FORVM, No. 222
Juni
1972

Zeitung ist‚ was zwischen Inseraten Platz hat

1. Teil einer Medienkritik

I. Pressefreiheit und Massenmedien

Pressefreiheit ist heute oft eine Sprechblase aus den Mündern recht zweifelhafter Freiheitshelden.

Als hingegen auf den Druckerpressen des Bürgertums noch in goldenen Lettern „Hoch die Pressfreiheit“ stand, hieß das etwas sehr Konkretes: Freiheit, gegen den absoluten Staat und für die bürgerlichen Ideen zu schreiben, so lange, bis jener Staat fiel und diese Ideen sich durchsetzten: es war Freiheit von unten nach oben: Freiheit im Interesse einer zahlreichen, ökonomisch, kulturell und politisch aufsteigenden historischen Formation im Kampf gegen eine sehr viel weniger zahlreiche, ökonomisch, politisch und kulturell absteigende Formation.

Und eine Zeitung war relativ leicht zu gründen. Das nötige Kapital ließ sich sammeln unter jenen, deren Interessen und Ideen verfochten werden sollten; eben jene bestritten die laufenden Kosten durch Abonnement.

So machte es noch Karl Marx mit der „Neuen Rheinischen Zeitung“.

Und nach diesem bürgerlichen Modell wurde dann auch die klassische Arbeiterpresse finanziert. (Vgl. Bebel, Aus meinem Leben, 3. Teil, Stuttgart 1914, S. 22: „Wir machten die Erfahrung, daß die Blätter stets dann verboten wurden, sobald der Abonnementstand so weit gediehen war, daß er ihre Kosten deckte.“ — 1878 gab es, auf diese Weise finanziert, 23 Tages- und Wochenzeitungen der Partei und 14 Gewerkschaftsblätter: a.a.O., S. 19.)

Heute gibt es längst weder die klassische bürgerliche noch die klassische Arbeiterpresse. Was Marx in seiner „Neuen Rheinischen Zeitung“ als „erste Pflicht der Presse“ definierte, wohlgemerkt: der bürgerlichen, gegen den absoluten Staat anrennenden Presse: „alle Grundlagen des bestehenden Zustands zu unterwühlen“ (N.Rh.Z., 14.2.1849) — hat sich längst verkehrt; die erste Pflicht der Presse, verstärkt um Rundfunk und Fernsehen, lautet jetzt: alle Grundlagen des bestehenden Zustandes zu erhalten und auszubauen. Das ist logisch: solange das Bürgertum nicht an der Macht war, sollte Presse es dorthin bringen; seit es an der Macht ist, soll Presse es dort belassen — gegen die politischen, ökonomischen, kulturellen Interessen der unterdessen heranwachsenden nächsten historischen Formation einer großen Mehrheit von Lohn- und Gehalt-Abhängigen.

Ohne vorgängige Einsicht in diesen historischen Funktionswandel der Presse bleibt alles Reden von Pressefreiheit bloßes Reden.

Jürgen Habermas beschreibt diesen Funktionswandel als den Wandel von der Gesinnungs- zur Geschäftspresse (J. H., in: D. Prokop: Massenkommunikationstheorie I., Fischer Taschenbuch, Frankfurt 1972, S. 288 f.):

Eine Presse, die sich aus dem Räsonnement des Publikums entwickelt und dessen Diskussion bloß verlängert hatte, blieb durchaus Institution dieses Publikums selbst ... Exemplarisch ... in Revolutionszeiten, wenn die Zeitungen der kleinsten politischen Zusammenschlüsse nur so aus dem Boden schießen — im Paris des Jahres 1789 und ... 1848 ...: über 200 Journale entstanden dort allein zwischen Februar und Mai ... Gesinnungspresse ist ... als ... Institution des diskutierenden Publikums primär damit befaßt, dessen kritische Funktion zu behaupten; so wird Betriebskapital erst sekundär, wenn überhaupt, zwecks profitabler Verwertung investiert. Erst mit ... Legalisierung einer politischen Öffentlichkeit wird die räsonnierende Presse vom Gesinnungsdruck entlastet, sie kann jetzt ... die Erwerbschancen eines kommerziellen Betriebs wahrnehmen. In England, Frankreich und den USA bahnt sich eine solche Entwicklung von der Gesinnungs- zur Geschäftspresse während der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts etwa gleichzeitig an. Das Anzeigengeschäft erlaubt eine neue Kalkulation: bei erheblich herabgesetzten Preisen und einer vervielfachten Abnehmerzahl durfte der Verleger damit rechnen, einen wachsenden Teil seines Zeitungsraumes für Annoncen zu verkaufen.

