Amelie Lanier, Sonstiges
 
1996

Zu den neueren Nietzsche-Übersetzungen in Ungarn

Der vorliegenden Übersetzungskritik muß vorangestellt werden, daß die Verfasserin die ungarische Sprache für sehr geeignet hält, abstrakteste Gedanken und Feinheiten aller Art auszudrücken. Es mag andere Sprachen geben, wo der Übersetzer an der Enge des Vokabulars, an grammatikalischen Besonderheiten scheitert bzw. wo er oft zu Umschreibungen greifen muß – das Ungarische gehört jedenfalls nicht dazu. Es bietet unter anderem die Möglichkeit, durch Infixe und Suffixe Wörter zu bilden, die jedem Einheimischen sofort verständlich sind, ohne daß er sie jemals vorher gehört hätte. So ist bei der Übersetzung Hegels z.B. der Begriff des „Sollens“ durch ein neu gebildetes Wort – (a kellés – hauptwörtlicher Gebrauch von „kell“ – müssen) – übersetzt worden.
Wenn also bei den Übersetzungen Unzulänglichkeiten bemängelt werden, so bin ich hierbei von der Überzeugung geleitet, daß diese sich nicht notwendig aus dem Charakter der Sprache ergeben und daher im mangelnden sprachlichen oder inhaltlichen Verständnis des Übersetzers begrründet sind.
Im Jahre 1990 ist ein Buch mit dem Titel „A vándor és árnyéka“ – Der Wanderer und sein Schatten – beim Verlag Göncöl erschienen. Dieses Buch enthält die Dritte Unzeitgemäße Betrachtung – „Schopenhauer als Erzieher“, und einen Teil von „Menschliches, Allzumenschliches I & II“. Das Buch gelangte mit der Schleife „Erschienen zum 90. Todestag des Verfassers“ in den Buchhandel. Das ist insofern von Bedeutung, als damit klar ist: Es gab eine Frist, bis dahin sollte offenbar die Übersetzung fertig sein. Das ist eine Erklärungsmöglichkeit dafür, warum sie unvollständig ist. Davon später.

1. Schopenhauer als Erzieher

Die Übersetzung ist ungenau, und zwar von einer gewissen Schwatzhaftigkeit geleitet, die dann eben haarscharf an dem, was Nietzsche meint, vorbeigeht.
Ansonsten ist bei diesem Übersetzer ein gewisser Hang festzustellen, Nietzsche dort zu verharmlosen, wo er ihm zu sehr gegen bürgerliche Konventionen zu verstoßen scheint, und ein süßliches Anstandsdeckchen darüber zu breiten. Ein Beispiel dafür bereits auf der ersten Seite – der Satz: „die Menschen … fürchten gerade am meisten die Beschwerden, welche ihnen eine unbedingte Ehrlichkeit und Nacktheit aufbürden würde.“ (KSA 1, S 337) Hier wurde „Ehrlichkeit“ mit „Anständigkeit“ [1] übersetzt, – unnötigerweise, denn es gäbe ein entsprechendes Wort; „Nacktheit“ hingegen mit „Offenheit“ [2] – hätte Nietzsche „Offenheit“ gemeint, so hätte er es auch so hingeschrieben. Das Wort „aufbürden“ ist durch „von ihnen fordern“ [3] übersetzt.
Bereits im nächsten Satz gibt es wieder Grund zur Beanstandung: Nietzsche schreibt „übergehängte Meinungen“, der Übersetzer macht „zusammengeworfene Gemeinplätze“ [4] daraus – kann das daran liegen, daß im Ungarn des Jahres 1990 niemand etwas gegen eine Meinung sagen mag?
Da die Schrift eher zu den schwärmerischen Werken Nietzsches gehört, ist die Übersetzung im weiteren etwas besser gelungen – es gibt nicht allzuviel kritische Bemerkungen, gegen die der Übersetzer seine anscheinend vorliegenden inneren Widerstände überwinden mußte. Aber auch so hat man unbefriedigende Erlebnisse, wenn man eine Seite genau durchliest. So z.B. die Seite 86, im letzten, achten Abschnitt des Buches, sie entspricht ungefähr der Seite 424 der KSA. „Um nicht prinzipiell die Ausscheidung von Disziplinen wünschen zu müssen“ ist übersetzt: „von der Ausscheidung der erwähnten Disziplinen abgesehen“, [5] „die Nicht-Akademiker haben gute Gründe“ ist bei Török um „Rechte“ [6] ergänzt worden, als ob Gründe allein ihm zu wenig wären. Schließlich wird „nicht vorangehen“ im gleichen Satz übersetzt mit „nicht fortschreiten“, [7] das ist verkehrt, denn Nietzsche meint, daß sie nicht vorne gehen, nicht, daß sie überhaupt nicht gehen. Schließlich wird das Wort „Anzeichen“ (hinter: „Lehrstühle für Goethe und Schiller“, KSA S 425 oben) mit „Kriterien“ [8] wiedergegeben.

