FORVM, No. 113
Mai
1963

Der Faschismus in seiner Epoche

Unter obigem Titel erscheint demnächst bei Piper, München, der Erstling des jungen deutschen Historikers Ernst Nolte, Schülers von Prof. Theodor Schieder. An der Arbeit, aus der wir einen autorisierten Vorabdruck präsentieren, scheint uns, neben ungewohnter stilistischer und gedanklicher Prägnanz, vor allem die Neuheit des Zugangs bemerkenswert: die Geißel der Epoche wird hier mit den Augen einer Generation gesehen, die sie nicht mehr erlebt hat.

Im Jahre 1920 kannten nur sehr wenige Menschen in Europa das Wort „Faschismus“, und selbst Mussolini setzte es als einen Neologismus in Anführungszeichen. 1923 dagegen beging die Linke in ganz Deutschland den „Antifaschistentag“ und demonstrierte damit nicht weniger gegen die deutschen, ungarischen und bulgarischen „Faschisten“ als gegen die siegreichen Schwarzhemden Mussolinis. Eine bestimmte Auslegung des Begriffs war eine wesentliche Voraussetzung für Hitlers Machtergreifung — jene berüchtigte Kennzeichnung der Sozialdemokraten als Sozialfaschisten, mit der die KPD den tödlichen Fehler der italienischen Kommunisten in vergrößertem und vergröbertem Maßstab wiederholte. Aber etwa um die gleiche Zeit hatten die Führer einiger Gruppen der extremen Rechten die Absicht, einen „Antifaschistenkongreß“ einzuberufen. Eine Art Kompromiß zwischen jener sehr weiten und dieser sehr engen Umfangsbestimmung stellte nach der großen Schwenkung der Komintern der geläufige Begriff des Antifaschismus dar, der die Politik der Volksfronten ermöglichte und unter dessen Fahnen schließlich die große Weltkoalition gegen Hitler und Mussolini kämpfte, wenn sie sich auch keineswegs unter ihnen gefunden hatte. Aber auch heute noch hat der Begriff des Faschismus unmittelbar politische Bedeutung. Die Frage, ob das Franco-Regime faschistisch zu nennen ist oder nicht, tangiert Staatsinteressen, und der Krieg in Algerien hat dem Terminus eine bemerkenswerte Renaissance verschafft.

Epoche oder Episode?

Nach dem „Faschismus in seiner Epoche“ zu fragen heißt freilich, zu der einen Schwierigkeit eine andere hinzuzufügen. Aber diese doppelte Not ist doch zugleich Notwendigkeit. Denn es gibt keinen allgemein anerkannten und inhaltsvollen Begriff der Epoche. Selbst wenn man „Faschismus“ streng als Namen fassen wollte, d.h. als Bezeichnung einer individuellen Erscheinung, so ließe sich die Frage nicht umgehen, inwiefern diese Folge italienischer Ereignisse trotz ihrer unübersehbaren Weltwirkung keinen epochalen Charakter trägt. Die Einheit der Frage nach dem Faschismus und der Epoche drängt sich in jedem Fall auf; die Aufgabe besteht darin, die Begriffe zu bestimmen und die Sachen zur Anschauung zu bringen.

Aber es liegt auch eine hilfreiche Begrenzung in der thematischen Zuordnung. Denn wenn es nach 1945 noch Faschismus gab und gibt, wenn er auch heute noch erbitterte Auseinandersetzungen hervorzurufen vermag, so kann man ihm doch keinesfalls eine für das Bild der Epoche wesentliche Bedeutung zuschreiben, es sei denn, man entkleide den Begriff weitgehend des überlieferten Gehaltes. Eine Beziehung auf Vorgänge der Gegenwart ist daher durch die Themenstellung ausgeschlossen.

Mit der Begrenzung geht ein sehr greifbarer Vorteil Hand in Hand. Denn die Zeitgeschichte, die in so mancher Hinsicht gegenüber den älteren Schwestern benachteiligt ist, verfügt über eine Epocheneinteilung, die sich schlechterdings aufdrängt. Und aus ihr läßt sich der Faschismus gleichsam deduzieren.

