radiX, Texte
Juni
1994

Alles Öko?

Positionen der Ökologischen Linken

Bis in die 70er Jahre hinein war Ökologie ein beschauliches Teilgebiet der Biologie. Dann entstand eine Bewegung mit hundertausenden von AktivistInnen und SympathisantInnen. 1972 wurde der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) gegründet, im Kampf gegen das Atomkraftwerk im badischen Whyl begann 1973 die überregionale Vernetzung der Anti-AKW-Bewegung. Der Club of Rome veröffentlichte seinen aufsehenerregenden Bericht über „Die Grenzen des Wachstums“. Die neue Umweltbewegung war bunt gemischt, reichte politisch von links bis rechts, umfaßte neben der politischen Aktion auch die Suche nach alternativen Lebensformen, den Rückzug in Kommune-Projekte und Esoterik. Aus der Wissenschaft Ökologie wurde ein politisches Bekenntnis, ein Weltanschauung.

Ökologie als Weltanschauung

In der Vorstellungswelt vieler Umweltbewegter und einigen theoretischen Beiträgen übernahm das Wort den Platz des älteren philosophischen Begriffs Natur. Dieser umfaßte in der Ideengeschichte immer auch die Frage nach dem Sinn und dem Wesen des Daseins, nach Entstehung und Entwicklung der Welt. Banaler ausgedrückt: War von Ökologie die Rede, bekamen manche einen verklärten Blick. Assoziiert wurden Harmonie mit sich und der Welt, die Lösung für alle Widersprüche und Zerrissenheiten, einfache, überschaubare vor allem „natürliche“ Verhältnisse. Ähnliches Verzücken erweckten Begriffungetüme wie „ökologisches Bewußtsein“, „Kreislaufwirtschaft“ etc. ein. Im Verbund mit den ralen ökologischen Zerstörungen und einer starken Umweltbewegung trug diese schwammige inhaltliche Bestimmung zur Popularität von „Öko“ bei.

Kein Supermarkt ohne Müsliecke, keine Werbung ohne das Prädikat „umweltfreundlich“. Für das Marketing von Waren und PolitikerInnen sind „Öko“ und „Bio“ heutzutage unverzichtbar. Umweltschutz ist in der Bundesrepublik quasi Staatsziel, in einigen Länderverfassungen ausdrücklich deklariert. Die Entwicklung und den Ausbau von Atomenergie, Raumfahrt und Gentechnologie im Interesse der Kapitalverwertung treiben die bürgerlichen Parteien unter dem Stichwort „ökologische Modernisierung“ voran. Wenn es um die Sicherung des „Standorts Deutschland“ vor der Weltmarktkonkurrenz geht, stehen auch die Grünen nicht abseits: Sie wollen Japaner und Amerikaner mit modernster Umwelttechnologie schlagen. Deutschland müsse zur „führenden Solarenergienation“ werden, fordert etwa Josef Fischer.

Abgesehen von diesem Brimborium, welches die real fortschreitende Zerstörung verschleiern soll, sind die handfesten Erfolge der Ökologiebewegung eher bescheiden: Emsiges Sammeln und Trennen von Müll läßt sich mit deutschen Sekundärtugenden wie Sauberkeit und Ordnung prima vereinbaren. Im Anschluß an dieses alternative Winterhilfswerk wird der Dreck verbrannt oder nach Osteuropa bzw. in den Trikont gebracht. Deutschland ist Exportweltmeister beim Müll. Radwege, Verkehrsberuhigung und Autokatalysatoren können die mörderischen Folgen des Autoverkehrs keineswegs bremsen. Durch Autounfälle starben 1993 rund 9.900 Menschen auf bundesdeutschen Straßen, über 500.000 Menschen wurden verletzt, dazu kommen weitere Opfer durch Lärm und Luftvergiftung. Räder müssen rollen für den Profit: Statt das Eisenbahnnetz der DDR, das dichteste Europas, zu sanieren, werden weitere Autobahnen planiert. Autofreie Städte, Straßenbahnnetze statt U-Bahnen gegen eine Mafia aus Kommunalpolitik, Grundstücksspekulanten, Bau- und Autoindustrie durchzusetzen, käme einer Revolution gleich. Wird in den Schienenverkehr investiert, dann in superschnelle und superteuere Züge wie den ICE. Für die Zukunft gibt es Planungen, die großen europäischen Städte mit Zügen zu verbinden, die mit 500 Stundenkilometern dahinrasen. Die dafür notwendigen Trassen zerstören die Landschaft ebenso wie Autobahnen. Und diese Business-Class-Züge sind einerseits für die meisten Menschen unbezahlbar und überflüssig, andererseits werden die regionalen und Nahverkehrsverbindungen weiter ausgedünnt weil High-Tech-Züge ebenso kapitalintensiv sind wie Autobahnen. Abgehängt werden durch eine solche Verkehrspolitik auf der Ebene der Europäischen Union (EU) die Gebiete zwischen den Boom-Zentren, was wiederum der sozialen Verelendung ganzer Landstriche entspricht.

Die Bilanz nach fast 25 Jahren Ökologiebewegung in der Bundesrepublik ist ernüchternd. Lediglich der Anti-AKW-Bewegung gelang es mit Phantasie und Militanz in den 70er Jahren zwei Drittel des geplanten Atomprogramms (rund 90 Atomkraftwerke) zu verhindern. Mit dem neuen Atomforschungsreaktor in München-Garching und dem anvisierten Prototyp eines Europäischen Druckwasser-Reaktors in der Nähe des nordbayerischen Bamberg versucht die Atomindustrie, allen voran der Siemens-Konzern, eine zweite Offensive. Vorbereitet wird auch der Einstieg in eine neue Form der Atomenergie, die Atomfusion. Diese ist keineswegs eine „saubere Alternative“, im Gegenteil: Experten gehen davon aus, daß bei einem Fusions-Reaktor doppelt soviel radioaktiver Müll entsteht wie bei heutigen Atomspaltungs-Reaktoren, außerdem würde ein Fusions-Reaktor permanent radioaktives Tritium abgeben. Mit Milliarden-Beträgen finanzieren die EU und ihre Mitgliedsstaaten nicht nur die Atomenergie, sondern subventionieren auch die Entwicklung der Gentechnologie. Die Konzerne, vor allem der Chemieriese Hoechst AG, haben mit einer ganzen Reihe von Freisetzungen genmanipulierter Pflanzen und der Patentierung der „Krebsmaus“ weitere juristische und „Akzeptanz“-Fortschritte erzielt.

