Alternative Selbst-Findung?
„Wirtschaft im Dienste des Lebens. Ökumenischer Bekenntnisprozess“, „Marx im Bioladen“, „Lifestyle 4 Peace“, „Tier-Mensch Beziehungen“, „Kreativer Aktionismus — Lichtarbeit für eine bessere Welt“ ... raten sie, wo sie sich gerade befinden! Auf einem Forum für Meditation? Für Mediation? Auf einem Workshop für alternative Selbst-Findung?
Oder was versteckt sich denn hinter dem Kürzel ASF? Offiziell als „Austrian Social Forum“ betitelt, nahmen etwa 1500 „Linke“ diese Veranstaltung vom 29.5. bis 1.6. in Hallein zum Anlass, ein kollektives Brainstorming zu betreiben, wie denn „eine andere Welt möglich“ sei. Entlang der vier Themenschwerpunkte „Arbeitssinn & Arbeitslast“, „Neoliberalismus“, „Herrschaft“ und „Krieg & Frieden“ fanden Konferenzen, Workshops und Seminare statt. Die Inhalte gestalteten sich, wie man den oben angeführten Workshoptiteln bereits entnehmen kann, durchaus pluralistisch. Angefangen bei Anregungen, wie mensch „die Angst-Programme und Konditionierungen der alten Welt“ in sich „löschen“ könne, über Reflexionen zu den Herausforderungen der Globalisierung für die christlichen Kirchen, die — wie wir spätestens seit Freud wissen — ohnehin jeglichen Aufklärungstendenzen mit metaphysischer Sinnstiftung entgegentreten, bis hin zu Ausführungen, warum Tiere keine Nutznießer der kapitalistischen Wirtschaftsweise sind, konnte mensch sich über Einseitigkeit des Veranstaltungsangebots und Mangel an Antirationalismus nicht beklagen, sodass überraschender Weise der Leiter des Workshops „Aufstand der Vernunft“ gleich zu Hause blieb. Eine Vielzahl der profaneren Veranstaltungen beschäftigte sich mit sozialstaatlichen Alternativen zur neoliberalen Weltordnung oder mit aktuellen Erscheinungsformen „des Imperialismus“. Auf eine Analyse des gegenwärtigen kapitalistischen Weltsystems und dessen Verhältnis zu nationalstaatlicher Politik, sprich auf die theoretische Arbeit am Begriff, wurde dabei weitgehend verzichtet. Stattdessen suchte mensch nach praxisorientierten Vorgaben, die zu gerechteren Verhältnissen führen sollen. Der Sozialstaat sollte nicht zurechtgestutzt, sondern ausgeweitet werden; die Märkte, vor allem die Finanzmärkte, sollten besser kontrolliert werden, um die Auswirkungen der zunehmenden Internationalisierung der Marktbeziehungen abzufedern. Nicht zufällig verzichtete mensch auf die materialistische Analyse: denn sie würde aufzeigen, wie unhaltbar diese im schlechtesten Sinne idealistischen Vorgaben sind. Die Aufgabe des Staates ist primär, die Akkumulationsbedingungen für die kapitalistische Entwicklung zu regulieren und zu garantieren, und nicht umstandslos für das Wohl der Menschen zu sorgen. Diese Akkumulationsbedingungen werden derzeit nicht zufällig über Einschnitte im Sozialsystem verbessert. Die Rücknahme der materiellen Absicherung der lohnarbeitenden Bevölkerung soll deren Produktivität steigern und gleichzeitig die staatlichen Aufwendungen minimieren.
Der Markt selbst ist keineswegs Instrument, das nur der sorgsamen Handhabung bedarf, um den Menschen Wohlstand und materielle Sicherheit zu bringen. Ungerechte Verteilung von Kapital ist vielmehr eine notwendige Voraussetzung marktwirtschaftlicher Distribution, als deren Folge. Die Argumentation, durch staatliche Kontrolle des Marktes zu gerechteren Bedingungen gelangen zu wollen, entbehrt damit bereits in ihrem Ansatz jeglicher Plausibilität. Die Verselbstständigung der Finanzmärkte ist in diesem Zusammenhang nicht als böswillige, im Dienste des Neoliberalismus stehende Strategie, sondern als der marktwirtschaftlichen Vergesellschaftung implizite Entwicklung zu begreifen. Sollte also der Anspruch einer Globalisierungskritik jener sein, durch Kritik an den bestehenden Verhältnissen zu einer besseren Welt zu gelangen, so kann dies nicht auf dem Wege einer Stärkung des Wohlfahrtsstaats und einer damit zusammenhängenden Bejahung des marktwirtschaftlichen Prinzips geschehen, sondern nur durch Ablehnung einer Gesellschaft, die insgesamt zwar auf freiem und gleichem Tausch beruht, aber dennoch unentwegt Ungleichheiten produziert. Das Ziel einer solchen Gesellschaftskritik wäre, möglichst viele Menschen über die herrschenden Verhältnisse aufzuklären und somit revolutionäres Bewusstsein — die Bedingung der Möglichkeit einer besseren Welt — erst einmal zu schaffen.
