FORVM, No. 214/I/II
Oktober
1971

Contra Spartakus & Nenning

An den Texten von „Spartakus“ stimmt etwas nicht. Was in der Sprache pubertäres Gewäsch ist, kann in der Agitation nicht revolutionär wirken. Es gibt eine Phase der Empörung Jugendlicher, die noch vor dem kommt, was man linkes Engagement nennt. Das liegt irgendwo zwischen Nietzsche und Ödipus. Da ist der Junge der einsame Django, der vor Haß nur mehr stelzen kann, und der wortlos tötet. Er entlädt durch den zuckenden Colt, den er schneller ziehen kann als jeder andere (er leidet an ejaculatio praecox). Und letztlich rettet er dabei den leidenden jüngeren Bruder.

Der pubertäre Affekt ist unspezifisch, d.h. er differenziert noch nicht zwischen links und rechts. Diesem Stadium entspricht der Feindbegriff „System“, man ist gegen alles, was einengt: dreinhaun, die Unterdrücker kleinhacken ..., „macht putt was euch putt macht“, heißt der Kinderreim. Es ist die falsche Negation des Gefühls der Einsamkeit, Unsicherheit und Frustration. Links aber hieße: Dialektik und Emanzipation nicht nur durch, sondern auch schon in der Bewegung, während des Voranschreitens. Pubertär sieht man alles schwarz-weiß, Klotz auf Keil.

Hier taucht nun das theoretische Problem der Gewalt auf. Gewalt ist gewiß Bestandteil jeder Revolution, aber das wichtigste sind Bewußtseinsveränderungen. Ohne diese läuft Gewalt in die Bahnen der Konterrevolution. Der blinde Affekt wird nach einiger Zeit unausweichlich Knecht der Reaktion.

„Auch ein Kieberer ist jeden Abend ein Privatmann, der allein nach Hause geht“ (Nachrichten für Unzufriedene, Nr. 6). Das ist wohl nicht die richtige Lösung des Problems. Das Klassenfeind ist nicht der Einzelne, sondern die Klasse. Umzustürzen ist nicht die Wachstube, sondern die Herrschaft als Ganzes. Ein Konkretinismus, der den Feind nur begreift, wenn er ihn greifen kann, ist auf jeden Fall vormarxistisch. Die Polizei ist überhaupt nicht unser Gegner, ihr werden wir, wo es geht, ausweichen. Eine Strategie, die sich in den falschen Konflikt mit der Polizei hineintreiben läßt, hat von vornherein verloren. Der Klassenkampf spielt sich in den Köpfen der Menschen ab, nicht zwischen Faust und Kinn.

Ich habe in Demonstrationen schon oft hysterische Mädchen gesehen, die sich vordrängen, um den Polizeiknüppel zu spüren, sie kreischen beim Zusammenprall. Und die Knaben, die Karate trainieren (das man bekanntlich nicht anwendet), um es dem Feind einmal heimzahlen zu können. Die Lust auf den physischen Kontakt ist fehlgeleiteter Ödipuskonflikt, ist sadomasochistische Fixierung auf den Polizisten, der als Vater erlebt wird. In Japan gibt es ein besonders veraltetes Familiensystem mit noch ausgesprochen feudalen Zügen. Die Jungen entwickeln unter dem Ödipus-Überdruck alle Tendenzen, die wir hier im Ansatz kennen, in viel krasserer Form. Dort haben die Kämpfe zwischen Polizei und Studenten das Format von Schlachten. Der Uneingeweihte kann auf den Bildern die beiden Parteien kaum unterscheiden, so sehr haben sich die Studenten in Bewaffnung und Kampftechnik der Polizei angeglichen. Freud nennt das die Identifikation mit dem Angreifer. Es ist die falsche Lösung des Ödipuskonflikts. Die richtige heißt: Ablösung.

Dem entspricht in der Entwicklung der theoretischen Einsicht die Bewegung vom konkreten zum abstrakten Klassenverhältnis, also vom „Klassengefühl“ zum „Klassenbewußtsein“. Irgendwie scheint aber die Gruppensituation für die psychische Ablösung von den Familienfiguren ungünstig zu sein; die Gruppe übernimmt die Funktion der Mutter, und die Sexualität wird in hoffnungslos unerfüllt bleibende, unbewußte Homosexualität umgeleitet.

