Café Critique, Jahr 2003
April
2003

Wiederkehr der politischen Theologie

Über die Vorwegnahme des Selbstmord-Attentats bei Carl Schmitt

Carl Schmitt war der erste Globalisierungskritiker. Mitten im Zweiten Weltkrieg perhorresziert er eine Weltordnung, die weit über den Kalten Krieg hinausweist: die One World, in der eine einzige Supermacht übriggeblieben ist.

Die mit dem Westen verbündete Sowjetunion spielt in Schmitts Überlegungen von 1942 kaum eine Rolle mehr. Vermutlich ging er davon aus, daß der Feind im Osten von den Armeen Hitlers bereits so gut wie zerschlagen sei. Damit verliert auch der manifeste Antikommunismus wesentlich an Bedeutung. Umso mehr gewinnt die Westfront: Denn in den Vereinigten Staaten sieht Schmitt einen „Beschleuniger wider Willen“, der letztlich doch nur die Sache der Deutschen besorge. „Das große Thema des gegenwärtigen Weltkrieges liegt gerade in dem Gegensatz gegen eine solche universale Weltmacht und ihren Weltordnungsanspruch. Gegen den Universalismus anglo-amerikanischer Weltherrschaft hat sich der Gedanke einer in kontinental zusammenhängende Großräume sinnvoll eingeteilten Erde durchgesetzt. Es kann keine gelenkte Weltwirtschaft geben.“ Jeder aufmerksame Beobachter habe auch „die Selbstwidersprüche bemerkt, an denen die westliche Hemisphäre seit langem krankt und die seit dem Beginn der imperialistischen Zeit, seit 1898, so erstaunlich gewachsen sind, daß der Gedanke einer von dort her kommenden neuen Weltordnung grotesk erscheint.“ (Beschleuniger wider Willen, 1942)

Mit einem Mal wird kenntlich, daß Schmitt in seiner Depotenzierung der Rechtsidee, in der Unterwerfung der Rechtsordnung unter den Begriff der Souveränität die Ordnung des Kapitals treffen wollte, wie sie ihm als deutschem Staatsrechtler eben erschien. Zu der „imperialistischen Wirklichkeit eines ökonomischen Welthandelsanspruchs ... gehört die grenzenlose, universale Intervention. Die Interessen eines Weltkapitalismus zwingen zu einer allgegenwärtigen, ‚ubiquitären‘, Einmischungs- und Nicht-Anerkennungspolitik, die sich anmaßt, zu jeder an irgendeinem Punkt der Erde eintretenden Änderung der Lage von Washington aus das Placet zu erteilen oder zu verweigern.“ Die Regierung in Washington agiert nicht als Souverän der Welt, der im Ausnahmezustand aktiv werden muß und soll, sondern als Organ, das lediglich auf die Verletzung des Rechts reagiert; mit Hans Kelsen gesprochen: den Zwangsakt exekutiert, der im Recht selbst vorgesehen ist und wodurch allein der bedingende Tatbestand als Unrecht, der bedingte als Recht qualifiziert wird; mit einem Wort: als Weltpolizist.

Die Vereinigten Staaten „überziehen die ganze Erde mit einem System von Luftstützpunkten und Luftfähren und proklamieren ein ‚amerikanisches Jahrhundert‘ unseres Planeten. ... Nachdem die letzte dieser globalen Linien, die Linie der westlichen Hemisphäre, in einen grenzenlosen, globalen Interventionismus umgeschlagen ist, hat sich eine völlig neue Situation ergeben. Gegen die Ansprüche einer universalen, planetarischen Weltkontrolle und Weltherrschaft verteidigt sich ein anderer Nomos der Erde, dessen Grundidee die Einteilung der Erde in mehrere, durch ihre geschichtliche, wirtschaftliche und kulturelle Substanz erfüllte Großräume ist.“ So wie er immer aus der Ausnahme von der Regel seinen Dezisionismus ableiten konnte, so hält Schmitt nun – über die Niederlage Deutschlands hinwegdenkend - fest, „daß die Erde immer größer bleiben wird als die Vereinigten Staaten von Amerika und daß sei auch heute noch groß genug ist für mehrere Großräume, in denen freiheitsliebende Menschen ihre geschichtliche, wirtschaftliche und geistige Substanz und Eigenart zu wahren und zu verteidigen wissen.“ (Die letzte globale Linie, 1943)

