FORVM, No. 252
Dezember
1974

CIA: Eierköpfe vs. James Bond

Victor Marchetti/John D. Marks: CIA, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1974, 490 Seiten, DM 28, öS 215,60.

Das Wort Intelligence in „Central Intelligence Agency“ hat nichts mit Intelligenz zu tun. Auch nicht mit Denkfähigkeit, Anpassungsgabe, Klugheit, Einsicht, Verständnis — eher schon mit: Nachricht, Mitteilung, Auskunft. Auskunft besonderer Art. Präsident Johnson soll die CIA -Berichte hauptsächlich wegen pikanter Personal-Details geschätzt haben (z.B. spielte er einem Besucher ein Tonband mit Intimgeräuschen von Martin Luther King vor). Nixon und Kissinger, so erfährt man, übertrugen die Lektüre schließlich an untergeordnete Beamte ihres Stabes.

Entstanden ist der CIA aus dem Geheimdienst des Zweiten Weltkriegs, dem Office of Strategic Services (OSS). Dieser leidlich demokratische und antifaschistische Haufen unter dem General „Wild Bill“ Donovan umfaßte auch Leute wie den marxistischen New-Deal-Ökonomen Paul M. Sweezy, den Psychoanalytiker Walter C. Langer (der eine Hitler-Psychographie schrieb) und den marxistischen Existenzialphilosophen Herbert Marcuse.

Mit dem Beginn des kalten Krieges und dem National Security Act des Jahres 1947 bekam der nationale Auslandsgeheimdienst — nunmehr CIA — ein neues Zielobjekt: die Sowjetunion. Mit gigantischen Forschungsprogrammen rollte man die Eierköpfe gen Osten. Während Herbert Marcuse sich dabei einen Sinn für den Widerspruch im Westen bewahrte und bald nicht mehr gebraucht wurde, gingen andere OSS-Leure wie Walt Whitman Rostow voll in der neuen Rolle auf. Rostow wurde schließlich der vor Kissinger bekannteste Nationale Sicherheits-Berater der Präsidenten und — wie in den Pentagon Papers nachzulesen — der ärgste Ultra im Vietnam-Krieg.

Victor Marchetti, der Initiator und Hauptautor des Buches, gehört einer jüngeren Generation an. Er ließ sich 1952, während seines Militärdienstes in Westdeutschland, zum CIA anwerben, kam in die Spezialschule in Oberammergau und tat dann Dienst an der DDR-Grenze. Später studierte er Sowjetologie und stieg in der CIA-Zentrale in Langley bei Washington bis in das Direktionsbüro auf (Leitender Assistent des Vizedirektors). Seine Spezialität war Militärhilfe der Sowjetunion an Länder der Dritten Welt. Marchetti war einer der Analytiker, die die sowjetischen Raketen auf Kuba entdeckten. Sein Motiv für dieses Buch ist im ständigen Gegensatz zwischen Analytikern und Exekutoren der CIA-Politik zu suchen.

Marchetti schreibt, daß er von der Direkrionsetage aus beobachten konnte, daß dort gar nicht die eigentliche Macht konzentriert war. Vielmehr sei die Sorge die „Überwachung der heimlichen Tätigkeiten des CIA“ gewesen. Diese „heimlichen Dienste“ werden von der sogenannten Operationsabteilung geleistet und bestehen in Aktionen wie: Sturz der iranischen Regierung Mossadegh (1953), Sturz des Präsidenten Arbenz in Guatemala (1954), Schweinebucht-Überfall auf Kuba (1961), Sturz Diems in Saigon (1963), Unterstützung des Militärputsches in Griechenland (1967), Tötung Guevaras in Bolivien (1967), Sturz der Regierung Sihanouk in Kambodscha (1970), Laos-Operation (Meo-Krieg, Lon Nol), Sturz und Ermordung Präsident Allendes in Chile (1973), Mordversuch an Makarios in Zypern (1974) usw. — die Liste ist lange nicht vollständig.

Diese Abteilung für „schmurzige Tricks“ (das ist der liberale Ausdruck; Marxisten nennen’s imperialistische Interventionen) bekommt mehr als ein Drittel des offiziellen Budgets der Agency (260 der 750 Millionen Dollar), während das „Hirn“, die Analytikerabteilung, die doppelt so viele Leute hat, nur ein Zehntel bekommt, d.h. pro Kopf entfällt auf einen Analytiker nur fünf Prozent der Summe, die für einen schießenden und prügelnden Agenten ausgegeben wird. Dabei bilden alle diese Zahlen (wie etwa die 16.500 Mann Gesamtbelegschaft) wegen eines vielfach verschachtelten Systems von Unterorganisationen nur die Spitze des Eisbergs. Durch Gliederungen wie die Bomber- und Transport-Armada „Air America“ wuchs der CIA zu einem nicht unbeträchtlichen Wirtschaftsunternehmen, einem „Multi“ in nacktester Gestalt: Auf dem Gebiet der Währungsspekulation, einer der vornehmsten Multi-Disziplinen, hat der CIA den Vorteil, daß er die auslösenden politischen Ereignisse meist früher kennt als seine Konkurrenten, weil er sie zum Teil selbst herbeiführt. Von den bisherigen CIA-Chefs kam nur Schlesinger nicht aus der Operarionsabteilung. Marchetti sah in ihm einen „Hoffnungsschimmer“ — aber Schlesinger blieb nur wenige Monate und wurde dann Verteidigungsminister.

