FORVM, No. 210/I/II
Mai
1971

Brief an Lütgendorf

Herr General,

zu Ihrer Rede vor dem Kameradschaftsbund am 20.5. in Salzburg und Ihren Erklärungen am 21.5. im Fernsehen:

Als Minister einer sozialdemokratischen Regierung obliegt es Ihnen, jeden Verdacht zu zerstreuen, daß Sie der NDP nahestehen und/oder NDP-Gedankengut verzapfen. Sie haben diese Beweisführung ohne Verzug und mit aller Sorgfalt vorzunehmen. Gelingt sie Ihnen nicht, haben Sie zurückzutreten.

Heute sagen Sie, Minister einer sozialdemokratischen Regierung, vor dem Kameradschaftsbund: „Wir dürfen nicht tatenlos zusehen...“ Sagen Sie morgen, wie Major Fey am 11. Februar 1934: „Kameraden, morgen werden wir an die Arbeit gehen und wir werden ganze Arbeit machen.“ —?

Wir denken an den Februar 1934 — und an Ihre undifferenzierte Lobpreisung des Bundesheeres vor 1938, das auf Sozialisten geschossen hat, aber tatenlos zusah, als die Nazis einmarschierten. Bundesheeroffiziere wurden Offiziere in der Naziwehrmacht — Sie auch.

Wir denken an die Nazibewegung vor 1938 — immer schon haben faschistische Schlägergarden die Aufforderung „nicht tatenlos zuzusehen“ sehr wörtlich genommen. In Schwechat und im Wiener Albert-Schweitzer-Haus wurden Befürworter des verfassungsmäßig legalen Anti-Bundesheer-Volksbegehrens in gesetzmäßig legalen Versammlungen attackiert (siehe NF April/Mai 1971); ohne die eiserne Zurückhaltung der Veranstalter hätte es eine Saalschlacht nach Muster der Dreißigerjahre gegeben.

Ist es das, was Sie meinen, wenn Sie sagen: „Wir dürfen nicht tatenlos zusehen ...“

Und wer ist „wir“?

Als Heeresminister untersteht ihnen das Bundesheer. Anführer des NDP-Schlägertrupps im Albert-Schweitzer-Haus war ein Stabswachtmeister des Bundesheeres aus der Mariatheresienkaserne. Die Personalien all der Bundesheerangehörigen, die im Dunstkreis der NDP aktiv tätig sind, können Sie sich bei der Staatspolizei verschaffen.

Ihnen untersteht das Bundesheer und Sie sagen: „Wir dürfen nicht tatenlos zusehen.“ Ein Oberstleutnant aus der St. Pöltener Hesserkaserne sah nicht tatenlos zu, als zwei junge Bürger mit Werbeplakaten für das Volksbegehren vor dem Kasernentor standen; er schlug sie eigenhändig nieder.

Ist es das, was Sie meinen mit: „Wir dürfen nicht tatenlos zusehen“?

Ist dieses „Wir“: General Lütgendorf, ehemals hoher Offizier der Naziwehrmacht, plus Prügeloberstleutnant plus NDP-Stabswachtmeister plus sonstiger NDP-Soldaten plus Kameradschaftsbünde, auf deren Plakaten heute schon steht: „Das Volk wird die Verräter richten!“ (NF April/Mai, S. 81). Werden Sie demnächst solche Leute ausschicken, um den, wie Sie sich anmaßen zu behaupten, „verblendeten Heißspornen“ die Schädel einschlagen zu lassen? Steuert ein sozialdemokratischer Minister auf dem Weg über das Bundesheer Saalschlachtkompanien gegen junge Bürger, die ihre verfassungsmäßigen Rechte (Volksbegehren, Versammlungsfreiheit) in Anspruch nehmen?

Antworten Sie, Herr General! Nichts als eine klare und unzweideutige Distanzierung von den in der NDP tätigen Bundesheerangehörigen kann einen sozialdemokratischen Minister vor dem Sturz bewahren.

Lassen Sie sich diesen Stabswachtmeister kommen und schauen Sie einmal nicht auf Haarschnitt (der Mann hat kurze Haare), sondern auf demokratisch-republikanische Haltung. Lesen Sie den Artikel 97 der Bundes-Verfassung. Das Bundesheer ist dazu da, die demokratische Republik zu schützen und nicht für faschistische Freizeit-Aktivitäten.

Dieser Ihr Stabswachtmeister und seine Leute haben eine legale Versammlung auf das brutalste gestört, Mikrophone zertrümmert, Rednerpulte umgeworfen, Teilnehmer physisch attackiert, den Vortragenden, Professor Fritz Vilmar, zu Boden geschlagen.