Theorie des Partisanen

Den freiheitsliebenden Menschen, also den Deutschen, ihre geschichtliche, wirtschaftliche und geistige Substanz und Eigenart zu wahren und zu verteidigen, hieß, immer neue Steigerungsformen von Vernichtung und Krieg herbeizuführen. Nachdem diese Beschleunigung zuletzt aber durch den „Beschleuniger wider Willen“ gestoppt, der Großraum der Vernichtung durch die Alliierten des Universalismus gestürmt werden konnte, meint Carl Schmitt voller Resignation, daß nun auch das wichtigste Organ der freiheitsliebenden Menschen abstirbt: die Souveränität als das Monopol der politischen Entscheidung, die bei Schmitt, wie Karl Löwith bereits früh festgehalten hat, auf der „Bereitschaft zum Nichts, welches der Tod ist“, gründet, auf dem „Opfer des Lebens an einen Staat, dessen eigene ‚Voraussetzung‘ schon das Entscheidend-Politische ist“. Die Epoche der Staatlichkeit, so Schmitt, gehe jetzt zu Ende: „Darüber ist kein Wort mehr zu verlieren. Mit ihr geht der ganze Überbau staatsbezogener Begriffe zu Ende, den eine europa-zentrische Staats- und Völkerrechtswissenschaft in vierhundertjähriger Gedankenarbeit errichtet hat. Der Staat als Modell der politischen Einheit. Der Staat als Träger des erstaunlichsten aller Monopole, nämlich des Monopols der politischen Entscheidung, dieses Glanzstück europäischer Form und occidentalen Rationalismus, wird entthront.“ (Der Begriff des Politischen, Vorwort von 1963) Was er bereits vor dem Nationalsozialismus befürchtete und dann durch diesen abgewendet sah, das werde nun doch verwirklicht: „Der Souverän, der im deistischen Weltbild, wenn auch außerhalb der Welt, so doch als Monteur der großen Maschine geblieben war, wird radikal verdrängt. Die Maschine läuft von selbst.“ (Politische Theologie, 1922)

Aber der politische Theologe hörte nicht auf, nach dem Sandkorn im Getriebe zu suchen. Und er fand es trotz seiner politischen Herkunft und bereits mitten im Kalten Krieg – also jener Ordnung, die er als abstrakte so sehr verabscheute – im Phänomen des Partisanen. Von ihm war er offenkundig fasziniert, ihm widmete er eine eigene Theorie (Theorie des Partisanen, 1963) - denn der Partisan erscheint wie der Retter des Politischen in einer Welt, in der die Souveränität preisgegeben wird. Mit seinem „intensiv politischen Charakter“ ist der Partisan gewissermaßen der letzte Vertreter einer Existentialpolitik, die ad personam noch realisiert, was einstmals Sache des „erstaunlichsten aller Monopole“, des Gewaltmonopols, war: die Bereitschaft zur Vernichtung.

Schmitt gibt mehrere Bestimmungen des Phänomens: „Irregularität, gesteigerte Mobilität des aktiven Kampfes und gesteigerte Intensität des politischen Engagements.“ Der Partisan ist sozusagen der Einzelkämpfer des Ausnahmezustands, Stellvertreter einer Souveränität, die objektiv verdrängt worden ist. Er ist das Gefährliche, das aus der rechtlichen Sphäre des Staats herausfällt. In der gleichsam persönlichen Feindschaft des Partisanen allein findet der atomisierte Bürger „den Sinn der Sache und den Sinn des Rechts, wenn das Gehäuse von Schutz und Gehorsam zerbricht, das er bisher bewohnte, oder das Normengewebe der Legalität zerreißt, von dem er bisher Recht und Rechtsschutz erwarten konnte. Dann hört das konventionelle Spiel auf.“ Der Partisan als eingeschrumpfter Souverän; er ist der einzige, der weiterhin die Entscheidung um der Entscheidung gegen das Gesetz um des Gesetzes willen hochhält – aber er tut es doch in einer gewissen Abhängigkeit von den übergeordneten Mächten, er rettet darum den Willen, der das Nichts will, nicht unbedingt.

