FORVM, No. 325/326
Januar
1981

Das Veto der Freunde

Kann Polen seinen Sozialvertrag institutionalisieren?
Die Bauern von Rawa gründen eine Bauernsolidarität

Jeanne d’Arc auf dem Lande

„Wenn sich Arbeiter, Bauern und Intellektuelle nicht gegen die da oben zusammentun, wird sich in diesem Land nie etwas ändern“, rief die junge Journalistin mit dem wehenden Blondhaar. Die dreißig Bauern in dem bitterkalten Feuerwehrspritzenhaus blickten sie erstaunt an. Männlich-ironischer Kitzel wich zunehmender Begeisterung. Schließlich traten alle in die „Bauernsolidarität“ ein.

Eine halbe Stunde zuvor hatte es noch anders ausgesehen. Die beiden jungen Agitatoren, die aus dem Warschauer Regionalbüro der Arbeitergewerkschaft „Solidarität“ in ein Dorf bei Rawa, 70 Kilometer südwestlich der Hauptstadt, entsandt worden waren, schienen ihrer Aufgabe nicht gewachsen. Ein Bauernsohn Anfang Zwanzig der eine, nach Enteignung seines Vaters Schlosser in der Ursus-Traktorenfabrik, traf zwar den rechten Ton mit den Bauern, als er das Wirtshaus nach der Sonntagsmesse betrat und sie zur Gründungsversammlung der Bauerngewerkschaft lud. Sogar der Ortspolizist auf dem Motorrad, ein alter Bekannter, schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. Aber er war des Politischen nicht so recht mächtig.

Sein Kompagnon, ein zwanzigjähriger Schüler aus Pommern, wußte auch nichts Besseres, als das Statut der Bauernsolidarität vorzulesen — die Landmänner fühlten sich unangenehm an die bürokratischen Rituale erinnert, mit denen sie jahrzehntelang traktiert worden waren, und machten abweisende Mienen. „Eure Worte prallen von uns ab wie Erbsen von einer Wand“, sagte einer.

Probleme haben sie aber genug. Vor der Versammlung hatten wir, ein halbes Dutzend Auslandsjournalisten, Gelegenheit, ihre Klagen eine Stunde lang anzuhören. Die staatlichen Landwirtschaftsringe, mehr Behörde als Genossenschaft, schrieben ihnen als Privatbauern genauestens vor, was sie zu tun und zu lassen hätten. Futtermittel, Kohle und Leihmaschinen bekämen sie nur, wenn sie sich verpflichten, genau das und jenes anzubauen und abzuliefern, zu staatlich festgelegten Preisen, die sie als zu niedrig empfinden. Wenn sie Kohle haben wollen, müssen sie sich schon um ein Uhr nachts anstellen, und dann sind noch viele Steine drin. Die Schule sei in die nächstgrößere Stadt verlegt worden, und sie müßten jetzt selbst für Privatlehrer sorgen, die ihre Kinder unterrichten, da sie den Schultransport auf die Dauer nicht durchführen können.

Die freie Mitarbeiterin der Wochenzeitung Kultura, zunächst nur mit ihrem riesigen Kassettenrecorder beschäftigt, konnte die Spannung nicht mehr aushalten — hier die Probleme und da das Unvermögen, sich zu organisieren. Sie sprang auf und verlieh den Stummen Sprache, redete mit Zungen. „Können Sie denn so in Ihrer Zeitung schreiben?“ — „Nicht so ganz. Man muß versuchen.“

Sogar ihr Fotograf mischte sich ein; nachdem er stundenlang den Leuten ins Gesicht geblitzt hatte, kam die Abstimmung über den Ortsvorstand der neuen Bauernsolidarität. Durch Handaufheben, schlug der Ursus-Schlosser vor. „Nein!“ ruft der Fotograf. Er legt seine Kamera weg und erklärt: „Nur eine geheime Abstimmung ist demokratisch.“ Zettel werden zerteilt, die Journalisten borgen den Bauern ihre Kugelschreiber. Aus dem Wahlvorschlag von acht werden drei gewählt, geheim, echt demokratisch.

Eine christliche Bauernpartei?

Ich frage den anwesenden Bürgermeister, ein Mitglied der staatlich konzessionierten Bauernpartei, ob ihn die Konkurrenz nicht störe. „Nein, die können mehr tun als wir‘‘, lautete die offenherzige Antwort.

In der Tat fürchtet das Regime die Etablierung einer christlichen Bauernpartei. Der Gründungskongreß der Bauernsolidarität in Warschau am 14. Dezember 1980 wurde von etwa tausend Delegierten besucht, deren Frische und Originalität ausländische Beobachter bezauberte. Die Regierung schickte einen Vertreter, der sich positiv zur neuen Organisation äußerte.

