FORVM, No. 237/238
September
1973

„Wir bleiben drin!”

Hausbesetzungen, Mieterstreiks, Bodenspekulation in der BRD

1 Reportage Frankfurt/Schumannstraße

Der derzeit wundeste Punkt in Frankfurt ist die Ecke Bockenheimer/Schumannstraße: vier besetzte Häuser. Hundertzwanzig Bewohner. 20% sind Arbeiter und Angestellte. Der Rest Studenten. Sie sagen: „Wir haben Häuser besetzt, um aus der Isolation von Einzelzimmern und anonymen Studentenheimzimmern rauszukommen; wir zogen in Wohngemeinschaften zusammen, um unser Leben gemeinsam zu organisieren. Schließlich macht es kaum einen Unterschied, ob man 2 Würste brät oder 6. Der Unterschied ist der, daß man nur einmal in der Woche zum Kochen und zum Putzen drankommt. Für unsere Kinder ist immer jemand da, nicht nur die Mutter. Wir versuchen unsere Probleme gemeinsam zu bewältigen.“ Alle wissen, daß sie am 31. Oktober auf der Straße liegen. Obdachlos. Denn weder der SPD-Magistrat noch dessen rechte Hand, die Wohnheim GmbH., die als Verwalterin für die Großspekulanten Bubis, Singer und Landschaft die Häuser betreut, genauer: verfallen läßt, haben ein Interesse daran, den Bewohnern ihr elementarstes Bedürfnis auch nur einen Tag länger zu gewähren: das Dach überm Kopf.

Außen an den um die Jahrhundertwende im großbürgerlich-soliden Stil gebauten Westend-Häusern artikuliert sich in Spruchbändern der Protest der Bewohner. Innen geht es eher beschaulich zu. Es wird repariert, gebastelt, auf eigene Kosten investiert, als gebe es keinen 31. Oktober. An den Wänden Persiflagen auf „Trautes Heim, Glück allein“, aber keine gepackten Koffer.

Hausbesetzer sind Prügelknaben der Grundrente. Weil sie genau da anzutreffen sind, wo dessen Widersprüche am schärfsten hervortreten. In zumeist guterhaltenen Wohnhäusern, bei denen jedoch allein der Grund und Boden, auf dem sie stehen, die Augen der Spekulanten zum Glänzen bringen. Die werden keine Ruhe geben, bis die vier Häuser abgerissen sind und an ihrer Stelle ein 28stöckiges Bürohochhaus steht.

Daß im Frankfurter Westend — dem Viertel, auf das das Kapital geil ist — noch vor 20 Jahren 40.000, jetzt 20.000, in Zukunft nur mehr 10.000 Menschen wohnen werden, wird als selbstverständliches Opfer für den Gott Fortschritt betrachtet. Das Leben wird aus der Stadt hinausbetoniert, indem man diese parzelliert. Der Plan ist durchsichtig: die Zerstückelung in Schlaf-, Arbeits- und Konsumstädte zwingt die Bevölkerung, eben diesen drei für das Kapital einzig wünschenswerten Beschäftigungen nachzugehen. Die Funktionen werden lokalisiert, nicht nur die Arbeit, auch die Freizeit wird entfremdet.

Wer versucht, städtisches Leben zu rekultivieren, wird von der Polizei verprügelt. Aus dem Flugblatt des Frankfurter Häuserrats: „Gegen friedliche Straßenfeste in der Bleichstraße und in der Bergerstraße wurden Wasserwerfer und Polizeiknüppel eingesetzt.“ „Am 28.6. beschlagnahmte man vor den Augen von Hunderten von Leuten den Lautsprecherwagen des Häuserrates an der Hauptwache, um zu verhindern, daß weiter öffentlich über die Zustände in dieser Stadt diskutiert wird. Die Presse unterschlug der Öffentlichkeit diesen Vorfall.“

Bewußt versuchte Stadtrat Berg (SPD) die vom unsozialen Wohnungsbau am härtesten betroffene und deshalb zumeist gemeinsam protestierende Gruppe der Gastarbeiter und Studenten zu spalten, indem er verlauten ließ, die Studenten würden den ausländischen Arbeitern den Wohnraum wegnehmen. Das ist blanker Zynismus angesichts von 114.000 ausländischen Arbeitern, mittels deren Ausbeutung Frankfurt erst zur profitträchtigsten Stadt der BRD wurde und die größtenteils in so miserablen Behausungen untergebracht sind, daß selbst Hessens Innenminister Hanns Heinz Bielefeld (SPD) anläßlich einer Besichtigung gestand: „Und das in der Bundesrepublik! Wir müssen uns schämen.“ Ein Vermieter hatte zum Beispiel ohne Skrupel für 16 m2 DM 335 Miete verlangt.