„Wir dürfen nicht tatenlos zusehen ...“

Ein Minister und General, der in seinen Reden Instruktionen für NDP-Terror gibt, kann sich bestenfalls durch eine haarscharfe Distanzierung und künftiges absolutes Wohlverhalten retten.

Man muß in der österreichischen Geschichte bis in die Dreißigerjahre zurückgehen, zum Heeresminister Vaugoin, zum Heimwehrminister Starhemberg, in die Jahre des Aufstiegs der Faschisten also, um eine Parallele zu finden für eine derart unverfrorene Aufforderung zum Pogrom gegen Andersgesinnte.

Darum geht es.

Daß Sie die Initiatoren und Befürworter des Anti-Bundes-Heervolksbegehrens für „meist verblendet“ halten, ist gleichgültig. Daß Sie meinen, diese Bürger seien „von Anarchisten im Ausland gesteuert“, ist ebenfalls gleichgültig. [1] Es geht nicht um politische Diskussion mit einem Mann Ihres geistigen Kalibers, es geht darum, Herr General, ob Sie als Minister der demokratischen Republik Ihre Pflicht tun, Ihre Aufträge ausführen oder statt dessen Subversion gegen diese Republik betreiben.

Was und wer sind diese Ihre „unverdorbenen Kräfte im Volk, zu denen wir Erwachsene den Kameradschaftsbund zählen“?

Michael Siegert hat im vergangenen Heft des NF (April/Mai) umfangreich dokumentiert, wie Kameradschaftsbünde und Demokratie zueinander stehen. In diesem Heft (Mai/Juni) zeigt Adalbert Krims (S. 46) den Block NDP-FPÖ-ÖVP in der Gegnerschaft zum zivilen Friedensdienst.

Es ist kein Zweifel, Herr General, daß Sie in dieser Frage beim Block NDP-FPÖ-ÖVP stehen und somit gegen sämtliche sozialistische und katholische Jugendverbände, die vom Bundeskanzler beauftragt waren, ein Konzept für den Alternativdienst auszuarbeiten.

Sie haben, Herr General, das Bundesheer als Minister zu verwalten gemäß der Politik der Bundesregierung und in Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung. Das ist Ihr Auftrag gemäß Verfassung.

Ein Minister, der auf Seiten eines NDP-FPÖ-ÖVP-Blocks steht, ist für eine sozialdemokratische Regierung untragbar. Ein Heeresminister in einer sozialdemokratischen Regierung, der Reden à la Starhemberg vor dem Kameradschaftsbund hält, ist untragbar.

Ein Minister der Reden hält, die das empfehlen, was NDP-Terroristen bereits tun, ist für die demokratische Republik untragbar.

Klare Distanzierung oder Rücktritt!

Günther Nenning
(Beauftragter für das Anti-Bundesheer Volksbegehren gem. § 3 Volksbegehrengesetz)

[1Diese läppische Behauptung (noch jeder Konservative hielt gesellschaftsverändernde Bewegungen in seinem Land für Verschwörungen, die „vom Ausland gesteuert werden“) blieb so ohne jeden Beweis, daß Ihnen die „Presse“ vom 22./23. Mai 1971 mit dem Apropos zu Hilfe eilte: „In informierten Kreisen wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß die Initiatoren des Anti-Bundesheer-Volksbegehrens, Nenning und Daim, mit Prälat Ungar und Friedrich Heer erst kürzlich an einer Konferenz des International Dialogue Committee bei Ivan Illich in Cuernavaca teilgenommen hätten.“ Ivan Illich als „Anarchist im Ausland“ — das wäre nur zum Lachen, wenn die „Presse“ nicht gleich auch noch die Diskreditierung einer weiteren Person mit eingewickelt hätte: nicht nur des Priesters Ivan Illich, dem dies auf Grund seiner internationalen Statur wurst sein kann, sondern auch des Priesters Leopold Ungar, welcher seine Distanzierung vom NF und vom Anti-BH-Volksbegehren gerade letzthin sorgfältig vollzogen hat (Austritt aus dem Internationalen Beirat des NF) — und dessen unmittelbarer geistlicher Vorgesetzter ein Kardinal ist, der auch schon jüngsthin vor dem Kameradschaftsbund eine Rede hielt, in der dieser à la Lütgendorf als gesunde Säule der Gesellschaft gefeiert wurde. (Wo sind die Frühlingstage des „progressiven“ Kardinals König?)

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