Kern der Auseinandersetzung war, ob die Bauernsolidarität als Gewerkschaft registriert werden könne. Die erste Instanz, das Warschauer Wojwodschaftsgericht, hatte entschieden, als Privateigentümer könnten sie nicht Gewerkschafter sein. In der Tat sind Polens Bauern zu drei Vierteln Eigentümer des bebauten Bodens, der nationalisierte Sektor (Genossenschaften und Staatsgüter) macht nur ein Viertel aus und ist überdies unproduktiv und defizitär. Die Vertreter der Bauernsolidarität argumentieren indessen, sie würden de facto wie Angestellte behandelt, ihr Spielraum zwischen Landwirtschaftsringen und Ankaufsbehörde sei minimal.

Der Oberste Gerichtshof verschob Mitte Dezember seine Entscheidung über die Berufung der Bauernsolidarität auf unbestimmte Zeit. Im Hintergrund stand der Streikbeschluß der Privatbauern, die mit Lieferstopp drohten. Schon das Ernteergebnis 1980 (Kartoffelernte halbiert) kann als Bauernstreik gewertet werden. Für einen Markt, der ihnen nichts bringt, wollen die Bauern nicht produzieren, da lassen sie lieber die Kartoffeln und Zuckerrüben im Boden erfrieren.

Mitte Jänner stellte Parteichef Kania — nach Wochen brüderlichen Drucks von außen — fest, die Zulassung der Bauernsolidarität sei überhaupt unmöglich. Produktionsgesichtspunkte haben jetzt zurückzustehen. Auch wenn man die von der Bauernsolidarität angegebene Mitgliederzahl von einer halben Million nur für einen Hoffnungshorizont hält — eine von ihr ausgegebene Streikparole hätte für die Versorgung verheerende Folgen.

Der eben zum stellvertretenden Landwirtschaftsminister ernannte parteilose Professor Zdzislaw Grochowski wies in einem Pressegespräch Mitte November einen anderen Ausweg: nicht Konfrontation, sondern Kooperation mit den Bauern. Er würde ihnen über Banken Kredite verschaffen, damit die Privatbauern ihre Möglichkeiten ausschöpfen könnten, meinte er. Die staatlichen Ankaufspreise müßten angehoben werden. Die durchschnittliche Betriebsgröße, gegenwärtig mit 7 oder 8 Hektar, sei zu klein, man solle den Bauern erlauben, Boden zu konzentrieren. Ob das nicht zum Agrarkapitallsmus führe? Nein, meint Grochowski, auch im Westen gebe es Familienbetriebe mit 50 Hektar, Kapitalismus sei es erst, wenn man fremde Arbeitskräfte ausbeute.

Zwei Linien in der Bauernpolitik — welche wird siegen? Die landwirtschaftliche Produktion wird — so Grochowski — 1981 jedenfalls zurückgehen, 1982 den Tiefpunkt erreichen, 1983 wieder nach oben weisen, aber besser wird’s erst wieder 1984 ...

Dem Ingeniör ist kein Streik zu schwör

Auch bei den Arbeitern versucht man zweigeleisig zu fahren. „Gesunde“ und „antisozialistische‘‘ Elemente werden gegeneinander ausgespielt, wobei man andeutet, Walesa sei das gesunde Element, sein Stellvertreter Gwiazda eher dubios. Ich sprach mit dem Elektronikingenieur Andrzej Gwiazda Mitte November im Katholischen Intellektuellenklub in Warschau, er verhandelte gerade über das neue Gewerkschaftsgesetz (es ist noch nicht fertig; was inzwischen darüber bekannt wurde, klingt aber für Gewerkschafter erschreckend: ein zweistufiges Genehmigungsverfahren mit Schiedskommissionen bei Streiks ist vorgesehen — wenn das bisher gegolten hätte, wären alle Streiks des Jahres 1980 nicht möglich gewesen).

Andrzej Gwiazda, Walesas Stellvertreter, der Erfinder des überregionalen Streikkomitees in Danzig
(Ansprache bei der Bauernversammlung am 20. Dezember 1980 im Warschauer Polytechnikum).