2. Menschliches, Allzumenschliches

Der erste Mangel dieser Übersetzung ist einer der Vollständigkeit. Von den 638 Aphorismen des ersten Bandes sind 296 übersetzt. Dem zweiten Teil ist es prozentuell noch schlechter ergangen: Von den 408 Aphorismen der „Vermischten Meinungen und Sprüche“ sind 107 auf den ungarischen Leser gekommen, von „Der Wanderer und sein Schatten“, der Titelgeschichte sozusagen, ganze 138 von 349. (Der nicht numerierte Schluß fehlt ebenfalls.) Und zwar sind die Aphorismen mit ihrer Originalnummer angeführt, und dann folgt der nächste übersetzte Aphorismus, dazwischen fehlen zwischen einem und 7 andere.
Bei dem Abschnitt „Das religiöse Leben“ sind von 33 Aphorismen 8 übersetzt, die religionskritischeren oder gar spottenden, wie 108, 110, 113, 115-117, 133, 134 – fehlen. Zensur eines Anstandshüters?
Das Buch verfügt zwar über ein Nachwort des Übersetzers, in dem der unterschiedliche Aufbau und teilweise die Umstände der Entstehung der „Unzeitgemäßen Betrachtungen“ und von „Menschliches, Allzumenschliches“ besprochen werden und in dem immerhin drei Seiten der Behandlung des Aphorismus als Ausdrucksform gewidmet sind. Aber in diesem Nachwort findet sich kein Hinweis darauf, warum die Übersetzung so lückenhaft ausgefallen ist. Und zwar wird weder der Grund der Auslassungen, noch das Kriterium der Auswahl derjenigen Aphorismen, die übersetzt wurden, genannt.
Auch auf dem Umschlag oder im Klappentext des Buches steht nichts von „Auswahl“ oder „gekürzter Ausgabe“, sondern das Buch wurde im Gegenteil noch mit einer besonderen Schleife beworben, auf der „Erschienen zum 90. Todestag des Verfassers“ zu lesen war. Es kann daher m.E. durchaus von einer bewußten Täuschung des Käufers gesprochen werden, der erst beim Durchlesen des Buches feststellt, daß da einiges fehlt. Es ist auch seither keine vollständige Übersetzung des Buches erschienen, noch hat der Übersetzer sich über andere Werke Nietzsches gewagt. Die Tatsache, daß das andere Nietzsche-Buch, das beim gleichen Verlag veröffentlicht wurde, von jemand anderem übersetzt worden ist, deutet auf ein Zerwürfnis zwischen Verlag und Übersetzer hin.
Die Übersetzung selbst läßt auch zu wünschen übrig: So ist der „Erbfehler der Philosophen“ (I/1/2) mit „Ewiger Fehler der Philosophie“ übersetzt (S 101), „Die Kunst erhebt ihr Haupt, wo die Religionen nachlassen.“ (I/4/150) ist wiedergeben mit „Die Kunst entsteht …“ (S 148) [9] „Ein Mensch stirbt, eine Eule krächzt … alles in Einer Nachtstunde …“, hier hat der Übersetzer gemeint, „in dunkler Nacht“ [10] wiedergeben zu müssen, „Nacht“ kursiv gesetzt (S 181).
Manchmal neigt die Übersetzung zu entstellenden Vereinfachungen: „ein Gleichbleibendes in allem Strudel“ (I/1/2) ist einfach etwas „Beständiges“ (S101), [11] „sind eine unerschöpfliche Beweis-Fundgrube“ (I/5/271) heißt schlicht „beweisen“ (S 185), [12] die „grösste Erleichterung des Lebens“ (I/8/462) wird zum „leichtesten Leben“ (S 218). [13] Manchmal erlaubt sich der Übersetzer dichterische Freiheit, ein Beispiel der Aphorismus 1/5/277: „seither“ ist wiedergegeben mit „seit wir die Stätte unserer Kindheit das letzte Mal gesehen haben“. [14] Das ist in dem „seither“ gar nicht ausgesagt, wahrscheinlich ist gemeint: seit unserer Kindheit. „Nur sind wir … so bewegt“ gibt der Übersetzer mit „über uns ist die Zeit hinweggegangen“ [15] wieder, das gesperrte „mehr“ übersetzt er gleich doppelt: einmal im Sinne von mengenmäßig „mehr“, einmal im Sinne von „nicht mehr“ (S 188). [16] Dabei hat Nietzsche vermutlich dieses Wort deshalb gesperrt geschrieben, um die Leseart „nicht mehr“ zu vermeiden.
Das Wort „Affekt“ (I/4/214, es geht hier um Liebe und Sexualität) mit „Effekt“ (S 162) [17] zu übersetzen, heißt Ursache und Wirkung vertauschen. „Die Griechen besaßen Nichts weniger, als eine vierschrötige Gesundheit,“ heißt es im gleichen Aphorismus, Török übersetzt: „Die Griechen erfreuten sich einer robusten Gesundheit“. [18]
Im Aphorismus 1/6/354 ergeht sich Nietzsche über die Begriffe des Freundes und des Verwandten bei den Griechen und drückt im Schlußsatz seine Verwunderung darüber aus, daß der Verwandte diesem Volk, das die Freundschaft so gut verstand, den Verwandten besser einstuft, als es Nietzsche tut. Dieser Gegensatz wird in der Übersetzung ein wenig unter den Tisch gekehrt, dort lautet der Schlußsatz: „All dies ist mir unverständlich“, [19] – also auch die griechische Auffassung der Freundschaft ebenso wie die der Verwandtschaft.
„Alle guten Dinge haben etwas Lässiges und liegen wie Kühe auf der Wiese.“ (II/1/107) schreibt Nietzsche und will mit „lässig“ durchaus nichts Nachteiliges gesagt haben, der Übersetzer läßt sich vom Bild der Kuh täuschen und übersetzt „Lässiges“ mit „Schwerfälligkeit“. (S 263) [20]
Ein gröberer Schnitzer ist allerdings die Übersetzung von einem der „verwegenen Ehrlichen“ mit (II/2/267) „einer unserer verirrten Großen (genauer: jemand, auf den wir stolz sind)“. [21] Wo der Stolz herkommt, ist schon kryptisch genug, das Wort „verwegen“ hat der Übersetzer offenbar wie folgt zerlegt: „Weg“, Vorsilbe „ver-“, also: „vom Weg abgekommen“, also: „verirrt“. Für so einen Fall gibt es Wörterbücher, die man zu Rate ziehen kann, das führt zu ergiebigeren Resultaten!
Bei dieser Übersetzung kann man übrigens in jedem Aphorismus solche Schnitzer finden, ich habe nur Stichproben gemacht.

