jedermann bekömmlich sind, hat sich mittlerweile auch herumgesprochen: Hormone im Rindfleisch, der Nährwert von Junk Food, die Kleinwohnung an der Durchzugsstraße. Einerseits gibt es also eine Fülle von Produkten für den schmalen Geldbeutel, die auf das System der menschlichen Bedürfnisse wenig Rücksicht nehmen. Andererseits ist diese Gegensätzlichkeit von Bedürfnissen prinzipiell kein Problem: Zigarettenpackungen verraten noch, dass Rauchen tödlich sein kann, Autos verschlingen menschlichen Siedlungs- und Freiraum, eine riesige Industrie lebt von Produkten, deren Gebrauchswert einzig im Töten von Menschen besteht.

Kein Zweifel, wir sind in einer kapitalistischen Gesellschaft von einer Fülle von Gebrauchswerten umgeben. Eine weitere ärgerliche Tatsache ist auch weithin bekannt: dass diese Gebrauchswerte nämlich immanent beschränkt sind. Damit ist weniger gemeint, dass ein Produkt nicht viele „Features“ aufweisen kann, eine digitale Videokamera auch Standphotos machen kann etc. , sondern viel eher der Umstand, dass sich in diesen Features der Gebrauchswert auch schon erschöpft. Bei genauerer Betrachtung der Myriaden von Produkten lässt sich nämlich unschwer feststellen, dass diese nicht als Elemente eines Systems der Arbeiten und Bedürfnisse auf die Welt kommen, sondern als vereinzelte Dinge, die, kaum sind sie erworben, auch schon jede Menge Arbeit machen. Das beginnt damit, dass sie nicht zusammenpassen. Und es endet damit, dass sie einem technischen und moralischen Verschleiß unterliegen, der sie in absehbarer Zeit zu Schrott verwandelt.

Der „Reichtum der Gesellschaften“, welcher als „ungeheure Warensammlung“ existiert, weist schon in seiner Elementarform „Gebrauchswert“ eine eigentümliche Armut auf: nämlich die Armut an Beziehungen, die die Dinge in ihrem Verhältnis zueinander nützlicher machen. (Vgl. den Artikel von Christian Höner in dieser Nummer der Streifzüge)

Vieles, was nötig ist, wird nicht erzeugt und erbracht, weil es nicht bezahlt werden kann. Vieles, was erzeugt wird, wird erzeugt, weil es bezahlt wird, nicht weil es nötig ist. Wieviel bezahlt wird, das bestimmt die Qualität. Wobei sich viele in ihrem Begriff von Qualität danach richten, wieviel sie bezahlen müssen. Ab dem Moment, wo bezahlt wurde, ist die Qualität egal.

Bezahlt werden muss. Reichtum ist das, was sich in Geld umzusetzen vermag und nichts anderes. Geld hat den Charakter von Nötigung: Es muss auf der einen Seite verdient werden, um auf der anderen bezahlt werden zu können. Im Kreditwesen gewinnt die Nötigung handfeste Gestalt. Und die, die selber durch die Natur ihres kreditierten Kapitals genötigt sind, es durch Produktion von Wert zu tilgen, nötigen anderen eben ihre Produkte auf – vom billigen Ramsch bis zum unerschwinglichen Luxus. Da ist es gut und nicht schlecht, wenn Dinge nicht allzulange halten. Da ist es gut und nicht schlecht, wenn sie durch ihr „Image“ im Kaufakt wirken und nicht durch den realen Nutzen, den sie stiften. Da ist es gut und nicht schlecht, wenn sie ständig neue Bedürfnisse generieren, also auch nicht durchdacht sind.

