FORVM, No. 191/II
November
1969

Der Schilling um 3,4% abgewertet

Plädoyer für Aufwertung um mindestens 9,3%

Was jetzt alles über den Haufen wirft, ist die DM-Aufwertung. Genauer: die Konsequenzen, die Österreich daraus nicht zieht.

Der vordringliche Aspekt ist jetzt der stabilitätspolitische: Was plötzlich in den Mittelpunkt des Interesses gerückt ist — richtiger: gerückt sein sollte —, ist die im Herbst 1969 und vollends im Jahr 1970 zu erwartende Entwicklung der Preise und Löhne.

Die Reihenfolge ist nicht willkürlich gewählt: Erstens deshalb, weil sich die Auswirkungen der DM-Aufwertung vorerst am österreichischen Preisniveau zeigen werden und die daraus zu ziehenden Konsequenzen primär der Erhaltung der Preisstabilität zu dienen hätten. Zum zweiten aber auch deshalb, weil ohne die DM-Aufwertung die Weichen für die Lohnentwicklung im Jahre 1970 bereits gestellt waren: Der Generalkollektivvertrag über die Arbeitszeitverkürzung brachte hinsichtlich der ersten Zweistundenetappe ab 1. Jänner 1970 auf dem Papier eine fast 5prozentige indirekte Lohnerhöhung; der tatsächliche Effekt dürfte im Durchschnitt nur knapp halb so groß sein, weil die mittlere Arbeitszeit schon jetzt bei nur 44 Stunden liegt, verschiedene Ausnahmen vereinbart wurden und die ersten beiden Überstunden nicht zuschlagspflichtig sind. Die fällige Lohnrunde ist praktisch abgeschlossen, wobei im großen und ganzen gilt, daß bei der Wahl der Erhöhungsprozentsätze die Arbeitszeitverkürzung einkalkuliert wurde. Bei Anhalten des Konjunkturaufschwunges hätte sich die Lohndrift — die Überbietung der Kollektivvertragssätze — weiter verstärkt, aber alles in allem wäre zu erwarten gewesen, daß die Lohnkosten je Produkteinheit weiterhin stabil bleiben, nachdem sie in den Jahren 1968 und 1969 sogar gesunken waren (bis Mitte 1969 um 3,5 Prozent).

Der jährliche Produktivitätsanstieg in der Industrie, der 1967 nur knapp 4,5 Prozent betragen hatte, liegt seit Anfang 1968 bei 8,6 Prozent, also fast doppelt so hoch. Im Vergleich dazu ist die jährliche Lohnerhöhungsrate — gemessen am Bruttomonatsverdienst je Industriebeschäftigtem — von 7 Prozent im ersten Halbjahr 1968 über 6 Prozent im zweiten bis auf 5,2 Prozent in der ersten Hälfte des laufenden Jahres gesunken; die neue Lohnrunde vergrößert den Abstand auf 8 bis 8,5 Prozent, war also durchaus produktivitätsorientiert.

Diese Konstellation hätte auch für 1970 eine durchaus befriedigende Preisentwicklung erwarten lassen. Der Verbraucherpreisindex, der 1967 noch um 4 Prozent, 1968 aber bloß noch um 2,8 Prozent gestiegen war, wies im August 1969 eine Zwölfmonatesteigerung um 3,1 Prozent (ohne Saisonprodukte 2,9 Prozent) auf, müßte aber ab September oder Oktober wieder einen kleineren Abstand zeigen, weil ab 1. September 1968 die Sondersteuern für Kraftfahrzeuge und Alkohol in Kraft getreten waren, was damals einen Indexsprung um nahezu einen vollen Punkt bewirkt hatte.

Die durchschnittliche Teuerungsrate für die ersten acht Monate, die sich zufällig mit der Augustziffer von 3,1 Prozent deckt, hätte für das ganze Jahr 1969 etwas unter die 3-Prozent-Grenze sinken müssen — für eine Phase des Konjunkturaufschwunges ein durchaus befriedigendes Ergebnis; für 1970 wäre, was die endogenen Preisauftriebsursachen betrifft, ein ähnlich günstiges Ergebnis — irgendwo zwischen 3 und 3,5 Prozent — zu erwarten gewesen.

