ZOOM 1/1999
Januar
1999
UNHCR-Preisträger 1998

Deserteurs- und Flüchtlingsberatung

Im Juni reichte die Deserteurs- und Flüchtlingsberatung eine Darstellung ihrer Arbeit und Empfehlungsschreiben für den UNHCR-Preis ein. So richtig daran geglaubt hat niemand – aber man kann’s ja probieren. Nach dem Ausfall von zwei Dritteln der Subventionen, der Einstellung von Aufwandsentschädigungen oder gar Honoraren für die BeraterInnen kam im November ein Anruf, mit dem niemand gerechnet hatte.

Froh über die außergewöhnliche Würdigung — und den außergewöhnlich großen Scheck
(oben: Irene Messinger, Christoph Riedl; unten: Birgit Einzenberger, Marion Kremla)

Viel besser als Lotto

Zunächst einmal ist zu sagen, daß wir uns ganz einfach freuen. Sehr, sehr freuen. Aus mehreren Gründen. Zum einen ist es uns möglich, die verlorenen Subventionen vom letzten Jahr auszugleichen. Wir haben wieder Geld für die Weiterarbeit. Dies ist der eine Grund.

Zum anderen beeindruckte uns bereits der Ausschreibungstext. Der UNHCR-Preis für Flüchtlingsarbeit wird jährlich vergeben. Dieses Jahr wurde der Preis explizit für die Arbeit mit illegalisierten Schutzbedürftigen ausgeschrieben.

Dies ist bemerkenswert, denn damit wird das Thema „illegaler Aufenthalt“ in einen völlig neuen Kontext gestellt. Damit wird öffentlich anerkannt, was im Kreis der MigrantInnen und in der Flüchtlingsarbeit selbstverständlich ist: daß illegalisierte Menschen in großer Zahl schutzbedürftig sind, in dem Sinn, daß sie den Schutz ihres Heimatlandes verloren haben und keine Alternative dazu finden konnten.

Damit wird ein anderer Kontext als die übliche Kriminalisierung hergestellt. Wir sind insofern nicht nur glücklich über unseren Riesenscheck (siehe Fotos), sondern auch positiv überrascht über den Schritt, das Thema der illegalen Schutzbedürftigen in dieser positiven Weise aufzugreifen.

Apropos überrascht: Es ist neu, für unsere Tätigkeit ausgezeichnet zu werden. Der Status der KlientInnen – und unsere KlientInnen sind nun eben zum Großteil Illegalisierte – färbt ab auf den Status der BeraterInnen (und auf die Höhe der Subventionen).

Jetzt sind wir Preisträger. Normalerweise sind wir „verfahrensverzögernd“ oder ähnliches. Neu ist also die Wertschätzung unserer Arbeit mit Illegalisierten. Neu ist aber auch, daß wir als Verein mit einem eindeutig antimilitaristischen Namen preiswürdig sind. Ein Name, der Kritik und Ungehorsam, eine Weigerung, dem Befehl zum Töten zu folgen, beinhaltet, ist häufig unbequem – am Telefon, aber auch bei der Vereinsgründung.

An dieser Stelle in paar Worte zu unseren KlientInnen und damit zu unserer Arbeit: Der Name Deserteurs- und Flüchtlingsberatung verwirrt manchmal, nämlich hinsichtlich der Frage, ob mit Deserteursberatung nicht vielleicht auch Zivildiener, Totalverweigerer oder wer immer gemeint sind. Nein. Gemeint sind nach Österreich geflohene Wehrdienstverweigerer und deren Familien. Die ersten kamen Ende 1991 und waren Verweigerer des jugoslawisch-kroatischen und später des jugoslawisch-bosnischen Krieges. Sie haben sich heute in Österreich großteils eine neue Existenz aufgebaut, und viele leben nun schon sechs bis sieben Jahre in Österreich.

Es sind weiters Kosovo-Albaner, die – schon ab 1991 – vor der Einberufung zur jugoslawischen Armee geflohen sind. Die Familien dieser Flüchtlinge fliehen nun vor dem offen ausgebrochenen Konflikt.

Es sind weiters kurdische Verweigerer der irakischen und türkischen Armee. In all diesen Fällen geht es um die Ablehnung, gegen die eigene Volksgruppe gerichtete Gewaltakte zu unterstützen.

Dies ist kein anerkannter Fluchtgrund. Im Zentrum der ablehnenden Bescheide steht, daß die Asylwerber staatliche Gesetze nicht befolgt haben und daß der Heimatstaat ein Recht habe, sie dafür zu bestrafen. Eine solche, „auch schwere“ Strafe sei nicht als Verfolgungshandlung zu werten.

Deserteure sind schon lange nicht mehr die einzige Zielgruppe. Hinzu kommen die Familien und Freunde der ersten Deserteure, die Kriegsflüchtlinge aus dem Krieg in Bosnien und nun im Kosovo.

Leben ohne Papiere ...

Die Möglichkeiten, diesen Menschen beim Wiederfinden eines menschenwürdigen Lebens zu helfen, sind leider oft begrenzt. Stichworte: die Hürde der „Drittlandsklausel“, das durch das Schengener Abkommen erzeugte Weiterreichen von Flüchtlingen.

Illegalisiert werden Menschen, die nach Österreich flüchten, schnell. Illegalisiert zu leben, was heißt das? Es heißt vor allem mit dem ständigen Risiko von Verhaftung, Schubhaftnahme, Abschiebung leben zu müssen. Auch diejenigen, die nicht abgeschoben werden können, müssen mit Schubhaftnahme rechnen, d.h. mit bis zu sechs Monaten Gefängnis, denn das ist es – ein Gefängnis: ohne Verfahren, mit unzureichenden hygienischen Möglichkeiten, mit Hungerstreik als einzig mögliche Form einer vorzeitigen Entlassung.