Zum einen setzt Schmitt mit seinen sehr allgemeinen Bestimmungen verschiedenste Phänomene gleich: den spanischen Kampf gegen Napoleon im frühen 19. Jahrhundert, die Theorie gebliebenen Ansätze der Preußen (Kleist, Scharnhorst, Gneisenau, Clauswitz), die von der spanischen Guerilla sich inspirieren ließen, und die von Lenin, Stalin, Tito und Mao angeleitete Praxis im 20. Jahrhundert. Zum anderen aber macht Schmitt Differenzierungen nach einem entscheidenden Kriterium: dem zufolge habe der Konflikt zwischen Moskau und Peking seinen „tiefsten Ursprung“ in der „konkret-verschiedenen Wirklichkeit eines echten Partisanentums“, das von Mao repräsentiert werde, während Lenins und Stalins Partisanentum indirekt als unecht denunziert wird. Schmitt hebt hervor, daß die russischen Bolschewisten vom nationalen Standpunkt aus eine Minderheit waren, geführt von einer in der Mehrheit aus Emigranten zusammengesetzten Gruppe von Intellektuellen. Mao aber erscheint als der wahre Erbe des preußischen Widerstands gegen Napoleon, als „konsequente und systematisch-bewußte Weiterführung der Begriffe“ von Clausewitz. „Im Vergleich zu der konkreten, tellurischen Wirklichkeit des chinesischen Partisanen“ habe Lenin „etwas Abstrakt-Intellektuelles in der Bestimmung des Feindes.“ Lenin wird schließlich enttarnt als unechter Partisanenführer, als Agent einer universell ausgerichteten Weltmacht, die der US-Amerikanischen aufs Haar gleicht, die letztlich die Partisanen nur verheizt, deren konkreten Kampf mißbraucht zum Aufbau ihrer abstrakten Ordnung. „Die autochthonen Verteidiger des heimatlichen Bodens, die pro aris et focis starben, die nationalen und patriotischen Helden, die in den Wald gingen, alles, was gegenüber der fremden Invasion die Reaktion einer elementaren, tellurischen Kraft war, ist inzwischen unter eine internationale und übernationale Zentralsteuerung geraten, die hilft und unterstützt, aber nur im Interesse eigener, ganz anders gearteter, weltaggressiver Ziele, und die, je nach dem schützt oder im Stich läßt. Der Partisan hört dann auf, wesentlich defensiv zu sein. Er wird zu einem manipulierten Werkzeug weltrevolutionärer Aggressivität. Er wird einfach verheizt und um alles das betrogen, wofür er den Kampf aufnahm und worin der tellurische Charakter, die Legitimität seiner partisanischen Irregularität, verwurzelt war.“ Wofür nahm er den Kampf auf, worin war seine Irregularität verwurzelt und woraus resultierte sein tellurischer, sprich: nationaler Charakter? In der Bereitschaft zum Nichts, im Opfer für einen echten Staat, welche Chancen zu dessen Realisierung auch immer bestehen mögen.

Darum sieht Schmitt auch Mao in einem nahezu tragischen Widerspruch verfangen: in dem Widerspruch, „der einen raumlosen, global-universalen, absoluten Weltfeind, den marxistischen Klassenfeind, mit einem territorial-begrenzbaren, wirklichen Feind der chinesisch-aisatischen Defensive gegen den kapitalistischen Kolonialismus in sich verbindet.“ Der marxistische Klassenfeind wird den echten Partisanen vom falschen Universalismus vorgesetzt oder besser: vorgespiegelt; der wirkliche Feind aber entspringt der Notwendigkeit, einen Großraum gegen diesen Universalismus gewaltsam durchzusetzen. In diesem Sinn zitiert Schmitt das - von Rolf Schneider übersetzte - Gedicht Maos Kunlun: „Wär mir der Himmel ein Standort, ich zöge mein Schwert / Und schlüge dich in drei Stücke: Eins als Geschenk für Europa, / Eins für Amerika, / Eins aber behaltend für China / Und es würde Frieden beherrschen die Welt.“