Die sogenannte „ökologische Modernisierung“ bedeutet für die Zentren des Kapitalismus neue Zerstörungs- und Vergiftungsformen entsprechend dem Stand der technologischen Entwicklung: Vermutlich weniger die sinnlich wahrnehmbaren schmutzigen Gifte wie Metallstäube, Ruß oder Schwefelgas, es bleiben unsichtbare Dioxine, chlorierte Kohlenwasserstoffe, radioaktive Niedrigstrahlung aus Atomanlagen und zunehmend durch Mobil-Telefonnetze und Computer der Elektrosmog.

Wie die Nationalstaaten im 19.Jahrhundert ist dabei die EU die staatlich-politische Instanz, die dem gegenwärtigen Entwicklungsstand des Kapitalismus entspricht, bei ungeheuerer Konzentration, hohem Aufwand für Forschung, Entwicklung und Herstellung von Produkten sowie verschärfter Konkurrenz auf dem Weltmarkt. Die EU organisiert als bürokratische Diktatur die Deregulierung von Arbeitsverhältnissen, soziale Verelendung, ökologische Zerstörung und eine eurochauvinistisch begründete Abschottung gegenüber Flüchtlingen aus dem Trikont und Osteuropa. Sie steht gegen emanzipatorische Bewegungen, soziale Befreiung und ein selbstbestimmtes Leben. Die Kritik der Ökologischen Linke an der EU ist deshalb antikapitalistisch und antistaatlich begründet, während die Grünen und die PDS ihre Pro-EU-Haltung hinter einem „Nein zu Maastricht“ verstecken.

Flankiert wird dieser Prozeß durch die staats- und kapitalkonforme Haltung der Umweltverbände und der Grünen. Deren Regierungsbeteiligungen fördern Projekte, die einst heftig abgelehnt wurden: Müllverbrennungsanlagen in Hessen, in München oder Nürnberg. Die Teststrecke von Daimler-Benz konnte im CDU-geführten Baden-Württemberg nicht gebaut werden, kaum war Rosa-Grün in Niedersachsen installiert, disponierte der Konzern um nach Papenburg. In Frankfurt bemühen sich Grüne um neue Hochhaustürme in der City, verwalten den Flughafen mit und wollen „den Haushalt unternehmerisch gestalten“, sprich sparen auf Kosten jener, die immer mehr verarmen. Korrumpiert sind nicht nur die Grünen, die etablierten Umweltverbände lassen sich von Konzernen „ökosponsern“ und halten dafür mit Kritik zurück. So wurde etwa der „Deutsche Umwelttag“ 1992 von Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), vom Verband der Chemischen Industrie (VCI), der Flughafen Frankfurt/M. AG, der Autolobby vom ADAC sowie dem Pharmakonzern Merck finanziert. Im Gegenzug lobten die Vertreter von Bund Umwelt- und Naturschutz (BUND), Deutschem Naturschutzring (DNR) und Naturschutzbund im vorbereitenden Nationalen Komitee für die Umweltkonferenz in Rio im Februar 1992 die BRD für ihre umweltpolitischen Anstrengungen statt die Rolle deutscher Banken und Konzerne bei ökologischen Zerstörungen weltweit zu kritisieren.

Ökologische Marktwirtschaft und Ökofaschismus

Existierte in den 70er und 80er Jahren eine wenngleich oft vage Vorstellung über den Zusammenhang von Ausbeutung, ökologischer Zerstörung und kapitalistischer Produktionsweise, so bemühen sich heute große Teile der Ökologiebewegung um eine „ökologische Marktwirtschaft“. Marx ist out, der Kapitalismus hat sich — vorerst — weltweit durchgesetzt. Vor allem ideologisch, in den Köpfen der Menschen, scheint es keine Alternative zu geben. So phantasieren etwa BUND und der Bund Junger Unternehmer (BJU) in einem gemeinsamen Papier, daß „genauso wie einst die Soziale Marktwirtschaft die Überwindung der Ausbeutung des Menschen brachte, die ökologisch orientierte soziale Marktwirtschaft die Überwindung der Ausbeutung der Natur bewirken kann“. Die Vision heißt „Streben nach der Verwirklichung individueller Freiheit für den verantwortungsbewußt handelnden Bürger und einer fairen Verteilung des knappen Gutes Umwelt“. Konkret vorgeschlagen werden Zertifikate, die zur Ausbeutung einer bestimmten Menge von Rohstoffen sowie zur Schadstoffemission berechtigen. Ein Beispiel aus dem Verkehrsbereich: „Elektronische Fahrtenschreiber in allen Fahrzeugen und ein anonymisiertes Abrechnungsverfahren würden es ermöglichen, durch unterschiedliche Preishöhen zu festgelegten Zeiten und auf ausgewählten Straßen ...“ — den Individualverkehr und den Profit von Daimler-Benz, BMW & Co. zu retten und die Staus zu regulieren [1]. Mitgearbeitet an dem Papier haben Mitglieder der rechtsgerichteten Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP). Diese Partei will, wie ihre offen ökofaschistische Abspaltung, die Unabhängigen Ökologen Deutschlands, den „Vater der sozialen Marktwirtschaft“, Ludwig Erhard (CDU), aus den Fängen der etablierten Parteien befreien. In dem Papier von BUND und BJU wird das Bevölkerungswachstum als erste und entscheidende Ursache ökologischer Zerstörungen benannt wird. Diese grüne Variante rassistischer Überflutungsphantasien und „Das-Boot-ist-voll“ Metaphorik gehört zum Standardrepertoire des Ökofaschismus.