Betreffend Pressefreiheit heißt dies zumindest dreierlei:

  1. Ein Gesicht hat Pressefreiheit, wenn die Presse für die konkreten: ökonomischen, politischen, kulturellen Interessen und Ideen ihrer Leser: einer gleichfalls konkreten, definierbaren großen Gruppe, von unten nach oben gegen eine herrschende Minderheit kämpft. Ein anderes Gesicht hat Pressefreiheit, wenn die Presse einer herrschenden Minderheit dient, von oben nach unten, zur Ruhighaltung der großen Mehrheit. Das heißt dann unter anderem: Pressefreiheit als Freiheit zu politischer und kulturellen Verblödung; Pressefreiheit als Freiheit zu ökonomischer Ausplünderung der Leser durch Anzeigen einer glitzernden Fülle von immer teureren, immer unnützeren Konsumgütern.
  2. Ein Gesicht hat Pressefreiheit, wenn die Leser die Zeitung bezahlen, die ihre Interessen und Ideen vertritt. Ein anderes Gesicht hat Pressefreiheit, wenn zu 60 bis 70 Prozent die werbende Wirtschaft die Zeitungen subventioniert, diese folglich u.a. deren Interessen vertreten.
  3. Ein Gesicht hat Pressefreiheit, wenn sie Freiheit einer Vielzahl von Menschen ist, mit einiger finanzieller Anstrengung eine Zeitung ihrer Meinung gründen und halten zu können. Ein anderes Gesicht hat Pressefreiheit, wenn sie Freiheit einiger weniger Apparaturen ist, mit größtem finanziellem Aufwand, technischer Perfektion und psychologischer Raffinesse, zwischen Unterhaltung und Werbung bunt verpackt, ihre Meinung millionenfach an jedermann zu bringen.

Jedermann hat immer noch gleichfalls das Recht, seine Meinung unterzubringen: daheim, oder am Stammtisch, oder in einem Leserbrief.

Übergetitelt: Chancengleichheit in der Demokratie.

II. Meinungsfreiheit und Medienfreiheit

Zwischen dem Ideal der Demokratie und der Wirklichkeit der Massenmedien wird gegenwärtig die Kluft immer größer. Daß „die Pressefreiheit für die Demokratie schlechthin konstituierend“ sei, ist bald auch nur noch eine Sprechblase (des westdeutschen Bundesverfassungsgerichtes, Erkenntnissammlung 5, 134f., 205).

Die klassische bürgerliche Pressefreiheit war wirklich ein geeignetes Mittel, (bürgerliche) Demokratie ins Leben zu rufen. Die heutige Medienfreiheit ist eher geeignet, Demokratie zu erschlagen. Die bürgerliche Pressefreiheit verwirklichte bürgerliche Meinungsfreiheit; die beiden Freiheiten waren deckungsgleich. Heute sind Medienfreiheit und Meinungsfreiheit eher Widersprüche. Meinungs- und Informationsfreiheit ist Freiheit jedermanns, seine Meinung zu äußern und sich ungehindert zu informieren (Art. 5 Grundgesetz der BRD; Österr.: Art. 13 Staatsgrundgesetz; Art. 10 Europ. Menschenrechtskonvention). Aber das ist Hohn für den Menschen und Bürger: wo und wie soll er seine Meinung äußern; wo und wie sich informieren? Er ist der finanziellen, technischen und psychologischen Macht der großen Medienfabriken ausgeliefert. Medienfreiheit ist in diesem Sinn Privilegienfreiheit: Meinungs- und Informationsfreiheit nicht jedermanns, sondern einiger weniger. Die allgemeine Meinungsfreiheit jedermanns sollte daher Vorrang haben.

Der als sehr konservativ geltende österreichische Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes ist genau dieser Meinung (Stellungnahme zum Arbeitskreis Massenmedien des Justizministeriums, Januar 1972, S. 15ff.): „Die Pressefreiheit ist als institutionalisierte Meinungsfreiheit zu sehen. Dem Grundrecht der Meinungsfreiheit muß wohl der Vorrang zuerkannt werden, weil es sich um ein Individualrecht handelt und solche Individualrechte der eigentliche Kern eines jeden Grundrechtkataloges sind. Darin dürfte wohl auch der Grund dafür zu sehen sein, daß weder Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention noch Art. 19 des UN-Paktes über bürgerliche und politische Rechte die Pressefreiheit ausdrücklich erwähnen ... Man könnte sogar die Auffassung vertreten, daß eine solche besondere Erwähnung der Presse mit dem Art. 14 EMRK festgelegten Grundsatz der gleichen Anwendung der in der EMRK garantierten Rechte auf alle nach der EMRK berechtigten Personen unvereinbar wäre.“

Um juristischen Scharfsinn schert sich aber die demokratische Wirklichkeit nicht. Alle Menschen sind gleich, zeitungsverlegende Menschen sind ein Stück gleicher. Die Massen haben in den Massenmedien nichts zu suchen: dort „sind die Massen nicht das Primäre, sondern ein Sekundäres, Einkalkuliertes; Anhängsel der Maschinerie“ (Adorno, Ohne Leitbild, Frankfurt 1967, S. 60f.)

