MOZ, Nummer 45
Oktober
1989
Gesundheitspolitik 2000

Das Geld den Anderen kürzen

Harald Ettl reformiert, so gut er kann. Wer am Status quo verdient, der bremst, wie es nur möglich ist. Ein Match, bei dem es um Milliarden geht.

Enquete für Gesundheitspolitik und soziale Verantwortung im Dr. Karl Renner-Institut

Begangen wurde die Tagung überwiegend festibel. Flanell war stark vertreten, Nadelstreif die Ausnahme.

Die „Genossen“ hatten „Visionen“ einer innovativen Gesundheitspolitik abseits des vorhandenen medizinischen Gefüges. SP-Minister Harald Ettl präsentierte im Renner-Institut sein Modell der dezentralen Versorgungseinrichtungen, genannt „Sozialsprengel“.

Damals zeigte der Frischlingsminister noch rege Ambitionen, mit seinen Vorstellungen gegen die Phalanx der diversesten Lobbyisten zu reüssieren.

Heute hat die Realität auch ihn eingeholt. Das erspart dem Herrn wenigstens den Arzt.

Ohne schulmedizinisches Denken läuft nichts in der Volksgesundheit.

Seit Monaten präsentiert sich ein großer Teil der verfügbaren Werbeplakatflächen mit Motiven der Krebsvorsorge; satte Summen fließen somit an das beauftragte Werbeimperium GGK des AZ-Inhabers und SP-Günstlings Hans Schmid — aus Gründen der Sparsamkeit, wie behauptet wird.

Eingespart werden soll nämlich durch „Individual-Prävention“, die darauf abzielt, BürgerInnen einzubläuen, sie wären am maroden Zustand ihres Körpers primär einmal selbst schuld: „Es ist Zeit, auf seine Lunge zu hören.“ „Was da an Kampagnen vom Gesundheitsministerium unter Anleitung der Ärztekammer durchgeführt wird“, bringt es Franz Mayrhofer, Arzt und Mitglied der oppositionellen „Alternativen Gruppe Medizin“ (AGM) in der Ärztekammer, auf den Punkt, „ist eine Konzeption von Gesundheit, davon ausgehend, daß der einzelne für die eigene Gesundheit die Verantwortung trägt: Rauch nicht soviel! Friß nicht soviel! Beweg’ dich mehr! Entspann dich, damit du keinen hohen Blutdruck hast!“

Ein Krankheitsbild, wonach Leiden als Organ- oder Zellendefekt entsteht: schicksalhaft und endogen, soziale Faktoren bleiben unberücksichtigt.

Appelle zur gesundheitsbewußten Lebensweise sind den paradoxen Handlungsaufforderungen zuzuordnen; zumindest, wenn sie an Einkommensschwache gerichtet sind. Die finanziellen Möglichkeiten zur Erhaltung der Fitness sind indes höchst ungleich verteilt; denn die individuelle Gefahr, an Krebs oder Herz-Kreislaufleiden zu erkranken, korreliert mit der Einkommensstruktur: Ärmere erwischt’s weit eher. So ist die physische Bedrohung durch pathologische Faktoren der Arbeitswelt (wie Chemikalien) — statistisch gesehen — geringer als die seelische Belastung durch Arbeitslosigkeit, welche die Krankheitsanfälligkeit und -dauer nachweislich erhöht. Und wer selbst schuld ist, der muß auch bezahlen.

Pflegerinnen-Demo im Juni vor der MA 17 am Schottenring

Selbstbehalt als „pädagogische“ Maßnahme

Der unter Gesundheitsminister Franz Löschnak eingeführte Spitalsselbstbehalt von 50 Schilling täglich scheint einladend niedrig. Unter Mindestrentnern allerdings zeigt der Eintrittsfilter bereits Wirkung. AGM-Mitglied Mayrhofer, von dessen PatientInnen oft etliche den notwendigen Spitalsaufenthalt wegen des Selbstbehalts gefährlich lang hinausschieben, hält die Idee, „daß der Patient sich überlegen werde, krank zu werden, wenn er dafür zahlen muß“, für Nonsens.