Das Einschwenken auf die Logik des Kapitals und der wachsende Einfluß rechter Gruppen in der Ökologiebewegung hat eine Reihe von Ursachen: Politische Niederlagen und massive staatliche Repression, die manche entmutigt, aber auch das schleichende Arrangement mit den herrschenden Verhältnissen. Jede Menge ideologische Anknüpfungspunkte für ökofaschistische Gruppen bzw. die sogenannte „Neue Rechte“ liefert das diffuse Verständnis von Ökologie sowie esoterische Strömungen.

Ökofaschismus und rassistischer Konsens in der Bundesrepublik — Grenzen dicht für ImmigrantInnen und Flüchtlinge — verstärken sich wechselseitig. Dank allgemeiner Rechtsverschiebung werden bestimmte Argumentationslinien und Begriffe heute nicht mehr als rassistisch wahrgenommen und bekämpft. Innerhalb der Ökologiebewegung wächst der Einfluß rechter Gruppen, etwa aus der New-Age-Szene oder der AnhängerInnen der sozialdarwinistischen Zinsknechtschafts-Theorie Silvio Gesells, wieder. Der Vorsitzende des BUND, Hubert Weinzierl, meint: „Nur wenn die Eindämmung des Überbevölkerungsstromes gewährleistet ist, wird (...) eine Aussicht bestehen, (...) unsere Zivilisationslandschaft so zu gestalten, daß sie Wert bleibt, Heimat genannt zu werden“. Und weiter: „Jeder Naturschutz endet dort, wo die Menschenlawine alles überrollt“. [2] Weinzierl befindet sich damit in Übereinklang mit der von ihm hofierten Braungans Konrad Lorenz. In einem Interview mit Weinzierl in der Zeitschrift Natur hatte der „eine gewisse Sympathie für Aids“ bekundet, als Mittel gegen „Überbevölkerung“. [3] Lorenz’ Position war seit 1940 gleich, nur die Wortwahl änderte sich: Durch das Bevölkerungswachstum komme es zu einer „Verhaustierung“ (1940), die Menschheit degeneriere, weil „sozial Ausfallbehaftete“ (1972) nicht mehr ausselektiert würden. Gegen angebliche Überbevölkerung setzte Lorenz 1940 den „rassischen Gedanken“ und 1988 AIDS.

Weinzierl hat es bisher verstanden, eine Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft im Bund Naturschutz einerseits und bei faschistischen Parteien wie NPD oder Republikanern andererseits zu verhindern, mit dem Argument, das sei undemokratisch. [4] Ausländerstopp fordern mit pseudoökologischen Begründungen auch manche Basisgruppen des BUND: „Jede Bevölkerungspolitik wird daher primär auf eine Einschränkung von Zuwanderung nach Deutschland zielen müssen“, meint die Ortsgruppe Esslingen, außerdem sollen Asylverfahren noch weiter beschleunigt und eine „Aufenthaltsverfestigung mit der Möglichkeit der späteren Einbürgerung“ ausgeschlossen werden. [5] In Starnberg, einem der reichsten Landkreis der BRD fordert der stellvertretende BUND-Ortschef, AsylbewerberInnen beim „Ramadama“ einzusetzen. Gemeint sind damit regelmäßige Aktionen der Kommunen, bei denen Müll aus Wäldern und öffentlichen Anlagen eingesammelt wird. „Nach unserer Meinung ist der Bevölkerung schwer zu vermitteln, daß arbeitende Bürger dieser Stadt als Freiwillige am Ramadama teilnehmen, während von Sozialhilfe bzw. Arbeitslosenhilfe lebende Asylbewerber spazierengehend zuschauen, wie andere ohne Honorar den Wohlstandmüll wegräumen“, heißt es in einem Schreiben. [6] In der Zeitschrift Masse, herausgegeben von der Jugendorganisation des BUND-Landesverbandes Baden-Würtemberg, wird im Herbst 1993 eine „Eindämmung“ von Einwanderung als „dringend geboten“ bezeichnet. In dem nicht namentlich gekennzeichneten Beitrag eines Redaktionsmitgliedes wird diese rassistische Forderung nicht nur ökologisch sondern im Stil der sogenannten „Neuen Rechten“ auch anthropologisch begründet: „Die Angst um die eigene Zukunft und vor dem Fremdartigen bildet dabei eine zur Natur des Menschen gehörende Ausgangsbasis“. [7]

Dankbar greifen PolitikerInnen von Republikanern bis SPD auf pseudoökologische Begründungen der „Ausländer-raus“-Parole zurück. Der ehemalige bayerische Umweltminister Peter Gauweiler (CSU) will Europa vor „Vermassung und kultureller Einebnung“ schützen: „Was hilft uns der Schutz von 18 Fledermausarten in Oberbayern, wenn die Altbayern selber bald auf die Rote Liste der aussterbenden Arten kommen“. [8] Der nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete Friedhelm Farthmann (SPD) bedauert, „daß die Ausländerproblematik (!) mit der Umweltproblematik überhaupt nicht in Verbindung gebracht worden ist“. Seiner Ansicht nach ist die „größte Belastung für die Umwelt in der ganzen Welt und auch in Deutschland die große Zahl von Menschen“. [9]