III. Öffentliche Aufgabe und Mediengeschäft

Für die demokratische Meinungs- und Willensbildung in einer Massengesellschaft sind Massenmedien unentbehrlich, zum Zweck vielfältiger, umfassender, wahrheitsverpflichteter Information über Nachrichten und Meinungen. Insofern erfüllen Massenmedien in einer Demokratie eine öffentliche Aufgabe. Sie nehmen diese Aufgabe für sich in Anspruch, und sie erhalten sie vom Gesetzgeber bescheinigt, z.B. in den Landespressegesetzen von Bayern, Hamburg, Hessen (1948 ff.; Entwürfe: Österr. Regierungsvorlage eines Pressegesetzes 1961; BRD: Bundespresserechtsrahmengesetz, IG Druck und Papier, Stuttgart 1968; ditto, von einem Kreis sozialdemokratischer Juristen, vgl., a.o. Parteitag der SPD, Bonn 1971).

„Verleger sein heißt“, mahnt die von der westdeutschen Bundesregierung eingesetzte Pressekommission 1967, „eine öffentliche Aufgabe erfüllen, nicht den Gewinn maximieren. Die Verleger müssen aus dem Wesen der Meinungsfreiheit darauf sehen, daß sie nicht selbst die Meinungsfreiheit zerstören“; Antwort des Präsidenten des westdeutschen Verlegerverbandes, Hellmut Girardet: „Es ist überflüssig, die Verleger daran zu erinnern“ (zit. b. Christel Hopf in: D. Prokop, Massenkommunikationstheorie I, Fischer Taschenbuch, Frankfurt 1972, S. 194). Es ist nicht überflüssig, sondern zwecklos. Denn neben der schönen Idee der öffentlichen Aufgabe der Medien im Dienste der Demokratie lauert im gegebenen Gesellschafts- und Wirtschaftssystem stets die nicht ganz so schöne Wirklichkeit der Zeitungen als privatwirtschaftliche Geschäftsunternehmen.

Als die bürgerliche Presse gegen den absoluten Staat für (bürgerliche) Demokratie kämpfte, waren öffentliche, d.h. demokratische Aufgabe der Presse und ihr Dasein als private Geschäftsunternehmung noch einigermaßen zur Deckung zu bringen. An der Ware „Information und Meinung zwecks politischer Willensbildung der Leser“ bestand bei diesen Nachfrage; und diese waren imstande und bereit, Errichtung des Unternehmens und Kauf von dessen Waren kostendeckend auf sich zu nehmen. Heute hingegen leidet die Presse, wie das gegebene Gesellschafts- und Wirtschaftssystem überhaupt, an demokratisch-kapitalistischer Schizophrenie: sie soll auf Demokratie schauen, aber sie muß auf wirtschaftliche Existenz und/oder Profit schauen. Zwei Seelen ringen ach in ihrer Brust, eine demokratische und eine geschäftliche. Dies bestenfalls: findet das Ringen nämlich erst gar nicht oder schon nicht mehr statt: siegt die geschäftliche Seele, so geht die öffentliche Aufgabe regelhaft zugrunde: siegt aber die demokratische Seele, so geht regelhaft das Geschäftsunternehmen zugrunde. Denn:

Öffentliche Aufgabe in der Demokratie kann nur Presse besorgen, die existiert. Existieren kann Presse jetzt und hier nur als Geschäftsunternehmen. Als Geschäftsunternehmen hat sie in Rechnung zu stellen, daß ihre Kundschaft an demokratiewichtiger Information relativ wenig interessiert, jedenfalls nicht bereit und/oder in der Lage ist, dafür zu zahlen. Folglich lebt die Presse von Inseraten. Folglich muß ihr Inhalt dem entsprechen, was der, durch Karl Kraus der Nachwelt überlieferte Wiener Pressezar Bekessy, schon in den zwanziger Jahren so definierte: redaktioneller Teil ist, was zwischen den Inseraten Platz hat. Dementsprechend schaut oft dieser redaktionelle Teil aus, nämlich nicht entsprechend der öffentlichen Aufgabe in der Demokratie; Massenmedien machen aus Massen Medien, nicht Bürger.