3. Ecce homo

Die Übersetzung des 3. Buches, des „Ecce homo“, ist beim gleichen Verlag Göncöl erschienen, aber von einem anderen Übersetzer, von Géza Horváth. Dieser, das sei vorangestellt, versieht seine Aufgabe unvergleichlich besser, man kann ihm das Verständnis des Textes, oder Nietzsches überhaupt nicht absprechen – im Gegensatz zu seinem Vorgänger.
Der Übersetzer bricht mit der herkömmlichen ungarischen Übersetzung des Wortes „Übermensch“, wie sie in der bisher als maßgeblich angesehenen Übersetzung des „Zarathustra“ durch Ödön Wildner vom Anfang dieses Jahrhunderts festgelegt worden ist. Wildner übersetzte „Übermensch“ mit „emberfölötti ember“, was soviel bedeutet wie „der Mensch über dem Menschen, oberhalb des Menschen“, oder „der über dem Menschen stehende Mensch“.
Géza Horváth übersetzt „Übermensch“ mit „emberebb ember“, was soviel bedeutet wie: „der menschgemäßere Mensch, der menschenartigere Mensch“. Auch sonst hat Horváth die Zarathustra-Übersetzung Wildners nicht übernommen und diejenigen Stellen des „Zarathustra“, die in „Ecce homo“ zitiert werden, neu übersetzt – in ein modernes Ungarisch. Wobei erwähnt werden muß, daß Wildner sich bei seiner Übersetzung absichtlich einer antiquierten Sprache bediente, um den poetischen Gehalt des Buches deutlicher herauszustreichen.
Die Übersetzung Horváths ist also um vieles besser als diejenige von Török, aber Fehler sind auch hier unterlaufen.
So verwechselt der Übersetzer öfter 1. und 4. Fall, oder Subjekt und Prädikat. So ist der Satz: „Er reagiert auf alle Art Reize langsam, mit jener Langsamkeit, die eine lange Vorsicht und ein gewollter Stolz ihm angezüchtet haben, – “ (Warum ich so weise bin 2) übersetzt mit: „ … und diese Langsamkeit bildet ungeheure Vorsicht und bewußten Stolz in ihm aus.“ [22] (S 26) Hier werden Ursache und Wirkung verwechselt.
Schon vorher tritt ein solcher Fehler auf, im selben Aphorismus: „ – das verräth die unbedingte Instinkt-Gewißheit darüber, was damals vor allem noth that.“ In der Übersetzung steht: „… das verräth die unbedingte Instinkt-Gewißheit, die mir damals mehr als alles andere nötig war.“ [23] (S 25)
Es gibt auch einfache, am einzelnen Wort festzumachende Übersetzungsfehler:
Ob „Wohlgerathenheit“ mit „Gesundheit“ [24] (S 25), „blutig“ mit „tödlich“ [25] (S 26), „Lauterkeit“ mit „Reinlichkeit“ [26] (S 35), „einzelne“ mit „bestimmte“ [27] (S 56), „Lernen“ mit „Zuwachs, Vermehrung“ [28] (S 64) bestmöglich übersetzt ist, kann angezweifelt werden. Ein „überflüssiges Gefühl“ (Warum ich so weise bin 6) wird in der Übersetzung zu einem „überschäumendem Gefühl“ [29] (S 32), was zwar vom Bild her ähnlich sein mag, in der Bedeutung jedoch nicht. „Reizbar für fremde Not“ (Warum ich so weise bin 7) heißt nicht, wie vom Übersetzer verfälscht, „ reizbar dafür, andere zugrunde zu richten.“ [30] (S 33) Manchmal kommt überhaupt alles durcheinander: „die Raffinierten“, so heißt es bei Nietzsche, würden „mit den Reichen, die Späten mit den Großen verwechselt.“ Bei Horváth wird „das Gekünstelte mit dem Reichtum, das Verspätete mit der wahren Größe verwechselt.“ [31] (S 34) „Übermütig“ wird zu „hochmütig“ [32] (S 39) Nach mehrseitigen Ausführungen Nietzsches über rechte Ernährung meint er „ … die Unwissenheit in physiologicis – der verfluchte »Idealismus«“ sei das Verhängnis seines Lebens gewesen. (Warum ich so klug bin 2), der Übersetzer macht daraus „in psychologicis“ (S 44)