Humanistischer oder gar antifaschistischer Anwandlungen unverdächtig sind auch führende Repräsentanten der Grünen. Der Frankfurter Multi-Kulti Dezernent Daniel Cohn-Bendit schlug vor, den Asylparagraphen des Grundgesetzes einzuschränken und dafür ein Einwanderunggesetz zu verabschieden. Ziel: Eine Selektion von Menschen an den Grenzen der BRD nach den Kriterien des Arbeitskräftebedarfs: „Allein in Frankfurt suchen wir Hunderte als Pflegepersonal für Krankenhäuser, Kindergärten und Krippen. (...) Dabei ließen sich Ausländer in sechs Monaten als Hilfspfleger ausbilden“, argumentierte Cohn-Bendit im Spiegel-Interview: „Eine Einwanderungsbehörde bestimmt dann, welchen Bedarf es in der Bundesrepublik — oder in Europa — gibt“. [10] Wer nicht gebraucht wird, hat draußen zu bleiben. Wer nach dem Cohn-Bendit-Interview noch zweifelte, was grüne Einwanderungspolitik meint, für den stellte Konrad Weiß vom ostdeutschen Bündnis 90 wenige Wochen später klar: „Natürlich ist es für den einzelnen, der vor der Tür stehenbleibt oder noch ein Jahr länger warten muß, eine bittere Sache, auch ungerecht. Aber um des sozialen Friedens willen, auch um der Akzeptanz der Einwanderinnen und Einwanderer willen, müssen wir uns zu dieser Quotenregelung bekennen“. [11]

Multikulti wird von den Grünen explizit als Strategie gegen linke antirassistische Politik gehandelt, Rassismus uminterpretiert zu einem kulturellen Konflikt, ohne politische und ökonomische Motive, und damit entpolitisiert. In einer grünen Broschüre heißt es: „Angst und Abwehr gegenüber den Fremden gibt es überall auf der Welt“. Eine Mitarbeiterin des Frankfurter Multikulti-Dezernats schreibt darin über die „berechtigten Ängste vor Überfremdung“. Rassismus wird so zu einer anthropologischen — biologischen oder kulturellen — Konstante wie bei Konrad Lorenz und der sogenannten „Neuen Rechten“. Der grüne Multikulti-Begriff und das faschistische Konzept des Ethnopluralismus basieren auf der gleichen willkürlichen Konstruktion homogener Kulturnationen und nationaler Identitäten. Menschen werden aufgrund ihrer geographischen und kulturellen Herkunft auf bestimmte Verhaltensklischees festgelegt. Thomas Schmid, ebenfalls Mitglied der Grünen und Mitarbeiter in Cohn-Bendits Dezernat geht soweit, die EinwanderInnen, sowie jene Linken, die für Offene Grenzen eintreten, für den Rassismus verantwortlich zu erklären. [12] 1992 verfassen Schmid und der „rote Dany“ ein Buch unter dem Titel „Heimat Babylon“: In dem Pamphlet werden Sinti und Roma karikiert im Stil antisemitischer Hetztiraden gegen Ostjuden, wie sie nach dem Ende des 1. Weltkrieges kursierten.

Rücksicht auf das gesunde deutsche Volksempfinden fordert Antje Vollmer. Dem „Mißtrauen breiter Teile der Bevölkerung gegen das multikulturelle Konzept (liegt) die vage Völkererinnerung zugrunde, daß — historisch gesehen — die einheimischen Kulturen den Einwanderern in der Regel unterlagen“. Um die Einwanderung aus Osteuropa zu stoppen müsse vor Ort der „Stolz auf eine nationale und politisch kulturelle Identität“ gefördert werden. [13] Weil die regierenden Kommunistischen Parteien mit ihrem Folklore-Kitsch dieses Gefühl von nationaler Identität ebenso förderten wie die von der BRD aus operierenden rechten Emigrantengruppen, finden heute unter der Parole „Selbstbestimmungsrecht“ von Jugoslawien bis zum Kaukasus ethnische Säuberungen statt. Aus Sicht des deutschen grünen Herrenmenschen ist es natürlich besser, die slawischen Untermenschen schlachten sich dort ab, als daß sie bei uns in der sozialen Hängematte liegen. Geht es nach der Pastorin Vollmer, wird es damit auch für deutsche Volksgenossen ein Ende haben. Auf einem Symposium zu Ehren des 75 Geburtstages von Helmut Schmidt Ende letzten Jahres erklärte die ehemalige maoistische Avantgarde-Politikerin, „daß es auf die Dauer nicht ohne eine Elite geht“. Bezogen auf die Vergangenheit meinte Vollmer, „in der Bundesrepublik haben wir das Experiment mit der Egalität bis zum Äußersten getrieben“. Damit soll es nun ein Ende haben: „Jetzt muß, jedenfalls für eine begrenzte Phase, Vorrang auf die Existenzmöglichkeiten und die Entfaltungsmöglichkeiten von Eliten gelegt werden“. [14]

Diese wenigen Beispiele illustrieren, daß verharmlost, wer ökofaschistische Positionen nur bei Gruppen diagnostiziert, die schon im Verfassungsschutzbericht erwähnt werden, wie Thomas Jahn und Peter Wehling in ihrem Buch „Ökologie von rechts“. Es macht allerdings Sinn, wenn von anderen, politisch einflußreicheren und damit gefährlicheren Kräften abgelenkt werden soll. Der Vorwurf an die Adresse der Ökologischen Linken, einen Popanz aufzubauen, weil wir eben nicht nur offen faschistische Gruppen damit attackieren, sondern auch Teile der Grünen und vor allem die New Age-Szene, zeugt schlicht von Unkenntnis. [15] Nachvollziehbar wird die beschränkte Sichtweise der beiden Wissenschaftler, wenn wir berücksichtigen, daß das oben erwähnte Werk der beiden von der grün-nahen Heinrich-Böll-Stiftung gefödert wurde. Wehling und Jan bemängeln, das Thema werde bisher rein ideologiekritisch und historisch angegangen, was „die Wirksamkeit fragmentierter und flexibler alltagsrassistischer Wahrnehmungsformen und Sprachmuster „unterhalb“ geschlossener Weltbilder“. [16] Die beiden Sozialwissenschaftler wollen vermutlich sagen, daß Rassisten auch zuschlagen, wenn sie weder „Mein Kampf“ gelesen, noch das Programm der Republikaner buchstabieren können. Hundertprozentige Übereinstimmung. Nur fällt „Alltagsrassismus“ eben nicht vom Himmel. Es gibt Gruppen und Projekte die sich ganz gezielt seit Jahrzehnten mit dem face-lifting faschistischer Ideologie beschäftigen um diese salonfähig zu machen. Besonders gefährlich, weil für viele nicht gleich erkennbar, ist dabei die ökologische und esoterische Modernisierung. Gerade hier ist die ideologiekritische und historische Analyse notwendig, um einen Maßstab für die Einschätzung solcher Strömungen zu gewinnen.