Tatsächlich sind die Massenmedien in der bestehenden gesellschaftlichen Situation keine ... Apparate zur folgenreichen Kommunikation über gesellschaftsrelevante Fragen ... (Vielmehr geht es ihnen um) universale Verkäuflichkeit gegenüber einem heterogenen, aus vielen Subkulturen und Sozialkategorien zusammengesetzten Publikum ... (Dessen) Bewußtsein wird vom System der Arbeit geprägt; (die) Tätigkeit am Arbeitsplatz festigt Bedürfnisstrukturen, die für formale Elemente auch im Freizeitverhalten ... empfänglich sind ... Farbe, Bewegung, Rhythmus, Virtuosität ... (Durch) technisch-formale Perfektion und Vielfalt legitimieren die Massenmedien die Unterdrückung und Auslassung der systemsprengenden Komponenten auch der von ihnen befriedigten Bedürfnisse. So wird z.B. das Interesse am Mitreden ... in gesellschaftlich relevanten Fragen durch perfekte Berichterstattung über nichtige Aspekte relevanter Ereignisse zur formalen Partizipation ... Da aber die Befriedigung der formal-abstrakten Momente ... mit infantilen Lustmomenten verbunden ist, (ist dies) die Basis, ... auf der das Einschalten des Fernsehapparates, das Lesen einer Illustrierten freiwillig geschieht ... ‚Unterhaltung‘ (heißt, daß) die Bereitschaft zur Abwehr gleichgewichtsbedrohender Glücksansprüche durch die Garantie formaler Vielfalt und Perfektion gratifiziert wird ... Die Werbewirtschaft ... vergibt die Aufträge an jene Medien, denen solche Fixierung der Konsumenten effektiv gelingt.

(Dieter Prokop, Massenkommunikationsforschung I, Fischer Taschenbuch, Frankfurt 1972, S. 10 ff.)

Schon in den zehner Jahren gab Karl Bücher die klassische Definition, daß „die Zeitung den Charakter einer Unternehmung annimmt, welche Anzeigenraum als Ware produziert, die durch einen redaktionellen Teil absetzbar wird“ (K.B., Die Entstehung der Volkswirtschaft, Bd. 1, Tübingen 1917, S. 257.)

Anteil der Anzeigenerlöse an den Gesamterlösen in der BRD

bei Frauen- und und Modezeitschriften (1964) 68,4%
bei Illustrierten (1964) 67,8%
bei Tageszeitungen, die hauptsächlich im Abonnement vertrieben werden (1964) 66,0%
bei Tageszeitungen, die hauptsächlich im Straßenverkauf vertrieben werden (1964) 45,0%
bei Landesrundfunkanstalten (1966) 32,4%
beim ZDF (1966) 48,3%
(Dieter Prokop a. a. O., S. 120f.)

IV. Meinungsvielfalt und Medienkonzentration

Zu Zeiten, da das Bürgertum gegen den Absolutismus kämpfte, war Meinungsvielfalt kein wesentliches Problem der Pressefreheit. Die Scheidelinie zwischen den großen Meinungs- und Interessengruppen ging nicht so sehr quer durch die Presse, sie verlief an deren Rand: seine Meinung wollte nur das kämpfende Bürgertum mittels Pressefreiheit ausdrücken, der Absolutismus drückte seine Meinung mittels Zensur aus. Heute — grob gesprochen: zu Zeiten des Übergangs von einer historischen Formation zur nächsten — ist dies anders. Die Ausfechtung dieses Übergangs muß sich zunächst und vor allem im Bewußtsein vollziehen. Was Hegel schrieb für die Übergangszeit zwischen Absolutismus und Bürgertum ist ebenso wahr für die heutige Übergangszeit: „Ist das Reich der Vorstellung revolutioniert, so hält die Wirklichkeit nicht stand.“ Das Reich der Vorstellung zu revolutionieren, ist, wie es einst Aufgabe des aufsteigenden Bürgertums gegen den herrschenden Absolutismus war, heute Aufgabe der nächstaufsteigenden Formation (grob gesprochen: der sozialistischen) gegen das herrschende Bürgertum. Die Revolutionierung der Vorstellung zu verhindern, das Standhalten der Wirklichkeit seiner Herrschaft zu sichern, kann das Bürgertum nicht oder nicht hauptsächlich Zensur, Polizei, Gerichte u.dgl. einsetzen, zumindest nicht, wenn und solange es in den Formen der parlamentarischen Demokratie herrscht: da braucht es Gedankenpolizei, demokratische Zensur der Vorstellungen der Massen mittels Massenmedien: Medienfabriken, Bewußtseinsindustrie. „Massenkommunikation verdankt in den spätkapitalistischen Gesellschaften ihre Ausbreitung zu einem beträchtlichen Teil (dem) Interesse der Großkonzerne und Parteien ..., diese Investition in Werbung und Public Relations für Stabilisierung und Kalkulierbarkeit der Einstellungen und Prädispositionen des Publikums zum Kauf oder zur Wahl zu sorgen“ (Dieter Prokop, a.a.O., S. 9).

