FORVM, No. 198/I
Juni
1970

BH verstößt gegen Staatsvertrag

Offener Brief

Sehr geehrter Herr Bundesminister für Landesverteidigung,
sehr geehrte Herren Abgeordnete zum Nationalrat,

in der gegenwärtigen Diskussion über das Bundesheer spielt mit Recht das Argument eine große Rolle, daß Österreich verpflichtet sei, den Staatsvertrag peinlich genau einzuhalten. Dieser schreibe aber vor, daß Österreich ein Bundesheer haben müsse.

Dieses Argument ist zweifelhaft, da eine Verpflichtung Österreichs, ein Bundesheer zu halten, im Text des Staatsvertrages nicht enthalten ist. Unzweifelhaft ist hingegen im Text des Staatsvertrages zwingend festgelegt, daß es Österreich verboten ist, bestimmte Waffen zu besitzen. Darunter fällt gemäß Artikel 13, Abs. 1, lit. c des Staatsvertrages

jegliche Art von selbstgetriebenen oder gelenkten Geschossen ... sowie Apparate, die für deren Abschuß und Kontrolle dienen.

Gemäß Truppendiensttaschenbuch, Band 10, herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft Truppendienst, Leitung: Oberst dG August Ségur-Cabanac, Redaktionsschluß: 1. Mai 1969, Wien 1969, S. 32, 33, 34, 37, besitzt jedoch Österreich eine Reihe von selbstgetriebenen Geschossen sowie Apparate für deren Abschuß (Raketenwaffen). Diese Waffen sind im erwähnten Truppenhandbuch genau beschrieben und auch abgebildet.

Da der Staatsvertrag die verfassungsgemäße Genehmigung des Nationalrates erhalten hat (BGBl. Nr. 152/1955), ist er Bestandteil der österreichischen Rechtsordnung. Eine Verletzung von Bestimmungen des Staatsvertrages ist eine Verletzung der österreichischen Rechtsordnung. Erfolgt diese Verletzung mit Wissen des zuständigen Ministers und unter Duldung durch diesen, so handelt es sich um eine schuldhafte Rechtsverletzung im Sinne des Art. 142 B-VG:

(1) Der Verfassungsgerichtshof erkennt über die Anklage, mit der die verfassungsmäßige Verantwortlichkeit der obersten Bundes- und Landesorgane für die durch ihre Amtstätigkeit erfolgten schuldhaften Rechtsverletzungen geltend gemacht wird.

(2) Die Anklage kann erhoben werden:

...

(b) Gegen die Mitglieder der Bundesregierung ... wegen Gesetzesverletzung: durch Beschluß des Nationalrates.

...

(4) Das verurteilende Erkenntnis des VfG. hat auf Verlust des Amtes, unter besonders erschwerenden Verhältnissen auch auf zeitlichen Verlust der politischen Rechte, zu lauten ...

Sehr geehrter Herr Bundesminister, wir fordern Sie auf, die Gesetzesverletzung unverzüglich abzustellen, die darin besteht, daß das Bundesheer entgegen Art. 13, Abs. 1, lit. c Raketenwaffen besitzt.

Sehr geehrte Herren Abgeordnete, wir fordern Sie auf, widrigenfalls gegen den Bundesminister für Landesverteidigung den Anklagebeschluß gemäß Art. 142 BV.-G. herbeizuführen.

Wir wissen, daß die österreichischen Raketenwaffen, verglichen mit jenen der Großmächte, qualitativ wie quantitativ geringfügig sind. Es scheint uns jedoch unmoralisch, daß man in der Öffentlichkeit behauptet, man brauche ein Bundesheer, um den Staatsvertrag zu erfüllen, obwohl diesbezüglich nichts im Staatsvertrag steht, anderseits die Verletzung des Staatsvertrages durch das Bundesheer stillschweigend billigt, obwohl diesbezüglich ein ausführliches Verbot im Staatsvertrag steht.

Es ist hierdurch ein Element der Lüge in die öffentliche Diskussion gebracht, gewiß nur eines unter zahlreichen anderen, dafür aber eines, das unschwer beseitigt werden kann. Dies ist der Zweck des vorliegenden Schreibens.

Mit der herzlichen Bitte um Nachricht, was Sie zu unternehmen gedenken, sowie den besten Empfehlungen

Für den vorbereitenden Ausschuß für das Bundesheer-Volksbegehren:

Dr. Wilfried Daim
DDr. Günther Nenning,
Bevollmächtigter der Unterzeichner des Antrages gemäß § 3 Volksbegehrensgesetz
Univ.-Prof. Dr. Hans Thirring
im Namen von bisher 25.000 Unterzeichnern
Wien VII, Museumstraße 5

Heute gibt es kaum mehr eine Armee, die sich zur Bildung eines Feuerschwergewichtes nicht der Raketenartillerie bedient. Auch das österreichische Bundesheer verfügt über Raketenwerfereinheiten. Diese sind mit dem 13-cm-Werfer (32 Rohre, Reichweite rund 8 km) ausgerüstet. Diese Einheiten sollen überraschend mit massiertem Feuer wirken und wendig immer dort mit vernichtenden Feuerüberfällen in das Kampfgeschehen eingreifen, wo die taktische Führung ein Schwergewicht bildet.

„Bundesheer-Illustrierte“ Nr. 1/65
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