Daß man von einer Epoche der Weltkriege sprechen und damit die Zeit von 1914 bis 1945 meinen dürfe, hat zwar keine zeitlose Gültigkeit. Aber vom Blickpunkt der Gegenwart sind der 1. August 1914 und der 8. Mai 1945 so tief einschneidende Ereignisse, daß ihr epochemachender Charakter noch niemals geleugnet worden ist. Umstritten ist (neben der Einteilung der Unterabschnitte) der Zusammenhang, in den die Epoche einzuordnen ist, und der Zeitpunkt, wo nach der naturkatastrophenartigen Zäsur des Kriegsausbruchs die neuen Konstellationen zur Reife und zum ersten Bewußtsein ihrer selbst gelangen. Gerade die wichtigsten dieser Konzeptionen implizieren eine Antwort auf die kaum schon ausdrücklich aufgeworfene Frage, ob das chronologische und formale Kriterium nicht durch ein gehaltvolleres ergänzt werden könnte. Es dürfte genügen, drei der bekanntesten hier anzuführen:

  1. Die Epoche der Weltkriege fügt sich ein in ein Zeitalter der Revolutionen und tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandlungen, das mit der Französischen Revolution seinen sichtbarsten Anfang nahm.
  2. Ihre unmittelbare Wurzel ist die Periode des Imperialismus, in der alle Konflikte sich ausbildeten, die mit dem Kriegsausbruch nur ihre höchste Aufgipfelung erfuhren.
  3. Erst 1917 hört der Erste Weltkrieg auf, ein bloßer Zusammenstoß von Nationalstaaten zu sein; mit dem Eintritt Amerikas in den Krieg und der bolschewistischen Revolution wird die Konstellation universal; eine allgemeine Bürgerkriegssituation und die künftige Zweiteilung der Welt zeichnen sich ab.

Aus jeder dieser Bestimmungen und Deutungen läßt sich der Begriff eines neuartigen politischen Phänomens gewinnen.

Keine der großen politischen Tendenzen in Europa war aus einem Krieg hervorgegangen. Der Liberalismus war der Ausdruck des Aufstiegs des Bürgertums, der Konservativismus bedeutete ursprünglich die Reaktion der bedrohten adligen Herrenschicht, der Sozialismus gehörte zu dem aus dem Industrialisierungsprozeß geborenen Proletariat. Keine hat den Weltkrieg gewollt und zu ihm nach seinem Ausbruch rückhaltlos ihr Ja gesagt. Der Krieg mußte den Platz schaffen für eine politische Erscheinung, die ihm als sein eigenstes Kind entwuchs und nach eingeborenem Gesetz ihn wieder zu erzeugen strebte.

Die soziale Revolution hatte sich seit 1789 trotz aller Reaktionen und vieler politischer Niederlagen in ganz Europa unaufhaltsam ausgebreitet. Sie hatte das Bürgertum fast überall zur Teilnahme an der politischen Macht geführt und zur gesellschaftlich bestimmenden Kraft erhoben, aber ihm auch im sozialistischen Proletariat einen neuen Gegner geschaffen. Überall hatte die eben emanzipierte Klasse mit der alten Herrenschicht gegen die heraufziehende Gefahr praktisch paktiert. Wohl handelte es sich nur um ein pragmatisches und zeitweiliges Bündnis, aber in kleinen Gruppen vollzog sich bereits vor 1914 eine Wandlung zum Prinzipiellen: einer bis dahin ganz unbekannten Vermählung aristokratischer Überzeugungen und plebejischer Wirklichkeit. Diese Gruppen blieben zunächst klein und unbeachtet. Aber ihr Prinzip war unter bestimmten Bedingungen zukunftsreich, denn es entsprach einem fundamentalen Grundzug dieser Revolution selbst: daß der Gegenrevolution aus den Reihen der Emanzipierten stets neue Hilfstruppen zuwachsen, so daß sie ihr Gesicht ständig ebenso ändert wie die Revolution.

Der sogenannte Imperialismus zeigte sich vor 1914 überall als ein Kompromiß zwischen dem banalen Egoismus der Nationalstaaten und den subtileren Bedürfnissen der liberalen und sozialistischen Tradition. Weder Cecil Rhodes noch Theodore Roosevelt noch Friedrich Naumann beabsichtigten etwas anderes, als die jeweilige „Kulturidee“ zum Vorteil und Heile aller betroffenen Völker auszudehnen. Aber lag es nicht nahe, daß der Naturgrund dieses Imperialismus es lernte, zu sich selbst ein vorbehaltloses Ja zu sagen?