Die Bewußtseinsindustrie kann nur funktionieren durch zunehmende Konzentration:

  1. weil sie eben Industrie ist: im bestehenden Gesellschaftsmodell kommen Massenmedien, als Geschäftsunternehmen, nur vorwärts wie andere Unternehmen auch: durch Konzentration und Zentralisation des Kapitals;
  2. aber aus dem speziellen Grund, daß die eigentliche Leistung der Massenmedien: Unterhaltung für Infantile statt Information für Mündige, und nach Einfangen möglichst vieler Infantiler: Großanzeigen von Großkonzernen immer weniger erbracht werden kann durch kleinere, selbständige Medieneinheiten. „Nur die kapitalkräftigsten Medienkonzerne sind in der Lage, die effektivsten und modernsten technischen Innovationen ... zu entwickeln, die aufgrund formaltechnischer Qualitäten wie Buntheit und Glanzdruck ... Schnelligkeit der Übermittlung ‚aktueller‘ Bilder ... die Rezipienten interessiert und zahlungsbereit halten“ (Prokop a.a.O., S. 12f.)
    Nur große Medienkonzerne haben
    1. entsprechende Kapitalkraft, dementsprechend:
    2. Möglichkeit zu technischer Innovation und Perfektion;
    3. zu Risikoübernahme bei hohen Auflagen und hohen Kosten;
    4. zu Risikostreuung auf mehrere konzerneigene Medienobjekte;
    5. zur monopolartigen Beherrschung entsprechend großer Märkte;
    6. zur dementsprechenden Umsatzsteigerung;
    7. zur starken Stellung gegenüber der Werbebranche mittels Hinweis auf Marktanteil, Umsatz, auch mittels Koppelung von Inseratentarifen mehrerer konzerneigener Medien;
    8. zur dementsprechend gewinnträchtigen Kapitalanlage.
      (vgl.D. Prokop a.a.O., S. 12ff, H. Holzer bei Prokop, a.a.O., S. 115ff.)

Nicht zufällig fehlt in dieser Liste der Ursachen von Konzentration und Zentralisation des Medienkapitals — die am meisten und meist entschuldigend genannte kostensenkende Rationalisierung.

M. Hintze berichtet, daß „die Vorteile der verlagsbetrieblichen Konzentration nur zu einem geringen Teil im Kostenbereich lagen (M. H., Massenbildpresse und Fernsehen, Gütersloh 1966, S. 149f). Desgleichen bezweifelt H. Holzer, „ob die durch solche Konzernbildung ermöglichte Rationalisierung überhaupt kostensenkend wirken kann. Denn das könnte eigentlich nur der Fall sein, wenn die Verlage einen relativ hohen Bestand an fixen Kosten z.B. ... für maschinelle Ausrüstung hätten, der durch einen erhöhten Ausstoß an Zeitungen ... stückkostensenkend genützt werden könnte. Tatsächlich sind aber die entscheidenden Probleme ... nicht die fixen, sondern die variablen Kosten, nämlich vor allem die Papier- und Arbeitskosten. Diese ... sind durch Konzernbildung nur schwer aufzufangen“ (H. Holzer bei Prokop a.a.O., S. 119, ebenso: Bundesministerium des Inneren, Bericht der Kommission zur Untersuchung der Wettbewerbsgleichheit von Presse, Rundfunk, Film, Bonn 1967, S. 88).

Tatsächlich sind in den Jahren 1966 bis 1970 nicht nur die Gesamtkosten der Zeitungsverlage in der BRD gestiegen, sondern sie stiegen insbesondere bei Blättern mit mehr als 125.000 Stück Auflage, d.h. gerade bei solchen, die in großen Verlagskonzernen erscheinen:

Gesamtkosten je verkauftes Zeitungsexemplar in DM

  1966 1970
über 125.000 Aufl. 14.47 (= 100) 19.56 (= 135)
75.000-125.000 15.68 (= 100) 18.69 (= 119)
45.000-75.000 13.18 (= 100) 18.93 (= 144)
25.000-45.000 13.79 (= 100) 15.33 (= 111)
15.000-25.000 12.83 (= 100) 17.09 (= 133)
bis 15.000 11.67 (= 100) 14.07 (= 121)

Sicher ist die größte Kostensteigerung gerade bei den auflagenstärksten Blättern (nur in der Gruppe von 45.000-75.000 Aufl. ist sıe noch gröBer) mitverursacht durch höhere Redaktionskosten, denkmöglicherweise durch dementsprechend bessere Information, jedenfalls durch größere Seitenzahl. Ein Argument, daß Medienkonzerne billiger produzieren, läßt sich keinesfalls daraus gewinnen.

Das ist aber auch egal, denn stärker als der Gesamtumfang stieg jedenfalls die Zahl der Anzeigenseiten:

Tagespresse der BRD

  1966 1968
Gesamtumfang 100 106,6
Anzeigenseiten 100 110,3
(Industriegewerkschaft Druck und Papier, Dokumentation Tendenzschutz und Pressekonzentration, o.J. [1971], S.23.)

