FORVM, No. 481-484
April
1994

Die Bekenntnis-Nazisse

Was ist das Wort,
wenn wir es nicht bekennen
dürfen?
Gertrud Fussenegger‚ Motto in:
Die Leute auf Falbeson, 1940

1.

Dieter Borchmeyer, in Heidelberg lehrender Germanistikprofessor, der als auswärtiger Literaturexperte für die Beratung der Weilheimer Schüler-Jury zuständig war, schreibt über Fussenegger:

Ein heikles Problem bildete für die Weilheimer Schüler, daß die preisgekrönte Autorin in jungen Jahren durchaus anfällig für manche Elemente des Nationalsozialismus war, so unvereinbar dessen System mit ihrem eigenen Weltbild gewesen ist. [...] Gertrud Fussenegger hat während des Dritten Reiches einige wenige Texte verfaßt, die unangenehm berühren. [...] Selten hat ein Autor seine zeitweilige Ansteckung durch die Ideologie des Dritten Reichs so offen dargestellt und begründet.

(Dieter Borchmeyer: Auf der Suche
nach dem verschütteten Antlitz.
In: Christ und Welt, 25.12.1992)

Werner Ross behauptet schon 1979 anläßlich des Erscheinens von Fusseneggers Autobiographie »Ein Spiegelbild mit Feuersäule«, daß die Autorin »für keine nazistische Pflichtübung zu gewinnen« [1] gewesen sei.

Wie steht es mit der angeblichen Unvereinbarkeit ihres Weltbildes mit dem des Nationalsozialismus? In den folgenden Texten Fusseneggers kann von einer solchen Unvereinbarkeit keine Rede sein. Die Autorin brauchte für keine nazistische Pflichtübung gewonnen werden. Denn die folgenden Texte Fusseneggers gründen auf wichtigen Fundamenten nationalsozialistischer Identität und betrachten — offen der NS-Bewegung verpflichtet — Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft aus der NS-Perspektive: z.B. »Die Verbannten«, »Der Kampf (Juli 1936)«, »Österreichs Toten« oder »Den Gefallenen 1938« —, »Stimme der Ostmark (12. März 1938)« oder »Stimme der Heimat« —, »Nimmer zwingt Sieg ...«, »Aus Reiseaufzeichnungen«, »Die Ostmark. Landschaft und Menschenwesen«. Auch die Erzählung »Die Leute auf Falbeson« (1940) gehört in den NS-Diskurs, und zwar insofern, als der Text — im Blick auf die politische Gegenwart der »deutschen Rückwanderer aus Südtirol« — die Spannung zwischen eingewurzeltem Heimatgefühl und notwendigem Bekennntnis (vgl. Motto des Buches) thematisiert. Einige NS-Kritiker (z.B. Wilhelm Stölting, Siegwalt Benatzky) stießen sich nicht am Konzept der Fussenegger, sondern daran, daß in der gegebenen politischen Situation »unklugerweise« »nicht die Frage zu stellen [sei], ob jemand sein Tal verläßt um eines Bekenntnisses willen, sondern ein deutscher Dichter hat mit seinen Worten das aus dem Glauben an Rasse und Volk geborene Wissen um die Heimat aller Deutschen, um Großdeutschland, herauszustellen.« [2]

»Die Verbannten«, »Der Kampf« und »Österreichs Toten« [3] sind aus der Perspektive einer NS-Parteigenossin geschrieben, deren Partei seit 1934 in Österreich illegal war, weil sie eine hochverräterische Partei war. Fusseneggers »Die Verbannten« bringt die Identität jenes hochverräterischen Wir — »die Herzen verbergend unter Fahne und Schwert« und »Wacht« für Deutschland haltend — zum Ausdruck. Die NS-Hoffnung auf »Erlösung« der »Heimat« und die »Verheißung« einer »ungeschändeten« Verwendung des Begriffes »Heimat« wird von der Autorin formuliert. In »Der Kampf« und »Österreichs Toten« wird dem Sterben für das »Reich« und für die NS-Bewegung gemäß üblicher Sinnstiftung für das Sterben poetisch Raum gegeben. Das sakrale Bedeutungsfeld wird dazu aktiviert. Diejenigen, die gegen eine solche Identität und Politik ankämpften, werden gemäß der bei Fussenegger durchgängigen polaren Weltsicht im Bereich des Satanischen angesiedelt:

Auf der Gasse geht der Andre um, wie Schlange beißt sein Hassesblick.