Die Aussage Nietzsches, er sei „ein Psychologe …, der nicht seines Gleichen hat“ (Warum ich so gute Bücher schreibe 5), wird in der Übersetzung zu einem „unschuldigen“ [33] Psychologen (S 67). Gänzlich danebengegangen ist die folgende Übersetzung: Im Original steht der „geborene Rattenfänger, (…) welcher (…) nicht einen Blick blickt, in dem nicht eine Rücksicht (…) der Lockung läge, zu dessen Meisterschaft es gehört, dass er zu scheinen versteht –“ (Warum ich so gute Bücher schreibe 6). Im Ungarischen wird daraus: „ … den jede Lockung völlig kalt läßt und der dennoch ganz einfach strahlt (…)“ [34] (S 70) Einmal wird „Selbstsucht“ (Warum ich ein Schicksal bin 7) mit „Selbstzucht“ [35] (S 137) übersetzt.
Manchmal entsteht der Eindruck, der Übersetzer denke nicht mit: Nietzsche bespricht die Absicht und Leistung der christlichen Moral, „das Mißtrauen gegen die Instinkte zur zweiten Natur zu machen“ (Warum ich ein Schicksal bin 8). Horváth schreibt: „die Instinkte zu verwirren und Mißtrauen gegen die zweite Natur zu säen“ [36] (S 139) – er zerbricht sich hier nicht den Kopf, warum Nietzsche in seiner Übersetzung auf einmal zum Advokaten einer zweiten Natur gemacht wird.
Wenn von einem Herren, der bei Nietzsche „sorgsam“ die „Erlaubnis“ eingeholt hatte, ihn zu besuchen, die Rede ist (Warum ich so weise bin 4), so ist es etwas mißverständlich, zu übersetzen: „nachdem er sich alle erforderlichen Genehmigungen beschafft hatte“ [37] (S 28), als ob er die Behörden des Kantons Engadin oder die Zollbehörden der Schweizer Grenze von seinem Kommen in Kenntnis hätte setzen müssen. Auch „ich ertappte diese Bildung dabei auf der That“ (Warum ich so weise bin 7) ist mit „ich riß dieser Bildung die Larve vom Gesicht“ [38] (S 34) nicht genau wiedergegeben.
Der Satz „Wenn irgend Etwas … gegen Kranksein … geltend gemacht werden muss, so ist es, dass in ihm der eigentliche Heilinstinkt … im Menschen mürbe gemacht wird“ (Warum ich so weise bin 6) ist vom Übersetzer offenbar nicht richtig, nämlich als gedanklicher Einwand, verstanden worden. Er schreibt: „Wenn man der Krankheit etwas entgegensetzen muß, so das, daß der in ihr enthaltene eigentliche heilsame Trieb … aufgerieben werden soll.“ [39] (S 31) „Es ist mir gänzlich entgangen, worin ich »sündhaft« sein sollte.“ wird übersetzt mit „es läßt mich kalt, warum ich »sündhaft« sein sollte.“ [40] „Rückständig bis zur Heiligkeit“ (Warum ich so klug bin 1) wird wiedergegeben mit „hier blieb ich bis ins Unendliche zurück“. [41]
Auf dieser Seite hat überhaupt die Aufmerksamkeit des Übersetzers etwas nachgelassen. Nietzsche schreibt „die vollkommene Nichtswürdigkeit der deutschen Bildung – ihr »Idealismus« –“, meint also, die deutsche Bildung sei deswegen nichtswürdig, weil sie idealistisch sei bzw. sich als solche bezeichne. Die Übersetzung lautet „die Nichtswürdigkeit der dt. Bildung, des »Idealismus«“ (S 39), leistet also dem Irrtum Vorschub, es gebe einen nicht nichtswürdigen Idealismus, nur eben nicht in Deutschland.
Der Satz „Als ob es nicht von vornherein verurtheilt wäre, »klassisch« und »deutsch« in einen Begriff zu einigen!