Zur Pflege ihres ersten Buchstabens offerierte die Frankfurter SPD ein „Sozialbindungspapier“; es enthält die schöne Parole (vor den letzten Wahlen ausgegeben): „Kein Abreißen menschenwürdiger Wohnungen, nur weil Büropaläste mehr Gewinn bringen!“ Die hochverschuldete Stadt braucht jedoch höhere Einnahmen aus der Gewerbesteuer; also planiert sie über ihre Bürger hinweg dem Kapital den Weg.

Die Hausbesetzer stehen mit den Rücken zur Wand, an die schon die Spitzhacke schlägt. Der Versuch, sie über Kriminalisierungskampagnen von der Bevölkerung zu isolieren, ist gescheitert. 6000 Frankfurter Bürger erklärten sich in einer Unterschriftenaktion mit den Besetzern solidarisch. Umso wütender reagierte die Polizei. Der Häuserrat berichtet: „Am 30.6. sitzen nachmittags Bewohner der Schumannstraße 69/71 auf dem Gehsteig, sie reden miteinander, ein Bierauto kommt vorbei, man kauft einen Kasten, vom Balkon kommt Musik — und plötzlich das Überfallkommando mit Hunden. Sie verbieten, auf dem Gehsteig und den Randsteinen zu sitzen. Als man darüber lacht, spritzen hinzugekommene Zivilpolizisten den Leuten Tränengas und eine ätzende Säure ins Gesicht. Ein bekannter Rechtsanwalt, der dies miterlebte, machte Meldung bei der Presse. Doch auch das wird unterdrückt und verschwiegen!“

In einem Haus wurden die Stromzähler demontiert. Zahlungsbefehle der ‚‚gemeinnützigen“ Wohnheim GmbH., die der Stadt — und somit der SPD — untersteht, verlangen von den Besetzern eine Summe von 38.000 DM. Weil sich die Wohnheim weigert, nötige Reparaturen an den Häusern zu bezahlen, befinden sich die Besetzer seit Mai im Mietboykott, um mit dem zurückgehaltenen Geld anfallende Kosten an ihren Häusern selbst zu finanzieren. Aus eigenen Mitteln errichteten sie einen Kinderladen und ein Mieterzentrum.

Im Juli fanden mehrere Prozesse statt, die die Räumung der vier Häuser beschleunigen sollten. In seiner Begründung auf Zurückweisung der Räumungsklage beantragt das Blockkollektiv, diejenigen Banken als Zeugen zu laden, die Spekulationsgelder („allein für das Selmi-Hochhaus am Platz der Republik wurden 60.000.000 DM Kredit gegeben“) zur Verfügung stellten. Namentlich werden aufgeführt: „Norddeutsche Kreditbank (landeseigen!) und vor allem die Frankfurter Hypothekenbank (zu über 80%), die ihrerseits zu 33,4% der Dresdner Bank und zu 25% der Deutschen Bank gehört. Die beiden letztgenannten Banken haben also eine klare Mehrheit der Anteile und sind somit hauptverantwortlich für die Spekulation von Bubis & Co.“

Trotz ständig zunehmender Repression werden die Besetzer ihre Häuser nicht räumen: „Man wird den Widerstand der Bevölkerung nicht unterdrücken können, diesen Kampf kann man nicht mit Polizeigewalt brutal niederhalten, denn es geht um die Zukunft unserer Stadt, unseres Lebens. Es geht darum, der Entmenschlichung unseres Lebens durch das Profit-Prinzip unsere Solidarität entgegenzusetzen!“

