MOZ, Nummer 40
April
1989

Die neuen Patrioten

Zwei Beiträge zu einer Falter-Serie von Armin Thurnher, R. Knoll, Michael Scharang (in Nr. 8/24.2.89) über die „österreichische Identität“.

„Man kann ruhig darüber reden“, meinte Armin Thurnher vor einiger Zeit im „Falter“. Über die „Österreichische Identität“ nämlich, nur, so fragte besorgt ebenselbiger in ebenselbigem Blatt: kann man das auch ‚nüchtern‘“? Anwort: ja. Aber betrunken ist schöner. Im speziellen Fall: vaterlandstrunken.

Es gibt ja viele Dinge, über die man ruhig reden kann. Wer nicht mehr schreien kann, darf immerhin noch ruhig reden, später können wir dann ja über viele Dinge ruhig schweigen — so entsteht sie, die „österreichische Identität“. Es gibt natürlich auch vieles, worüber man ruhig schreiben kann. Das beweist uns der „Falter“ ja Woche für Woche. Warum also nicht einmal: Die österreichische Identität? Und es wäre natürlich unnötig, auf Thurnhers Ausführungen auch nur irgendwie einzugehen, wären sie nicht derart typisch für jenes „republikanische“ Politikverständnis, das sich — spätestens seit der kurzsichtigen Anti-Waldheim-Bewegung — in den Hirnen diverser Intellektueller derart schlagartig breitgemacht hat, daß der Verdacht nahe liegt, auf diese unerträglichen Seichtigkeiten hätten sie schon seit 68 sehnsüchtig gewartet. Den Anfang machte Josef Haslinger, dessen vielgerühmtes Buch „Politik der Gefühle“ zweierlei unmißverständlich klargemacht hat: 1. daß der Autor des Lesens mächtig ist und von Marcuse abschreiben kann, und 2. daß ein großartiger Erzähler nicht zwangsläufig ein großartiger politischer Essayist sein muß. Danach wurde es Mode, „an Österreich zu leiden“, über Österreich zu reden (ruhig, versteht sich), und Ali Gronners „Grüne Perspektive“ gipfelte schließlich im Bekenntnis zum neuen Patriotismus. Und wem das alles noch nicht schwachsinnig genug war, der/die konnte nun mit Interesse die Neuauflage dieser Diskussion im „Falter“ miterleiden. Weil: man kann ruhig darüber reden ...

Er hätte nicht vor, beruhigt Thurnher seine Klientel gleich zu Beginn seines Beitrags, „Identität zu definieren, und schon gar nicht die österreichische“. Wohl aber wolle er begründen, „warum man nach ihr fragen sollte“. Was er, um es gleich vorweg zu nehmen, sechs Spalten lang tunlichst vermeidet. Statt dessen entlarvt Thurnher — eine der routinierten Ein-Mann-Speditionsfirmen, die hierzulande mit dem Transport von Eulen nach Athen betraut sind — den Haider-Jörgl ebenso wie die Sportberichterstatter und die heimischen Fernseh-Unterhaltungs-Unwesen Rapp, Tolar samt Volksmusikanten als seines (unseres) heeren Vaterlandes unwürdigste Vertreter. Wer, so fragt der geplagte Neu-Österreicher, sei denn zuständig für das Reden über Österreich, außer Krynedl und Bergmann, Waldheim, Schulmeister und Dichand?

Worin denn nun eigentlich der Sinn liegen soll, ausgerechnet hier und heute über diese ominöse österreichische Identität nachzudenken, verschweigt Thurnher, er liefert nur einen „Anlaß mehr“ dafür: den „Aufstieg des Jörg Haider“; um zwei Spalten später festzustellen, daß diese Debatte „ausnahmsweise nicht von der rechten Seite angezettelt wird“. Merkwürdig: Jene Diskussion also, die mit den Rechten nichts zu tun hat und mit Haider dafür umso mehr, soll geführt werden, ohne daß jener, der sie anzetteln will, auch nur den Versuch macht, ihr Thema zu definieren. Das ist republikanische Logik.

Also, alles der Reihe nach: was Amin Thurnher seinen Lesern so mutwillig vorenthält, soll hier — in knapper lexikalischer Form — nachgetragen werden:

  1. Identität: „Das-selbe-Sein; das Sich-gleich-Bleiben im Wechsel der Zustände“ (Kienle, Fremdwörter-Lexikon).
  2. Nationale Identität: „Ohne Abgrenzung gegen Andere läßt sich eine ‚nationale Identität‘ nach bisherigen Erfahrungen nur schlecht herausbilden, hat sie vermutlich auch keine Funktion. Diese Abgrenzung besteht in einem Gemisch aus Überlegenheitsgefühl und Angst vor Bedrohung, letztlich in einem Willen zum Beherrschen von Menschen und Räumen“ (Dieter Schellong in „Die neue deutsche Ideologie“, Hervorhebung im Original).