Im engeren Sinn verwende ich den Begriff Ökofaschismus, wenn rassistische, sozialdarwinistische, eugenische und/oder antidemokratische Positionen (pseudo-)ökologisch begründet werden. Etwa wenn der langjährige Vorsitzende des Weltbund zum Schutz des Lebens (WSL), Georg Haverbeck, davon spricht, daß die „Unterarten des Menschen ebenso wie die Pflanzen und Tiere einem jeweiligen Ökosystem zugeordnet“ sind und Umweltschutz deshalb als „Völkerschutz“, Schutz der „biologischen Substanz vor Überfremdung“ definiert; [17] oder die Republikaner von der „Erhaltung des deutschen Volkes und seines ökologischen Lebensraumes“ sprechen. [18]

Im weiteren Sinne geht es mir um die pseudoökologische und esoterische Modernisierung faschistischer Ideologie. Der Faschismus als terroristische Herrschaftsform und Krisenstrategie des Kapitals ist charakterisiert durch eine Massenbasis, für die wiederum eine bestimmte Ideologie das verbindende Element ist. Die Vorstellungen, die für faschistische Parteien und Herrschaftspraxis leitend waren, wurden im 19. Jahrhundert von unzähligen Akademikern und Journalisten aus dem Bürgertum entwickelt und propagiert.

Die ökofaschistische und New-Age Szene operiert innerhalb der Ökologie- und Frauenbewegung sowie im anarchistischen Spektrum. Durch massive Auftritte wie etwa beim Jugend-Umweltfestival AUFTAKT im Sommer 1993 in Magdeburg versuchen sie AnhängerInnen zu rekrutieren. Trotz aller persönlichen und ideologischen Differenzen gibt es netzwerkartige Verflechtungen. Sie erklären sich aus den gemeinsamen ideologischen Grundlagen, deren Wurzeln auf die Romantik zu Beginn des 19.Jahrhunderts zurückgehen und über die Lebensreformbewegung der Jahrhundertwende mit ihrer überwiegend völkisch-eugenischen Ausrichtung sowie die Lebensphilosophie Oswald Spenglers, Martin Heideggers, Ernst Jüngers u.a. bis zum modernen New Age reichen.

Begriffe wie Ganzheitlichkeit und Organismus die heute Fritjof Capra oder Rudolf Bahro verwenden stammen aus der Romantik als entschieden antiaufklärerischer, konterrevolutionärer Bewegung. Aus der selben völkischen Quelle stammt der „Volksgeist“, der durch die Werke Rudolf Steiners und der Gurus der schottischen Findhorn-Kommune spukt. Herder, Grimm und Savigny entwickelten den „Volksgeist“ als Gegenkonzept zum Begriff „Volkssouveränität“. Er hat seinen Sitz „in der höheren Natur des Volkes als eines stets werdenden, sich entwickelnden Ganzen“, er erzeugt das Bewußtsein des einzelnen, ebenso wie Recht, Sprache, Sitte und den Staat als „die organische Erscheinung des Volkes“. [19] Die Welt, die gesellschaftlichen Verhältnisse sind also nicht menschengemacht und damit veränderbar, sondern bloßer Ausdruck, materielle Erscheinung einer ewigen und unveränderlichen Wirklichkeit, eines jenseitigen transzendentalen Prinzips. Die politische Botschaft: Rebellion ist nicht gerechtfertigt, sie ist eine widernatürliche, letztlich sinnlose Auflehnung gegen die „ganzheitliche“ und „organische“, d.h. ausbeuterische und unterdrückende Ordnung. Das „deutsche Volk“, eine Konstruktion um die Massen gegen das revolutionäre Frankreich zu mobilisieren, wurde von den Romantikern völkisch und rassisch definiert. Adam Müller leitete aus der Ganzheit Natur die Völker als Unter-Ganzheiten ab, jedes in sich homogen, nach außen heterogen. Abgrenzung und Krieg sind für Müller und Ernst Moritz Arndt notwendig, damit ein Volk sich selbst als Ganzheit spürt. Friedrich Julius Stahl begründete die Einheit des Volkes schließlich blutsmäßig.

