FORVM, No. 253/254
Januar
1975

Die Profitspirale

Ein marxistisches Modell zur Erklärung der Inflation

Warum steigen die Preise seit dem Zweiten Weltkrieg nahezu ununterbrochen an? Warum klettern sie seit 1970 beschleunigt? Wie kommt es, daß selbst bei rückläufigem Absatz die Preise angehoben werden können, daß also wirtschaftliche Stagnation mit Inflation zusammenfällt („Stagflation“), wo es doch in jedem Lehrbuch andersrum steht?

Wie hoch können wir stapeln?

Hier soll die Inflation aus dem Zusammenwirken von

  • Konzentration des Kapitals [1] mit
  • tendenzieller Überakkumulation in der
  • kunjunkturellen Bewegung bei
  • staatlicher Krisenbekämpfung

erklärt werden. Diese Veränderungen in der Struktur des kapitalistischen Systems bilden den inflationären Primärzusammenhang, auf dem eine Vielfalt abgeleiteter, sekundärer Inflationsmomente wuchern.

In diesen Aufbau der Inflationserklärung geht die methodische Überzeugung ein, daß das Profitkalkül nach wie vor dasjenige Moment darstellt, welches Aufbau und Prozeß auch der heutigen nicht-sozialistischen Gesellschaft bestimmt. Aus dieser Prämisse (genauer: aus deren historischer Veränderung) — Ausdruck all dessen, was Vergangenheit und Gegenwart dieser Gesellschaft ausmacht — muß auch die Inflation erklärt werden können.

So sicher dieser methodische Ausgangspunkt ist — er garantiert uns nicht, daß wir zur richtigen Inflationserklärung gelangen. Auch dem marxistischen Ansatz bleibt der lange und dornenreiche Weg zu einigermaßen haltbaren Ansätzen nicht erspart. Bei allen im folgenden dargelegten logischen Kombinationen, die aus dem Profitkalkül in seiner heutigen Form gefolgert werden, sind wir nicht gegen den Irrtum gefeit, eine wichtige Kombination übersehen zu haben. Alle empirischen Belege, mit denen wir die dargelegte Theorie zu untermauern versuchen, könnten sich auf diesem Hintergrund als zweitrangig oder einseitig erweisen.

Diese prinzipielle Offenheit gegenüber Revision umd Modifikation der Theorie bedeutet aber keine Unverbindlichkeit in der politischen Strategie. Zweifel und proletarisches Handeln schließen einander nicht aus.

1 Inflation aus Kapitalskonzentration

Mit der Konzentration des Kapitals wächst dessen Macht. Der gewerkschaftliche Kampf wird ebenso ausgehöhlt wie die Möglichkeit, über den Staat gesellschaftliche Schutzbedürfnisse durchzusetzen. [2] Eine weitere Folge ist die Zunahme an Marktmacht, also die Fähigkeit, unabhängig von Nachfrageentwicklungen Preise zu setzen: auch bei sinkendem Absatz können die Preise hochgetrieben werden — sofern nur der Profit insgesamt steigt. Freilich ist dies nicht erst eine Erscheinung, die nach 1945 einsetzte, die Unterschiede sind also nur gradueller Art. Es kommt zeitweise sogar zu Rückbildungen von Marktmacht. Z.B. wenn nahezu monopolisierte nationale Märkte nach außen, gegenüber anderen nationalen Märkten, geöffnet werden: der so entstandene Weltmarkt weist mehr Produzenten auf als der nationale Markt zuvor. Freilich, daraus ergibt sich — nach einiger Zeit — bloß eine Konzentration und damit Marktmachtbildung auf höherer, eben auf Weltmarktebene.

Eine Untersuchung über die USA 1947-1952 ergab für die konzentrierten Märkte eine fast doppelt so starke Preissteigerung als auf den weniger konzentrierten Märkten. [3] Im Zuge der fünfziger Jahre fielen Zollgrenzen und etliche Hürden gegen internationale Kapitalströme. Die in fast allen Ländern starke Inflation der unmittelbaren Nachkriegsjahre — Höhepunkt: Korea-Krieg 1951 — flaute ab. Sie nahm einen vorübergehenden Aufschwung von der Wende der fünfziger zu den sechziger Jahren, um dann im Verlauf der sechziger Jahre Zug um Zug anzusteigen. Im Gegensatz zur nachlassenden Inflationsrate der fünfziger Jahre nahm die Konzentration des Kapitals selbst zu.

