Streifzüge, Heft 53
Oktober
2011
2000 Zeichen abwärts

Die Nehmer

Wenige heutige Ausdrücke sind so rücksichtslos demaskierend wie der Ausdruck „Arbeitnehmer“. Er stammt natürlich von den Arbeitgebern. Und da Geben seliger ist denn Nehmen, fällt auf den dem Ausdruck „Arbeitnehmer“ entsprechenden Ausdruck „Arbeitgeber“ sogar ein gewisser religiöser Schimmer. In meiner Jugend gab es nur Arbeiter. Die wussten, was sie gaben, wie sie sich ausgaben und was ihnen genommen wurde. Und der Schlachtruf „Arbeitnehmer aller Länder, vereinigt euch!“ wäre ungehört verhallt. Auch die Arbeiter hatten natürlich ans „Nehmen“ gedacht, d.h. sie waren darauf bedacht, soviel Lohn zu kriegen wie möglich; und die sozialistischen unter ihnen auch darauf, sich die Produktionsmittel zu nehmen. Aber auf den Gedanken, sich die Arbeit, die sie ja (sofern sie nicht arbeitslos waren) ohnehin hatten, bzw. die sie hatte, zu nehmen, auf den Gedanken wäre natürlich keiner gekommen.

Heute dagegen empfinden viele ihre neue Firmierung, die ja durch die falsche Bezeichnung dessen, was es zu nehmen gilt, den totalen Verzicht auf das ehemalige Ziel besiegelt, als ehrenvoll. Offenbar haben sie auf Grund der neuen Etikette das stolze Gefühl, sich wirklich etwas genommen zu haben und wirklich einen Gipfel erstiegen zu haben: nämlich den Gipfel der Sozialpartnerschaft. Dass es sich dabei um einen kümmerlichen Gipfel des Godesberges handelt und nicht um den Gipfel, den ihre Großväter vor hundert Jahren im Auge gehabt hatten, das spüren sie nicht nur nicht, das wollen sie auch nicht spüren.

Aus: Günther Anders, Eskalation des Verbrechens. Aus einem ABC der amerikanischen Aggression gegen Vietnam, (Union Verlag) Berlin 1971, S. 84-85. Mit freundlicher Genehmigung von Gerhard Oberschlick.

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