Die Hinwendung des bürgerlichen Intellektuellen zur Arbeiterbewegung wird durch zwei Komponenten bewirkt: durch das schlechte Gewissen, privilegiert zu sein, weil man nicht manuell arbeitet (in grotesk-unbewußter Form wird dieser Selbstvorwurf auf allen teach-ins der Studenten hin- und hergewälzt) — das ist gleichsam die Druckkomponente; und die Zugkomponente ist die Attraktion der Körper der jungen Arbeiter. Die Affinität von Studenten zu Lehrlingen, Fürsorgezöglingen usf. gehört in dieses Kapitel. Die Studenten sind in solchen Gruppen meist Anfang bis Mitte Zwanzig, die betreuten Jugendlichen fast ein Jahrzehnt jünger. Die klassischen Analysen Hans Blühers über den Wandervogel können buchstäblich übertragen werden.

Der Pädagoge wird sagen: ist ja alles in Ordnung, sie tun’s ja nicht. Ich sage: das ist es eben, täten sie’s nur (sie können’s aber gar nicht, denn meist ist es nur die manifest gewordene pubertäre Homosexualität, die den Durchbruch zum Genitalen nicht findet). Die diversen politischen und Resozialisationsmodelle scheitern unter diesen Bedingungen alle daran, daß die Gruppensituation nicht reflektiert wird. Es bildet sich eine harte Innen-außen-Konfrontation (wir gegen alle), die sich mit den Verfolgungsaktionen der Behörden aufschaukelt, und die keine Selbstkritik zuläßt. Groteske Selbstüberschätzung und politischer Realitätsverlust ist die Folge. Typisch die Feindschaft gegen den gewöhnlichen, „ordinären“ Sex, wie er aus dem vorstehenden Artikel spricht. Hier drückt sich die unbewußte Verachtung der Frau aus. Demgegenüber wird die wahre Männerfreundschaft verherrlicht.

Das geht so: Sex ist Scheiße, der Ausweg ist Politik, und Politik ist männerbündisch organisiert. Es scheint fatalerweise unausweichlich zu sein, daß die herrschende Klasse ihre männerbündisch-patriarchale Organisation in die „Gegeneliten“ induziert. Ich will gar nicht leugnen, daß „oben“ und vor allem „rechts“, bei den Völkischen und Nazis, das Männerbündische viel stärker ausgeprägt ist als links. Mein Punkt ist, daß die Defekte der Linken aus unbewältigten männerbündischen Strukturen (nicht zuletzt!) kommen. Und da will ich die FORVM-Redaktion so wenig ausnehmen wie irgendeine andere Gruppe. Um es konkret zu machen: Nennings Aufsatz „Wir Männer sind Schweine“ (NF August/ September 1971) ist nicht nur dem jetzt abgedruckten Spartakus-Text ziemlich nachempfunden (ich überlasse den Vergleich dem Leser), er drückt sich um genau diesen Punkt herum. Es ist nämlich demagogisch, so zu tun, als würde immer nur eine Frau einem Mann gegenüberstehen. Eine Frau stößt immer auf Männergruppen, die sich gegen sie zusammentun, sei es nur durch Blicke, Kopfwendungen, Tonfall. Könnten nicht auch die Frauen in der FORVM-Redaktion ein Liedlein singen?

Diese Ebene der Männerbünde zwischen Familie und Klasse gilt es für die Soziologie noch zu entdecken (es geht gar nicht um die Familie; die kann man nicht abschaffen, bzw. sie hört von selbst auf). Das ist der Punkt, der mir in dieser Debatte noch fehlt. Nennings binäres System, wo nur entweder ein oder alle Männer vorkommen, hat ausgesprochen sophistischen Charakter. Da er die Realität so nicht in den Griff bekommt, kann er dann willkürlich Reformvorschläge („Frauengewerkschaften“, „Hausfrauengehalt“) ins Blaue hinein konstruieren, die von peinlicher Seichtigkeit sind.

Ein freudianischer Aufruf: alle Pubertanten sollen besser analysieren, schärfer denken und selbstkritischer sein (Spartakus, Nenning ...). Mit der Sexualität soll man nicht schludern.

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