MOZ, Nummer 54
Juli
1990
Justiz

Wer ist Mata Harry?

Eine Antwort auf Mata Harry, MONATSZEITUNG, Juni 1990.

Weichen Ansprüchen muß ein Buch genügen, das keinen Ansprüchen genügen will?

Dem Zeitgeist, dem Postfeminismus, linken Anwälten? Katarina Zaras Aufzeichnungen aus dem Gerichtsalltag oder „Mein kriminelles Tagebuch“ ist ein Erlebnisbericht, parteiisch, subjektiv gefärbt, ein Versuch, drei Monate Gerichtsalltag in Worte zu fassen. Ging es der Autorin primär darum, alternative linke Justizkritik zu verfassen? Daß ihr ‚Tagebuch‘ die Justiz kritisiert, ist vielmehr ein unvermeidbarer Nebeneffekt der jeder/m passiert, die/der sich mit dieser Maschinerie auseinandersetzt, sich ihr annähert.

Mit den von Mata Harry eingeführten Richtungskategorien links/rechts lassen sich möglicherweise Orientierungsprobleme im Alltag lösen (wo geht’s denn da zum nächsten Bahnhof?). Ob eine Annäherung an unser Rechtssystem so möglich ist, ist zu bezweifeln. Ich las das „Kriminelle Tagebuch“ vielmehr als ein Stück Belletristik, das mich streckenweise grinsen machte, mich interessierte, mir sehr oft eine Gänsehaut verursachte, passagenweise Übelkeit und Abscheu hervorrief, jedoch niemals platt oder gar langweilig war. Mag es streckenweise auch trivial sein — auch das Leben in den Gefängnissen und Gerichten spielt sich nicht immer auf philosophischen Metaebenen ab.

Dieses Buch als den „üblichen Zeitgeist-Cocktail“ (M. Harry) abzuqualifizieren, erscheint mir ziemlich kühn, seit wann begibt sich der Zeitgeist in die „Mühlen der Justiz“ und ins Gefängnis? Dreht frau die Initialen Mata Harrys um, als H.M., so bedeuten sie Herrschende Meinung/der juristische Mainstream! In seinem Artikel findet der Autor Kleinbürgerlichkeiten, wo nur schwerlich welche aufzuspüren sind. (Mag da ein Trauma zu orten sein?!) Um seine Thesen zu untermauern, bringt er aus dem Kontext gerissene Zitate aus dem ‚Tagebuch‘. Zaras detaillierte und immer wiederkehrende Beschreibungen verschiedener Verhaltensmuster, im speziellen das Rauchverhalten des U-Richters Dr. Summereder (genannt Sumpi), mögen ob ihrer Häufigkeit nerven, zeigen jedoch, wie der Herr Richter einen einfachen ‚Tschik‘ dazu benutzt, seine Macht und Überlegenheit zu demonstrieren.

Er scheint nur bei seinen Vernehmungen zu rauchen. Zeigt den U-Häftlingen: hier bin ich Herr und du kannst nicht einmal eine Zigarette rauchen, wenn du willst, du bist eingesperrt.

Sumpi bietet niemals Zigaretten an, egal, wie sehr sein Delinquent danach auch schielt. Mit dieser so alltäglichen Tätigkeit gelingt es Sumpi, seine Macht zu demonstrieren und seinem Gegenüber/Unter einen Platz in dieser Hierarchie zuzuweisen.

Wie im Buch beschrieben, so scheinen auch in der Realität die hierarchischen Strukturen nicht so geradlinig zu verlaufen. Hierarchie, die Ohnmacht und Angst in fast alle Richtungen verursacht. Häftlinge fürchten sich vor Sumpi. Sumpi fürchtet sich vor Häftlingen, die er mit seiner ‚Tschik-Taktik‘ und Eloquenz nicht einzuschüchtern vermag. Richter, die Anwälte abschasseln, mit anderen — die hartnäckiger sind — packeln. Rechtspraktikanten (Männer), die Wetten abschließen, daß sie die Richterin, der sie zugeteilt wurden, aufs Kreuz legen. Eine Richterin, die auf Stöckelschuhen fast hilflos herumtrippelt und wie eine Barbie-Puppe aussieht. Praktikanten, die von Justizwachebeamten mit Häftlingen verwechselt und deshalb tätlich angegriffen, geduzt und beschimpft werden. Hierarchie, die Angst, Macht nach vielen Seiten und Richtungen! Meist sind es Frauen, die vor den Männern Angst haben müssen. Die Lektüre dieses Buches macht einmal mehr bewußt, daß es eine Männer- und eine Frauensprache gibt. (Was immer auch Postfeministinnen dazu meinen mögen.) Eine weitere Tatsache ist es, daß gerade die Juristensprache eine extrem männliche ist, darum gibt es auch keine adäquate Sprache für Sexualität. Offensichtlich sind nur zwei Extreme möglich. Die trockene juristische Terminologie (z.B.: vorehelicher Geschlechtsverkehr, Konkubinat, Glied in die Scheide einführen) und auf der anderen Seite einen Vulgär-Jargon, meist von Männern benutzt, um abzuschrecken?

