MOZ, Nummer 49
Februar
1990

Wir kapitulieren nicht

Der französische Streit um das Tragen des islamischen Kopftuches (die MONATSZEITUNG berichtete darüber im Dezember) ist Ende November vorübergehend entkrampft worden. Der von Unterrichtsminister Jospin einberufene Staatsrat erklärte die weibliche Kopfbedeckung für vereinbar mit dem laizistischen Prinzip der Trennung von Staat und Kirche an französischen Schulen. Aber der Konflikt ist noch lange nicht ausgestanden, ist es den Direktor/inn/en doch anheimgestellt zu entscheiden, ob sie dem Tuch an ihrer Schule „Bekehrungseifer“ unterstellen wollen oder nicht. Die Argumente zugunsten islamischer Schulen werden neue Nahrung bekommen.

Daß die rechtsextremen Anhänger/innen Le Pens mit der Entscheidung des Staatsrates die Grande Nation untergehen sehen, entspricht ihrer rassistischen Grundeinstellung. Daß sie aus dem Konflikt politisches Kapital schlagen, versteht sich von selbst. Den Moslems selbst oder dem liberalen Unterrichtsminister für diese fatale Entwicklung die Schuld zu geben, wie es „Der Spiegel“ getan hat, erinnert an jene, die die Juden wegen ihrer ‚Andersartigkeit‘ für den Antisemitismus verantwortlich machen. Interessant an der so nebensächlich erscheinenden Kopftuchfrage ist die Debatte unter aufrechten Demokrat/inn/en. Wobei zwischen französischen „Christ/inn/en“ und Angehörigen der drei Millionen Moslems in Frankreich unterschieden werden muß. Liberale, laizistische, in die französische Gesellschaft halbwegs integrierte Moslems fühlen sich durch fundamentalistische Tendenzen verständlicherweise bedroht, umso mehr, wenn sie Frauen sind. Wenn „christliche“ Franzosen und Französinnen ein Wehgeschrei anheben, dann ist die Frage nach den Hintergründen dieser irrationalen Ängste berechtigt.

Widersprüchlich ist auch die Haltung von linken Männern und Frauen, die die laizistische Schule und die „Würde der Frau“ offensichtlich nur dann bedroht sehen, wenn es sich bei den zur Schau gestellten religiösen Symbolen um islamische handelt. Wann ist jemals einem Mädchen das Tragen ihres Kreuzchens am goldenen Kettchen verboten worden? Auch eine ähnliche Debatte um die „Kippa“ auf den Köpfen jüdischer Knaben wäre unvorstellbar. Doch die Arbeitsemigrant/inn/en aus Nordafrika und der Türkei sind eben nicht Menschen wie du und ich. Während niemand auf die Idee käme, alle KatholikInnen mit mit dem fundamentalistischen Bischof Lefevre gleichzusetzen, sind für ein Gutteil des französischen Mehrheitsvolkes Moslems Terroristen, religiöse Eiferer und Frauenhasser.

Unerträglich heuchlerisch wird es, wenn sich der sozialistische Premierminister Rocard im Pornoparadies Paris zum leidenschaftlichen Verteidiger der Frauenrechte aufschwingt: „Die französische Nation, ihr Rechtswesen und ihre öffentliche Einrichtungen sind nicht bereit, auf französischem Boden Zeichen der Herrschaft des Mannes über die Frau hinzunehmen.“ Von gutmeinenden Sozialist/inn/en und Kommunist/inn/en wird die Ghettoisierung und Selbstausgrenzung der moslemischen „Mitbürger“ beklagt, ohne die sozialen Bedingungen zu betrachten, die zu diesem neuen kulturellen Selbstbewußtsein geführt haben, das wohl als Schutz gegen soziale Deklassierung und Marginalisierung zu verstehen ist. Anstatt Respekt vor dem Anderssein und Lust an der multikulturellen Gesellschaft zu fördern, predigen sie Assimilation. Anstatt die Aufgabe der Lehrer/innen darin zu sehen, die junge Generation zu befähigen, ihre eigenen politischen, kulturellen und religiösen Entscheidungen zu treffen, bestehen sie darauf, vor allem die Mädchen als willenlose Marionetten ihrer fundamentalistischen Väter zu sehen.

Und die „christlichen“ Feministinnen? Ebenso wie bei den Linken geht der Streit quer durch die Reihen, doch auch sie tendieren dazu, ihrer eigenen Kultur in kolonialistischer Denkart mehr Humanismus zuzutrauen als der fremden. Feministinnen aus dem deutschsprachigen Raum haben sich angeschlossen. „Und wann sind wir dran?“ fragt „Emma“ im Tonfall Schönhubers („Schon demonstrieren sie auf den Straßen“) und spricht diffamierend vom „Tschador“, wo es sich um ein schlichtes Kopftuch handelt. „Wir kapitulieren nicht!“ sagen auch die französischen Lehrer/innen. „Wir?“ Das französische Volk, bedroht von den arabischen Horden? „Wir?“ Das deutsche Volk, das sich gerade anschickt, seine blonde Einheitlichkeit neu zu entdecken? Ist Rassismus nichts anderes als ein „politischer Renner“, wie Daniela Tomasini in den AN.SCHLÄGEN unterstellt, die sich auch gleich mit der französischen Staatsmacht solidarisieren: „Trotz ausdrücklichen Verbots“ sei die Vereinigung arabischer Frauen aus Solidarität mit den vom Unterricht ausgeschlossenen Kopftuchträgerinnen auf die Straße gegangen!

Feministinnen sind so überzeugt von der Rechtschaffenheit ihres Anliegens, daß sie ihren eigenen Rassismus nicht bemerken. Die Einordnung aller Frauen in das Weltbild der weißen Mittelschichtfeministin ist im deutschsprachigen Raum immer noch kein Thema. Für schwarze Feministinnnen in den USA und Großbritannien ist Rassismus mehr als ein „politischer Renner“. „Bei der Analyse der Unterdrückung schwarzer Frauen müssen wir dem Rassismus erste Priorität einräumen“, sagte Cecily Vahau auf der Konferenz sozialistischer Feministinnen in Göteborg im November des Vorjahres.

Acht Schülerinnen einer Schule in Avignon wissen besser als wir, was Rassismus ist. Als eine ihrer Mitschülerinnen wegen des Kopftuches vom Unterricht ausgeschlossen wurde, kamen sie spontan, ohne vorherige Absprache, ihrerseits mit dem Kopftuch zur Schule. „Mir ist die Religion völlig egal“, sagte Djamila der Zeitung „Libération“, „aber ich habe mich aus Protest spontan dazu entschlossen, weil es einfach ungerecht ist. Schließlich muß man doch das Recht haben, sich anzuziehen, wie man will.“

Natürlich bin ich gegen Kopftuch, Schleier, Tschador, natürlich weiß ich, daß Möglichkeiten der Selbstbestimmung für Töchter fundamentalistischer Väter begrenzt sind. Den Vater durch den Staat zu ersetzen, ist aber keine Lösung, besonders dann nicht, wenn er, von Überfremdungsängsten gebeutelt, als abendländisches Bollwerk auftritt.

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