Nicht zufällig haben sich in diesem letzten Teil der Analyse die Konjunktive immer mehr gehäuft, denn es kann kein Zweifel bestehen, daß die DM-Aufwertung diese Prognose über den Haufen wirft. Vielleicht nicht mehr hinsichtlich der letzten Monate dieses Jahres — obwohl das Ansteigen des Großhandelspreisindex auf +3,1 Prozent (ohne Agrarerzeugnisse sogar +3,4 Prozent) im August ein Menetekel ist, das eine unmittelbar bevorstehende Anpassungsinflation ankündigen könnte —, ganz sicher aber bald nach dem Jahreswechsel.

Wenn nicht alle Anzeichen trügen, kommt der Preisschock gerade noch rechtzeitig vor den Nationalratswahlen: der letzte vor dem Wahltag veröffentlichte Indexstand der Verbraucherpreise dürfte ein Plus von 4 bis 4,5 Prozent zeigen.

Das wird schon deshalb nicht der Höhepunkt sein, weil als Folge der Schillingabwertung die eben errichteten Dämme der Lohnpolitik platzen werden.

Schillingabwertung? Natürlich denkt heute — anders als noch bei der Pfundabwertung im November 1967 — in Österreich niemand, der ernstgenommen werden will (und darauf legen nur noch ein paar ewiggestrige Industrielle sichtlich keinen Wert), daran, die Gold- und Dollarparität des Schillings herabzusetzen.

Aber was besagt denn de facto die Parität gegenüber dem Dollar für ein Land, das mit den Vereinigten Staaten nur 3,66 Prozent seines Außenhandelsvolumens abwickelt und von dessen ausländischen Besuchern ganze 2,9 Prozent aus den USA kommen?

Sprechen wir es, weil es, obwohl evident, hartnäckig verkannt wird, ganz offen aus: Wenn Österreich bei der DM-Aufwertung nicht mitzieht, ist das eine stille Abwertung des Schillings im Ausmaß von rund 40 Prozent des deutschen Aufwertungs-Satzes.

Diese 40 Prozent sind natürlich nur ein ungefährer Näherungswert, weil nicht alle Positionen der österreichischen Zahlungsbilanz, aufgeschlüsselt nach Herkunfts- beziehungsweise Bestimmungsländern der Transaktionen, publiziert werden. Ganz überschlägig berechnet, wurden aber in den ersten sieben Monaten 1969 vom Außenhandelsvolumen — 75,4 Milliarden Schilling — nicht weniger als 24,8 Milliarden Schilling oder 33 Prozent mit der Bundesrepublik abgewickelt, und von 14,8 Milliarden Schilling Fremdenverkehrseinnahmen entfielen annähernd drei Viertel auf deutsche Gäste.

Transaktionsvolumen aus den Titeln Import, Export und Ausländerfremdenverkehr in den ersten sieben Monaten dieses Jahres: 90 Milliarden Schilling; davon mit der Bundesrepublik: etwa 35 Milliarden, das heißt 39 Prozent.

Zollsenkung müßte 59,5% betragen

Beträgt nun der deutsche Aufwertungssatz für uns 9,3 Prozent, wäre eine bis zu 3,7prozentige Aufwertung des Schilling in Wirklichkeit gar keine Aufwertung, sondern nur eine unterbliebene Abwertung.

Erst von da an dürfte daher eine Diskussion darüber einsetzen, was für und was gegen eine echte Aufwertung auch des Schillings spricht.

Für diese gälte dann natürlich der Satz von 40 Prozent in umgekehrter Richtung: Bei einem völligen Gleichziehen mit dem DM-Aufwertungssatz würde für rund 40 Prozent des Transaktionsvolumens keine Änderung des Status quo ante eintreten, das heißt, ökonomisch relevant wäre der österreichische Aufwertungssatz nur zu 60 Prozent. Oder um auch das zu quantifizieren: Eine Parallelaufwertung des Schillings um 9,3 Prozent wäre nur eine echte Aufwertung um 5,6 Prozent.

Auch dieser Satz, sosehr er Exporteure und Hoteliers auf die Palme bringen würde, wäre erst eine teilweise Korrektur der 1953 vorgenommenen Schillingabwertung, die weit über das damals notwendige, durch die Relation des Produktionskostenniveaus gebotene Maß hinausgegangen und deren Kostenvorsprungseffekt bis heute im wesentlichen erhalten geblieben ist.