Denn Produktion und Vermarktung ist eine Schlacht. Die Konkurrenz schläft nicht und vermehrungswilliges Geld lauert überall. Sie zu schlagen heißt, den Markt ohne Rücksicht auf seine Aufnahmefähigkeit zu überschwemmen. Das heißt zunächst, anderen (Produzenten, sprich konkurrierenden Anbietern) den Anspruch auf Reichtum zu bestreiten. Das heißt zweitens, den unmittelbaren Produzenten den Lohn zu kürzen, als eine Methode, den Kampf um Zahlungsfähigkeit zu gewinnen. Das heißt weiter, aus Reichtum sein Gegenteil zu machen, eine Überproduktion unnützer Dinge auf Halde. Das heißt viertens, durch diese Überproduktion Reichtum zu vernichten, denn was auf der einen Seite an Ressourcen verschwendet wird, fehlt woanders. Fünftens muss das, was zuviel ist, auch noch weggeräumt werden, weil es die Lager füllt. Sechstens müssen jede Menge Leute nichts anderes tun als marktschreierisch oder raffiniert andere Menschen dazu zu bringen, ihre beschränkte Kaufkraft für dieses und nicht jenes zu verwenden. Der Kostenaufwand für die Hochglanzbroschüren, die in einem Jahr in einem normalen Haushalt niedergehen und entsorgt werden müssen, würde alleine schon einen erklecklicher Anteil von deren Versorgung bewerkstelligen. Doch all dies ist unsichtbar. Auch die immanente Schädigung, das Wegräumen des Schrotts, das Reparieren, Verdecken und Schönreden, tauscht sich ja gegen Geld aus. In den offiziellen Maßzahlen dieser Wirtschaftsweise sind all dies Beiträge zum Bruttosozialprodukt. Eine genaue und umfassende Untersuchung dieser im negativen Wortsinn verschwenderischen Natur der kapitalistischen Produktionsweise steht noch aus. (Gaston Valdivia hat in Krisis 19 in Ansätzen zur gewaltigen „Zeitvernichtungsmaschine“ Stellung bezogen.)

Die Tendenz zu Verschwendung, Schaden und Unordnung, die dieser Produktionsweise zu Eigen ist, hat sich durch die Informatisierung nur zur Lichtgeschwindigkeit hin beschleunigt. Die Entmaterialisierung von Produktion entfernt den Trägheitsfaktor, der der Hochskalierung von Produktion, dem „Überschwemmen“ des Marktes mit den jeweils eigenen Gütern im Wege gestanden ist. Die schrankenlose Kopierbarkeit und Duplizierbarkeit erfordert eine neue Qualität von aggressiver Vermarktung, der eine brutale Rücksichtslosigkeit gegen alle lebensweltlichen Kontexte zu Eigen ist: „One fits all“ ist die Devise – inklusive seltsamer künstlicher Differenzierungen innerhalb jeder Produktfamilie.

Die Erklärung für die zunehmend surrealen Qualitäten der Dinge, die in unsern Alltag treten: Es ist mit dieser Aufblähung und mit dem unvermeidlich eintretenden Wertverlust der Produkte die Absatzkrise vom temporären Notstand zur Dauerbedingung des Wirtschaftslebens geworden. Und wie die Krise die Moral verdirbt, so verdirbt die Dauerkrise das, was einstmals Gebrauchswert hieß, fundamental. Denn nun ist es geradezu eine Existenzbedingung der erfolgreichen Positionierung eines Produktes am Markt, die Absatzmöglichkeiten des eigenen Produktes dauerhaft gegen die Absatzmöglichkeiten anderer Kapitale zu sichern. „Wir konkurrieren um die Lebenszeit der Menschen“, sagte ein kürzlich gefeuerter Manager von Bertelsmann in Gütersloh und brachte damit die Wahrheit zeitgenössischen Marketings auf den Begriff: Nicht mehr um die Ersparnis von Lebenszeit geht es in der Wirtschaft, sondern um die „Kundenbindung“, die Bindung der Zeit des Verbrauchers an ein Produkt, damit er eben dieses Produkt und nicht Produkte von anderen gebraucht. Die Methoden dafür sind mannigfaltig: Es beginnt bei Kleinigkeiten, dass selbstverständlich ein Netzteil von Nokia einen anderen Stecker haben muss als das von Sony. Es endet bei der Inszenierung des Produkts als Dauerspektakel, als „Lebenswelt“ und „Community“ für die, die es sich leisten können.

Wirtschaft betreibt just in dem Moment, in dem sie es zuwege gebracht hat, mittels eklatanter und nachhaltiger Steigerung in der Produktivkraft der Arbeit, bei der Mikroelektronik und Automation die wesentliche Rolle spielen, tatsächlich die Möglichkeit ausreichender Versorgung und angenehmer Lebensverhältnisse für alle Menschen zur handgreiflichen Realität zu machen, just in diesem Moment also betreibt sie ihre Verwandlung in ein Lotteriespiel, bei dem es keinen allgemeinen Reichtumszuwachs mehr, sondern nur mehr „Gewinner und Verlierer“ gibt. Dafür ist dann aber kein Aufwand zu teuer.