Auf die Frage, ob es Fraktionen in der Landeskommission der Gewerkschaft „Solidarität‘‘ gebe, meint Gwiazda: Natürlich, jeder könne das sehen. Er führt es schon auf die Anfänge der Streikbewegung zurück. Am 16. August 1980 hatte Walesa mit der Betriebsleitung der Werft abgeschlossen, die Lohnforderungen waren erfüllt, der Streik sollte zu Ende sein. Andrzej Gwiazda, so erzählt er im nachhinein, wurde vom Schreck gepackt. Ohne politische Absicherung würden alle Aktivisten, die freien Gewerkschafter, die die Bewegung seit dem Frühjahr 1978 aufgebaut hatten, als Anstifter eingesperrt werden. Mit seiner Frau und Bogdan Lis, dem Kollegen von der Elmor-Fabrik für Schiffselektronik, raste er im Auto von Fabrik zu Fabrik und lud die Streikkomitees zu einem Treffen nach Elmor. Dort wurde das überbetriebliche Streikkomitee aus der Taufe gehoben und die 21 Forderungspunkte formuliert. Man ging zur Leninwerft und überzeugte die Arbeiter, daß weitergestreikt werden müsse. Walesa, das ist so seine Art, stieg sofort drauf ein und stellte sich an die Spitze.

Gwiazda erklärt die dahinterstehende Idee: nicht die Lohnforderungen sollten an erster Stelle stehen — Forderungen, die mit einem Kompromiß abgeschlossen werden —, sondern Forderungen, auf die nur mit ja oder nein geantwortet werden kann. Und solche Forderungen sind natürlich politisch, wie z.B. die nach freien Gewerkschaften, die im zweiten Danziger Anlauf dann die primäre war. Gwiazda auf die Frage, wie er zu den KOR-Leuten stehe: „Ich bin stolz, daß ich sie zu meinen Freunden zählen kann.“

Nur unten wählen?

Seine persönlichen Erlebnisse machen ihn nicht gerade zum Freund der Sowjetunion. Schon als Kind kam der heute 46jährige nach Sibirien (die Sowjets deportierten nach ihrem Einmarsch in Ostpolen aufgrund des Hitler/Stalin-Pakts 1939 zwei Millionen Angehörige der polnischen „Führungsschicht‘‘; Gwiazdas Vater war Ingenieur). „Es war nicht so schlimm, wie man sich das vorstellt“, meint Gwiazda ironisch, „die längste Frist, in der ich nichts zu essen hatte, waren vier Tage.“ Bis 1955 sprach er noch besser Russisch als Polnisch, trotzdem bekam er in der Schule in diesem Fach schlechte Noten.

Auf die Frage nach Wahlen in den Gewerkschaften gab er überraschenderweise die Antwort, man solle an der Basis wählen, nicht aber die Gewerkschaftsspitze. Hat er Angst vor Abwahl? Könnten radikalere Elemente an die Führung kommen, oder Parteileute? Stefan Bratkowski, der neue Journalistenpräsident, schätzt, daß unter den zehn Millionen Mitgliedern der Solidarität zwei Millionen Parteimitglieder sind (von über drei). Darauf setzt Bratkowski sein Reformvertrauen in der Partei, die Ende März, einen Monat nach dem 26. Parteitag der KPdSU, ihren 9. Parteitag abhält.

Die Wahlen an der Gewerkschaftsbasis in den Betrieben haben inzwischen begonnen und geben der Solidarität erstmals ein festes organisatorisches Fundament. Solange dieser Akt nicht vollzogen ist, hat es ja nur symbolische Bedeutung, von zehn Millionen Mitgliedern (80 Prozent der polnischen Arbeiterklasse) zu reden. Die Funktionäre und Aktivisten sind im wesentlichen noch mit den Streikkomitees vom Sommer identisch und machen z.B. in Warschau einige hundert Menschen aus.

Mit Jahresanfang, so erklärte man uns im November in den Ursus-Traktorwerken, sollte auch die finanzielle Seite der Gewerkschaftsarbeit geregelt werden, die alten Gewerkschaften würden die Fonds übergeben. Was aber noch wichtiger ist, die Arbeiter beginnen die Betriebe als die ihren zu betrachten und haben Kommissionen gebildet, die sich an eine Bestandsaufnahme machen.

Sitzung des Arbeiterrats von Ursus
(der Verfasser, mit Bart, am Präsidiumstisch).