Noch eindeutiger stiegen die Anzeigenerlöse:

Tagespresse der BRD

  1964 1970
Verlage als selbständige wirtschaftliche Einheiten 418 (=100) [1] 330 (= 79) [2]
Verkaufte Auflage (Mio.) 20,1 (=100) 21,9 (= 109)
Anzeigenerlöse (brutto, Mio.) 1,7 (=100) 3,1 (= 182)

Die Industriegewerkschaft Druck und Papier (a.a.O., S. 23.) zitiert einen Betriebskostenvergleich (Engelmann, Rutsatz, Brix in ZV + ZV), wonach „1971 nur noch mit einem Durchschnittsgewinn von 1 DM pro Stück/Monat zu rechnen sei, gegenüber 1,52 DM 1967. Immerhin ergibt sich daraus selbst für ein kleines Lokalblatt mit 5000 Auflage ein Monatsgewinn DM 5000 aus dem Zeitungsgeschäft. Bei der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, der auflagenstärksten Tageszeitung mit rund 550.000 Exemplaren, ein monatlicher Gewinn von DM 550.000 ... Aus diesen wenigen Zahlen ergibt sich ganz klar, daß — und aus welchen Gründen — die Pressekonzentration von den Großen betrieben wird. Mit steigender Auflage potenziert sich der Anzeigenumsatz und damit der Gewinn. Eine Auflagensteigerung ist am Markt kaum noch zu erzielen (seit 1966 stagnieren die Auflagen: IG Druck und Papier, a.a.O., S. 20. — G.N.), also muß die Auflage und vor allem das Verbreitungsgebiet anderer, schwächerer Zeitungen übernommen werden. Der Zug zur Konzentration beinhaltet nichts anderes als handgreifliche wirtschaftliche Interessen.“

Genauer: Konzentration bringt nicht, oder nicht vornehmlich, kostensenkende Rationalisierung, wohl aber:

  1. Marktmacht, und da diese, d.h. massenhaftes Publikum, hauptsächlich durch dessen Idiotisierung zustandekommt und da die Vorstellungen idiotisierter Leser dementsprechend formbar werden.
  2. Meinungsmacht.

Die Konzentration zwecks Markt- und Meinungsmacht ist dementsprechend nicht nur (Ziffern für BRD-Tagespresse):

ökonomische Konzentration: Verringerung der Zahl der Verlage als selbständige wirtschaftliche Einheiten: 1964 = 418 = 100; 1970 = 330 = 79 — sondern auch und zwar genau gleichläufig:

publizistische Konzentration: Verringerung der Zahl der politischen Redaktionen als selbständige publizistische Einheiten: 1964 = 183 = 100; 1970 = 145 = 79.

(Ziffern für 1964: Diederichs bei Prokop, a.a.O.; S. 77; für 1970: a.O. Parteitag der SPD, a.a.O., S. 455.)

Viel deutlicher noch ist die Auflagenkonzentration: 1970 entfielen rund 50% der verkauften Tageszeitungsauflage auf 3% der Verlage; 1968 entfielen 41,1% der verkauften Tageszeitungsauflage auf 5 Verlage, 29,6% der verkauften Tageszeitungsauflage auf 1 Verlag (Gruppe Springer; die übrigen 4 Gruppen sind: Westdeutsche Allgemeine 3%; Süddeutscher Verlag 3%; Frankfurter Allgemeine 2,9%; DuMont Schauberg 2,6%; Ziffern für 1970: a.o. Parteitag der SPD, a.a.O., S. 455; für 1968: Diederichs bei Prokop, a.a.O., S. 75).

Dieser ökonomischen Konzentration der Auflagen entspricht wiederum die publizistische: 1970 erzeugten 45 selbständige Redaktionen 15,33 Millionen Tageszeitungsauflage, 100 selbständige Redaktionen 6,57 Millionen Tageszeitungsauflage (a.o. Parteitag der SPD, a.a.O., S. 455).

Dazu kommt die lokale Konzentration. Versteht man unter „Zeitungsdichte“ die Zahl der örtlichen Ausgaben einer Tageszeitung, unter denen die Einwohner eines Kreises (Landkreis oder kreisfreie Stadt) wählen können, so bedeutet Zeitungsdichte 1 ein Lokalmonopol. 1954 gab es ein solches in 15,2% der bundesdeutschen Städte und Kreise, 1970 in rund 33%. Rund 25% der Bundesdeutschen sind auf eine einzige Zeitung mit regionaler oder lokaler Berichterstattung angewiesen. In Rheinland-Pfalz haben 50% der Bewohner nur noch eine einzige solche Zeitung (Diederichs bei Prokop, a.a.O., S. 77; a.o. Parteitag der SPD, a.a.O., S. 455).

