FORVM, No. 315/316
März
1980

Das Leben ist keine Sachertorte mit Schlag

Ein antistalinistischer Film aus Ungarn, nacherzählt

Ich habe einen ungarischen Film gesehen, den hätte ich nicht für möglich gehalten. Mitte Februar lief er in der 36. Woche in einem Budapester Kino: „Der Zeuge“ (A tanu) von Peter Bacso, in Farbe. 1968 fertiggestellt, durfte er ein Jahrzehnt lang nicht gezeigt werden; immer noch ist er, soviel ich weiß, außerhalb Ungarns noch nicht gelaufen. Ein Freund hat ihn mir simultan übersetzt.

Der biedere Deichwächter Josef Pelikan („Er wollte nie ein Held werden“) verdankt seine abenteuerliche Laufbahn einer guten Tat: Im Krieg hat er im Keller Widerständler versteckt. Die protegieren ihn dann, setzen ihn auf Leiterposten, wo er vor der Volksdemokratie versagt. Schließlich muß er als Kronzeuge in einem Schauprozeß gegen einen Gönner auftreten.

Das klingt furchtbar dramatisch, im Film ist’s aber lustig. In der ersten Szene hebt Pelikans Hund sein Bein vor der Riesenlosung „Es lebe unser großer weiser Führer“. Minister Daniel kommt zum Fischen, ein Hecht zieht ihn in die Donau. Im Bett des Deichwächters wärmt ihn die Tochter.

Polizei poltert herein. „Wo ist das Schwein?“ Pelikan hat schwarz geschlachtet, er muß ins Gefängnis. Der Minister verkündet: „Das Gesetz ist für alle gleich.“

Doch nicht so ganz. Die Zellentür öffnet sich: „Bin ich zum Tode verurteilt durch das Schwein?“ — „Es gibt kein Schwein, es hat nie ein Schwein gegeben. Weisung von oben: Du bist unschuldig.“

Eines nachts kommt ein großes schwarzes Auto, Pelikan wird abgeholt. „Wird man mich hängen? Sagen Sie mir ruhig die Wahrheit. Einmal muß jeder sterben.“ Ein düsterer holzgetäfelter Saal. Das Bild vom Ritter Georg ist eine Tapetentür, aus ihr tritt Polizeichef Virag („Blum“), auch er ein von Pelikan geretteter Widerstandskämpfer. Der ehemalige Schneider greift fachmännisch an des Deichwächters Revers: „1938, Vorkriegsqualität!“ Dann kommt er zur Sache: „Einmal werden wir etwas von Ihnen erbitten. Das Leben ist keine Sachertorte mit Schlag.“

Pelikan wird Direktor eines Schwimmbads. Das bleibt er nicht lang, denn er läßt die Massen hinein, als drinnen einsam der Verteidigungsminister im Bassin paradeschwimmt. „Verrat, Verrat!“ ruft der Dicke, zwei Ledermäntel springen ins Wasser und tragen ihn hinaus ...

Dieser General Bastya („Turm“) ist das Abbild einer historischen Figur, der Nummer 3 aus Ungarns Stalinzeit, des Verteidigungsministers Farkas. Bastya begegnet dem Pelikan wieder auf dessen nächstem Posten als Direktor eines Lunaparks. Pelikan läßt eine politische Geisterbahn bauen, denn: „Der Klassenkampf verschärft sich.“ Als Minister Bastya die Grottenbahn eröffnet, sieht er folgendes: „Das sind die Schmiede unseres Glücks“ (Marx und Engels in Grün, von unten beleuchtet). „Ein Gespenst geht um in Europa“ (tatsächlich, es klappert mit den Gebeinen!). „Wir haben nur unsere Ketten zu verlieren“ (rassel, rassel macht die Geisterbande). „Es lebe unser weiser Führer“ (vor seinem eigenen schröcklichen Ebenbild sackt Bastya zusammen).

Pelikan wird dann noch Direktor des ungarischen Orangenforschungsinstituts, züchtet die erste und einzige ungarische Orange, aber inzwischen wartet schon seine größte Bewährungsprobe auf ihn: Kronzeuge gegen Minister Daniel, der als „Spitzel, Spion und Verräter“ angeklagt ist.

Der Prozeß gegen Daniel wird inszeniert wie ein Theaterstück. Ein Treffen in der Künstlerwerkstatt des Drehbuchschreibers. Pelikan liest sein Skript: „Das muß ich alles sagen?“ — „Natürlich“ — „Daß Genosse Daniel unter Wasser mit dem Feind gesprochen hat?“ — „Es waren Froschmänner.“

Der weise Führer Bastya rauscht an, wirft einen Blick ins Rollenbuch, braust auf: „Was, man will mich nicht einmal ermorden? Ich bin also nichts wert?“

Polizeichef Blum meistert diese Krise, er bringt Pelikan zu einer Schauspiellehrerin. „Sagen Sie mir einen Vers. Denken Sie, sie sind in der Schule. Holen Sie’s aus dem Innern!“ Der Arbeiter tut sich schwer. „Mir fällt nicht ein, was ich damals nicht ahnte.“ Ein Psychologe souffliert’s ihm im Schlaf.

Der Prozeß geht mit einigen Pannen über die Bühne, aber die spielen keine Rolle, das Urteil ist längst fertig.

Pelikan soll hingerichtet werden. Gefängnishof, Morgengrauen. Der Henker läßt sich beim Galgen nicht blicken, statt dessen kommt der Gefängnisdirektor: „Ich gratuliere, Sie sind rehabilitiert.“ — „Und Daniel?“ — „Der ist schon seit einer Woche zu Hause.“

In der Straßenbahn, am Trittbrett hängend, stößt Pelikan mit Expolizeichef Blum zusammen. Wegen der Drängerei kommen sie nicht in den Wagen. Blum zu Pelikan, mit unbestimmter Geste über die Stadt Budapest weisend: „Und für die hab ich gekämpft!“

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