FORVM, No. 339-341
Mai
1982

Antisemitismus in Ö

Bild-Journalist, widerlich

Betr.: Michael Siegert: »Jud kaputt?«/Jänner-Februar-Heft 1982

War schon der Cover des FORVM vom Jänner/Februar 1982 und der Titel des Artikels von Michael Siegert (»Jud kaputt/Jud süßsaurer«) befremdend, so leistete sich Siegert in seinem nachfolgenden »Bericht« über den »Abend im jüdischen Gemeindezentrum« eine unappetitliche Entgleisung. Es ist bereits journalistisch gesehen ein Skandal, wenn eine »Internationale Zeitschrift links von der Mitte« aneinandergereihte Gesprächsfetzen aus einem Tischgespräch veröffentlicht, ohne die daran Beteiligten zu fragen; noch schäbiger ist es, die beteiligten Kollegen damit derart perfide bloßzustellen, daß sie nur mehr als Karikaturen für die Siegert-Häme herhalten können. Das ist widerlicher »Bild«-Journalismus.

Aber wozu? Sollen neue Leserschichten (Kennzeichen: frauenfeindlich, antisemitisch, reaktionär) angesprochen werden? Wem wollte Siegert eins auswischen?

In Zukunft, Freunde, wenn sich der Siegert im Beisl dazusetzt und harmlos den Notizblock herausholt, redet lieber vom Wetter.

Helene Maimann
Ernst A. Grandits
1130 Wien

Mittlere bis extreme Antisemiten

Lieber Michael Siegert!

Zu Deinem Mut über den hier und jetzt verbreiteten Antijudaismus — von dem auch viele Sozialdemokraten nicht frei sind — zu schreiben, gratuliere ich Dir. Dein Artikel »Jud kaputt« ist meiner Meinung nach rennerpreiswürdig.

Vor einigen Jahren druckte die »AZ« auf der ersten Seite, was Bundeskanzler Kreisky einem amerikanischen Journalisten antwortete, der nach dem österreichischen Antijudaismus fragte: wenn der Wiener Jockey-Club einen Juden nicht als Mitglied aufnehmen würde, so gäbe es hier einen nationalen Skandal (aus der Erinnerung zitiert). Damit stritt der Bundeskanzler indirekt ab, was ihm aus einigen Ifes- und Imas-Untersuchungen bekannt sein mußte, und er bestärkte die vielen Österreicher, die glauben, daß alle Juden reich sein. Hätte der Bundeskanzler daran gedacht, daß hier jüdische Arbeiter und Angestellte, überhaupt jüdische Menschen unter dem bodenständigen Antijudaismus leiden, dann hätte er sich vielleicht zurückgehalten und keine pejorativen Bemerkungen über »miese« Juden und »Ostjuden« gemacht, vielleicht hätte er dann auch nicht seine durch nichts bewiesenen Anschuldigungen gegen Simon Wiesental erhoben.

Sicher ist aber, hätten ihm diese Erklärungen bei den Wählern geschadet, dann hätte er geschwiegen. Die Tiefenpsychologie des Dr. Daim in Ehren, aber Dr. Kreisky ist ein zu guter Politiker, um seinen Leidenschaften freien Lauf zu lassen, wenn ihm das schaden kann.

Wenn man sich für die »Rechte der Palästinenser« engagiert, so verliert man keinen einzigen Wähler, würde man sich aber gegen den hier grassierenden Antijudaismus offen und energisch wenden, dann könnte man damit doch potentielle Wähler verärgern. Da regt man sich lieber wegen Israel auf. Sicher, es gibt hier einen Verein gegen Antisemitismus, der unlängst sogar sein 25. Jubiläum gefeiert hat, und es gibt jede Menge Alibiaktionen. Die Beteiligten glauben auch an ihre Sache. Ein Ergebnis ist aber nicht zu merken.

Die Wiener Zeitung vom 8. November 1981 berichtete von einer neuen Untersuchung einer Wiener Soziologin, welche die von Dir erwähnte Untersuchung von B. Tichatschek-Marin bestätigt. Danach sind 60 Prozent aller Österreicher »mittlere« und 20 Prozent »extreme« Antisemiten.

Du hast die Diskussion um »Zions Bart« [*] seinerzeit abgeschlossen, und ich erhielt nicht die Möglichkeit, auf die Angriffe Monetas zu antworten. Ich möchte nur auf einen Fehler aufmerksam machen, der zeigt, wie fundiert die Kenntnisse des Herrn Moneta sind. Er behauptete, daß Ende 1947 im britischen Mandatsgebiet Erez Israel »etwa 350.000 Juden« lebten. In Wirklichkeit lebten sogar nach einer sowjetischen Schätzung damals 608.000 Juden im Land (Galina Nikitina: »The State of Israel«). D.h. der Zionismus hat Hunderttausende Juden gerettet.

Eine Bemerkung zur Ehrenrettung von Engelbert Pernerstorfer. Edmund Silberner hat in seinem ausgezeichneten Buch »Sozialisten zur Judenfrage« Engelbert Pernerstorfer einige interessante Seiten gewidmet, seine Haltung zu den Juden wird als ambivalent beschrieben. 1916 meinte Pernerstorfer, die Ostjuden seien »eine Nation, und eine Nation von besonderer Geistigkeit, wie jede innerlich starke Kulturnation. Sie hat ein Recht auf nationale Existenz. Es bleibt also nur zu erwägen, wie sie ihr gewährleistet werden kann. Ich habe schon angedeutet: auf weltgeschichtliche Dauer hinaus nur durch eigenes Gemeinwesen (in Palästina)«.

Mit freundlichen Grüßen

Karl Pfeifer
1030 Wien

[*Siehe FORVM von November/Dezember 1980, Jänner/Februar, März/ April, Mai/Juni, September/Oktober 1981

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