Ärztekammer-Präsident Michael Neumann — er behandelt die betuchtere Klientel — sprach bei seiner Begrüßung des Spitalsselbstbehalts von einer „pädagogischen Maßnahme“. Jede andere Begründung wirkte denn auch verschroben, werden doch 100% des Einspielergebnisses dazu verwendet, die Verwaltungskosten zu decken, die bei der Einhebung entstehen.

Aber Geld muß her.

So meldet auch der Hauptverband der Sozialversicherungsträger, die Kostenbeteiligung sei unsozial, und plädiert für deren Abschaffung. Hingegen bringe eine Erhöhung der Beitragssätze der Versicherung da schon weit mehr: Um jedes Prozent würden zusätzlich 6,15 Milliarden Schilling in die Kassen der Sozialversicherung fließen. Eine damit zu verknüpfende Aufhebung der Höchstbeitragsgrundlage verhilft nach Berechnungen des Hauptverbandes zu Mehreinnahmen von 2,2 Milliarden.

Am maroden Spitalssektor fände Löschnak-Nachfolger Harald Ettl noch vielerlei zu ändern. Alleine zwischen einem rationalisierungsfreudigen Koalitionsabkommen (zu dem sich Ettl bekennt) und der Konfliktträchtigkeit der Reform, bleibt ihm wenig Handlungsspielraum.

Ettls Beamtenstab mangelt es freilich auch an Planungskompetenz. Die Misere treibt bunte Blüten:

Sind etwa PatientInnen heute erst einmal ins Spital verfrachtet, werden sie — auf Grund kaufmännischer Überlegungen — möglichst lang in den Betten gehalten. Und zwar gerade dann, wenn dies nicht medizinisch, sondern wirtschaftlich indiziert ist.

Eine listige Taktik der Krankenhaus-Verwaltungen. Nach aktuellem Verrechnungsschema wird pro Anwesenheitstag des Patienten gelöhnt. „Ab dem zehnten Tag kostet der ihnen meist nur das Essen“, meint ein Spitals-Kenner, „denn das betriebswirtschaftlich notwendige Verhalten, den Patienten möglichst lang liegen zu lassen, wenn er billig wird, divergiert halt mit den volkswirtschaftlich wünschenswerten Aktivitäten.“

Je mehr Pflegetage, desto mehr Zaster für’s Spital.

Folge des Verweildauer-Schindens: chronischer Bettenmangel durch „g’söchte Patienten“.

Die im Koalitionsübereinkommen geforderte „Leistungshonorierung mit differenzierten Entgelten“, die diesen Übelstand beheben soll, wird dazu voraussichtlich nicht in der Lage sein. Nach einer Preisliste, die jeder Krankheit ein bestimmtes Entgelt taxativ zuordnet, soll die Anstalt künftig für eine routinemäßige Blinddarmoperation entsprechend weniger Geld bekommen als für einen komplizierten Eingriff am Herzen; unabhängig von der Verweildauer. Die Betten sollen so besser genutzt, Wartezeiten verkürzt werden durch den Anreiz, möglichst viele Patienten möglichst kurz zu behandeln.

Insider sehen wenig Chance auf eine Realisierung. Die Länder als Spitalserhalter fürchten nun nämlich, nicht mehr auf ihre Kosten zu kommen. Und Mayrhofer vermutet: „Wenn jeder Diagnose eine bestimmte Summe zugrunde liegt, wird das Spital versuchen, unter dem Pauschalsatz zu bleiben, indem es spart. Dann werden Mittel frei, die das Spital für sich beanspruchen kann.“ Genau wie in der Privatwirtschaft entstünde der Sachzwang, Gewinne abzuwerfen.