(»Der Kampf«)

Fusseneggers »Stimme der Ostmark« (auch »Stimme der Heimat«) [4] ist die Zusammenführung der vor 1938 üblichen Motive des illegalen Nationalsozialismus und gipfelt in der Panegyrik auf den Führer Adolf Hitler, sozusagen auf den säkularen Heiland, den Freiheitsapostel, der wieder »die Heimat« verbürge. »Deutschland« — »Reich« — »Vaterland« — »Heimat« und »Mutter« werden in einen NS-Bedeutungszusammenhang gesetzt.

[...]
Als die Zeit sich erfüllte,
größer als mündigster Mund
des Liedes je mag verkünden,
größer, als brennender Schmerz
je von Erlösung geträumt,
größer selbst als der Tod
der hingeschlachteten Helden —
jedwedes Opfer und Pfand
in maßloser Herrlichkeit lösend —
da war, daß einer erschien,
Deutschlands gültigstes Inbild,
den in dunkelnder Ahnung,
doch weise, frühe Geschlechter
als Retter des Reichs
in dämmernder Zukunft gewahrten,
den sie in schwelenden Sagen
schaudernd gerufen am Abend
blutig verlorener Schlachten,
doch den mit Augen zu schauen
heute uns endlich gegeben —
[...]
Wenn Kinder und Enkel einst singen,
singet nicht nur der Freiheit
stolzeren Namen,
singt nicht nur des wachsenden Reiches
hohe Gewalt und Würde, singet,
daß uns zur Mutter
wiedergegeben wurde,
ewig zu dauern
die Heimat!
(Gertrud Fussenegger: »Stimme der Ostmark«/»Stimme der Heimat«)

Fusseneggers Beitrag »Die Ostmark. Landschaft und Menschenwesen«, publiziert in der von Baldur von Schirach herausgegebenen Zeitschrift »Wille und Macht. Führerorgan der nationalsozialistischen Jugend« (H. 2, 15. Jänner 1941 [diesen Fund auf dem Wiener Flohmarkt verdanken wir Walter Oberschlick -Red.]), belegt nicht nur die deutsch-völkischen, mythisierenden Grundlagen des Geschichtsdenkens der Autorin — auch in ihrer Kunst- und Kulturbetrachtung ist dieses belegbar [5] —, sondern auch ihre Zustimmung zu den nach Fussenegger im »Willen des Führers« gegründeten Veränderungen der europäischen Landkarte seit 1938, also der Annexion Österreichs und des Sudetenlandes.

Wie heftig die Wogen der Geschichte gegen das Land [Österreich] schlugen, wie eng das Fremde es umdrängte und wie es selbst zum Herzstück eines internationalen Reiches zu werden schien, nichts hat die deutsche Art seines Volkes verschneiden können. Der alte Stamm [...] erhielt sich rein und stark; möge im Osten aus der slawischen und ungarischen, möge im Süden aus der slowenischen und italienischen Nachbarschaft mancher Tropfen Blutes eingesickert sein, er konnte die angestammte Weise nicht trüben oder sich selbst entfremden. Dem Volk der Ostmark entsprang der Mann, den die Welt heute anschaut; dankbar und stolz wollen wir das unvergessen haben.

