FORVM, No. 249/250
September
1974
FORVM DES FORVMS

Amoklauf der Aktionisten*

„Man muß alles vernichten und danach alles neu aufbauen“ ist die Ideologie jener neofaschistischen Gruppe „Ordine Nero“, die sich für das gräßliche Attentat auf den Rom-München-Expreß vom 4. August 1974 verantwortlich erklärt hat. Es könnte auch die Überzeugung eines extremen Anarchistenzirkels sein. Im politischen Spektrum gehen nicht nur die „zentristischen“, sondern auch die Außenseiterpositionen ineinander über. Genau hier ist der Wiener Aktionismus angesiedelt.

„Es gibt in Deutschland einen tollen Spruch: Mach kaputt, was dich kaputt macht. Wir leben in einer Hölle. Und da kann man nicht mehr zuschaun. Entweder uns geht’s gut oder die Welt geht in die Luft“, belehrt uns sein Chefideologe Peter Weibel. [2] Er lobt „Verbrechen, Amoklauf und Attentat, daß diese Leute die eigentlichen Helden der Freiheit sind, ja, und daß sich im Amoklauf und im Mord und Attentat der eigentliche Mensch erst verwirklicht“. Ähnliches gab Herbert Stumpfl von sich, Otto Muehl reklamierte „Mord als Kunst“ und verherrlichte Gewalt als ästhetisches Ereignis, dem Hermann Nitsch ist der Friede zu fad — deshalb „gewinnt“ er „dem krieg eine ästhetische seite ab“ (in dem NF-Text zur metaphysik der aggression, NF Juni 1974). Nach Otto Muehl „wird es bald zur sittlichen pflicht gehören, banken zu knacken, und irgendeinen krüppel niederzuschießen“.

Günter Brus beweist feines Gespür, wenn er seinen Freund, den Max-Stirner-Anhänger Oswald Wiener, offen einen Faschisten nennt (in der Schrift „Patent Urinoir“). Über Nitschs „zwei erkenntnisprinzipien, nämlich den blick hinter stabile ordnungen in die tatsachen einer psychischen welt ohne humanistische werte und die existentielle wahrnehmung, eines den menschen gegenüber gleichgültigen universums“ kann Apologet Kaltenbeck in dem Buch eines seelenverwandten Gestrigen nachlesen — in Hitlers „Mein Kampf“. Peter Weibel, dessen Adlatus Kaltenbeck [3] ist, „wäre froh, wenn ich schon die Kraft hätte, so etwas zusammenzubringen wie die Attentäter und Amokläufer, das sind für mich einzigartige menschliche Leistungen. Denn der Amokläufer, der macht das in dem Moment, wo er sich sagt, jetzt habe ich genug, ich kann mich nicht verwirklichen, ich gehe so zugrunde, jetzt müssen die anderen mit mir zugrunde gehen.“ Dieser Ansicht war schon der Führer des Großdeutschen Reiches.

Auf derselben Linie liegt Kaltenbecks „negative Kreativität“, liegen seine Stadtguerilla-Pläne: „die polizei sollte durch störungen in ihrem kommunikationsnetz gelähmt werden usw.“ Über das „usw.“ bin ich seinerzeit von Otto Muehl und Hermann Flasch informiert worden.