Das Jahr 1917 bedeutet gewiß eine tief einschneidende, weit in die Zukunft weisende Zäsur. Aber es ist ebenso gewiß, daß die beiden großen Mächte, deren Erscheinen diesen Einschnitt markiert, sich bald schon wieder auf sich selbst zurückzogen. Als das amerikanische Volk sich 1920 gegen Wilson entschied, entschied es sich für zwei Dekaden eines neuen Isolationismus; und Lenin sah früh die Skepsis bestätigt, die ihm die westliche „Arbeiteraristokratie“ einflößte. Es erwies sich in der Tat, daß der Sieg des Bolschewismus in Rußland seine Niederlage auf allen sozialen Schlachtfeldern Europas nicht verhinderte, wenn er sie nicht gar herbeiführte. Spätestens seit 1923, dem Jahr des Mißlingens der letzten Aufstände in Deutschland, arbeiteten die kommunistischen Parteien überall mehr zum Vorteil der gegnerischen als der eigenen Sache, die Sowjetunion wurde wieder ein unbekanntes Land am Rande der Welt, und noch einmal behauptete sich Europa als die Bühne des Weltgeschehens. Aber war es wahrscheinlich, daß die Spieler nach dem schreckhaften Zwischenspiel ganz dieselben blieben?

Der Krieg, die Revolution, der Imperialismus, das Auftauchen der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten waren nicht lokal begrenzte Phänomene. Eine Partei, die aus dem Krieg erstand, die Revolution mit revolutionären Mitteln bekämpfte, den Imperialismus radikalisierte und in der Sowjetunion (mit geringerer Betonung auch im „Amerikanismus“) die größte aller Gefahren sah, konnte ebenso wenig eine lokal begrenzte Erscheinung sein, mochten lokale Bedingungen auch noch so viele Unterschiede hervorrufen. Diese Partei hätte im Europa der Nachkriegszeit ihren Platz gehabt, auch wenn Mussolini und Hitler nie gelebt hätten. Ein anderer Terminus als „Faschismus“ ist für sie nie ernsthaft in Vorschlag gebracht worden. Er hat den Nachteil, daß er zugleich Name und Begriff ist; er hat den Vorzug, daß er keinen konkreten Gehalt aufweist und nicht wie das deutsche Wort Nationalsozialismus mit einem inhaltlichen Anspruch auftritt, der sich nicht rechtfertigen läßt. Es kann nicht Sache der wissenschaftlichen Untersuchung sein, eine neue Bezeichnung zu erfinden, weil die gebräuchliche nicht allen berechtigten Wünschen zu genügen vermag.

Wenn der Faschismus also gerade aus den wichtigsten Periodisierungsversuchen als eine neuartige, vor dem Ersten Weltkrieg noch nicht oder nur in Ansätzen vorhandene Realität sich ableiten läßt, dann liegt es nahe, ihn für die charakteristische politische Tendenz jener Epoche zu erklären.

Faschismus als Demokratie

Mussolini hat auf dem Gipfelpunkt seines Ansehens und seiner Eigenständigkeit während der Jahre 1930-1935 häufig davon gesprochen, daß die faschistischen Ideen die Ideen des Zeitalters seien und daß in wenigen Jahren ganz Europa faschistisch sein werde. Überall glaubt er „faschistische Fermente der politischen und geistigen Erneuerung der Welt“ zu entdecken. Dabei definiert er den Faschismus als „organisierte, konzentrierte, autoritäre Demokratie auf nationaler Basis“ und nimmt für ihn sehr unbefangen alles in Anspruch, was in der Welt eine Stärkung der Staatsgewalt und Eingriffe in das Wirtschaftsleben verlangte.