Bei den Zeitschriften der BRD ist die Konzentration noch stärker fortgeschritten als bei der Tagespresse. 1971 entfielen von 61 Millionen Auflage der Publikumszeitschriften (d.s. solche mit allgemeinem, „unterhaltendem“ Inhalt) 74,3% auf 34 Titel und 4 Verlage; die übrigen 208 Titel teilten sich in die übrigen 25,7% des Marktes (die „Großen Vier“ sind: Bauer 34,1%; Springer 14,8%; Gruner+ Jahr 13,2%; Burda 12,2%; Diederichs bei Prokop, a.a.O., S. 80).

Bei Zeitschriften wie Tageszeitungen kommt zur horizontalen Konzentration (von Verlagen und Verlagsobjekten) immer mehr die vertikale (von Verlagen und Druckereien) sowie neuerdings die diagonale, d.h. ein risikostreuendes und profitträchtiges Sammelsurium von Presse- und Nichtpressebetrieben; z.B. ist Springer an Reisebüros beteiligt (Touropa, Scharnow, Hummel, Dr. Tigges; Diederichs a.a.O., S. 87); die Gruppe Westdeutsche Allgemeine Zeitung hat außer einer Druckerei auch Kupfer- und Messingwerke sowie eine Schloßfabrik (IG Druck und Papier, a.a.O., S. 22); die Gruppe Bertelsmann hat außer 20 Verlagen, 4 Druckereien, 12 Buchgemeinschaften, 4 Schallplattenfirmen, 4 Filmgesellschaften, auch Beteiligungen an einer Papierfabrik, einer Computerfirma und einer Hühnerfarm (Diederichs a.a.O., S. 87 ff.).

Umsätze der 8 umsatzstärksten deutschen Medienkonzerne

in Millionen DM 1968 1970 Zuwachs 68/70
Springer 850 1.000 + 18%
Bertelsmann 630 (1969) 712 + 13%
Heinrich Bauer 400 600 + 50%
Burda 526 565 + 7%
Gruner + Jahr 400 500 + 25%
Holtzbrinck 85 (1965) 275 +224%
Ganske 150 (1969) ?
Spiegel 115 150 + 30%

Für Österreich gibt es sehr viel weniger Ziffern, und noch viel weniger verläßliche. Folgendes läßt sich in etwa entnehmen (Österreichs Presse Werbung Graphik Handbuch, Wien 1960; ditto, Wien 1972):

Österreichische Tagespresse 1971

(in Klammer: 1959)

Zahl der Zeitungen (ohne Kopfblätter) Auflage (wochentags, in Tausend) Marktanteile der größten % Marktanteile der zwei Größten %
Wien 6 (10) 1.381 (780) 50 (24) 85 (44)
Niederösterreich 1 (—) 25 (—)
Oberösterreich 4 (4) 230 (85) 51 (50) 82 (79)
Salzburg 3 (4) 86 (56) 56 (60) 82 (85)
Steiermark 3 (4) 229 (165) 44 (35) 77 (67)
Kärnten 3 (3) 111 (62) 41 (40) 77 (70)
Tirol 2 (2) 62 (34) ca. 100 (ca. 100) 100 (100)
Vorarlberg 2 (2) 37 (21) ca. 100 (ca. 100) 100 (100)
  24 (29) 2.161 (1.203)    

Bemerkungen:

Wien: 1959 waren die beiden größten Zeitungen Kurier (188) und Expreß (167). Letzterer ist seither eingegangen, desgleichen: Neues Österreich, (Kleines) Volksblatt, Österreichische Neue Tageszeitung. In Wien ist der Konzentrationsgrad besonders stark gestiegen; der Markanteil der größten Zeitung (Kronen-Zeitung 679) ist mehr als doppelt so groß als der 1959 größten, der Markanteil der zwei größten (Kronen-Zeitung und Kurier) hat sich gleichfalls fast verdoppelt.

Niederösterreich: Wegen der traditionellen Verflechtung mit dem Wiener Markt ist das hier entstandene Blatt eigentlich zu diesem zu rechnen; auf diesem liegt sein Marktanteil unter 2%.

Oberösterreich: Die aus Wien eingedrungene Kronen-Zeitung (116) hat die Oberösterr. Nachrichten (71) vom ersten Platz verdrängt. Deren Marktanteil ging von 50 auf 31% zurück; die KZ hat jetzt 51%. Durch ihr Hinzukommen hat sich die Regionalauflage beinahe verdoppelt.