Aus neutralitätstaktischen Gründen wäre allerdings die völlige Kopierung des deutschen Vorbildes inopportun, das heißt, Österreich sollte besser einen etwas geringeren oder (auf die Gefahr hin, gesteinigt zu werden, wage ich auch das zu sagen) einen etwas höheren Aufwertungssatz wählen; das Nachziehen als solches würde unsere internationale Position nur verbessern.

Die Regierungspartei ist drauf und dran, ihre letzte Wahlchance zu verspielen. Auch die Wahlspenden der Wirtschaft — das gewichtigste Argument gegen die Änderung der Schillingparität — werden wenig helfen, wenn jetzt die Gelegenheit versäumt würde, zum stabilen Schilling mehr als ein bloßes Lippenbekenntnis abzulegen.

Diese Gelegenheit bestand nur jetzt. In ein paar Monaten wäre es dafür bereits zu spät; wie schnell eine Anpassungsinflation zustande kommt, sollte doch das Beispiel der Bundesrepublik deutlich genug bewiesen haben, die sich mit einer rechtzeitigen Aufwertung vieles erspart hätte.

Aber — in gut österreichischer Manier gefragt — gibt es zur Schillingaufwertung nicht eine Wasch-mir-den-Pelz-aber-mach-mich-nicht-naß-Alternative? Wie wäre es mit einer konjunkturpolitischen Zollsenkung, der, wenn auch zähneknirschend, Industriellenvereinigung und Bundeskammer noch eher zustimmen als einer Paritätsänderung?

Nehmen wir an, ausnahmsweise träfe diesmal nicht das zu, was die Amerikaner das Murphy-Gesetz nennen, nämlich: wenn etwas passieren kann, dann passiert es auch. Konzedieren wir also — for the sake of argument, aber nicht, weil all das wahrscheinlich wäre — folgendes:

  • daß die Handelspolitiker im Ministerium und in den Kammern über den eigenen Schatten springen und ihr Standardargument, die Zollsätze seien in internationalen Verhandlungen eine so wichtige Waffe, daß jede einseitige Abrüstung handelspolitischer Selbstmord wäre, diesmal nicht ins Treffen führen;
  • daß man die Idee einer linearen Zollsenkung gegen Dutzende, Hunderte oder Tausende Intervenienten durchzusetzen vermag, die haarscharf beweisen, daß die Produkte A bis X unbedingt eine Ausnahme bilden müssen, weil sie ganz im Gegenteil eher auf die Antidumpingliste gehörten;
  • daß der Satz dieser linearen Zollsenkung nicht am Punkt des geringsten Widerstandes fixiert wird, obwohl der Protest der Betroffenen mit dem Quadrat der Zollreduktion wächst;
  • daß über die Importeure eine Woge von Patriotismus geht und sie standhaft der Versuchung widerstehen läßt, in der Zollsenkung eine willkommene Gelegenheit zu einer Spannenerhöhung zu sehen.

Konzedieren wir entgegen aller Logik und Erfahrung das und noch viel mehr, können wir den Rechenstift zur Hand nehmen und das Zollsenkungsäquivalent zur Schillingaufwertung ermitteln.

Natürlich geht auch das nicht ohne Vergröberungen ab: Beispielsweise werden nicht alle deutschen Lieferanten sich ihrer Sache so sicher fühlen wie das VW-Werk, das auf den in Österreich — aber wohlweislich nicht auch etwa auf den in den USA — geforderten Preis nicht nur den vollen Aufwertungssatz der D-Mark, sondern auch gleich den Effekt der Anpassungsinflation vor der DM-Aufwertung zu überwälzen gedenkt. Selbst vorsichtige Bankiers rechnen aber mit einer Überwälzung zu durchschnittlich zwei Dritteln.

Nicht völlig ausgeschlossen wäre auch, daß die DM-Aufwertung zu einer Änderung der Handelsströme führt, das heißt, daß man sich anderweitiger Bezugsquellen entsinnt und der derzeit bei 40,5 Prozent liegende Anteil der Bundesrepublik am österreichischen Gesamtimport etwas zurückgeht.