Der CIA ist selbst wieder nur ein Teil der amerikanischen „Nachrichtengemeinde“, die nach dem System einander befehdender Stämme zusammenlebt. Jede Waffengattung der Streitkräfte hat einen eigenen „Dienst“, das Außenministerium hat einen, und sogar die Atomenergiekommission und das Finanzministerium; insgesamt sind es fünf, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, plus CIA, plus vier weiteren — also zusammen zehn rivalisierende Auslandsnachrichtendienste! Der CIA hat an diesem gigantischen Apparat nur etwa zehn Prozent Anteil, was Menschen und Finanzen anlangt (offiziöse Gesamtzahl: 153.250 Angestellte und 6 Milliarden 228 Millionen Dollar Jahresbudget).

Es ist also kein Wunder, wenn die Green Berets und sonstige „Feld“- Agenten von den eierköpfigen Schreibtischmenschen in Langley neidisch angegiftet werden. Zumal die Aktionen der „Operatoren“ ja oft genug danebengehen (siehe Schweinebucht). Hier steht Wissenschaft gegen Abenteuerromantik! Das gilt übrigens auch für die Vis-à-vis-Seite, und es dürfte kein Zufall sein, dat sich im Kongo 1965 und in Bolivien 1967 jeweils Kubaner gegenüberstanden: die im CIA-Sold reisenden konterrevolutionären Exilkubaner auf der einen Seite (meist Veteranen der Schweinebucht) und Che Guevaras trampende Revolutionstruppe auf der anderen. Rührend Marchettis Schilderung, wie die CIA-Agenten vor Ort Guevara zu retten versuchen, um „Tiefeninterviews“ mit ihm veranstalten zu können — „Verzweifelt wandte sich der Stationschef an das Hauptquartier in Langley um Hilfe, aber es nutzte nichts“ — der lokale Militärgorilla Barrientos wollte kurzen Prozeß, und er machte ihn.

Viele pikante Details des Buches muß der Leser entbehren, da der CIA bzw. die US-Regierung einen gerichtlichen Zensurbeschluß gegen den amerikanischen Verlag Knopf Inc. erzwang (zum ersten Mal in der US-Geschichte!), um den der Instanzenkampf noch andauert. Ursprünglich waren 339 Stellen des 480-SeitenBuches beanstandet worden, ein Teil wurde aber gerichtlich freigegeben (im Buch fett gedruckt, damit man gleich sieht, wo’s interessant wird), 140 Passagen sind noch gesperrt (im Buch leergelassen — vielleicht wird der Verlag eines Tages den Lesern die restlichen Zitate zum Einkleben zur Verfügung stellen?). An einer dieser Stellen ist beispielsweise von einem Berliner Oberbürgermeister die Rede — (halbe Seite leer) —, von dem das Magazin New Republic mittlerweile behauptet, es handelte sich um Brandt, der mit dem CIA gegen seinen Parteichef Kurt Schumacher im Bunde war ...

Man wird ja sehen. Gegenwärtig liest sich das Buch eher so, als wäre es aus einem guten Zeitungsausschnittarchiv zusammengestellt und nicht von einem Insider geschrieben. Zeitungen und CIA sind übrigens ein eigenes Kapitel. Nicht nur billige österreichische Journalisten fühlen sich geehrt, wenn der hiesige CIA-Resident sie zu einer Tour einlädt, und schreiben dann blühenden Unsinn über östliche Angriffsabsichten, den KGB oder die westliche Militärmacht; auch so „honorige“ Spitzenleute wie Joseph Alsop, Drew Pearson und Harrison Salisbury fanden es nicht unter ihrer Würde, nach Auslandsreisen eine detaillierte CIA-Befragung über sich ergehen zu lassen — über ihre Gesprächspartner bis hin zur Dichte des Eisenbahnverkehrs hinter dem Eisernen Vorhang! Marchetti berichtet, daß Journalisten längst über die U-2-Flüge bzw. über die Schweinebucht-Aktion oder auch über das Zusammenspiel von CIA und ITT in Chile Bescheid wußten — es kam aber nichts ins Blatt. Im Fall der Schweinebuchr-Aktion hatte der Reporter Tad Sculz bis ins einzelne recherchiert — seine Oberen fragten die Regierung, diese winkte ab, und wenige Tage vor der Landung kamen nur nichtssagende Allgemeinheiten in die Spalten der New York Times (siehe die Ausgabe vom 7. April 1961).

Das Buch von Victor Marchetti enthält eine Menge Details, dic von Interesse sind. Es ist aber sauschlecht übersetzt (offenbar zu hastig, um schnell auf den Markt zu kommen), und es mangelt ihm der einheitliche Gesichtspunkt in der Betrachtung, es zerfällt in lauter organisatorisch-technische Einzelheiten. Im Jänner 1975 wird in London (bei Penguin) das Tagebuch des früheren südamerikanischen CIA-Agenten Philip Agee erscheinen, das in dieser Hinsicht mehr verspricht; Agee faßt nämlich die Agentur politisch auf als „politische Geheimpolizei des amerikanischen Kapitalismus“. So gehört sich’s!

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