Thatcherismus in der Gesundheitspolitik. Denn ein Engerschnallen des Gürtels ginge auf Kosten gewöhnlicher Kassenpatienten.

Die Post-Lainz-Panik brachte den privaten Krankenversicherern nämlich kräftige Zuwachsraten. Eine weitere — allmähliche — Deregulierung der Gesundheits-Geschäfte fördert die bewußten Geschäfte. Die Versicherungslobby sorgt für sich.

Ihr Aufblühen ist Nebenprodukt der wachsenden wirtschaftsliberalen Denkweise. Ihre Vertreter setzen das geflügelte Wort vom „Überpreis der Gesundheit“ in der BürgerInnen Köpfe.

Zur Begründung werden Zahlen angeführt: Hatten die öffentlichen und privaten Aufwendungen für Gesundheit in Österreich im Jahr 1967 noch 16 Milliarden Schilling betragen, so stiegen sie 1984 auf 116 Milliarden. Eine Steigerung um mehr als 700%, wie es scheint.
Zieht man das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zum Vergleich heran, haben sich die Gesundheitsausgaben aber nicht einmal verdoppelt (zum Vergleich: 1967 waren es 5,5% und 1984 9% des BIP): Eine Steigerung also, die — gemessen an anderen westlichen Industrienationen — im Mittelfeld liegt und mit den Kostensteigerungen ähnlicher Sphären öffentlichen Interesses, wie Bildung und Verkehr, nicht einmal Schritt halten kann.

Harald Ettl (Mitte) und Walter Geppert (rechts) bei der Pressekonferenz

Leid wird privatisiert

Ein anschauliches Exemplar der Neuen Art ist Gerhart Bruckmann, Theoretiker der ÖVP. „Angesichts der zunehmenden Überalterung“ prognostizierte er, müsse „ein System, bei dem der Staatsbürger totale Versorgung erwartet, unfinanzierbar werden“. Selbst wenn die Krankheitsanfälligkeit der einzelnen Altersgruppen konstant bliebe, werde die Inanspruchnahme gesundheitlicher Versorgung durch die gestiegene Lebenserwartung bis zur Jahrtausendwende um 20% steigen. Weil dies nach Bruckmann nicht mehr tragbar ist, befürwortet er die Nachbarschaftshilfe, um so Leistungen der öffentlichen Hand zu privatisieren: Wenn ein Pflegefall im Jahr 2000 im Betreuungsheim monatlich die Summe X kostet, sollen die Angehörigen die Hälfte des Betrages erhalten, wenn sie den Betroffenen selbst umsorgen.

Wer krank wird, ist selber schuld. Gesellschaftlich bedingtes Leid wird privatisiert.

Ettl glaubt, daß sich solidarische mit subsidiärer Gesundheitspolitik „zweifelsohne vertragen kann", wenn es darum geht, Monsterbeträge verschlingende Löcher zu stopfen: etwa 30% der Spitalspatienten könnten in ihrer Region besser und billiger betreut werden als im aufgeblähten Wirtschaftskörper Krankenhaus, wo die Ware Gesundheit durch den forçierten Ankauf medinzinischer Großgeräte einerseits laufend teurer, andererseits auf Grund von Personal-Einsparungen zunehmend mieser geworden ist.

Imagefördernd wirkt hingegen die Anschaffung von Computertomographen und Nierensteinzertrümmerern für Bezirksspitäler.

Ettl will diese Entwicklung stoppen und hat sich mit Industrie und Landeskaisern angelegt.

Ebenfalls Zündstoff gibt es bei der Auseinandersetzung über die Spitalsfinanzierung: Inbegriff der nicht-funktionierenden Steuerungsmechanismen auf diesem Sektor ist der Krankenanstalten-Zusammenarbeitsfonds (mit der Juckreiz verursachenden Abkürzung KRAZAF).