Bei einer ersten überschlägigen Berechnung kann das aber schon deshalb vernachlässigt werden, weil sowohl der Grad der Überwälzbarkeit des Aufwertungseffektes auf den österreichischen Bezieher wie die Bedeutung des Substitutionseffekts hinsichtlich Drittländerimporten davon unabhängig sind, wie Österreich reagiert.

Mit diesen Vorbehalten ist folgende überschlägige Berechnung zulässig:

Die Einfuhr aus Westdeutschland hat in den ersten sieben Monaten 1969 rund 16,6 Milliarden Schilling betragen. Bezogen auf dieses Importvolumen macht jedes Prozent, um das die D-Mark absolut — oder auch bloß relativ zu einer geänderten Schillingparität — aufgewertet wird, 166 Millionen aus.

Die gesamten Zolleinnahmen haben im selben Zeitraum 2,59 Milliarden ausgemacht. Einem Prozent DM-Aufwertung entspricht damit, schematisch gerechnet, die Notwendigkeit, unsere Zölle linear um 6,4 Prozent zu senken. Selbst nach dieser Primitivformel müßte also eine kompensatorische Zollsenkung, wenn nun der DM-Kurs um 9,3 Prozent höher ist, einheitlich 59,5 Prozent ausmachen.

Nun ließe sich ein um 50 bis 60 Prozent niedrigeres österreichisches Zollniveau durchaus rechtfertigen, denn mit dem jetzigen zählen wir zur internationalen Spitzenklasse: trotz EFTA-Zollabbau und Kennedy-Runde ist es von 1963 bis 1968 nur von 8,27 auf 7,42 Prozent des Einfuhrwerts gesunken.

Selbst dieser bescheidene Rückgang dürfte durch die Erhöhung der Importausgleichsteuer zumindest kompensiert worden sein.

Aber selbst die kühnsten Vorstellungen hinsichtlich einer linearen Zollsenkung liegen nicht bei 50 oder 60 Prozent, sondern bei 20 oder 25 Prozent — womit also selbst unter Nachsicht aller Taxen der Importpreiseffekt nur zur Hälfte kompensiert werden könnte. (Die Erörterung einer linearen Zollsenkung hat im übrigen nur noch historischen Wert, denn der besseren Optik zuliebe sind die inzwischen beschlossenen „flankierenden Maßnahmen“ selektiv-diskriminierend.)

Überdies wäre gerade der scheinbare Vorteil einer Zollsenkung gegenüber der Paritätsänderung, daß sie nur die Wareneinfuhr, nicht aber auch die Ausfuhr und den Fremdenverkehr tangiert, der größte Nachteil einer solchen Halbheit: Der „Inflationsimport“ spielt sich ja nicht nur über die Wareneinfuhr, sondern direkt und indirekt auch über die Ausfuhr ab: Direkt indem überhöhte Exportpreise, insbesondere in einer Phase der guten Konjunktur und einer gleichermaßen regen In- und Auslandnachfrage, einen Sog auf die Inlandpreise ausüben. Warum soll sich der österreichische Produzent mit niedrigen Inlanderlösen begnügen, wenn er genügend lukrative Exportaufträge hat? Oder umgekehrt: Wie lange ist der Atem des inländischen Abnehmers, wenn er vor die Wahl gestellt wird, entweder den im Ausland erzielbaren Preis zu bezahlen oder auf die Lieferung warten zu müssen, bis alle Exportorders erfüllt sind?

Die indirekte Inflationswirkung einer zu niedrigen Schillingparität wäre vielleicht nicht so deutlich sichtbar, aber zumindest ebenso stark: Der heilsame Druck, den die erzielbaren Exporterlöse auf die Kalkulation der exportintensiven Industriezweige ausüben, wird natürlich an die Kollektivvertragspartner und an die Rohstofflieferanten weitergereicht, nicht zuletzt aber an die Importeure. Läßt dieser Druck als Folge der De-facto-Abwertung des Schillings nach, kumuliert in der Lohnpolitik der begreifliche Wunsch nach einer Abgeltung der Teuerung mit der größeren Möglichkeit, solche kollektiven oder auch individuellen Lohnwünsche zu erfüllen. Zugleich läßt der Preisdruck der Abnehmer auf die Importeure nach und erleichtert diesen die Weiterwälzung der DM-Aufwertung und der deutschen Anpassungsinflation.