Arbeiterselbstverwaltung, 1. Kapitel

Die Sitzung des Arbeiterrats von Ursus an jenem Donnerstag nachmittag, wo man uns Reportern aus Platzmangel einfach den Präsidiumstisch überließ, war ein Musterbeispiel der neuen polnischen Arbeiterdemokratie. Während an den Wänden noch die Losungen der alten Gewerkschaften hingen, die zum 8. Parteitag der PVAP Sonderleistungen versprochen hatten (die Arbeiter bemerkten sie überhaupt nicht mehr), diskutierten die 120 Funktionäre der „Solidarität‘ des 16.000 Arbeiter zählenden Betriebes bereits, wie mit der Arbeiterselbstverwaltung ernst gemacht werden soll. Eine Kommission hatte sich die Produktionsmittel angeschaut, ein Handarbeiter im Alter von etwa 50 Jahren berichtete: Importierte Maschinen im Wert von Dutzenden Millionen Dollar standen im Freien ungenutzt herum, es regnet drauf, sie verrosten. Früher wäre das den Arbeitern egal gewesen, es war der Schaden des Staates, jetzt aber beginnen sie sich dafür zu interessieren, sie sehen es als ihre Sache an.

Ursus ist das Opfer einer typischen Fehlplanung der Gierek-Ära: statt die eigenen Traktoren weiterzuentwickeln, hat man ausländische Modelle des kanadisch-britischen Landmaschinenmultis Massey-Ferguson in Lizenz übernommen, die für die polnische Landwirtschaft bei weitem nicht so geeignet sind. Es gibt endlose Probleme mit dem britischen Zollmaß bei Ersatzteilen und Werkzeugen. Außerdem soll die Lizenz mit exportierten Traktoren bezahlt werden, was jetzt auf Schwierigkeiten stößt. Massey-Ferguson steckt in einer Krise, der Absatz geht zurück, in den letzten drei Jahren hat die Firma jeweils eine Viertelmilliarde Verlust gemacht. So reißt die Weltmarktorientierung die polnische Wirtschaft in die kapitalistische Krise mit hinein.

Die oberste Kontrollkommission untersucht bereits, ob hinter dem Traktorengeschäft Korruption steckt, und Wirtschaftsfunktionäre erwägen die Liquidation der Investition zugunsten eines landeseigenen Produkts. Die Institutionalisierung der neuen Organisationen der Arbeiter läßt freilich noch auf sich warten. Die Partei tut so, als hielte sie eine echte, in permanenten Gremien institutionalisierte Mitbestimmung nicht aus. Die veröffentlichten Wirtschaftsreformpläne sehen nichts für die „Solidarität“ vor. Also sind die Arbeiter weiterhin auf das Instrument des Streiks verwiesen. Dadurch wird die Gewerkschaft zum ordnungsstörenden Faktor verdammt, eine Provokation in sich. Die Regierungspolitik züchtet „antisozialistische“ Elemente. Die Konfrontation ist programmiert, sie wiederholt sich periodisch.

Lech Walesa, wie seine Freunde ihn sehen
(Aufnahme von einem Warschauer Solidarnosc-Funktionär)

Bei der Polizei hört der Spaß auf

Die Krise Ende November brach aus, als die Gewerkschafter sich dem zentralen Ordnungskomplex des Regimes näherten: Justiz und Polizei. Die Veröffentlichung eines staatsanwaltschaftlichen Dokuments über die Verfolgung der Opposition ließ die Alarmglocken bis in den Kreml schrillen. Der Inhalt: das am 30. Oktober 1980 verfaßte Papier bietet die Grundlage, alle Mitarbeiter der Solidarität als antisozialistische Elemente, Komplizen von Mitarbeitern des Senders Freies Europa usw. zu verfolgen. Es handelte sich um eine Vorbereitung für ein Durchgreifen am 10. November 1980, falls die Solidarität vom Oberstgericht nicht registriert worden wäre, man sich also für einen Konfrontationskurs entschieden hätte.

Der Konflikt wurde durch Kompromiß gelöst, die Konsequenzen für die Parteiführung wurden im ZK Anfang Dezember mit der Entlassung einiger Vertreter der harten Linie gezogen. Aber da sagten die Freunde am Moskauer Gipfel vom 5. Dezember ein Halt. Seither gab es keine Umbesetzungen mehr. Bis dahin waren ein Viertel der Provinzsekretäre ausgewechselt worden, sowie alle Gierekleute im Politbüro, zumindest soweit sie gegen den Modus vivendi mit der Solidarität opponierten.

Moskau hatte sich für diesen deutlichen Schritt entschieden, als ein Streik in den wichtigsten Warschauer Fabriken die Freilassung des Solidaritätsdruckers Jan Narozniak erzwang, der das Staatsanwaltsdokument vervielfältigt hatte, und als der Lokalkonflikt in Czenstochau zugunsten der Gewerkschafter ausging. Man wird sehen, ob Moskau den 9. Parteitag wirklich unbeeinflußt ablaufen läßt. Man erwartet die Auswechslung mindestens der Hälfte der ZK-Mitglieder. Ob dann noch eine Führung gewählt wird, die im Falle des Falles die Freunde herbeirufen würde, ist zweifelhaft.