Offen auszusprechen, daß der Universalismus, der dieser himmlischen Zerschlagung der Erde entgegensteht, genau wie vor 1945 als einer des jüdischen Gesetzes zu betrachten sei, vermeidet Schmitt. Er hat es dem Tagebuch anvertraut: „Die Emigranten ... führen den gerechten Krieg, das Schauerlichste, was menschliche Rechthaberei erfunden hat.“ „Als wir uns uneins wurden, haben die Juden sich subintroduziert. Solange das nicht begriffen ist, gibt es kein Heil ... Heute erleben diese Subintroduzierten eine Restauration mit kolossalen Entschädigungsansprüchen und Rückzahlungen.“ (Glossarium. Aufzeichnungen aus den Jahren 1947-1951, 1993)

Theorie des Selbstmord-Attentats

Nun wird die Begeisterung der deutschen Linken für Carl Schmitt verständlich: dieser Theoretiker des Ausnahmezustands vereinigte die deutsche Vergangenheit mit der maoistischen Gegenwart im gemeinsamen Kampf gegen USA und SU. Die Frage aber ist, wer wirklich die Kraft haben sollte, die Erde dem Universalismus zu entreißen und in drei Stücke zu zerschlagen. „Vorläufig bedeutet der Partisan immer noch ein Stück echten Bodens; er ist einer der letzten Posten der Erde als eines noch nicht völlig zerstören weltgeschichtlichen Elements.“ Aber was wird aus ihm „im Zeitalter der atomaren Vernichtungsmittel? In einer technisch durchorganisierten Welt verschwinden die alten feudal-agrarischen Formen und Vorstellungen von Kampf und Krieg und Feindschaft. Das ist offensichtlich. Verschwinden deshalb auch Kampf und Krieg und Feindschaft überhaupt und verharmlosen sie sich zu sozialen Konflikten?“ Hier aber vertraut Schmitt letztlich doch seinem alten Begriff des Politischen - darauf, daß es weiterhin eine unbedingte Bereitschaft zum Opfer gibt: „Wie aber, wenn es einem Menschen-Typus, der bisher den Partisanen lieferte, gelingt, sich an die technisch-industrielle Umwelt anzupassen, sich der neuen Mittel zu bedienen und eine neue, angepaßte Art von Partisanen, sagen wir den Industrie-Partisanen zu entwickeln? Gibt es eine Gewähr dafür, daß die modernen Vernichtungsmittel immer in die rechten Hände fallen und daß ein irregulärer Kampf undenkbar wird?“ Und wie in einer Anspielung auf die Entwicklung in Nahost schreibt Schmitt: „Im Schatten des heutigen atomaren Gleichgewichts der Weltmächte, unter der Glasglocke sozusagen ihrer riesigen Vernichtungsmittel, könnte sich ein Spielraum des begrenzten und gehegten Krieges ausgrenzen, mit konventionellen Waffen und sogar Vernichtungsmitteln, über deren Dosierung die Weltmächte sich offen oder stillschweigend einigen können. Das würde einen von diesen Weltmächten kontrollierten Krieg ergeben und wäre so etwas wie ein dogfight. Es wäre das scheinbar harmlose Spiel einer genau kontrollierten Irregularität und einer ‚idealen Unordnung‘, ideal insofern sie von den Weltmächten manipuliert werden könnte.“ Daß dieses Spiel nur scheinbar harmlos ist, wie alles auf Regeln beruhende Recht, darauf setzt der positive Theoretiker des Ausnahmezustands wie eh und je seine Hoffnung: „Der Acheron läßt sich nichts vorrechnen ....“

In der Gegenüberstellung von Konkretem und Abstraktem, konkreter deutscher Großraumordnung und abstrakter Weltherrschaft der USA bzw. des Kommunismus antizipiert Schmitt das ideologische Muster der deutschen Friedensbewegung der achtziger Jahre: „Die Feindschaft wird so furchtbar werden, daß man vielleicht nicht einem mehr von Feind oder Feindschaft sprechen darf und beides sogar in aller Form vorher geächtet und verdammt wird, bevor das Vernichtungswerk beginnen kann. Die Vernichtung wird dann ganz abstrakt und ganz absolut. Sie richtet sich überhaupt nicht mehr gegen einen Feind, sondern dient nur noch einer angeblich objektiven Durchsetzung höchster Werte, für die bekanntlich kein Preis zu hoch ist.“