2 SPD nascht mit am Profit

Wohnungsmarkt in der BRD: das zunehmend geschärfte Bewußtsein einer Million wohnungssuchender Menschen, die wissen, daß 100.000 zum Teil mit ihren Steuergeldern finanzierte Luxuswohnungen leerstehen. Aus den Städten verschwinden zunehmend die mit großzügigem Wohnraum ausgestatteten Altbauten — es ist nur eine Frage der Zeit, wann die erste Luxuswohnung besetzt wird. Da helfen auch keine Tricks, die leerstehenden Luxuswohnungen mit Gardinen und Namensschildern zu versehen (wie in Frankfurt geschehen), um potentielle Besetzer zu täuschen.

Wohnungsmarkt in der BRD — das ist die Skrupellosigkeit einer Tochtergesellschaft der gewerkschaftseigenen „Neuen Heimat“, der BEWOBAU, die ihre exklusiven Wohnungen in Hamburg nur noch mittels Lockangebot eines kostenlosen VW als Beigabe an den (reichen) Mann bringen kann. Geht’s um den Abriß noch gut erhaltener Häuser, wie an Hamburgs Alster, dann verhält sich die am „Gemeinwohl“ orientierte Bewobau wie jeder schäbige Spekulant. Wer sich gegen die Räumung sträubt, wird mit Polizeigewalt auf die Straße gesetzt. Diese Politik hält die Neue Heimat (Jahresumsatz 1973 ca. 5 Milliarden DM) für „nahezu revolutionär“. In einer doppelseitigen FAZ-Selbstdarstellung tritt sie die Flucht nach vorn an und läßt die Konzeption der von ihr bis vor kurzem noch propagierten Trennung von Arbeits- und Schlafstädten, „in denen tagsüber grüne Witwen und Kinder ein seltsam unwirkliches Leben zu leben suchen“, wie eine heiße Kartoffel fallen. Auch die Neue Heimat treibt Zukunftsforschung: Die gestern noch profitablen Schlafstädte kommen in den Ruch von Ghettos. Die Selbstmordrate von Frankfurts hochgelobter Nord-West-Stadt ist die höchste in ganz Hessen.

Die Neue Heimat (vor 50 Jahren zur „Verbesserung der Wohnsituation der Arbeiter“ gegründet) entschloß sich deshalb, „die Warnblinker einzuschalten“. Sie spekuliert heute mit den Scheckheften der Reichen. Exklusiv für den norddeutschen Jet-Set soll sich dank Neuer Heimat „gleich hinter der Uferpromenade an Hamburgs Außenalster ... weiß und durch pyramidenartige Verjüngung zur Spitze hin, vom Eindruck der Schwere befreit, ein, den gesamten ehemaligen Stadtteil (St. Georg) überspannender, moderner Wohnkomplex türmen“. Der Plan wurde kritisiert. Die Neue Heimat reagierte beleidigt. Sie fühlt sich in dem „Signalwert des Alstermodells“ verkannt. Sie hatte es doch gut gemeint — für wenige.

Wohnungsmarkt: das sind auch erste Erfolge der Mieter, die sich in Bonn/Neuer Lindenhof und Darmstadt-Kranichstein weigerten, bis zu 60% Mieterhöhungen zu akzeptieren und die jetzt in Frankfurt zum erstenmal mal die Rechtmäßigkeit ihres Mietboykotts gegen die Gemeinnützige Aktienbaugesellschaft für kleine Wohnungen (ABG) gerichtlich bestätigt bekamen. In dem Prozeß am 20.8.73 gegen die ABG, die die Kosten für die Erneuerung ihres Altbaubestandes ganz auf die Mieter abwälzen wollte, begründete Richter Raasch sein für die noch anstehenden 1500 Miet-Prozesse wegweisendes Urteil, daß der gemeinnützige Wohnungsbau ein öffentlich gefördertes Gegengewicht zum profitorientierten privaten Wohnungsbau darstellen müsse. Raasch: „Eine gemeinnützige Gesellschaft hat sich an einem anderen Niveau zu orientieren.“

Die Bosse der Neuen Heimat sollten sich dieses Urteil über ihre Schreibtische hängen.

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