Apropos Waffen der Kritik, Kritik der Waffen und die bessere Welt: Auch Pace-Fahnen durften auf dem ASF natürlich nicht fehlen, fühlten sich die OrganisatorInnen doch einheitlich der aktuellen Friedensbewegung zugehörig. Und auch hier wurden alle bekannten Platitüden im handelsüblich moralisierenden Ton verkündet: Die USA würden „Krieg für Öl“ führen und ein buddhistischer Mönch (sic!) klärte über die omnipräsenten „wirtschaftlichen Hintergründe“ des letzten Irakkrieges auf. Auf der ASF-Demonstration und Blockade der Tauernautobahn wurde darauf hingewiesen, dass auf Österreichs Straßen Kriegsmaterial transportiert werde (gemeint waren damit allerdings wohl kaum die tagtäglich zur Arbeit in ihre Kasernen fahrenden Bundesheersoldaten), um sich damit einmal mehr als kritisches Gewissen der österreichischen Neutralitätspolitik aufzuspielen. Einig war mensch sich über die moralische Verwerflichkeit des US-amerikanischen Imperialismus, der sich neben dem Irak vor allem in der Existenz Israels manifestiere. Ein Seminar zum Israel-Palästinakonflikt wurde mit dem Ziel veranstaltet, die bedingungslose Solidarität mit der Al-Aqsa Intifada zu propagieren. Die Intifada sei der Inbegriff eines Volksaufstandes, nicht nur gegen die imperialistische israelische Repression, sondern auch gegen die eigene Palästinenserführung. In ihr läge das Potential zur sozialistischen Revolution im Nahen Osten und als bekennende(r) AntiimperialistIn und SozialistIn müsse mensch sich mit dem palästinensischen Volk solidarisch zeigen. In einem Vortrag, der die Differenz zwischen Antisemitismus und Antizionismus problematisieren sollte, wurde dies mit den Argumenten unterstrichen, dass israelitische oder jüdische Gemeinden in Europa „das Vorurteil des Antisemitismus“ schüren würden, indem sie lautstark die Politik Israels unterstützen. Außerdem gäbe es ja in Frankreich viel häufiger Übergriffe auf Muslime und Schwarzafrikaner, als auf Juden. Damit war die „Unterscheidung“ des Antizionismus vom Antisemitismus evident. Der angestrebte Versuch, beide fein säuberlich zu trennen, wurde wieder einmal zum Beleg, dass dies unter den Bedingungen einer postnational-sozialistischen Welt unmöglich ist. In der anschließenden Diskussion wurden offen Waffen für die Intifada gefordert, „denn was hätten denn die Widerstandsbewegungen unter dem NS-Regime gemacht, wenn sie keine Waffen gehabt hätten“, die palästinensischen Flüchtlingslager wurden mit Konzentrationslagern gleichgesetzt, Verständnis für die „verzweifelten“ Selbstmordattentäterinnen wurde gefordert und eine Bemerkung eines Anwesenden, der „Solidarität auch mit Israel“ forderte, wurde ausgebuht. Zionismus sei nicht allein dem am Ende des 19. Jahrhunderts verbreiteten Antisemitismus, sondern auch den imperialistischen Interessen Großbritanniens und später der USA geschuldet, sowie als Schwächung der revolutionären Bewegungen intendiert gewesen. Auf die Kritik, dass ein höchst undifferenziertes Bild der Problematik geboten wurde, reagierten die Veranstalter mit Empörung.
Bei soviel Ressentiment unter den ReferentInnen des ASF ist es nicht weiter verwunderlich, dass auf der Liste der Geladenen auch der Name Franz Alt auftaucht. Dieser hatte des öfteren in rechtsextremen Medien publiziert und war im Laufe des Irakkrieges von der neuen Überwindung der politischen Spaltung zwischen Rechten und Linken hellauf begeistert gewesen. Alle seien nun „vereint in ihrem Abscheu gegenüber dem zwangsläufigen Massenmord eines Krieges“. Bleibt zu fragen, ob die Rechte und Linke tatsächlich durch ihren Pazifismus, oder vielmehr durch das gemeinsame Feindbild USA und Israel geeint werden.
Was also bleibt den Teilnehmerinnen des ASF anderes als die Erkenntnis, dass mensch sich doch lieber mit Marx befasst, als im Bioladen zu shoppen?