(Gertrud Fussenegger: Die Ostmark 1941)

Ein weitere wichtige Säule von Fusseneggers Arbeit ist das Opfer Thema und damit die Verherrlichung des Sterbens. Immer wieder appelliert Fussenegger an die Leser mit ihrer Sicht des Opfer-Themas und bereitet damit ein Opfer-Bewußtsein im Sinne des Nationalsozialismus auf. Dem christlichen Opfermythos widerspricht dies grundsätzlich, starb Jesus doch, um die Welt von ihren Sünden zu erlösen und den Menschen die Verheißung ihrer Auferstehung zu verbürgen. Im Jahre 1943 werden in dem Sammelband »Der Tod fürs Vaterland« zwei Texte Fusseneggers abgedruckt: »Den Gefallenen 1938« ist mit dem schon seit 1938 bekannten Text »Österreichs Toten« identisch, der zweite Text beschreibt den Sinn des Heldentodes und lautet — titellos — folgendermaßen:

Nimmer zwingt Sieg,
Leben nimmer: vergänglich beides.
Tod doch zwingt,
wenn der Held ihn stirbt,
bricht Gesetz und richtet
Neues zum Bund auf.

Kein Rede kann davon sein, daß Gertrud Fussenegger nicht zu den anerkannten NS-Kulturträgern gehörte. Ihre Arbeit für den Nationalsozialismus steht außer Frage. Fusseneggers Welt-, Geschichts- und Menschenbild war für die meisten der für den Nationalsozialismus arbeitenden Kritiker und Literarhistoriker — innernazistische Kritik kam aus dem Rosenberg-Lager — mit der NS-Kultur vereinbar, so z.B. für Hellmuth Langenbucher, Walther Linden, Heinz Kindermann, Herbert Cysarz, Norbert Langer, Paul Fechter, Friedrich Pock und Josef Nadler. Für eine »nazistische Pflichtübung« brauchte Fussenegger nicht gewonnen werden, weil ihre Texte ohnehin wichtige Faktoren des im NS-Denken zusammenfließenden gegenaufklärerischen Diskurses verbreiteten.

2.

Ein besonders wichtiges Thema, wenn nicht das wichtigste in unserem Zusammenhang, stellt Fusseneggers Umgang mit ihrer Vergangenheit dar. Die Autorin wird insbesondere für die »Offenheit«, so Dieter Borchmeyer, in ihrer Autobiographie »Ein Spiegelbild mit Feuersäule« (1979) gelobt, Ein »Lebenslauf ohne Hehl« sei die Autobiographie, Fussenegger habe »nicht ungeschoren, aber unversehrt das Dritte Reich« überstanden, so Werner Ross 1979. Gerade diese Unversehrtheit ist im Hinblick auf Fusseneggers Schreiben und Denken vor 1945 eine besonders bedenkliche Zuschreibung.

Ein Satz in Fusseneggers Autobiographie aus dem Jahre 1979 lautet:

Mit der Lehre von der germanischen Rasse konnte ich nie etwas anfangen.

(S. 290)

Welche Identität und welcher Blick auf die Wirklichkeit kommen aber in folgenden Sätzen zum Ausdruck, die Fussenegger in Ihrem »Versuch zu einem Selbstportrait« anfangs der 50er Jahre schrieb, mehrfach publiziert in diversen Zeitschriften und Zeitungen:

Heute bin ich vierzig Jahre alt und nun kann ich mich nicht mehr darüber beklagen, daß das Leben zu spurlos an mir vorbeigegangen wäre. Sehe ich mich im Spiegel, so geschieht das, was bei jeder Frau meines Alters, mit der gespannten Neugier, in die eine kleine Furcht gemischt ist: da sind die Kerben, die die schlaflosen Nächte um meine Augen gezeichnet haben, die Sorgen, die Anstrengung und jahrelange Überforderung; diese Dinge sind niemand erspart geblieben, der das letzte Jahrzehnt redlich gelebt hat, und zu klagen ist nicht darüber! Im übrigen scheint die Rasse zäh zu sein, sie ist hellhäutig, helläugig, eine Mischung aus nordischen und dinarischen Zügen.