Ähnliches dürfte auch Michael Scharang meinen, der in seinem Aufsatz „Das Wunder Österreich“ schreibt: „Wozu brauche ich noch eine österreichische Identität? Um bei einem neuen österreichischen Nationalismus mitzumachen, der einerseits masochistisch unter dem deutschen Druck stöhnt, andererseits davon träumt, diesen Druck weitergeben zu können an Jugoslawien, Ungarn, an die Tschechoslowakei?“

So etwas kann unserm Progressiv-Patrioten Thurnher nun gar nicht ins vaterländische Konzept passen, schwärmt er doch von einem „anderen Konzept“ einer österreichischen Identität, „frei von Hegemoniebestrebungen gegenüber Volksgruppen und Minderheiten, gegenüber möglichen Partnern“, von „Österreichs Kleinheit als Größe, als Modellversuch mit Vorbildcharakter, die berühmte ‚österreichische Schwäche‘ als eigentliche Stärke ...“ Das alle hat den großen Vorteil, sehr gut zu klingen; ein Vorteil, der nur durch den winzig-kleinen Nachteil relativiert wird, daß es nun wirklich nichts heißt. Oder: Alles. Und das ist ja zumeist ziemlich das Gleiche.

Denn gerade dieses „Sich-gleich-Bleiben im Wechsel der Zustände“ (siehe oben) bedingt ja jene österreichische Identität, die „frei von Hegemoniebestrebungen“ gar nicht möglich wäre, weil sie „ohne Abgrenzung gegen andere ... keine Funktion“ hätte. Und die „Kleinheit Österreichs als Größe“ bestand zum Beispiel darin, daß dieses Land — gemessen an seiner Einwohnerzahl — die meisten Nazischergen gestellt hat. Wahrlich ein Ruhmesblatt, ein „Modellversuch mit Vorbilcharakter“, haben doch erst die Wiener Gestapo-Verbrecher den laxen Berlinern gezeigt, wie man mit Juden umzuspringen hat!

Aber all das scheint Thurnher nicht erinnerlich zu sein, und so macht er aus seiner Vergeßlichkeit gleich „unsere“: „Nicht zuletzt unserer Neigung zur Vergeßlichkeit verdanken wir ja den Wahlsieg und die amtliche Verweildauer des jetzigen Bundespräsidenten.“ Abgesehen davon, daß wir das alles etwa meiner Vergeßlichkeit keineswegs verdanken (da möchte ich doch schön bitten, Herr Thurnher!) und daß die „amtliche Verweildauer“ von keinerlei Neigung, sondern von der relativen politischen Schwäche der Waldheim-Gegner abhängt, ist die ganze Überlegung grundfalsch: nicht die Vergeßlichkeit, sondern eine ganz spezifische Art des Erinnerns hat Waldheim ermöglicht. Was hätte Appellieren an antisemitische Emotionen, was hätte die „Jetzterst-recht!“-Propaganda des Wahlkampfes denn für einen Sinn ergeben, wenn nicht gerade den, die Erinnerung zu mobilisieren? Daß sich so viele bereit fanden, den kleinen Mitläufer freizusprechen, lag doch gerade darin begründet, daß er durch seine Kandidatur so viele Mitläufer freisprach. Der „Hang zur Vergeßlichkeit“ hätte Waldheim kaum Stimmen eingebracht. Die Beschimpfung der „ehrlosen Gesellen“, die Wiedereinführung des Begriffs „Weltjudentum“ (im Original ohne Anführungszeichen) in der „seriösen“ Presse, der taktische Einsatz der Farbe Gelb, das alles konnte doch nur deshalb auf fruchtbaren Boden fallen, weil es an tatsächlich Erlebtes und noch nicht Vergessenes anknüpfte.

Aber so ist das nun einmal mit der österreichischen Identität: einer für alle, alle für einen! Da wird das mühselige Verdrängen von Denen zu „unsere Vergeßlichkeit“, und schlußendlich, so enthüllt uns Thurnher, der damit endgültig ins bürgerliche Uferwasser abdriftet, sind „wir“ auch noch der Staat; „... sind wir nicht auch der Staat, der demokratisch gegen Atomkraft entschieden hat?“ Demnach sind wir auch der Staat, der Demonstranten von bewaffneten Polizisten niederprügeln läßt, demnach rüsten auch wir unser Heer auf und demnach bauen auch wir Arbeitsplätze und soziale Rechte in jenen Betrieben ab, die zum Teil sogar einmal uns, also dem Staat, gehört haben. Aber vielleicht kann mensch sich’s ja aussuchen, wann mensch der Staat sein will und wann nicht. Ich zum Beispiel ziehe es entschieden vor, das möglichst gar nicht zu sein.

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