Ständige Mitwirkende auf der Geberseite der Fondsversammlung sind der Gesundheits-, der Finanz- und der Sozialminister sowie Vertreter des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger. Gegenüber, auf der Nehmerseite, sitzen Abgesandte der Bundesländer als Spitalserhalter, ein Ordensspitalsvertreter sowie je ein Exponent des Städte- und des Gemeindebundes.

Haupteinzahler in den heuer mit acht Milliarden Schilling notierten Topf ist der Hauptverband der Sozialversicherungsträger, der ihn bis knapp über die Hälfte füllt (4,1 Milliarden), gefolgt vom Bund mit 2,3 Milliarden. Den Rest steuern Länder (900 Millionen) und Gemeinden (600 Millionen) bei.

Die Quoten des Bundes und der Länder sind im Vergleich der letzten Jahre reduziert worden. Die Sozialversicherung fordert auf Grund der steigenden Mehrbelastung auch mehr Mitsprache, andernfalls droht sie mit ihrem Ausstieg.

Im Kräfteparallelogramm lösen sich etwaige Initiativen wie von selbst auf, wenn Bund und Länder gegeneinander agieren, während ihre Vertreter beisammensitzen. Es ist somit nicht absehbar, wann KRAZAF-Mittel — Ettls Wunsch entsprechend — in großem Stil zur Entlastung des Spitalsbereichs verwendet werden. Der Minister will in das föderative Instrument steuernd eingreifen und Gelder in die Hauskrankenpflege und Einrichtungen im Vorfeld der stationären Behandlung leiten.

Verknöcherte Strukturen

Schon jetzt sei es möglich, zwischen 10% und 25% der KRAZAF-Mittel zur sogenannten Strukturreform einzusetzen. Potentielle Initiatoren solch „extramuraler Dienste“ im jeweiligen Wohnbezirk könnten längst mit einem Konzept an die Länder herantreten — sagt man.

Alleine, die Länder betreiben eine derart massive Vorselektion nach dem von niedergelassenen Ärzten geschätzten Bedarf, daß von den lokalen Gesundheitszentren kaum je eines zur Realisation gelangt. Im wesentlichen ist nur in westlichen Bundesländern eine spärliche Handvoll dieser „Sozial- und Gesundheitssprengel“ entstanden, die ihres seltenen Vorkommens wegen als Potemkinsche Dörfer gelten. Ein KRAZAF-Experte: „Jetzt kämpft der arme Ettl wie ein Löwe, frischg’fangt, wie er ist, hat aber keine Chance, weil alles Landessache ist.“

„Gegen die niedergelassenen Ärzte wird es schwierig werden“, meint auch Reinhard Dörflinger, Mediziner in Wien und ebenfalls AGM-Mitglied. Ettls Visionen einer besseren medizinischen Zukunft seien beim herrschenden Konkurrenzneid der etablierten Doktoren nur realisierbar, „wenn eine massive Lobby dafür ist — oder es wird so ein Appendix ohne medizinische Kompetenz, wie es ihn schon gibt.“

Jedes Bundesland ist sich selbst am nächsten, allemal gilt das Prinzip: „Kürze das Geld den anderen!“ Auch der KRAZAF-Experte ist skeptisch: „Um Vizebürgermeister Mayr (dem KRAZAF-Referenten für Wien) gegenüber argumentieren zu können, muß man zeitig aufstehen, weil der das Geschäft seit 15 Jahren macht.“ Mayr hat bereits sein Veto angemeldet, damit könnte die Reform fallen.

Eine Nachricht, ein Kommentar?
Vorgeschaltete Moderation

Dieses Forum ist moderiert. Ihr Beitrag erscheint erst nach Freischaltung durch einen Administrator der Website.

Wer sind Sie?
Ihr Beitrag

Um einen Absatz einzufügen, lassen Sie einfach eine Zeile frei.

Hyperlink

(Wenn sich Ihr Beitrag auf einen Artikel im Internet oder auf eine Seite mit Zusatzinformationen bezieht, geben Sie hier bitte den Titel der Seite und ihre Adresse bzw. URL an.)