Dieses Risiko verhindert, die eigenen Angelegenheiten selbst wahrzunehmen. Bereits der Weg von zu Hause zur Beratungsstelle wird zum Problem aufgrund der häufigen Kontrollen in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Der Arztbesuch muß umständlich organisiert werden – welcher Arzt behandelt überhaupt ohne Krankenschein? Und wie erklärt man der Schule die Situation des Kindes, kann man überhaupt einen Meldezettel riskieren oder nicht...? Das materielle Überleben ist abhängig vom guten Willen der Freunde und Verwandten, von caritativen Organisationen und von der Fairneß der Schwarzarbeitgeber.

... erfordert Beratung mit viel Papier

Diese Menschen also beraten wir. Das Wort Beratung deutet eine Selbständigkeit der Beratenen an, die leider nicht zu realisieren ist – und das liegt nicht an der persönlichen Unselbständigkeit unserer KlientInnen. Einfach einen Tip geben und dann checken die Beratenen ihr Asylverfahren, ihre Berufung, ihre Ladung bei der Fremdenpolizei alleine – das spielt’s nicht. Für viele unserer KlientInnen ist die Beratungsstelle die einzige Möglichkeit, überhaupt zu verstehen, was mit ihnen geschieht, was ihnen droht und welche Chancen sie haben. Es ist die Möglichkeit, Wohlwollen und Unterstützung zu erfahren und jemanden an seiner Seite zu wissen.

Beratung bedeutet in unserem Zusammenhang, unverständliche Bescheide aufzuklären und zu übersetzen, bedeutet Schutz vor falschen Informationen und oft genug auch vor tätlichen Übergriffen, bedeutet mitgehen und für jemanden sprechen, weil Staatsbürger dieses Staates offenbar eher erwarten können, daß man sie beim Sprechen nicht oder weniger unterbricht, daß man sie nicht stundenlang warten läßt und ihnen nicht das Wort im Mund umdreht.

Sich wehren und sich durchsetzen, auf seine Rechte pochen erfordert Kenntnis der eigenen Situation, erfordert ein gewisses Maß an zugestandener Menschenwürde, auch und vor allem, wenn man sich in einer fremden Sprache erklären muß.

Das Gewicht der öffentlichen Sicherheit, Ruhe und Ordnung

Illegalisiert zu leben bedeutet die völlige Rechtlosigkeit, und leicht wird übersehen, daß es Rechte gibt, die unteilbar, unabhängig sind von Staatsbürgerschaft und Aufenthaltsbewilligung. Es gibt Menschenrechte, die in ihrer Gesamtheit das umschreiben, was für österreichische StaatsbürgerInnen normal erscheint: ein menschenwürdiges, normales Leben. Die Gefahr, daß Rechte, deren Garant der Staat ist, schnell zu Staatsbürgerrechten verkommen, das heißt nur auf die jeweiligen Bürger eines Staates und nicht auf alle darin lebenden Menschen angewendet werden, diese Gefahr wurde schon bei der Deklaration der Menschenrechte erkannt.

Ist es überhaupt noch das Ziel, nicht nur der österreichischen, auch der europäischen Gesetzgebung, diese Gefahr zu umgehen, ihr entgegenzuwirken, ihr die Wahrung der grundlegenden Bedürfnisse nach Sicherheit, Wohnung, Gesundheitsversorgung entgegenzusetzen? Die Verpflichtung zur Unteilbarkeit der Menschenrechte wird vernachlässigt, sie sind in Österreich teilbar. Teilbar nach Staatsbürgerschaft, nach Aufenthaltsstatus, nach Muttersprache. Sichtbar wird die Vernachlässigung an denjenigen, die illegalisiert leben. Denn ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit wird zu oft von der Polizei höchstpersönlich getreten, ihr Recht auf Schutz der Familie existiert oft nur in der Theorie, gegenüber ihrem Recht auf Schutz vor unmenschlicher Behandlung und vor Folter wiegt bescheidmäßig stets die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Österreich schwerer.

Illegalisierung ist keine Krankheit. Sie wird von Menschen konstruiert. Das heißt, der Begriff „illegal“ muß zunächst überhaupt geschaffen werden, als Gegenkategorie zu den „Legalen“ – auf diese Idee muß erst einmal jemand kommen. Und weiters auf die Idee, Chancen und, wie schon gesagt, Menschenrechte anhand dieser Trennlinie zu verteilen.

Illegalisierung wird von Menschen definiert. Wir können diesen Begriff auf verschiedene Weise mit Leben erfüllen: Menschen mit kriminellen Absichten, die zu uns kommen, um uns unseren Wohlstand wegzuzerren, oder aber Menschen, die anderswo keine Chance hatten und für die wir – gerade aufgrund unseres Wohlstandes – zu sorgen haben? Was Menschen konstruieren und definieren ist veränderbar. Gesetze, Assoziationen, Bedeutungen – alles dies ist veränderbar.

Wir möchten uns gerne weiterhin daran beteiligen, zur Veränderung der Situation und des Bildes von Illegalisierten beizutragen, und wir haben mit diesem Preis wiederum die Chance dazu.

Mit Februar 1999 starten wir eine Kampagne mit dem Titel „Kein Mensch ist illegal“. Ziel ist Information, Aufklärung, Diskussion – wer lebt illegalisiert in Österreich, warum, wie kommt es zur Kriminalisierung dieser Menschen etc. Initiativen aus mehreren Bundesländern beteiligen sich, verschiedenste Aktionen sind geplant.

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