Gewiß kann Mussolinis These von der bevorstehenden Faschistisierung der Welt befangen und unpräzis erscheinen. Aber was Thomas Mann auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung nach München in dem Aufsatz Dieser Friede niederschreibt, liest sich bei veränderten Vorzeichen ganz ähnlich. Er konstatiert hier den „vollständigen Sieg“ der „massigen Zeit-Tendenzen, die man unter dem Namen des Faschismus zusammenfaßt“ und führt sie auf die „psychologische Bereitschaft Europas für die faschistische Infiltration in politischer, moralischer, intellektueller Beziehung“ zurück. Wenig später nennt er den Faschismus „eine Zeitkrankheit, die überall zu Hause und von der kein Land frei ist“. Und sogar nach der Niederlage Hitlers spricht er (in seinem Vortrag über Nietzsche) von „der faschistischen Epoche des Abendlandes, in der wir leben und trotz dem militärischen Sieg über den Faschismus noch lange leben werden“.

Das hat einige Ähnlichkeit mit der These, die Georg Lukács in seinem Werk über die Zerstörung der Vernunft aufgestellt hat. Er will hier den philosophischen Irrationalismus als Voraussetzung und Hintergrund des Nationalsozialismus beschreiben, als die „reaktionäre Antwort auf die großen Zeitprobleme der vergangenen letzten anderthalb Jahrhunderte“. In den Weg Deutschlands „von Schelling zu Hitler“ ordnet sich so gut wie alles ein, was in der deutschen Philosophie nach Hegels Tode Rang und Namen hat: Schopenhauer und Nietzsche, Dilthey und Simmel, Scheler und Heidegger, Jaspers und Max Weber. Im Gegensatz zu manchen Versuchen, vor allem der angelsächsischen Literatur, ist aber für Lukács die geistige Basis des Nationalsozialismus nicht eine ausschließlich deutsche: er begreift die deutsche geistige und politische Entwicklung nur als hervorstechendste Erscheinungsform eines internationalen Vorgangs innerhalb der kapitalistischen Welt.

Es ist zwar keine Frage, daß sich gerade gegen Lukács’ Auffassung sehr viel einwenden läßt, aber so viel ist an ihr und vergleichbaren Thesen ohne Zweifel richtig, daß seit dem Ende des XIX. Jahrhunderts in Europa ein Umschlag des geistigen Klimas stattgefunden hat, der eine neue politische Richtung begünstigen (wenn auch keineswegs hervorbringen) mußte, die sich aus der überlieferten politischen Formenwelt heraus-, ja ihr grundsätzlich entgegenstellen wollte. Und ganz ohne unmittelbaren Zusammenhang mit den politischen Tagesereignissen ist von einem Kranz faschistoider Autoren die Nietzsche’sche Lehre aufgenommen und fortentwickelt worden, die allein den Sozialismus, den Liberalismus und den traditionellen Konservativismus in eine Reihe zu stellen erlaubte: die Lehre vom Sklavenaufstand und von der Verarmung des Lebens durch das jüdisch-christliche Ressentiment.

Einen nicht minder überzeugenden Beweis für den epochalen Charakter des Faschismus bildet die Tatsache, daß er auf seine Gegner den stärksten nur denkbaren Einfluß ausgeübt hat. Das gilt nicht primär in dem engen Sinne, daß er ihnen unmittelbar seine eigenen Züge aufgeprägt habe. Dabei handelt es sich vielfach um Parallelentwicklungen. Aber auch sie sind für das Urteil von größter Tragweite. Und der Faschismus hat seine Gegner zu der schmerzlichsten Neubesinnung seit Generationen gezwungen, denn ihm gegenüber hatten sie ihre folgenreichsten Irrtümer und Fehleinschätzungen begangen.

Was war der Antifaschismus in seiner frühesten Erscheinungsform, die Opposition des Aventin nach dem Mord an Matteotti, anderes als das Bündnis derjenigen, die sich vor dem Marsch auf Rom nicht hatten einigen können und deshalb besiegt worden waren? Was bedeutet die seit 1935 von den Kommunisten propagierte Losung der „antifaschistischen Einheitsfront“ anderes als die umwälzendste Korrektur an der eigenen Taktik des vergangenen Jahrzehnts? Was anderes hatten die Diskussionen und Werke der deutschen Emigration auf ihrer höchsten Stufe zum Inhalt als die kritischeste Selbstprüfung des deutschen Geistes, die es bis dahin gegeben hatte? Und mußte sie nicht auch dies manchmal sich eingestehen, daß die Gegnerschaft gegen den Faschismus nicht selten selbst faschistische Züge trage?