(Versuch zu einem Selbstportrait. In: Salzburger Nachrichten 10. März 1953, S. 3) [6]

Im Jahre 1951 hatte Fussenegger den Adalbert Stifter-Preis erhalten. Schon 1949 hatte Fussenegger unter dem Titel »Sinnesverkehrungen« Thomas Manns »Doktor Faustus« (1947) einer Kritik unterzogen, die darauf hinauslief, das Werk Thomas Manns folgendermaßen zu qualifizieren:

So vorschnell läßt sich das Leben nicht an das Nichts ausliefern; so leichtherzig nicht an Höllenabgründe preisgeben. [7]

Thomas Manns Roman sei das ungeheuerliche »Urteil für ein ganzes lebendiges Volk.« Dies war aus einem »unbeirrten Lebensgefühl« Fusseneggers heraus geschrieben, wie die Herausgeber der Zeitschrift »Wort im Gebirge« meinten. Fussenegger griff den zeitgeistigen und deswegen erfolgreichen Nihilismus-Vorwurf auf. Der Vorwurf aber stammte justament von einer Stimme, die sich als Ausdruck des »um seinen Bestand ringenden Daseins« ausgab, aber bis 1945 dem Sterben und dem Tod für das Vaterland literarisch Ausdruck verliehen hatte.

Es sei daran erinnert, daß das Hitler-Regime im Jahre 1941 z.B. Wolfgang Amadeus Mozart mit der Formel von der nordisch-dinarischen Rasse zu einem »seiner« Rasse-Künstler machte und — auf dieser Basis — mit Hilfe des großen Mozart-Festes des Jahres 1941 — das NS-Reich zum gesunden, abendländischen Kultur-Bollwerk insbesondere gegen die Sowjetunion stilisierte.

Woher kommt im Jahre 1952/1953 Fusseneggers Sprechen von der nordisch-dinarischen Rasse, die an ihr erkennbar sei. Hat Fussenegger sich selber ironisiert?

3.

In dem von Hilde Schmölzer herausgegebenen Band »Frau sein & schreiben. Österreichische Schriftstellerinnen definieren sich selbst« sagt Gertrud Fussenegger im Jahre 1982 über sich selbst:

Aber das dann, diese Geschichte mit dem Sudetenland, das ging einem schon zu schnell, zu überstürzt, so wahnwitzig, so angeheizt, so fiebrig. Und dann eins nach dem anderen, und Prag, und das Memelland, und der Mussolini ist dann auch noch marschiert. Das war alles ganz grauslich. Und dann kam der Krieg, und da war ein Entsetzen, ein reines Entsetzen, daß wir das jetzt vor uns haben. Und ganz entsetzlich war dann der Anfang mit Rußland, daß wir uns auf das noch eingelassen haben. [8]

Dies ist freilich die Sprache der die historische Wirklichkeit verzerrenden Erinnerung. Die Texte der Schriftstellerin aus den Jahren ab 1938 sprechen allerdings eine andere, die imperialistische NS-Politik affirmierende Sprache. Die Folgen der »Heimkehr des Sudetenlandes« werden damals positiv beurteilt:

Rang und Geltung des Deutschen [seien jetzt] Gesetz und Forderung des lebendigen Tages,

mündend in die Beobachtung, daß die Tschechen das »ganze Straßenbild« ihrer Hauptstadt

mehr beherrschten denn früher, da die zwar willig geduldete Überfremdung durch Artandere und Entartete Prag ein zuweilen bis zur Verzerrtheit groteskes Gesicht verlieh. [9]

Auch das »reine Entsetzen« über den Krieg gegen den Osten, wie Fussenegger im Jahre 1982 über ihre Befindlichkeit während des Krieges behauptet, vermitteln die Texte nicht. Fussenegger gewann dem Krieg — im Gegenteil — durchaus »ästhetische« Seiten ab. So heißt es im »Inneren Reich« im Jahre 1943:

Der Krieg hat, wie überall, auch hier [Prag] manche Veränderung hervorgerufen; nicht alle finden wir bedauernswert. So hat uns die Verdunkelung der Stadt mit den zauberhaftesten Bildern ihrer Nachtgestalt beschenkt, die zuvor in Friedenszeiten von einem unruhig flackernden Lichterleben sprühte, [...]