“ (Warum ich so klug bin 1) ist dem Übersetzer offensichtlich nicht klar gewesen. Nietzsche meint nämlich: Die zwei Begriffe widersprechen einander. Die Übersetzung lautet: „Als ob »klassisch« und »deutsch« nicht von vornherein dazu verurteilt wären, in einem Begriff vereint zu werden“, [42] (S 39) versucht also eine Art historische Notwendigkeit zu postulieren. „Ein ehrlicher Atheist“ meint Nietzsche, sei eine „in Frankreich spärlich und fast kaum auffindbare species“ (Warum ich so klug bin 3), Horváth übersetzt, „die species“ sei „in Frankreich fast ausgestorben“ [43] (S 47), was den Trugschluß entstehen läßt, sie sei dort früher häufiger aufzufinden gewesen – eine Behauptung, die Nietzsche jedoch nicht aufgestellt hat. Im Satz: „Alle Fragen der Politik … sind dadurch bis in Grund und Boden verfälscht, dass man die schädlichsten Menschen für grosse Menschen nahm, – dass man die »kleinen« Dinge (…) verachten lernte“ (Warum ich so klug bin 10), wird in der Übersetzung das „dadurch“ ganz weggelassen, anstelle des ersten dass ein Beistrich gesetzt, somit das ganze in eine Aufzählung verwandelt, sodaß dann das zweite „dass“, welches im Unterschied zum ersten schon übersetzt ist, völlig in der Luft hängt. [44] (S 58) Der dritte Abschnitt von „Ecce homo“ beginnt mit dem Satz: „Das Eine bin ich, das Andere sind meine Schriften.“ (Warum ich so gute Bücher schreibe 1). Damit soll wohl ein Unterschied ausgedrückt werden, in der Übersetzung wird daraus eine Reihenfolge: „Auf meine Person folgen meine Schriften.“ [45] (S 60)
Das Zitat: „wo ich nicht mehr mit Worten, sondern mit Blitzen rede“ (Die Unzeitgemäßen 3) ist mit „mich mit Blitzen unterhalte, mit Blitzen Gespräche führe“ [46] (S 82) falsch übersetzt. „Man muß das Fürchten nicht gelernt haben“, um den gentilhomme im Sinne Nietzsches auszuhalten (Jenseits von Gut und Böse 2), warum daraus bei Horváth wurde; „man muß ums Fürchten nicht verlegen sein“ [47] (S 115), ist nicht ganz klar.
Öfters setzt Horváth etwas in die Gegenwart, was im Original in der Vergangenheit steht: „… ich bin selbst in Zeiten schwerer Krankheit nicht krankhaft geworden;“ (Warum ich so klug bin 10), die Übersetzung lautet: „selbst schwer krank bin ich nicht genügend krankhaft“ [48] (S 58)
Einige Male läßt der Übersetzer etwas aus, wie z.B. bei Lord Bacon, dem nach Nietzsche „ersten Realisten in jedem großen Sinn des Wortes“ (Warum ich so klug bin 4) – diese Charakterisierung des englichen Philosophen fehlt in der Übersetzung (S 48). Auch Baudelaire fällt um sein Attribut, „jener typische décadent“ (Warum ich so klug bin 5) zu sein, um – in der Übersetzung steht das nicht. Die „armselige Chineserei“, auf die die Menschheit heruntergebracht werden soll (Warum ich ein Schicksal bin 4), erspart der Übersetzer dem ungarischen Leser (S 134)
Zum Ausgleich gibt es Hinzufügungen: „Wer war der erste intelligente Anhänger Wagners überhaupt?“ (Warum ich so klug bin 5), fragt Nietzsche; der Übersetzer erweitert: „Wer war Wagners erster – und vielleicht letzter – verständnisvoller Anhänger?“ [49] (S 50) Oder, nach einer überhaupt sehr freien Übersetzung der Mängel der deutschen Großstadt, der Zusatz „in der alles gleichermaßen wuchert“ [50] (S 54), der im Original nicht aufzufinden ist, wo im Gegenteil sogar steht: „wo nichts wächst“ (Warum ich so klug bin 8) Die „härteste Selbstsucht“ (Die Unzeitgemässen 1) ist in der Übersetzung nicht nur die „härteste“, sondern „bereits krankhaft“ [51] (S 79).
Eine eigenartige Mischung von Auslassung und Umschreibung ist die Übersetzung des folgenden Satzes: „Ich kenne keine andre Art, mit grossen Aufgaben zu verkehren als das Spiel: dies ist, als Anzeichen der Grösse, eine wesentliche Voraussetzung.“ (Warum ich so klug bin 10) Er wird im Ungarischen wie folgt wiedergegeben: „Das Spiel ist das Zeichen der Größe, ohne es können wir uns nicht an große Aufgaben heranwagen.“ [52] (S 59) Nicht ganz falsch, aber etwas verkürzend.