Das ist der eine Grund, warum selbst eine auf dem Papier äquivalente Zollsenkung kein tauglicher Ersatz für eine Änderung der Schillingparität wäre: der Zwang, die Zollsenkung an die Abnehmer weiterzugeben, wäre zu gering. Und daß eine Importverbilligung dem österreichischen Abnehmer nicht automatisch zugute kommt, hat sich nach jeder Etappe des EFTA-Zollabbaues genauso gezeigt wie nach der Pfundabwertung vor zwei Jahren und nach der Francabwertung vor zwei Monaten.

Der zweite Grund ist vielleicht noch gewichtiger: Bei einer Paritätsänderung — nicht aber bei einer Zollsenkung — geht ein gesamtwirtschaftlicher Preisdruck von den „Ex-Exporteuren“ aus: von jenen österreichischen Erzeugern, die für unattraktiv gewordene Exportmärkte im Inland einen Ausgleich finden müssen. Im Falle einer bloß kompensierenden Paritätsänderung — einer solchen also, die den Schillingabwertungseffekt der DM-Aufwertung ausgleicht — wären das jene Drittlandexporteure, die in dem dann noch immer attraktiver werdenden deutschen Markt keinen Ersatz finden, im Falle einer echten Schillingaufwertung darüber hinaus auch alle Exporteure, für die Deutschland ebenso unattraktiv bleibt, wie es schon bisher gewesen ist.

Import heißt Wohlstandszuwachs

Aber wäre das nicht ein besorgniserregender Exportrückschlag? Exportrückschlag vielleicht (obwohl zu erwägen wäre, ob nicht die auf uns zukommende Anpassungsinflation und die in der Nationalbank bereits diskutierten Gegenmaßnahmen die Exportfähigkeit nicht noch viel ärger beeinträchtigen), besorgniserregend bestimmt nicht. Genausowenig besorgniserregend wie der Importsog, den eine „echte“ Aufwertung auslösen würde. Der Nachweis läßt sich zahlungsbilanzpolitisch und er läßt sich, vielleicht noch überzeugender, strukturpolitisch führen.

Hierzu müßte ich weit ausholen, nämlich bis zu der vor einem Vierteljahrtausend entstandenen und seither ständig dümmer gewordenen Vorstellung, daß alles Heil im Export liege, und der Import nur ein notwendiges Übel sei, weshalb ein Einfuhrüberschuß — logisch eindeutig ein Wohlstandszuwachs — als passive oder defizitäre Handelsbilanz schon semantisch diskreditiert wird.

Hier müssen wir uns aber wohl auf die Erörterung der damit zusammenhängenden fixen Idee eines strukturellen Zahlungsbilanzpassivums beschränken. Bis in die obersten Ränge unserer beamteten Währungshüter steht einfach außer Diskussion, daß unsere Zahlungsbilanz strukturell passiv sei; jedes Jahr wartet man auf die eindrückliche Bestätigung dieser Überzeugung in Form eines horrenden Zahlungsbilanzdefizits, das ein gewaltiges und irreparables Loch in unsere Devisenreserven reißt (im Verhältnis zum Einfuhrvolumen nach der Schweiz die höchsten der Welt).

Daß man seit zwei Jahrzehnten vergeblich auf diese Zahlungsbilanzkatastrophe lauert und daß in diesen zwei Jahrzehnten die Währungsreserven statt dessen um 20 Milliarden Schilling angeschwollen sind, hat das Unkenkonzert keineswegs zum Schweigen gebracht. Gelungen ist dies nicht einmal der allerjüngsten Entwicklung: daß nicht nur unsere Grundbilanz — also die Leistungsbilanz zuzüglich des Kapitalverkehrs — offenkundig anstatt strukturell passiv strukturell aktiv ist (wobei sich an dem Beitrag, den der Kapitalimport geleistet hat, niemand zu stoßen braucht, denn ein Land wie Österreich soll ja ein Kapitalnettoimporteur sein), sondern daß sich auch die Leistungsbilanz völlig konjunkturwidrig verbessert.