(Gertrud Fussenegger: Aus Reiseaufzeichnungen. In: Das Innere Reich, April 1943, S. 65)

In demselben Beitrag (»Aus Reiseaufzeichnungen«) räsoniert die Autorin schließlich über die Gründe für die Niederlage der Böhmen gegen die kaiserlichen Armeen in der Schlacht am Weißen Berge im Jahre 1620 — den Blick dabei letztlich aber auf die Bezüge zur Kriegs-Gegenwart eingerichtet. Gegen alle Erwartungen hätten die Kaiserlichen damals gegen das Heer des böhmischen Königs gesiegt. Unter den offensichtlichen Gründen für die Niederlage der Böhmen, nämlich der »Bestechlichkeit und Verräterei der Offiziere« der »Widerspenstigkeit der Soldaten« und des »zwischen Truppe und Führung herrschende[n] Mißtrauens« (S. 72) entdeckt die Autorin aber eine in alle Ewigkeit wirkende Tiefenschicht:

Wir glauben vielmehr, daß es im Leben der Völker [...] kurz bemessene Stunden gibt, in denen sich die Summe der Schicksale verdichtet und, wie in einem jähen blitzhaften Strahl aufleuchtend, das Geheimnis ihres Stoffes preisgibt. Es sind dies die Stunden der Entscheidung, die zugleich die Stunden der Bewährung sein müssen, vor allem der Bewährung, zu der die Völker auf den Schlachtfeldern antreten. Unnütz ist es, in solchen Augenblicken Versäumtes durch Jahrzehnte, durch Jahrhunderte vielleicht zu bejammern. [...] Die Geschichte fragt nicht danach. In der Seele des tschechischen Volkes scheint, tief unter der künstlich aufgepeitschten nationalen Erregung, ein Wissen um diese Tatsachen zu schlummern, ein ihm vielleicht selbst nicht bewußtes Einverstandensein damit. Wäre es sonst zu begreifen, daß es auch in der zwanzigjährigen Zeit der Selbstregierung nicht versuchte, das kleine Kloster der »Maria vom Siege« — vom Siege, der zugleich die größte Niederlage der tschechischen Geschichte war — zu beseitigen oder doch nur umzubenennen?

(S. 72 f)

Abgesehen davon, daß Fussenegger hier

  • sozusagen als Sprachrohr einer obskuren geschichtsmächtigen Kraft — den Tschechen eine deutsch-reichsmäßige Geschichtslektion erteilt, ist die Stelle auch deswegen besonders lehrreich, weil es jetzt
  • mitten im Krieg — erneut »Stunden der Bewährung« sind, zu denen »die Völker auf den Schlachtfeldern antreten.« Der Abschlußsatz des Textes lautet denn auch:

Aber über den Himmel ziehen, für Augenblicke Musik und Gesang betäubend, große stählern schimmernde Flugzeuge mit dem Zeichen der deutschen Wehrmacht ostwärts dahin.

Daß »die Geschichte« erneut deutschreichsmäßig waltet, darüber läßt die Organisation dieses Textes keinen Zweifel. Zu dieser Einstellung zum Krieg paßt denn auch Fusseneggers »Nimmer zwingt Sieg ...« aus dem Sammelband »Der Tod fürs Vaterland« (1943). Die Texte berichten nichts vom »Entsetzen«, wie Fussenegger später — seit den 70er Jahren — ihre Haltung während des Krieges nennt.

Fussenegger schreibt in ihrer Autobiographie 1979, sie habe die »Elemente des Todes«, des »mörderischen Wahnsinns«, die »Zeichen kommenden Unheils« gesehen und folgert daraus:

In jeder Zeit sind Elemente des Todes unterwegs, aber wer möchte leben, wenn er nur sie sähe, und wer möchte vor allem unter Menschen leben und ihnen nichts, nichts, nichts anderes zu sagen haben als: Untergang, Untergang, Untergang?

(S. 287)

Das suggeriert, die Autorin hätte in ihren Texten vor 1945 die »Elemente des Todes« kritisch benannt und überhaupt über »Untergang« berichtet. Tatsache aber ist, daß Fusseneggers Texte, wenn sie überhaupt von »Untergang« sprachen, dies im Sinne der »aufbauenden« Ideologie des Nazismus taten, indem sie z.B. den Opfer-Tod verherrlichten.