Rudolf Bahro, Professor für Sozialökologie an der Berliner Humboldtuniversität und aufgrund seines Dissidentenimages aus DDR-Zeiten einflußreich, leitet den „Volkscharakter“ aus angeblich biologischen Ganzheiten wie Horde, Stamm, Volk, Nation ab. Antje Vollmers Idee von der „kollektiven Völkererinnerung“ scheint ebenso dem Mythos von Volk und Volksgeist zu entspringen, eine reale Grundlage gibt es nicht, ausgenommen Vollmer bezieht sich auf die nationalistische Legendenbildung mit ihren Überflutungsphantasien und dem heldenhaften Widerstand der Germanen seit der Schlacht im Teutoburger Wald. Am deutlichsten ist der Rückgriff auf den Faschismus bei Rudolf Bahro: Seit Jahren ist er auf der Suche „nach dem Positiven, das vielleicht in der Nazibewegung verlarvt war.“ [20] Und weiter: „Kein Gedanke verwerflicher als der an ein neues 1933?! Gerade der aber kann uns reden. Die Ökopax-Bewegung ist die erste deutsche Volksbewegung seit der Nazibewegung. Sie muß Hitler miterlösen — die seelische Tendenz, die wenn auch schwächer, immer noch in uns ist..“ [21] Immer wieder empfiehlt Bahro die Lektüre faschistischer Ideologen, weil sich „Werke wie die Heideggers, C.G. Jungs, Ernst Jüngers, Carl Schmitts heute, in der ökologischen Krise, als im Theoretischen aufschlußreich (erweisen), während so manche antifaschistische Analyse ihren Impuls erschöpft hat?“ [22] Zum Hauptgegner wird die antifaschistische Linke, weil sie „dieses nationale ... völkische Moment nicht bedient. Eigentlich ruft es in der Volkstiefe nach einem grünen Adolf“. [23] Inzwischen gibt es auch Hinweise auf praktische Zusammenarbeit mit Neofaschisten: Immer wieder bezieht sich Bahro positiv auf Chefideologen der neonazistischen Tarnorganisation Deutsche Unitarier Religionsgemeinschaft (DUR), auf Wolfgang Deppert und Sigrid Hunke, die auch zum faschistischen Thule Seminar gehört.

Rechtsextreme Neuheiden, ökofaschistische und New-Age Gruppen bzw. Vordenker eint das gleiche Weltbild, ein mystisch-religiöser Naturbegriff. Ausgangspunkt ist immer ein transzendentales Prinzip, kosmische Intelligenz oder kosmische Wesen. Das Universum, die Natur, der Mensch, die gesamte Evolution und die menschliche Geschichte sind lediglich eine Manifestation, materieller Ausdruck dieses jenseitigen Prinzips. Letztlich handelt es sich um eine Art pantheistische Religion: Gott ist in Allem. Jede Entwicklung ist vorherbestimmt, sie ist die Entfaltung des Transzendentalen, beim Menschen ein Prozeß wachsender Erkenntnis, die schließlich zur Einheit im Göttlichen zurückführt. Evolution und Geschichte sind deshalb eine Art Kreislauf, zunächst — etwa bei Steiner verknüpft mit der Wurzelrassentheorie — ein Abstieg in die Sphäre des Materiellen und dann der Wiederaufstieg durch Erleuchtung. [24] Aus diesem deterministischen Weltbild abgeleitet sind „ewige“, „unveränderliche“ Gesetzmäßigkeiten und Ganzheiten, z.B. Rassen, Nationen, „wesenhafte“ (statt durch geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und Sozialisation erworbene) Unterschiedlichkeit von Mann und Frau. Capra beispielsweise argumentiert mit Yin und Yang, der Ausbeuterphilosophie des chinesischen Feudalismus. Yin und Yang bedeutet Hierarchien und Ausbeutung hinnehmen, denn das Individuum steht an einem vorherbestimmten Platz im gesellschaftlichen Organismus und hat dort eine Funktion zu erfüllen. Capra und Thorwald Dethlefsen (Bestseller „Schicksal als Chance“) wählen als Beispiel Krebs: Er entsteht, wenn Zellen nicht ihre Funktion erfüllen, ebenso müsse sich auch das Individuum höheren Zwecken unterzuordnen.

Alle Übel dieser Welt, gerade auch die ökologischen Zerstörungen, werden von Autoren wie Capra oder Bahro als Ausdruck fehlender Verbindung zum kosmischen Ganzen diagnostiziert. Die Lösung lautet denn auch „Wertewandel“ (Capra) bzw. sich wieder in die „Große Ordnung“ (Bahro) eingliedern. [25] Dazu bedarf es der inneren Erleuchtung, daß sich hinter den materiellen Erscheinungen das Göttliche verbirgt. Der Weg dorthin wird von allen New-Agern ausdrücklich als intuitiv beschrieben, die menschliche Vernunft als hinderlich diskreditiert. Dieses Konzept der Erleuchtung ist antidemokratisch, hierarchisch und elitär. Für die Findhorn-Gurus sind Atomkatastrophen deshalb positiv, weil die Nicht-Erleuchteten ausgelöscht werden. Bahro ruft nach einem charismatischen Propheten, einem „Fürsten der ökologischen Wende“ oder eben nach dem „grünen Adolf“, der die Lösung bringen soll.

Auffällig ist, daß eine ganze Reihe von New Agern neue ökologisch mörderische Technologien wie Atomenergie, Raumfahrt oder Gentechnik befürwortet. Auch eignen sich Ego-Kult und die Predigt vom „natürlichen Leben“ hervorragend um soziale Deregulierung zu rechtfertigen. So wird Capra nicht müde beim Thema Gesundheit auf der Verantwortung des einzelnen herumzureiten, statt krankmachende und keineswegs selbstbestimmte Arbeits- und Lebensbedingungen anzugreifen. Bei Ökofaschisten wie Lorenz und Gruhl werden auch die sozialdarwinistischen Prinzipien „Kampf ums Dasein“ und Auslese offen ausgesprochen, verbunden mit der rassistischen „Überbevölkerungs“-Propaganda. Bahro bewegt sich bereits auf dem selben Terrain: In einem seiner Seminare wurde überlegt, wieviele spirituelle Landkommunen mit maximal 3.000 BewohnerInnen wohl in der BRD Platz haben. Daraus ergibt sich logisch die Frage: Was passiert mit den Überzähligen?? Abgesehen von der grundsätzlich patriarchalen Orientierung des New Age entsprechend der Ganzheits- und Organismuslehre verteidigen Gruppen wie ZEGG [26] sexistische Gewalt: Frauen sind ihrer abstrusen Lehre zufolge nur zu verklemmt, richtig genießen zu können.