Bei soviel Kritik sollen auch die Leistungen dieser Übersetzung nicht zu kurz kommen: Es gibt einen Anhang, in dem die fremdsprachigen, also lateinischen, französischen usw. Wörter und Zitate, die im Text vorkommen, übersetzt und erklärt werden. Die von Nietzsche erwähnten Personen werden kurz charakterisiert und ihre Bedeutung im Leben Nietzsches dargestellt. Dieser Anhang wurde vom Übersetzer erstellt, während die Einleitung, die wenig zum Verständnis Nietzsches beiträgt, von jemand anderem, einem gewissen Ern# Joos verfaßt wurde.
Es gibt auch gelungene Übersetzungen: So wurde der Halbsatz „wie Viel man unter sich fühlt!“ (Vorwort 3) mit „Was läßt sich nicht alles überwinden! worüber kommt man nicht hinweg!“ übersetzt. „… was mich in fremden Wissenschaften und Seelen spazierengehen läßt“, hat Horváth mit „… führt mich auf den Saumpfad fremder Wissenschaften und Seelen“ übersetzt.
Manche Ausdrücke z.B. bereiten Schwierigkeiten und bedürfen einer Umschreibung, so hat Horváth z.B. „Mucker“ nicht unzutreffend mit „scheinheilige Feiglinge“ (S 49) wiedergegeben.
Alles in allem ist die Übersetzung zwar mit Mängeln ausgestattet, aber im großen und ganzen gelungen.

4. Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben

Von den bisher besprochenen Übersetzungen unterscheidet sich diejenige des Buches „Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“ grundlegend darin, daß sie von einem profunden Nietzsche-Kenner, dem an der Universität Pécs lehrenden György Tatár vorgenommen wurde. Das 1989 erschienene Buch ist auch nicht bei einem der vielen nach dem Systemwechsel aus dem Boden geschossenen Verlage erschienen, sondern beim Akademia Kiadó, dem aus der sozialistischen Zeit her etablierten Verlag für wissenschaftliche Publikationen.
Bereits am Titel hat er eine Veränderung vorgenommen: „Der ursprüngliche Titel – Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben – wurde um des besseren ungarischen Klanges willen verkürzt. Dagegen ist inhaltlich nichts einzuwenden, und entspricht auch der ursprünglichen Intention Nietzsches. Auf das die Rohfassung enthaltende Heft schrieb er als Arbeitstitel: Vom Nutzen und Nachteil der Historie“ (Vorwort, S. 7, Fußnote).
Im Vorwort erklärt Tatár, welch einen Angriff auf die Geschichtswissenschaft dieses Buch seinem Gehalt nach darstellte, und er führt auch die Bedeutung der Geschichtswissenschaft für den Nationalstolz der Deutschen im 19. Jahrhundert aus. Auf die erste „Unzeitgemäße Betrachtung“ („David Strauss“) Bezug nehmend, stellt er auch noch kurz den damaligen Stand der Bibelforschung, die Beschäftigung mit der Authentizität der kirchlichen Überlieferung, dar.
Tatár kann es sich leisten, kompliziertere Wendungen und Konstruktionen sehr frei zu übersetzen, weil er mit dem Inhalt keine Schwierigkeiten hat.
Ein Moment, wo dies deutlich zum Ausdruck kommt, sind die Bilder, die Nietzsche verwendet. Was tun z. B. mit einem „irdisch umdunkelten Horizont’? (KSA 1, S. 257) Tatár übersetzt es mit „an die Erde gebunden, in Nebel gehüllter Horizont“ [53] (S. 36).
Die Wortspiele Nietzsches gehen manchmal bei der Übersetzung verloren, so bei „Inhalt“ und „Innerlichkeit“ [54] (KSA 1, S. 276) – im Ungarischen gibt es keine lautliche und inhaltliche Ähnlichkeit zwischen den beiden Wortern , manchmal gelingt es jedoch, sie zu retten oder durch Gleichwertiges zu ersetzen: Die „Afterbildung“ (KSA 1, S. 295) übersetzt Tatár mit „Halb- und Unterhalb- (Gesäß-)Bildung“. [55] (S. 67).
Erwähnenswert ist vielleicht noch die Art der Übersetzung der von Nietzsche verwendeten Zitate: Das im bei Nietzsche im englischen Original angeführte Zitat Humes (KSA 1, S. 255) wird auch im ungarischen Text englisch wiedergegeben, ebenso die lateinischen Zitate (S. 34), während das Zitat Niebuhrs (KSA 1, S. 254) und diejenigen Goethes, wie z. B. das aus den Meistersingern (KSA 1, S. 298) und auch die restlichen deutschsprachigen, ins Ungarische übersetzt wurden (S. 34 u. 70). Das Zitat Leopardis (KSA 1, S. 256), ebenfalls ins Ungarische übersetzt (S. 35), ist einer ungarischen Leopardi-Übersetzung [56] entnommen. Im Anhang wird für jedes Zitat auf das Werk hingewiesen, dem es Nietzsche entnommen hat, sowie – sofern vorhanden – auf die ungarische Übersetzung. Außerdem weist der Übersetzer auf die Stellen hin, in denen Nietzsche selbst frei, d. h. mit Auslassungen zitiert, wie z. B. im Falle des Grillparzer-Zitates (KSA 1, S. 277).
Das Buch verfügt ferner über einen aus zwei Teilen bestehenden Anhang. Im ersten Teil werden die Zitate, die im Text vorkommen, nachgewiesen, der zweite besteht aus einer kurzen Biographie Nietzsches.