Zusammenfassend läßt sich sagen:

Mit ihren Aussagen nach 1945 befand sich Fussenegger jeweils im Trend der Nachkriegs-Zeiten. War es in den 50er Jahren für ein erfolgreiches Fußfassen im Nachkriegsösterreich anscheinend opportun, z.B. einen anti-nihilistischen, »aufbauenden« Diskurs zu pflegen und auch keine Bedenken gegen einige biologistische Überlieferungen aus der Zeit vor 1945 zu hegen, so war Fussenegger seit den 70er Jahren wieder dabei, als es — zeitgeistig — galt, sich der eigenen Vergangenheit zu stellen, auch wenn etliche ihrer Behauptungen von ihren Texten aus der Zeit vor 1945 nicht bestätigt werden können. Wie also steht es mit dem »Pathos der Wahrhaftigkeit«, dem sich Fussenegger angeblich so stark verbunden fühlt?

[1Werner Ross: Lebenslauf ohne Hehl. Gertrud Fusseneggers Lebensbericht. In: Christ und Welt, 16. November 1979

[2Siegwalt Benatzky: Bekenntnis oder Heimat? In: Die Weltliteratur 1941, H. 1, S. 28 — Vgl. auch: Wilhelm Stölting: Auseinandersetzung mit Gertrud Fussenegger. In: Die Weltliteratur 16 (1941), F. 7, S. 190

[3In: Hein Stünke (Hrsg.): Kampf und Glaube. Gedichte österreichischer Dichter 1933-1938. Potsdam: Ludwig Voggenreiter Verlag 1938, S. 53, 61 und 74.
Der Text »Österreichs Toten« — auch unter dem Titel »Den Gefallenen 1938« — erschien überdies in folgenden Publikationen: Das Innere Reich, Mai 1938, S. 118; Heinz Kindermann: Heimkehr ins Reich. Großdeutsche Dichtung aus Ostmark und Sudetenland 1866-1938. Leipzig 1939 (= Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen. Reihe Politische Dichtung 10, Kap. VII: Befreiung der Ostmark), S. 331; Der Tod fürs Vaterland. Deutsche Gedichte. Ausgewählt von Gerhard Grunemann. Heilbronn: Eugen Salzer o.J. (1943), S. 133

[4Der Text erschien in folgenden Publikationen: Heinz Kindermann: Heimkehr ins Reich 1939; Heinz Kindermann [zum Geburtstag des Führers]: Des Führers Antlitz in der Dichtung der Befreiten. Gesamtdeutsches Volksbekenntnis in den Stimmen der Treue. In: Salzburger Volksblatt vom 20. April 1940, S. 2f [Hier heißt es: »Das erschütterndste Zeugnis dieser großen Schicksalsstunde freilich hat uns eine Frau geschenkt, die Tirolerin Gertrud Fußenegger, in ihrem Gedicht: »Stimme der Ostmark«]; Lebendiges Tirol. Ein Dichterbuch. Hrsg, von Dr. Kurt Pichler. Innsbruck: NS-Gauverlag und Druckerei Tirol 1940, S. 70

[5z.B. Gertrud Fussenegger: Kukus. In: Das Innere Reich 9 (April/September 1942), S. 201 ff

[6Derselbe Text auch in: Wort im Gebirge 5 (1953), S. 127ff; Unter dem Titel »Aussage geschehenen Schicksals. Ein Selbstporträt« auch In: Welt und Wort 7 (1952), S. 84

[7Gertrud Fussenegger: Sinnesverkehrungen. Zu Thomas Manns neuem Roman »Doktor Faustus«. In: Wort im Gebirge, Folge II, 1949, S. 85

[8Hilde Schmölzer: Frau sein & schreiben. Österreichische Schriftstellerinnen definieren sich selbst. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1982, S. 80

[9Gertrud Fussenegger: Reiseaufzeichnungen. In: Das Innere Reich, April 1943, S. 65 und 68

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