Rechnet man die Wiener und die oberösterreichische Auflage der Kronen-Zeitung (795), so hat diese eine Zeitung heute mehr Auflage als 1959 alle Wiener Zeitungen zusammen (780). Ihr Anteil an der Gesamtauflage der österreichischen Tagespresse beträgt 36,8%. Der Anteil aller Springer-Blätter an der bundesdeutschen Gesamtauflage (s.O.): 29,6%. dies übertrifft die KZ allein mit ihrer Wiener Ausgabe, deren gesamtösterreichischer Auflagenanteil 31,4% ist.

In Tirol und Vorarlberg, trotz je einer 2. Zeitung (die ihre Auflage nicht bekanntgibt), herrscht praktisch das Regionalmonopol je einer Zeitung (Tiroler Tageszeitung 62, Vorarlberger Nachrichten 37).

Bemerkenswert gesunde Verhältnisse gibt es in der Steiermark und in Kärnten, wo drei Tageszeitungen offenbar lebensfähig sind, allerdings mit schwindender Gleichmäßigkeit der Anteile:

Steiermark: 1959 1971
Kleine Zeitung Graz 35% 44%
Neue Zeit 32% 33%
Südost-Tagespost 27% 23%
Kärnten: 1959 1971
Kleine Zeitung Klagenfurt 30% 41%
Kärntner Tageszeitung (früher: Die Neue Zeit) 40% 36%
Volkszeitung 32% 23%

Daß, wie hier zu sehen, die größeren Zeitungen regelhaft noch größer werden und jedenfalls die Kleinsten noch kleiner, entspricht dem allgemeinen Trend; allerdings mit bemerkenswerten Ausnahmen, was die großen betrifft: in 3 Bundesländern wechselten die Spitzenreiter (Wien: Kronen-Zeitung statt Kurier; Oberösterreich: Kronen-Zeitung statt Oberösterr. Nachrichten; Kärnten: Kleine Zeitung statt Kärntner Tageszeitung). Insgesamt sind in allen Bundesländern die Spitzenreiter sehr stark: zwischen 41 und 100%, und die beiden größten durchaus marktbeherrschend: zwischen 77 und 100%.

8 Zeitungen geben keine Auflage an, oder liegen unter 10.000, oder bei oder unter 10% Marktanteil. Mit Ausnahme der amtlichen „Wiener Zeitung“ werden sie binnen weniger Jahre sterben. Die Zahl der österreichischen Tageszeitungen wird dann von 29 (1959) über 24 (1971) auf 17 sinken. Darunter wird eine sein mit einem Marktanteil zwischen 40 und 50% (Kronen-Zeitung).

Die drei größten Tageszeitungen: Kronen-Zeitung (Wien und Oberösterreich: 795), Kurier (492), Kleine Zeitung (Graz und Klagenfurt: 147) hatten 1970 einen österreichischen Marktanteil von zusammen 66,4%. Sie werden ihn binnen wenigen Jahren auf 70 bis 80% erhöhen.

Das heißt: Österreich wird binnen wenigen Jahren den höchsten Grad der Pressekonzentration unter den westlichen Industrienationen erreichen. Heute schon hat es einen sicheren 2. Platz, übertroffen nur noch von Großbritannien:

Pressekonzentration gemäß R. Nixon

Großbritannien 76,95
Österreich 73,31
BRD 51,29
USA 29,77

(Das von Raymond Nixon erarbeitete durchschnittliche Prozentmaß der Konzentration ist zu kompliziert, um hier erklärt zu werden; es genügt der Vergleich. Näheres: G. Murdock bei Prokop, a.a.O., S. 48; R. Nixon und T. Hahn, Concentration of Press Ownership. A Comparison of 32 Countries, Journalism Quarterly, vol. 48, 1971, pp. 5-16.)

(Ein zweiter Teil dieses Aufsatzes wird sich mit Maßnahmen zur Abhilfe befassen: Dekonzentration der Zeitungen; Entmonopolisierung des Rundfunks; aktive Presseförderung; innere Pressefreiheit: Mitbestimmung, Miteigentum, Genossenschaftseigentum, Selbstverwaltung, Redakteursvereine, Redaktionsstatute.)

[1H. H. Diederichs bei Prokop, a.a.O., S. 77

[2Empfehlung M 1 der Antragskommission des a.o. Parteitags der SPD, a.a.O., Bonn 1972, S. 454f.; übrige Ziffern: IG Druck- und Papier, a.a.O., S. 24.

Eine Nachricht, ein Kommentar?
Vorgeschaltete Moderation

Dieses Forum ist moderiert. Ihr Beitrag erscheint erst nach Freischaltung durch einen Administrator der Website.

Wer sind Sie?
Ihr Beitrag

Um einen Absatz einzufügen, lassen Sie einfach eine Zeile frei.

Hyperlink

(Wenn sich Ihr Beitrag auf einen Artikel im Internet oder auf eine Seite mit Zusatzinformationen bezieht, geben Sie hier bitte den Titel der Seite und ihre Adresse bzw. URL an.)