EuropaKardioGramm, EKG 5-6/1995
Oktober
1995
Transparenz

Das Geheimnis von Brüssel

Gekürzte Übersetzung aus der Tageszeitung „The Guardian“ vom 20.10.1995.

Zur Erinnerung: Nach Maastricht versprachen die EU-Regierungen mehr Transparenz und Offenheit, anscheinend in der Hoffnung, man würde das als Lippenübung begreifen. Da machte der damals beim „The Guardian“ für Europa zuständige Reporter John Carvel die Probe aufs Exempel und forderte einige Papiere an. Nur wenige wurden freigegeben, und auch diese nur durch einen Irrtum, wie der Ministerrat im Nachhinein feststellte.

Die Bestimmungen über den öffentlichen Zugang zu Dokumenten nämlich beinhalten spezifische Gründe für das legitime Zurückhalten von Materialien, so zum Beispiel wenn die Veröffentlichung die öffentliche Sicherheit, internationale Beziehungen oder die Stabilitätt der Finanzmärkte gefährden würde, aber auch so eine Klausel über die Vertraulichkeit der Vorgänge im Ministerrat, einen Persilschein.

Der Gang des Journalisten John Carvel zum EuGH erwies sich als erfolgreich. Unterstützt von der britischen Tageszeitung „The Guardian“, dem Präsidenten des Europäischen Parlamentes, Klaus Haensch, und Anwälten der Staaten Dänemark und Niederlande, führte der Journalist Klage gegen den EU-Ministerrat wegen der Geheimhaltung seiner Sitzungsprotokolle, das seiner Ansicht nach gegen die gemeinschaftlichen Gesetze verstieß. Aus diesen wäre nämlich ersichtlich, welche Position in Debatten jedes Mitgliedsland einnimmt. Pauline Green, Vorsitzende der SozialistInnen im Europäischen Parlament, meinte dazu folgendes: „Es kann nicht rechtens sein, daß, wenn der Ministerrat als gesetzgebende Körperschaft agiert, seine Entscheidungen im Geheimen stattfinden.“ Die Entscheidung des Ministerrates, die Sitzungsprotokolle geheimzuhalten, d.h. die Vertraulichkeit seiner Diskussionen und Überlegungen über das Recht der Öffentlickeit zu stellen, darüber in Kenntnis gesetzt zu werden, ist nun vom EuGH aufgehoben worden. Dabei haben die Anwälte des Ministerrates vor dem Gericht erster Instanz behauptet, daß kein Automatismus zur Verhinderung der Dokumentenfreigabe existieren würde und die gegenteiligen Festellungen von Dänemark und Niederlande als die Ansicht einer Minderheit abgetan. Dieses Verbot aber wurde vom Gericht festgestellt, und es fügte hinzu, daß die Wahrheit nicht in Relation zu irgendeiner Frage der Mehrheit oder Minderheit stünde. Ein Memorandum des Verfassungsdienstes des Ministerrates, das dieses Verbot bestätigt hätte, konnte nicht vorgelegt werden, weil dazu die Erlaubnis des Ministerrates nötig gewesen wäre.

John Carvel begründet sein Vorgehen damit, daß die Geheimhaltung der Vorgänge in einer gesetzgebenden Körperschaft, noch dazu in der mächtigsten der EU, wie es nun einmal der Ministerrat ist, den demokratischen Traditionen Europas völlig fremd ist.

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