In seinem neuen Buch „Die Götter des New Age“ entwickelt der Bonner Autor Peter Kratz die These, daß sich das New-Age als Legitimationsideologie für die Herrschenden hervorragend eignet. Kratz weist auf Parallelen zwischen moderner Esoterik und den Schriften Paul de Lagardes, Houston Stewart Chamberlain u.a. hin. Auch diese Vordenker der Nazis vertraten das von mir oben skizzierte Weltbild. Den Nutzen aus Sicht der Kapitalverwertung beschreibt Kratz folgendermaßen: „Nach der Idee des „kosmischen Ganzen“ steht jedes Individuum an seinem naturgöttlich vorgegebenen Platz, da haben „die ganz unten“ schicksalsmäßig eben Pech gehabt. Andererseits gibt diese Ideologie den Herrschenden alle Macht: Wer oben steht und glaubt, das Göttliche wirke auch in ihm und durch ihn selbst, kennt keine ethischen Schranken“. [27]

Die ökofaschistische und New-Age Ideologie ist in ihrem Kern also keineswegs neu, sie hat nach der Niederlage des Faschismus 1945 überwintert in Gruppen wie der DUR oder der Ludendorffer-Bewegung. In den späten 60er Jahren boten die Protestbewegungen der weißen Mittelschicht (Vietnamprotest, Ökologie- und Frauenbewegung, Hippies) zunächst in den USA dann auch in der BRD Anknüpfungspunkte, besonders geeignet sind dabei Menschen und Strömungen, die die politische Auseinandersetzung aufgeben und das Heil in einer „anderen“, „natürlichen“ Lebensweise im Hier und Jetzt suchen. In der Ökologiebewegung der 70er Jahre und beim Gründungsprozeß der Grünen mischten neofaschistische Gruppen wie der WSL oder die sozialdarwinistischen Gesellianer kräftig mit.

Autoren wie Herbert Gruhl oder Carl Amery wärmten damals ein ganzheitlich-biologistisches Naturverständnis wieder auf, das breit rezipiert wurde. In seinem Bestseller „Ein Planet wird geplündert“ (1975) identifizierte Gruhl, Mitbegründer der Grünen, später der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP), Natur mit sozialdarwinistischen Ausleseprinzipien. Ökologische Politik beinhaltete für ihn eine Ökodiktatur, die Konsumverzicht erzwingt, die Grenzen rigoros abschließt und sich für einen globalen Verteilungskampf um knappe Ressourcen rüstet. Carl Amery, insbesondere in Bayern als Vordenker der Umweltbewegung geschätzt, forderte in einem Werk mit dem bezeichnenden Titel „Natur als Politik“ (1978), die Ökologie zur neuen Leitwissenschaft zu erheben, die „dem Anthropozentrismus widerspricht, die ihn abbaut und vernichtet“. [28] Überwunden werden sollte die Sicht des Menschen als Krone der Schöpfung, nach Amerys Meinung eine Idee christlich-jüdischen Ursprungs die geradewegs zum ökologischen Holocaust führt. Vom Standpunkt eines „ökologischen Notstands“ forderte Amery 1985 die Grünen auf, den Kampf um demokratische Rechte, gegen die Diskriminierung von Schwulen und Lesben, gegen patriarchale Verhältnisse hintanzustellen.

Grundlagen einer linken ökologischen Politik

Die große Mehrheit der Linken hat mit dem Thema Ökologie größte Schwierigkeiten. Die Warnung von Marx, wonach der Kapitalismus den gesellschaftlichen Reichtum produziert und dabei dessen Voraussetzungen, den Menschen und die Natur zerstört, blieb unbeachtet. Das soziale Elend stand über Jahrzehnte und zurecht im Mittelpunkt, ausgeblendet wurde dabei, daß die Entwicklung von Wissenschaft und Technik niemals neutral ist. [29] Die schrankenlose Entwicklung der Produktivkräfte unter kapitalistischem Regime galt als Voraussetzung des Sozialismus, daß dabei die Naturzerstörung zunahm und Destruktivkräfte wie die Atomenergie entstanden, wurde negiert. Jener kleine Teil der undogmatischen Linken in der BRD, die sich in den 70er Jahren mit ökologischen Problemen beschäftigte und sich vor allem in der Anti-AKW-Bewegung engagierte, mußte sich von den diversen kommunistischen Gruppen Maschinenstürmerei und Naturromantik vorhalten lassen. Die Kritik dieser Betonlinken an ökofaschistischen Gruppen zielte darauf ab, die Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex überhaupt zu diffamieren.

Die Behauptung „Ökologie“ ist immer rechts, belegt nur die Unwissenheit derer, die sie aufstellen. Ökologie zur neuen Leitwissenschaft aufzublasen, als Verkleidung für alte sozialdarwinistische und biologistische Positionen, wurde frühzeitig bekämpft, nicht nur von Linken. Autoren wie Ludwig Trepl (1983) oder Jürgen Dahl (1982) warnten davor, die Wissenschaft Ökologie zur neuen „Heilslehre“ (Trepl) zu machen. Gegen Amerys Angriff auf den Anthropozentrismus wandte Dahl ein, daß nur vom Standpunkt eines bestimmten Lebewesens eine Aussage darüber getroffen werden könne, was ökologisch intakt ist und was nicht: „Gesetzt den Fall, eine Stubenfliege vermöchte sich eine Meinung über ihre Umwelt zu bilden (...), so würde die Stubenfliege das Fehlen faulenden Fleisches in der Stube als existentielle Zumutung empfinden und von ordentlichen ökologischen Verhältnissen erst wieder reden mögen, wenn sich die Katze unter dem Sofa erbricht und damit eine Fülle von Nahrungsressourcen verfügbar macht“. [30]

Ökologie als Wissenschaft kann also im Idealfall die Beziehungen der Lebewesen untereinander sowie von Faktoren wie Temperatur, Wasser, Licht, Sauerstoff, Boden usw. analysieren. Nicht intuitiv wie Capra nahelegt, sondern mit naturwissenschaftlichen, rationalen Methoden. Eine ökologischen Politik die auf solchem Wissen basiert und nicht wie bei Amery vom theoretischem Antihumanismus zur Öko-Notstandsdiktatur führt, muß gerade den Menschen zum Maß aller Dinge machen: Wir müssen unseren Stoffwechselprozeß mit der uns umgebenden Natur (Marx) so organisieren, daß weder Mangel herrscht, noch die ökologischen Voraussetzungen menschlichen Lebens auf diesem Planeten zerstört werden.