Infolge der Offnung der Märkte stieg aber die Marktmacht nicht mit, zumindest nicht im gleichen Ausmaß. Ebenso bedeutsam ist, daß die allgemeine Expansion sehr hohe Kostenvorteile brachte: auch bei wenig steigenden Preisen stiegen die Gewinne in „angemessener“ Weise. Aber zugleich müssen wir festhalten: Bei allgemein niedrigerer Inflation nahm dort, wo die Marktmacht erhalten bzw. gesteigert worden war, der Abstand der Preiserhöhungen der monopolisierten Märkte gegenüber den nichtmonopolisierten zu. [3] Das bedeutet: der Zusammenhang Konzentration des Kapitals/Inflation ist vorhanden, aber er ist kein mechanischer. Um ihn genau zu fassen, müssen noch andere Entwicklungen einbezogen werden.

Zunächst jedoch: wie kommt es überhaupt bei größerer Marktmacht zu einer inflationären Tendenz? Denn nur in den wenigsten Märkten ist die Konzentration bis zum Monopol (= es gibt nur noch einen Anbieter) vorangeschritten. Auf den meisten Märkten beobachten wir mehrere große Anbieter (neben einem Schwanz kleiner, unbedeutender Firmen).

Baran und Sweezy haben die inflationäre Konsequenz dieser Konzentrationsstufe (die der Oligopole = einige wenige Anbieter) eindrücklich beschrieben: [4] Die jeweilige Kapitalkraft ist groß genug, daß keiner der Oligopolisten in der Lage ist, einen anderen oder gar alle anderen mittels einer rigorosen Preisunterbietung (= ruinöse Konkurrenz) zu schlucken. Auch sind diese Unternehmen allesamt technisch auf relativ gleicher Höhe (größere Transparenz), so daß auch die Chancen größerer, über längere Zeiträume gehaltener Extraprofite kleiner geworden sind. Tatsächlich sind heute große Preiskämpfe eine seltene Ausnahme, „beklagenswerten Unfällen“ gleich. [5]

Aber auch kleinere Preissenkungen, um die Schar der eigenen Kunden auf Kosten der Konkurrenz anzulocken, scheinen wenig profitversprechend zu sein. Denn die anderen Oligopolisten werden mit eigenen Preissenkungen nachziehen, so daß der Anreiz der Kundenabwanderung hinfällig wird. Zugleich entsteht aber für alle Oligopolisten ein Profitverlust, indem sie nun einen geringeren Stückgewinn haben — bei kaum steigendem Absatz. [6] Stillschweigend unterbleiben daher solche „Dummheiten“, bzw. Preiserhöhungen eines Großen werden brav von den übrigen Großen befolgt. Weder bedarf es dazu einer formellen Absprache noch braucht die Intervention des Kartellamtes wegen „ungerechtfertigt hoher Preisspannen“ befürchtet werden; dazu gibt es schließlich genug Finessen aus 50 Jahren Erfahrung mit Kartellämtern.

Solche Reih-um-Preiserhöhungen erleben wir täglich. Besonders eindrücklich waren die jüngsten Preiskampagnen der Automobilhersteller. Denn bekanntermaßen ging der Autoabsatz zurück, weil die Autohaltung insgesamt zu teuer geworden war. [7] Somit wäre der Gesamtabsatz gestiegen (bzw. weniger gesunken), wenn die Preiserhöhungen unterblieben wären. Aber offensichtlich entsprach eine solche — ja auch Arbeitsplätze erhaltende — Preispolitik nicht den Interessen der großen Autokonzerne. Höherer Stückgewinn brachte anscheinend eine größere Profitmasse als kleinerer Stückgewinn bei größerem Absatz. Es gibt kaum eine (vor allem Konsumgüter-)Branche, wo nicht ähnliches profitmaximierendes Preisverhalten zu beobachten wäre.

Daß also die Konzentration im Durchschnitt weit genug gediehen ist, um solches gemeinschaftliches Preisverhalten zu ermöglichen, ist kaum zu bestreiten. So zeigen die 100 größten Aktiengesellschaften der BRD eine deutlich „bessere“ Profitentwicklung als der Durchschnitt der AGs. [8] Das gleiche kann von der überdurchschnittlich konzentrierten Chemie gesagt werden: ihre Profitrate liegt in der ganzen Geschichte der BRD eindeutig über dem Durchschnitt der anderen Branchen. [9]

Können wir also guten Gewissens von einer nicht nur theoretisch naheliegenden, dem Profitkalkül entspringenden, sondern auch empirisch bestätigten inflationären Tendenz der Konzentration des Kapitals sprechen, so ist dennoch eine Einschränkung zu machen: die Konzentration reicht noch keineswegs aus, um die betreffenden Kapitale von den Nachfrage- und Angebotsverhältnissen zu „emanzipieren“. Gerade die Profitentwicklung der Großchemie (BASF, Bayer, Hoechst) zeigt dies eindeutig. Nicht nur, daß die Ausdehnung der Profitmasse in Schwankungen erfolgte, die dem konjunkturellen Zyklus entsprechen (die hochkonzentrierten Chemiekapitale konnten also keine Preispolitik unabhängig von den konjunkturellen Nachfrageverhältnissen betreiben), sondern wir stellen darüber hinaus 1970/71 einen handfesten Profiteinbruch fest: damals hatte sich die Chemie weltweit in eine Überproduktion hineingewirtschaftet, so daß z.B. die anfallenden Lohnerhöhungen nicht oder nur zum geringen Teil auf die Preise geschlagen werden konnten, daß sie vielmehr aus den Profiten zu bezahlen waren. Kommt in der Überproduktion der trotz aller firmeninternen Planung herrschende anarchistische Charakter der Produktion als Ganzes zum Ausdruck, so im „Preisverfall“ die Grenze, die der Marktmacht der konzentrationsmäßig vorangeschrittensten Kapitale gesetzt sind. [10]

