Heft 1-2/2005
Mai
2005

„Ausbildung von diplomatischem und politischem Personal“

Interview mit Albert Issa
Wie bewerten Sie die Maßnahmen der irakischen Übergangsregierung seit dem 28. Juni 2004, als der Irak seine Souveränität erhielt? Bisher ist es ja noch nicht gelungen das Land zu sta­bilisieren.

Der Irak hat keine demokratische Tradition und ist seit der Staatsgrün­dung 1921 das Zentrum von Gewalt und panarabischem Nationalismus. Sämtliche Generationen wuchsen mit dieser Ideologie auf und so ver­wundert es kaum, dass der Aufbau demokratischer Institutionen nicht von heute auf morgen vonstatten geht. Die Konzentrationsregierung unter Allawi konnte das auch nicht sofort erreichen. Immerhin gelang es aber den Irak so weit zu bringen, dass nun erstmals seit Jahrzehnten Wahlen möglich waren.

Sie haben soeben ein Buch über den Ba’thismus fertiggestellt. Aus welchen Quellen speist sich die Ideologie des Ba ’thismus?

Es gibt eindeutige Parallelen zum historischen Faschismus in Europa, die vom völkischen Nationalismus bis zum Führerkult reichen.

Das ba’thistische Denken sitzt noch tief in den Köpfen vieler Men­schen, die Kontinuitäten sind auch hier im seit 1991 autonomen Kurdis­tan noch spürbar. Ich erlebe das tag­täglich im Umgang mit den verschie­densten Menschen. Der Ba’thismus wird uns deshalb leider noch lange begleiten. Er ist Teil der politischen Kultur geworden. Zur Zeit erleben wir vor allem im Zentralirak eine Al­lianz der ba’thistischen Banden mit dem radikalen politischen Islam.

Um die Wurzeln dieser Ideologie auszureißen, müssen wir zu allererst das irakische Bildungssystem radikal ändern. Nur so kann sich langsam eine demokratische Kultur entwi­ckeln. Sonst steuern wir auf eine Situ­ation hin in der es ein Fortwirken des Ba’thismus im politischen Denken gibt. Dass dies nicht so einfach ist, zeigt auch die Erfahrung mit dem Fa­schismus in Europa. In Deutschland und Österreich sind die Wurzeln des Nationalsozialismus auch heute noch nicht zur Gänze verschwunden. An­ders kann ich mir nicht erklären, wie­so etwa ein Jörg Haider in Österreich politische Karriere machen kann.

Unter einer Diktatur kann sich eine unabhängige Politikwissenschaft kaum entwickeln. Welche Rolle spielte sie je­doch nach 1991 in Kurdistan, nachdem sich große Teile Irakisch-Kurdistans sich von der ba’thistischen Herrschaft befreien konnte?

Das Institut in Suleymania wur­de erst 2004 gegründet. In Hawler bzw. Arbil, der zweiten großen Stadt des kurdischen Nordiraks, gibt es bereits seit 5 Jahren ein Institut für Politikwissenschaft. Unser Ziel ist es, eine unabhängige Wissenschaft aufzubauen, kein Ideolgieproduktionsinstitut wie in den Universitäten der Ba’thisten. Dabei sehen wir uns aber einer Reihe finanzieller und po­litischer Probleme konfrontiert. Wir haben z.B. kaum brauchbare Bücher im Bereich der Demokratieforschung, der Internationale Beziehungen, usw. Hier bräuchten wir dringend interna­tionale Unterstützung.

Wie groß ist das Institut in Suleymania? Wo liegt der Schwerpunkt der Lehre?

Noch sind wir klein. Im ersten Semester hatten wir ca. 110 Studen­tInnen. Wir werden aber mit jedem Semester wachsen. Unser Ziel ist für das erste einmal die Ausbildung von diplomatischem und politischem Per­sonal für den neuen Irak. Gerade in Kurdistan gibt es kaum ausgebildete Beamte und Politiker.

Kommt dabei die kritische Reflexion über Politik nicht zu kurz? In unserem Institut in Wien geht es nicht primär um die Heranbildung zukünftiger Po­litiker, sondern — zumindest einigen ProfessorInnen — um die Analyse und Kritik politischer Verhältnisse.

Sie dürfen nicht vergessen, dass wir hier in Kurdistan jahrzehntelang keinen Zugang zu Diplomatie, Poli­tik und Verwaltung hatten. Wenn wir nun gleichberechtigte BürgerInnen des Irak sein wollen, dann haben wir hier viel nachzuholen und müssen erst einmal entsprechendes Personal aus­bilden. Das ist eben die erste Stufe zur Etablierung einer kurdischen Politik­wissenschaft. Erst wenn wir wirklich kurdische Politiker, Beamte und Di­plomaten ausgebildet haben, können wir uns auch verstärkt der kritischen Betrachtung von Politik widmen. Ziel ist es nun vorerst StudentInnen auszubilden, die selbstständig denken und nicht notwendigerweise einer der bei­den großen kurdischen Parteien ange­hören müssen.

Prof.Dr. Albert Issa ist Vorsitzender des Instituts für Poltikwissenschaft der Universität Suleymania.

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