Stalin als Faschist

Es waren nicht nur vereinzelte faschistische Züge, welche die sozialistischen Emigranten aus Deutschland im Rußland Stalins wahrnehmen mußten. Was war vom Geiste Lenins und Rosa Luxemburgs geblieben, wenn „Militarismus und Nationalismus, Heroenkult und Byzantinismus“ den meisten Raum einnahmen, die Weltrevolution aber und die internationale Arbeiterbewegung kaum je Erwähnung fanden? Wie waren die unmäßig differenzierten Leistungslöhne, die reaktionäre Familiengesetzgebung, die Anknüpfung an die Tradition Peters des Großen mit den Absichten der Oktoberrevolution zu vereinbaren? Bedeuteten die Prozesse gegen die alten Mitkämpfer Lenins gar den Anfang der schlimmsten Kommunistenverfolgungen, die je auf der Erde stattgefunden hatten, und wurde nicht der Antisemitismus von der Regierung insgeheim gefördert? Das Studium der Geschichte der Sowjetunion hätte freilich zeigen können, daß die Anfänge dieser Entwicklung bis tief in Lenins Zeiten zurückgingen. Schon Lenin hatte die Parteikritik unterdrücken lassen, hierarchische Überordnungsverhältnisse an die Stelle lokaler Spontaneität gesetzt, den Einsatz von Polizei gegen unzufriedene Arbeiter befohlen. War Stalin wirklich ein Usurpator, oder war er Lenins Testamentsvollstrecker? War der Stalinismus nur die harte Schale, die den ursprünglichen Kern bedrängte, weil sie ihn in äußerster Gefährdung schützte, oder war er etwas prinzipiell Entgegengesetztes und Dauerndes? Heute wird man geneigt sein, keine dieser Fragen eindeutig mit Ja oder Nein zu beantworten und eben dadurch einen essentiellen Unterschied zwischen Stalinismus und Faschismus anzuerkennen. Aber die These Franz Borkenaus bleibt dennoch der Überlegung und Beachtung wert: seit 1929 habe sich Rußland „unter die totalitären, die faschistischen Mächte“ eingereiht. Und soviel läßt sich jedenfalls mit einiger Sicherheit sagen, daß die Frage der Stellungnahme zum Faschismus seit der Auseinandersetzung zwischen Stalin und Bucharin die sowjetische Politik in allen ihren Aspekten wie kaum eine zweite bestimmt hat.

Selbst das Amerika Roosevelts ist vergleichbaren Vorwürfen nicht entgangen. Dorothy Thompson suchte faschistische Tendenzen im New Deal aufzudecken, 1934 bereits wurde Roosevelt mit Mussolini verglichen, und noch 1940 zogen viele Amerikaner leidenschaftlich gegen des Präsidenten „Cäsarismus“ und das „Führerprinzip“ zu Felde. Roosevelt selbst hielt den Vorwurf des Faschismus so wenig für belanglos, daß er sich mit ihm ausdrücklich auseinandersetzte; daß mächtige epochale Tendenzen in Amerika so gut wie in Europa auf die Etablierung eines „streng ausgeprägten Führertums“ hinwirkten, hat er keineswegs bestritten. Allerdings zeigt gerade das Beispiel Roosevelts, wie sehr man sich hüten muß, aus einzelnen „faschistischen“ Zügen auf Faschismus zu schließen. Daß Roosevelt im Kern seiner Auffassungen und seiner Persönlichkeit dem Faschismus (und nicht etwa nur Hitler und dessen Deutschland) entgegengesetzt war, läßt sich nicht bezweifeln. Offenbar muß es ein „faschistisches Minimum“ geben, ohne welches das Substantiv widersinnig und sogar das Adjektiv „faschistisch“ fragwürdig ist. Aber auch bei vorsichtiger Betrachtung beweist das Beispiel Roosevelts mindestens dies, daß der Faschismus zwar vielleicht nur eine explosive Zusammenballung von Prinzipien war, die zum großen Teil als einzelne ihre Notwendigkeit hatten, daß er aber auf keinen Fall episodisch und isoliert als Fremdkörper in der Epoche stand. Im Verein mit den anderen Überlegungen und Belegen schließt es den Kreis, der die These umfassend begründet sein läßt, die Epoche der Weltkriege sei nichts anderes als die Epoche des Faschismus.

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