Ein mehr als gutes Beispiel für Verständigungsprobleme zwischen den Geschlechtern ist der Fall Birnbaum. Er hat eine Frau mit einer Flasche niedergeschlagen und vergewaltigt. U-Richter Sumpi vernimmt Täter und Opfer (getrennt), beide Vernehmungen sind juristisch formal korrekt. Zwischen Täter und Richter gibt es jedoch keine Unklarheiten. Alles ist klar und logisch, „weil wütend Flasche auf den Kopf, weil geil Schwanz hinein“. Die vergewaltigte Frau kann sich Sumpi kaum verständlich machen — er versteht nichts. Zitat: „Die Frau weint. Sumpi schweigt. Pokerface wie immer ... Haben Sie sich gewehrt? Nein. Ich habe so Angst gehabt ... Wovor haben Sie Angst gehabt?!“

Fall Karl Berger, Vergewaltiger seiner Stieftochter. Im Geschworenenprozeß trägt der Sachverständige sein Gutachten vor. Zitat: „... Die Minderjährige ist sehr frühreif und hat an den Vorfällen Lust empfunden ... Sicher war es für das Kind auch unangenehm, aber es ist auch lustvoll für das Kind gewesen. Einen solchen Zustand nennen wir in der Medizin ambivalent.“ Der Täter wird freigesprochen. Die Geschworenen haben durch das Gutachten einen falschen Eindruck bekommen. Die kleine Lolita hat Lust empfunden ist also selber schuld! Als Zara von dem Urteil erfährt, ist sie fassungslos („So hätten sie es gerne, diese alten Böcke“).

Interessant ist auch der Fall des Vaters, der wegen Vergewaltigung seiner elfjährigen Tochter zu einem Jahr Gefängnis verurteilt wurde und dessen Erfahrungen mit der Begründung, daß neue Beweismittel aufgetaucht sind, wiederaufgenommen werden soll. Das neue Beweismittel ist ein Gutachten eines Herrn Dr. Greifenstuhl. „Es handelt sich um den Fall, wo der Vater die Tochter gemaust hat, sagt er. Es ist technisch nicht möglich. Und der Vater ist hundertvierzig Kilo schwer, kann wohl kaum seine elfjährige Tochter gemaust haben. Dabei lacht er.“ U-Richter Sumpi kommentiert diese Mitteilung mit einem schlichten „ist gut“.

Der beschriebene Herr Rat mag vielleicht eine besondere Spezies der Sorte Richter sein (seine Sauftouren verbrämt er mit Ämter- und Behördenwegen, beim Ausschneiden einer Nackten aus einem Kalender wird er beobachtet, eines nachts wird er von der Polizei verhaftet, weil er lautstark seine Freundin beschimpft). Aber doch sicher kein außergewöhnlicher Mann.

Dieses Buch ist eine „Oase in der Wüste justizkritischer Beiträge“ (profil). Eine Juristin beschreibt Konflikte in ihrem Gerichtsjahr. Zara ist mutig, sie stellt sich nicht als objektive Betrachterin dar, sondern ist mitten drin. Sie ist berührt, abgestoßen, hat Angst. Auch ist sie ihren eigenen Vorurteilen und Klischees auf der Spur und scheut auch nicht, diese zuzugeben. „Frau sein alleine ist kein Programm“ (M. Harry), da hat er recht! Frau sein bestimmt jedoch die Position im Leben. Auch deshalb ist es wichtig, daß Bücher dieser Art gelesen, wichtiger, daß sie geschrieben werden.

Die einzige offiziöse Frage an Katarina Zara aus dem Publikum nach einer Lesung aus ihrem Buch lautete: „Haben Sie auch andere Richter wie den ‚Zumpfi‘ kennengelernt"? Die Antwort war ein spontanes Ja. Das glaube ich sofort!

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