Zum Teil — vielleicht sogar zum größeren Teil — mag das die Folge einer Phasenverschiebung sein: die österreichische Konjunktur ist diesmal besonders stark nachgehinkt, und insofern könnte der starke Abbau des Leistungs- und sogar des Handelsbilanzpassivums mit der These erklärt werden, daß wir uns, international gesehen, noch in einer Art relativer Rezession befänden. Völlig überzeugend und vor allem völlig erschöpfend ist aber diese Erklärung unserer Zahlungsbilanzentwicklung nicht, und insbesondere Dr. Anton Kausel vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung wird nicht müde, eine Fülle von Beweisen dafür anzuführen, daß sich hinter den Kulissen unsere Produktions- und insbesondere unsere Exportstruktur ständig verbessert.

Mit mindestens gleicher, ja ich glaube mit weit größerer Berechtigung läßt sich daher der fixen Idee vom strukturellen Zahlungsbilanzdefizit die These entgegenstellen, daß der Trend der österreichischen Zahlungsbilanzentwicklung zu einem strukturellen Überschuß geht und daß uns schon auf kürzere Sicht — 1970! — ohne Änderung der Schillingparität ein Zahlungsbilanzüberschuß auf den Kopf fällt, der alle Inflationsdämpfungsversuche der Nationalbank zunichte machen könnte.

Zum strukturpolitischen Nachweis für die Vorteile eines hart bleibenden und tunlichst sogar härter werdenden Schillings nur ein Stichwort: Unterstützung der Wettbewerbspolitik durch verstärkten Importdruck (wie er allerdings theoretisch auch mit einer genügend starken linearen Zollsenkung bewirkt werden könnte) und (was nur durch eine Parıtätsänderung zu erzielen wäre) Unterstützung der Industriepolitik durch Verschärfung der Selektion und im besonderen durch den Zwang, von der Preis- in die Qualitätskonkurrenz auszuweichen.

Vielleicht läßt sich das am Beispiel des Fremdenverkehrs demonstrieren: Da das deutsche Preisniveau — selbst ohne Mieten — um ein Sechstel höher liegt als das österreichische (was nur ein anderer Ausdruck für die Tatsache ist, daß die Kaufparität des Schillings gegenüber der D-Mark schon heute weit über der offiziellen Währungsparität liegt), lukrieren unsere deutschen Gäste schon bisher einen eingestandenen Kostenvorteil von 14 Prozent. Dieser Kostenvorteil würde sich, falls wir weiterhin so tun, als ginge uns die DM-Aufwertung nichts an, auf mehr als 22,5 Prozent erhöhen.

Fein, wird man sagen, um so mehr Deutsche werden ihren Urlaub in Österreich verbringen (obwohl für deutsche Auslandsurlauber natürlich auch alle anderen nicht aufwertenden Länder billiger werden, so daß der Vorsprung Österreichs nur gegenüber Oberbayern oder den deutschen Seebädern eintritt).

In struktureller Sicht stellt sich das Problem aber ganz anders dar: Das billige Land zieht auch die billigen Gäste an, und was Österreich braucht, sind nicht mehr, sondern wohlhabendere Gäste.

Gäste, zugegeben, die auch höhere Ansprüche stellen. Aber warum soll sich die österreichische Hotellerie sonderlich anstrengen, durch vermehrte Investitionen und besseres Service diesen höheren Ansprüchen zu genügen, wenn sich die Häuser künftig noch leichter mit Hummel- und Scharnow-Reisenden werden füllen lassen, die genau diesen Typ von minderqualifiziertem Angebot suchen?

Wozu dieses Plädoyer für eine Änderung der Schillingparität, die Aufwertung zu nennen mir wider den Strich geht, solange sich auch die kühnsten Praktiker höchstens zu der Idee versteigen, den Abwertungseffekt einigermaßen zu kompensieren?

Was nützt es, wenn — gering gerechnet — vier von fünf grauen Eminenzen der Wirtschafts- und Währungspolitik gegen jede Paritätsänderung sind, den Nationalökonomen, daß unter ihnen das Zahlenverhältnis ziemlich genau umgekehrt sein dürfte?

In der Bundesrepublik hat sich nicht einmal der hochoffizielle Sachverständigenrat mit seiner Warnung rechtzeitig durchsetzen können, obwohl dort sogar die mächtige Bundesbank auf seiner Seite stand. Spät, aber doch hat in Deutschland die Sachlogik — vielleicht allerdings nur dank der unerbetenen Schützenhilfe der weltweiten Spekulation — gesiegt. Aber bei uns in Bagdad?

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