Der „große Plan“ des Muehl-Mitarbeiters Flasch war von Herbert Stumpfl mehrmals prahlerisch angekündigt worden, er wurde im Kreis von Muehl-Bewunderern ausgeheckt. Im Hinterzimmer der Muehl-Kommune in der Praterstraße bastelte Hermann Flasch mit Interessenten an Sprengkörpern (was mir Otto Muehl und Otmar Bauer mitteilten). Man wollte Sprengstoffbriefe an verschiedene Politiker (darunter die ÖVP-Abgeordnete Hubinek) und Institutionen schicken, aber alle Spuren sollten auf Hermann Flasch weisen. Schließlich würde ihn die Polizei finden — tot. Der Selbstmord sollte nach einer genau ausgearbeiteten Happening-Partitur vor sich gehen und gefilmt werden. Flasch hoffte, daß die Presseberichte, der Film und die Veröffentlichung seines Nachlasses im NEUEN FORVM (vgl. NF September/Oktober 1973) andere junge Leute „auf der ganzen Welt“ dazu veranlassen würden, ebenfalls „alles hinzuschmeißen“ und sich zum Protest gegen dieses „Leben in einer Hölle“ auch umzubringen. Die im „großen Plan“ zutage tretende Selbstbestrafungstendenz ist typisch für den Wiener Aktionismus: sie gehört zum Sadomasochismus des Hermann Nitsch ebenso wie zu den pantomimischen Selbstdestruktionen des Günter Brus. Bei dem minimal-artistischen Dandy Schwarzkogler [4] setzte sie sich durch: im tödlichen „Flugversuch“ hinaus aus dem Fenster seiner Wohnung. Der lebenslustigere Otto Muehl hofft, daß ihm bei seinem Begräbnis die Kommuneweiber („diese vertrottelten bestien aus arsch und loch, dieser scheiß sumpf im schenkelzwickel“) „endlich den teufel austreiben“ („mir alten drecksau“). Sie sollen ihn zu Brei schlagen, zerfleischen, und zum Schluß: „wegen meiner treibt mir, schlagt mir einen holzpflock durchs arschloch zum mund hinaus“. Schon 1970 schrieb Muehl: „In meinen nächsten Filmen werden Menschen geschlachtet werden. Das Schlachten von Menschen darf nicht Staatsmonopol bleiben. Nur in einem Punkt unterscheidet sich Muehl von der staatlichen Schlachtmaschine: alles auf freiwilliger Basis. Demnächst wird Otto Muehl einen Aufruf an alle Selbstmörder erlassen. Mich selbst fragte Muehl, ob ihm etwas passieren könne, wenn er einen Selbstmörder bei seiner Aktion filme: „Er müßte alles selbst machen, natürlich nicht bloß schnell umbringen, schon etwas mehr. Ich würde ihn nicht einmal angreifen, nur danebenstehen und drehen.“

Ich erfuhr Hermann Flaschs kompletten Plan im Juni 1972. Der hochsensible Pubertierende sah in der doch eher primitiven Muehl-Kommune seine Heimat (andere Subkulturgruppen hatten ihn schon früher frustriert). Dort wurde er jedoch nicht richtig akzeptiert und befand sich in einem Konflikt zwischen dem Muehlschen Zwang direkter plumper sexueller Aggression (was er nachahmen wollte, aber nicht konnte) und seinem starken Bedürfnis nach Liebe und Zärtlichkeit (das als „bürgerlich“ abgewertet wurde und für das er sich schämte). Dieser Konflikt spitzte sich zu. Hermann Flasch: „Nun, am 3. Juni 1972 schließlich gab es beim Mühl eine Schwarze Messe, ich war am Nachmittag dort und ich erfuhr, daß es am Abend sein würde, die X. (Mädchen, in das Flasch verliebt war. J. D.) war damals dort. Sie war inzwischen beim Muehl eingezogen. Man sagte mir, sie wollten eigentlich nicht, daß jemand bei der Schwarzen Messe dabei sei, es würde ein Film aufgenommen. Nun, ich hatte sowieso nicht so lang Zeit, danach kam eine Phase von tiefer Angeödetheit, es ging mir damals sehr schlecht, und ich hätte das erste Mal sicherlich Selbstmord begangen damals schon, wenn ich Gelegenheit und Schlafmittel gehabt hätte.“ Flasch irrte im Wiener Prater umher, am 4. Juni bat er mich telefonisch um Hilfe. Wir vereinbarten eine Aussprache für den 8. Juni, der drei weitere folgten. Dabei bekam ich die „Partitur“ des Selbstmord-Happenings zu Gesicht, die ich schon vorher in der Muehl-Kommune gesehen hatte, ohne sie zu verstehen, ich erfuhr Einzelheiten und Namen von Mitbeteiligten an den geplanten Sprengstoffaktionen. In der nächsten Woche ging Flasch wieder in die Muehl-Kommune („Ich war jeden Tag beim Muehl. Ich erfuhr, daß Muehl jetzt Psychoanalyse macht“), was sich auf die Aussprachen nicht günstig auswirkte. Schließlich versprach Flasch jedoch, den Selbstmord um ein Jahr zu verschieben, darauf zu achten, daß durch die Sprengstoffbriefe niemand zu Schaden kommt, und sich die Sache überhaupt sehr gründlich zu überlegen (selbstverständlich bezweifelte ich die Seriosität seiner Motivation). Dann trennten sich unsere Wege, in der letzten Juni-Woche übersiedelte ich für ständig ins Waldviertel. Ich bat jedoch Mitglieder der Muehl-Kommune, den Burschen nicht weiter in den Suizid hineinzutreiben, mit ihm nicht „psychologisch“ zu experimentieren, sondern ihn abzustützen.