Der Begriff Radikalökologie, wie ihn die Ökologische Linke verwendet, beinhaltet die Erkenntnis, daß die Ausbeutung und Vernichtung von Mensch und Natur hier und im Trikont ihre Wurzel in der kapitalistischen Produktionsweise hat. Der Kampf um den Weltmarkt zwischen den drei imperialistischen Blöcken USA, Japan und Europäischer Union wird ökonomisch geführt werden mit neuen Technologien und Produkten, die die ökologische Zerstörung weiter voran treiben oder etwa mit der Gentechnik als sich selbst vermehrendes, nicht beherrschbares und nicht rückholbares Risiko eine neue Qualität erreichen. Der ökoimperialistische Zugriff auf den Trikont wird die Form hemmungsloser Ausbeutung von Naturressourcen (Uran, Öl, Kupfer, fruchtbare Böden etc.) sowie Export von Giftmüll und lebensgefährlichen Produktionsanlagen beibehalten. [31] Eine Lösung ökologischer Probleme getrennt von derjenigen sozialer Probleme hann es also nicht geben. Umgekehrt muß linke Politik ökologisch sein, weil es keine emanzipatorische Entwicklung, keine Gesellschaft jenseits des Kapitalismus geben kann, wenn die ökologischen Lebensgrundlagen vergiftet und ausgeplündert sind. Die Hauptaufgabe besteht deshalb darin, hier in den Zentren des Kapitalismus, wo die weltweiten ökoimperialistischen Raubzüge vorbereitet werden, Opposition und Widerstand aufzubauen. Das ist zugleich die wirkungsvollste Form der Solidarität mit emanzipatorischen und revolutionären Bewegungen in aller Welt.

[1alle Zitate aus: Plädoyer für eine ökologisch orientierte Soziale Marktwirtschaft, Gemeinsames Statement von BJU und BUND, August 1993

[2zit. Süddeutsche Zeitung, 29.10.1991

[3vgl. Natur, Nr. 11, 1988

[4vgl. Süddeutsche Zeitung, 19./20.6.1993

[5zit. Entwurf für ein „Stadtentwicklungskonzept. Leitlinien zukunftorientierter Kommunalpolitik“, 1993, BUND-Ortsgruppe, Landkreis Esslingen

[6vgl. Süddeutsche Zeitung, 6.9.1992

[7zit. Masse, Nr.11, 1993

[8zit. Süddeutsche Zeitung, 19.4.1993

[9zit. taz-Interview, 7.5.1993

[10vgl. Der Spiegel, 26.8.1991

[11vgl. Der Spiegel, 16.10.1991

[12vgl. Süddeutsche Zeitung, 8.7.1991

[13vgl. taz, 11.3.1992

[14zit. ZEIT-Punkte, Nr.1, 1994, Demokratie in der Krise — ein ZEIT-Symposium zum 75. Geburtstag von Helmut Schmidt

[15vgl. Thomas Jahn, Peter Wehling, Ausweg Öko-Diktatur, in: Politische Ökologie — Special, Nov./Dez. 1993, S.6

[16zit. ebd., S.5

[17zit. bei Volkmar Wölk, Roger Niedenführ, Neue Trends im ökofaschistischen Netzwerk, in: Hethey/Kratz, In bester Gesellschaft — Antifa Recherche zwischen Konservatismus und Neofaschismus, Göttingen, 1991

[18vgl. Die Republikaner, Programm 1987, S.4

[19vgl. dazu Lutz Hoffmann, Das deutsche Volk und seine Feinde. Die völkische Droge, Köln, 1994, S.108 ff, daraus auch die Zitate

[20zit Rudolf Bahro, Die Logik der Rettung, Stuttgart/Wien, 1987, S.461

[21zit. ebd., S.346 f.

[22zit. Bahro, Vorwort zu Jochen Kirchhoff, Nietzsche, Hitler und die Deutschen, 1990, S.12

[23zit. Bahro, Die deutschen Linken und die nationale Frage oder unsere Ölinteressen am Golf, Streitschrift Nr. 3/November 1990

[24Bahro beschreibt den gleichen Kreislauf in seinem Buch Logik der Rettung, S.92 f.

[25vgl. ebd., S.20, S.86, S.95, S.208

[26Zentrum für Experimentelle Gesellschaftsgestaltung in Berlin/Belzig. ZEGG arbeitet eng mit Bahro zusammen und steht in der Tradition der Aktions Analytischen Organisation (AAO) von Otto Muehl, der 1991 in Österreich wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern verurteilt wurde.

[27zit. interview mit Peter Kratz, in: Junge Welt, 13.5.1994

[28zit. Carl Amery, Natur als Politik, Reinbek, 1978, S.36

[29Rosa Luxemburgs Kritik an der tayloristischen Arbeitsorganisation als neuer Stufe der Disziplinierung von Menschen war die große Ausnahme, Lenin vertrat die Gegenposition.

[30zit. Jürgen Dahl, Ökologie pur, S.74, in: Natur, Nr. 12/1982

[31vgl. zum Thema ökoimperialistische Raubzüge: Jutta Ditfurth, Lebe wild und gefährlich, Köln, 1991

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