Geständig wird die Absurdidät dieser Veranstaltung spätestens dann, wenn folgende zwei unabhängig voneinander getroffene Aussagen miteinander in Beziehung gesetzt werden. Erstens, so heißt es, würde sich unser Wirtschaftssystem dadurch auszeichnen, dass zunehmend geistige Leistungen die Grundlage des Reichtums bildeten. Daran mag schon etwas Wahres sein: Die Produktivkraft gesellschaftlicher Arbeit hat tatsächlich enorm zugenommen. Zweitens aber, so heißt es, sei es immer wichtiger, diese geistigen Leistungen irgendjemandem auch zurechnen zu können. Sonst würden sie ja nicht erbracht.

Zurechnen heißt aber nicht einfach Feststellung von Urheberschaft, sondern die Möglichkeit, andere am Gebrauch der jeweiligen „geistigen Leistung“ hindern beziehungsweise mittels Lizenzen und Patenten daran partizipieren zu können.

Kann es einen klareren Beweis für den reichtumshemmenden Charakter dieser Produktionsweise geben, als dass sie das, was sie selbst als die Hauptquelle des Reichtums entwickelt und benannt hat, nicht zur allgemein verfügbaren Ressource macht, sondern zum Gegenstand von profitablen und käuflichen Handlungsverboten, ob sie sich nun Lizenz, Patent oder Nutzungsausschluss durch Urheberrecht nennen?
Reichtum jenseits der Warenform

Es mag ja sein, dass die Frage der Eigenarbeit in der Geschichte der kapitalistischen Gesellschaft lange Zeit keine Rolle gespielt hat; es mag sein, dass erst durch die Verwohlfeilerung der Produktion, durch die Miniaturisierung der Produkte, durch die Implementation automatischer Vorgänge, die Wissen verkörpern, so etwas wie die Wiederaneignung von Elementen der Produktion durch die Konsumenten passiert ist. Tatsache ist, dass dies in zunehmendem Maße passiert: Vom Schwangerschaftstest bis zum Personal Computer ist unser Leben voll mit Produkten, die uns Eigentätigkeit erlauben, die zuvor nicht möglich war. Alvin Toffler hat gezeigt, dass die Strategie, Arbeit aus dem Produktions- bzw. Distributionsprozess auszugliedern und in mehr oder weniger automatisierter Form dem Konsumenten umzuhängen, ein ganz wesentliches Element für die Entscheidung der Frage war, wer in dieser Wirtschaftsweise die „Gewinner“ sind. Und dazu gehören Supermarktketten, Selbstbedienungstankstellen und Baumärkte. Eigenarbeit hat sich aber nicht nur als notwendige Existenzbedingung und mittlerweile unabdingbare und bisweilen lästige Folklore entwickelten kapitalistischen Wirtschaftens einen fixen Platz geschaffen. Sie hat vor allem ihre eigenen Formen der Vergesellschaftung gefunden. Das Netz erlaubt es unabhängigen Prosumenten, sich jederzeit und beliebig zur gemeinsamen Bewältigung geistiger Leistungen zusammenzuschließen. Damit aber bestreiten sie der Wirtschaft ihre letzte übrig gebliebene Existenzbasis; einstweilen nur der Möglichkeit nach.

Kann ein Auto im Internet konzipiert werden? Ist es sinnvoll ausgerechnet ein Auto zu konzipieren? Was aber, wenn keine Autos? Unterscheiden sich Produkte und Produktsysteme, die im Internet erdacht wurden, von den proprietären Zeitdestilliermaschinen, die wir zu erwerben gezwungen sind? Und wer wird sie realisieren?

Wird die folgende Prognose in Erfüllung gehen? – „Realkapitaleinsatz verdrängt nicht durch steigende Produktivität lebendige Arbeit, sondern tritt zu ihr in (latente) Konkurrenz. Er kann nur mit starren Produkten den Realnutzen simulieren, den lebendige Arbeit kombinatorisch erreicht. Es ist in hohem Maße spezifisch für den Weg in die Informationsgesellschaft, dass Arbeit und Kapital nicht mehr Parteien im Anspruch auf die Verteilung des Mehrwerts sind, sie sind zu klassenweisen Konkurrenten auf dem Markt selbst geworden, so wie zwei Typen von Unternehmen. Die Konkurrenz ist eine ausschließende. Kapital sucht effizient eine Basis desorientierter zerrütteter Zielsysteme zu verbreitern und mit toter Arbeit Segmente entmündigten Handelns prothetisch zu versorgen. Lebendige Arbeit könnte sich verfeinernde Bedürfnisse immer effektiver befriedigen.“ (Ulrich Sigor) Um all das könnte es auf der Oekonux-Konferenz gehen.

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