Im Jahr darauf nahm Otto Muehl den Flasch in „Körperanalyse“. Nach dem Selbstmord des Jugendlichen beteuerte der große Meister mir gegenüber: „Ich habe ihn nur einmal im Analysenraum gehabt“ (was bei anderen freilich bereits als „abgeschlossene Lehranalyse“ gewertet wurde), „er war so aggressiv, wollte uns zum Selbstmord überreden, daß ich mit ihm nichts anfangen konnte, sondern ihn hinausgeworfen habe.“

Das war (wenn es wahr ist — Muehl erzählte dasselbe auch zwei Redakteuren der Arbeiter-Zeitung) ein letzter Schrei um Hilfe. Nun hatte Flasch „seine“ Kommune endgültig verloren. Neben seiner Leiche fand die Polizei die Suizid-„Partitur“ aus dem Jahre 1972. Der Selbstmord war genau nach dieser Vorlage ausgeführt worden. Tage nachdem man die Leiche entdeckt hatte, erreichten die letzten Sprengstoffbriefe ihre Adressaten.

Im September 1973 schrieb ich für das NEUE FORVM einen Nachruf auf Hermann Flasch. Muehl vereitelte den Abdruck und drohte mir für den Fall, daß ich den Wiener Aktionismus journalistisch kritisieren sollte, Folgen an: Ich würde in Österreich meinen Beruf nicht mehr ausüben können (Muehls „gute Beziehungen“!), ich würde wegen früherer Mitgliedschaft bei der 4. Internationale bei der Staatspolizei denunziert werden, und schließlich würde man mein Privatleben in der Öffentlichkeit breittreten. Ein typisch faschistisches Symptom.

Einige Tage später wurde deutlich, daß der „Fall Flasch“ vertuscht werden sollte. War schon die polizeiliche Spurensicherung äußerst mangelhaft gewesen, wurden nun keine Hintergrund-Informationen an die Presse weitergegeben, ein sehr hoher öffentlicher Funktionär versuchte (erfolglos), einen Anti-Muehl-Artikel in der Arbeiter-Zeitung zu verhindern, Kollegen warnten mich vor „Maßnahmen“ von oben: ich wisse zuviel. Schließlich trat ein in der SP äußerst einflußreicher Jungjournalist, den die Aktionisten als Vertrauensmann ansehen, als Beschwichtigungshofrat für Otto Muehl hinter den Kulissen auf. Da darf jetzt selbstverständlich auch die „Grazer Autorenversammlung“ nicht untätig bleiben, und Nenning hat sich pflichtschuldigst zu beugen.