Der Solidaritäts-Drucker Jan Narozniak,
dessen Befreiung durch einen Streik Anfang November die Moskauer Alarmgipfelkonferenz des Warschauer Pakts auslöste

Nach dem ersten Schreck über die Moskauer Mahnungen wurde die Einweihe des Danziger Mahnmals für die Opfer des 1970er-Streiks am 17. Dezember 1980 zu einer Apotheose der nationalen Einheit. „Die Stimmung war nicht gut“, erzählt ein linker Beobachter, „ich habe keinen Menschen weinen gesehen über die Toten. Es ist mir über den Rücken gelaufen, als die Sirenen begannen, nachdem die Namen der Toten vorgelesen worden waren. Erst kam eine Sirene in cis, dann mehrere in Quinten ansteigend, ein leerer, todtrauriger Ton, darüber dann die Glocken der Kirchen, dann die Bläser, und in dem Augenblick begann es auch noch zu schneien und zu stürmen ...“

Leerer Pomp vorm Denkmal

Das pathetische, leere Staatsritual gab den Arbeitern zwar ihren Ehrenplatz, aber die Forderung nach Aufklärung der Schuld, die beim Streik erhoben wurde, blieb unerfüllt, sollte mit dem überdimensionalen Denkmal zugesargt werden. Drei gekreuzigte Anker, die Worte von Milosz, die Musik von Penderecki, die Show von Wajda ... ist da ein neuer nationaler Mythos entstanden, ein Abgesang für die neue polnische Arbeiterbewegung?

Noch nicht. Die ungelösten sozialen und wirtschaftlichen Probleme lassen es nicht zu. Anfang Jänner brach, mit dem Konflikt um die Fünftagewoche, die nächste Konfrontation auf. Die Parteiführung will Autorität zeigen. Marschall Kulikow, der Oberkommandierende des Warschauer Pakts, kommt am 14. Jänner zu Militärbesprechungen. Geht es um die graduelle Veränderung der Truppenstationierung, die seit der Einsetzung Gomulkas 1956 auf einem niedrigen Stand fixiert ist? (Zwei Panzerdivisionen und eine Luftbrigade in Südwestpolen.) Ein heikler Punkt, denn das war damals ein mit dem polnischen Nationalismus ausgewogener Kompromiß. Als der Filmregisseur Zanussi im Dezember in Krakau einen Streifen über den Papst Woityla drehte, ließ er, um jedes Mißverständnis auszuschließen, über Fernsehen und Zeitungen verkünden, er werde einige Panzer durch die Stadt fahren lassen, das sei für den Film ...

Hinter Kania taucht in letzter Zeit immer wieder die massige Gestalt des Politbüromitgliedes Olszowski auf, der stets um eine Spur härter und energischer spricht als der Parteichef. Er wäre die Alternative, falls durchgegriffen würde.

Hinter Olszowski wieder ist die nächste Alternative der General Moczar, der große Saubermann. Sein Widerstandskämpfer-Veteranenverband gilt in Moskau als Kern der „gesunden Elemente“; Moczar-Freund Wronski durfte in der Prawda einen Artikel über die Lage in Polen schreiben. Moczar könnte ein originelles Modell für den Ostblock kreieren: Sozialpartnerschaft auf realsozialistisch, mit autoritärer Partei und autoritärer Gewerkschaft. Walesa wäre vielleicht der Typ, da mitzumachen. Polens Arbeiter in ihrer heutigen Stimmung sicher nicht.

Schaudert und fragt nicht nach Schuldigen:
Staatsakt in Danzig am 16. Dezember 1980, Gewerkschaft, Staat und Kirche reichen sich die Hand. Das Denkmal mit den gekreuzigten Schiffsankern steht vor dem Portal Nr. 2 der Leninwerft, wo 1970 die tödlichen Schüsse fielen
Bild: Sygma

Solidarität mit Solidarnosc

Die polnische freie Gewerkschaft Solidarnosc (Solidarität) braucht Unterstützung. Ein Komitee von österreichischen Gewerkschaftern hat mit einer Spendensammlung begonnen. Vom Erlös soll Druckmaterial für Solidarnosc angeschafft werden. Die Kontonummer ist

Zentralsparkasse 606 290 302,
Kennwort Polensolidarität.

Unterzeichnet haben den Aufruf u.a. Paul Blau, Trautl Brandstaller, Hermann Dworczak, Peter Ulrich Lehner, Günther Nenning.

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