erschienen in: NIETZSCHE-STUDIEN – Internationales Jahrbuch für die Nietzsche-Forschung, Band 25/1996. De Gruyter Verlag

weiter zu: Über die Widersprüchlichkeit von Moralphilosophie am Beispiel Friedrich Nietzsches

[1tisztesség

[2nyíltság

[3követel

[4összedobált közhelyek

[5(...) az említett diszciplinák kiválásáról eltekintve is, (...)

[6okuk és joguk van rá

[7nem haladnak

[8ismérv

[9születik

[10sötét éjszaka

[11valami állandó

[12bizonyítják

[13legkönnyebb élet

[14mióta utoljára láttuk gyermekkorunk színhelyét

[15fölöttünk múlott el az idő

[16már nem érződik erősebben

[17effektus – Es mag sein, daß es sich um einen Druckfehler handelt, aber eben um einen sehr entstellenden.

[18A görögök robusztus egészségnek örvendtek.

[19Mindez érthetetlen számomra.

[20tohonyaság

[21eltévelyedett büszkeségünk

[22ez a megfontoltság óriási elővigyázatot és tudatos büszkeséget alakít ki benne

[23arról a föltétlen ösztönbizonyosságról árulkodik, amelyre akkoriban minennél inkább szükségem volt

[24egészség

[25halálosan

[26tisztaság

[27bizonyos

[28gyarapodás

[29túlcsorduló érzés

[30ingerlékeny is mások megnyomorítására

[31összetéveszti a keresettet a gazdagsággal, a megkésettet az igazi nagysággal

[32gőgös

[33ártatlan

[34nem törődik a csábítással, mégis ragyog, egyszerűen ragyog

[35„önfegyelem“ (Selbstzucht) – Selbstsucht wäre önzés

[36hogy összekuszálják az ösztönöket és bizalmatlanságot keltsenek a második természet iránt

[37miután gondosan beszerzett minden szükséges engedélyt

[38magáról a müveltségről rántottam le a leplet

[39Ha egyáltalán valamit szembe kell helyezni a betegséggel (...), akkor azt, hogy a benne lévő gyógyító ösztön (...) fölörlődjék

[40Tőkéletesen hidegen hagy, mennyiben volnék »bűnös«

[41ebben a kérdésben maradtam el a végtelenségig

[42mintha „klasszikus“ és „német“ eleve nem arra ítéltetett volna, hogy egy fogalommá kovácsolják őket

[43mely species Franciaországban szinte már kihalt

[44A politika (…) minden kérdését a gyökérekig meghamisították, a legkártékony embereket kiáltották ki nagyságnak – s hogy a »kis« dolgoknak …

[45Személyem után következnek írásaim.

[46villámokkal társalgok

[47rettegésért nem kell a szomszédba menni hozzá

[48én még súlyos betegen sem vagyok eléggé beteges

[49ki volt Wagner első – és tán utolsó – értő híve?

[50és minden egyaránt tenyészik

[51már-már beteges

[52A játék a nagyság jele, nélküle nem vághatjuk nagy feladatokba a fejszénket

[53földhözragadtan ködbe boruIt horizont

[54„tartalom“ und „bensőség“

[55al- es alfélműveltség

[56Aus dem Gedichtband: „Magános élet“ (Einsames Leben)

Eine Nachricht, ein Kommentar?
Vorgeschaltete Moderation

Dieses Forum ist moderiert. Ihr Beitrag erscheint erst nach Freischaltung durch einen Administrator der Website.

Wer sind Sie?
Ihr Beitrag

Um einen Absatz einzufügen, lassen Sie einfach eine Zeile frei.

Hyperlink

(Wenn sich Ihr Beitrag auf einen Artikel im Internet oder auf eine Seite mit Zusatzinformationen bezieht, geben Sie hier bitte den Titel der Seite und ihre Adresse bzw. URL an.)