Dieser ganze Aufwand für Leute, die „auf Arbeiter und Werktätige scheißen“, den „Menschen demolieren“ und auf ihre Weise „gegen das Tabu des Todes ankämpfen“ wollen. Für anal Regredierte, die durch forçiertes Scheißen die Besitzfixierung und damit den Kapitalismus zu beseitigen vorgeben (Muehls Film „Sodoma“!) und die aus Brutalität, Blut und Scheiße Geld machen. Für Amokläufer, denen Sozialismus zuwider ist.

Selbstverständlich versuchen sie sich auszureden: Dem theorielosen Finanzpraktiker Otto Muehl genügen einige Quentchen Freud und Reich zu Rationalisierung, Nitsch tat es nicht unter Nietzsche, de Sade, Artaud, George, Breton, dem Symbolismus und der Mystik. Kaltenbeck stoppt Kritik durch autoritären Hinweis auf Antipsychiatrie und Michel Foucault. Ein antihumanistischer Leckerbissen: das Lumpenproletariat wird zur revolutionären Kraft, der Mensch „gelangt zu einer heiteren Inexistenz zurück, verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand“, übrig bleiben Verdinglichungen, neopositivistischer „Diskurs“, technokratische „Strukturen“, „Formen“ ohne Inhalte neben dem Irrationalen. Auch Weibel pflegt faschistische Schizoidie: Da er seine Terror-Projekte nicht realisieren kann, träumt er (wohl beeinflußt von Tel Quel von der umwälzenden Macht der Theorie: „Eine Finanztheorie — also daß man einfach Begriffe, das Geldproblem, den Verkehr, den Warenaustausch, daß man da jetzt von vornherein eine andere Begrifflichkeit entdeckt und eine andere Theorie entwickelt, das wäre Politik heute. Ich möchte das vielleicht eh einmal machen, aber man hat einfach nicht die Zeit.“ „eine reine lehre von der verteilung der werte“ würde auch Nitsch neben der Blutsudelei gefallen. So hofft er auf Subventionen und die Errichtung eines Kindergartens für intelligenzgeschädigte Kinder im Blutorgienschloß Prinzendorf an der Zaya.

Otto Muehl dagegen veranstaltet unangefochten psychoanalytische Kuren (Preis einer 4-Wochen-Kur angeblich $ 15.000) unter Assistenz seiner Mitanalytikerinnen, die — wie sie selbst erzählen — die Feinheiten des Berufs auf dem Berliner Straßenstrich studiert haben. Eine gewisse Ähnlichkeit mit dem „Psychotherapeuten“ Doktor Morgan und seinen „Krankenschwestern“ in Robbe-Grillets Roman „Projet pour une révolution à New York“. Weniger literarisch urteilt der Diplompsychologe Helmut Kentler in einem Gutachten: „Das einzige Interesse, auf das Muehl Anspruch hat, ist das des Psychiaters. Wer meint, ihm zustimmen oder ihn gar unterstützen zu müssen, sollte analysieren, wie es kommt, daß ihn koprophil verkleideter Faschismus derart zu faszinieren vermag.“

*) Ich mache den Leser aufmerksam, daß ich über diesen meinen Text nicht sehr glücklich bin. Ich habe dem NF eine Arbeit eingeschickt, in der die theoretische Auseinandersetzung mit dem Aktionismus im Vordergrund steht. Sie kam der Redaktion zu lang vor. Vielleicht kann ich sie anderswo publizieren.

[2Peter Weibel wird zitiert nach Hilde Schmölzer, Das böse Wien, München 1973

[3Kaltenbeck wirkte auch als Vortragender an der Unischeißerei 1968 mit!

[4Muehl über Schwarzkogler und Nitsch: „Was hat der Rudi für einen herrlichen Schwanz, sagte Nitsch 1965, warum hat er mir nicht seine Leiche vermacht, sagte Nitsch 1969, dafür hat er ihm den Monsignore Mauer eingebrockt, der den Bruder Rudolf begraben hat.“

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