Wenn Schmitt sich selbst nun als Theoretiker des „gehegten Kriegs des europäischen Völkerrechts“ darstellt, der den abstrakten unmenschlichen Krieg „revolutionärer Klassen- und Rassenfeindschaften“, den „gerechten Krieg“, als äußersten Gegensatz zur konkreten und humanen Großraumordnung perhorresziert, dann schließt genau dieser gehegte Großraum die Feindschaft um der Feindschaft willen, die Bereitschaft zum Nichts ein, da doch der Theoretiker an seinem Souveränitätsbegriff festhält. Darin liegt die Bedeutung, die er dem Partisanen beimißt: er möchte ihn am liebsten aus der Konstellation des Kalten Krieges herauslösen, befreien von den übergeordneten Mächten und zur Perspektive seiner Großraumordnung machen. Im Jahre 1914 seien „die Völker und Regierungen Europas ohne wirkliche Feindschaft in den ersten Weltkrieg hineingetaumelt. Die wirkliche Feindschaft entstand erst aus dem Kriege selbst, der als ein konventioneller Staatenkrieg des europäischen Völkerrechts begann und mit einem Weltbürgerkrieg der revolutionären Klassenfeindschaft endete.“ Es ist kein Zufall, daß Schmitt hier den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg überspringt: im Übersprungenen liegen nach wir vor seine Hoffnungen, daß sich der Großraum doch noch realisiere: „Wer wird es verhindern, daß in einer analogen, aber noch unendlich gesteigerten Weise, unerwartet neue Arten der Feindschaft entstehen, deren Vollzug unerwartete Erscheinungsformen eines neuen Partisanentums hervorruft? Der Theoretiker kann nicht mehr tun als die Begriffe wahren und die Dinge beim Namen nennen. Die Theorie des Partisanen mündet in den Begriff des Politischen ein, in die Frage nach dem wirklichen Feind und einem neuen Nomos der Erde.“

Die Theorie des Partisanen hat den Untertitel: „Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen“. Und damit hält sie die Hoffnung fest, daß dem Partisanen wieder ein Souverän entspringe; daß aus wirklichen Feindschaft und dem echten Partisanen ein Großraum der Vernichtung hervorwächst. Wäre Schmitt so alt geworden, die Selbstmordanschläge in Israel und das Attentat auf das World Trade Center noch zu erleben, er hätte darin die Konsequenz seines gesamten Lebenswerks sehen können: seine Partisanen-Theorie erscheint wie eine Beschwörung des islamistischen Selbstmordattentäters. (Das Glänzen in den Augen Scholl-Latours, wenn er diese Ereignisse kommentiert, gibt einen Eindruck von der Befriedigung, die Schmitt darüber empfunden haben würde.) Der Partisan, der einmal gegen Faschismus und NS-Herrschaft rebellierte, verkehrt sich allmählich in sein Gegenteil; verwandelt sich dem Feind an. Gerade jene rein formalen Merkmale seiner politischen Aktivität, die Schmitt konsequent von allen inhaltlichen Voraussetzungen abgetrennt hatte und in dieser Abstraktion fetischisierte, werden nun unmittelbar inhaltlich, realisieren, worauf die Theorie vom Ausnahmezustand immer gezielt hat: Opfer und Vernichtung. Suicide attack ist der neue Begriff des Politischen.

So kehrt im Märtyrer des Djihad der „politische Theologe“ wieder; er streift die Bindung an die übergeordnete international agierende, unpolitische Macht, die im Kalten Krieg dominierte, ab – wie Bin Laden nach dem Partisanen-Krieg gegen die Sowjetunion in Afghanistan die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten - und besinnt sich auf den tellurischen Charakter seines Kampfes, auf Blut und Boden: d.h. er verliert nicht die Ortung in einem Großraum, sondern nimmt im Gegenteil von diesem Großraum aus den ebenso irregulären wie unversöhnlichen Kampf mit eben jener Macht auf, in deren Dienst er gestanden hat.

zuerst erschienen in konkret 4/2003