Das bedeutet, daß wir, wie schon gesagt, neben der Konzentration zumindest noch den konjunkturellen Verlauf einbeziehen müssen, um die konkret aus der Konzentration folgende Inflation mit den empirisch beobachtbaren Preiserhöhungswellen in Beziehung zu bringen. Bevor wir auf diesen konjunkturellen Aspekt zu sprechen kommen, sollen unabhängig vom konjunkturellen Zyklus bestehende Schwierigkeiten der Kapitale zur Sprache kommen. Diese tun dar, daß die Kapitale nicht nur je nach Konzentration die Preise erhöhen können, sondern daß sie das — entsprechend dem Profitkalkül — müssen.

2 Überakkumulation verstärkt Inflation (geht’s dem Kapital schlecht, steigt das Inflationsfieber)

Die Profitrate zeigt in der BRD seit Mitte der sechziger Jahre starke Schwankungen um einen tiefer liegenden Durchschnitt. [11] Aus dem Tief 1971/72 konnte sie 1973 nicht mehr auf dem alten Niveau stabilisiert werden und liegt 1974 schätzungsweise wieder so tief wie 1971/72. Das BRD-Kapital verwertet sich also nicht mehr so gut wie in den ersten zwei Jahrzehnten nach dem Krieg, es kann nicht mehr so profitabel wie damals eingesetzt werden.

Zugleich steigen die Kapitalmassen, die für Maschinerie und dergleichen aufgewandt werden müssen, um nämlich die weitere Profitabilität zu sichern — selbst auf dem niedrigeren Niveau. Diese Aufwendungen steigen nicht nur absolut — was nicht weiter verwunderlich wäre —, sondern auch relativ, also bezogen auf die Produktion: um den Ausstoß im alten Ausmaß zu steigern, muß ein um so größerer Aufwand an Maschinerie getrieben werden. Soll dieser größere Einsatz an Kapital aus den Profiten finanziert werden, so muß deren Anteil an der Produktion zunehmen. Gerade das war aber in den letzten Jahren nicht möglich. Vielmehr haben sich sowohl die Lohnkosten (einschließlich Lohnsteuer und Sozialabgaben) relativ stark entwickelt als auch Zinsen und Rohstoffkosten. In Anlehnung an Henryk Großmann [1] können wir diese Entwicklung als Tendenz zur „Überakkumulation“ bezeichnen. Eine Einschränkung der Investitionen, also deren Anpassung an die geringer steigende Profitmasse, widerspricht dem Interesse, die Profitabilität für die Zukunft und damit die weitere Konkurrenzposition zu sichern. Investitionsverzicht ist bereits Ausdruck der Krise (was gegenwärtig, 1974, im Durchschnitt tatsächlich der Fall ist — daher die Aufgeregtheit der Presse, der Professoren und Regierungsämter). Solange es nur die Nachfrageverhältnisse irgendwie zulassen, wird das einzelne Kapital versuchen, die Profitmasse über Preiserhöhungen individuell auszudehnen. Aus der tendenziellen Überakkumulation folgt ein weiteres inflationäres Moment. Das ist aber dann ein vergeblicher Versuch, wenn alle anderen Kapitale ebenso die Preise erhöhen und wenn auch die Arbeiterschaft einen Reallohnabbau abwehrt und der Staat [13] seine Einschränkung (hohe Preise für staatliche Käufe) durch Geldschöpfung ausgleicht (das war die Situation in der BRD [14] seit 1970 bis Mitte 1973). Denn Preisveränderungen können ja nur die Verteilung der vorhandenen Wertmasse berühren, nicht das Volumen dieser Masse selbst. Dies entmutigt das einzelne Kapital aber keineswegs, weitere Preiserhöhungen vorzunehmen — wodurch sich die Inflation beschleunigt.

Es ist klar, daß diese aus den Verwertungsschwierigkeiten herrührende Inflation allgemein nur so lange betrieben werden kann, solange die Nachfrageverhältnisse gut sind. Und es ist ebenso klar, daß sich die konzentrierteren Kapitale über die Preise gütlicher bedienen als die weniger konzentrierten Kapitale. Letztere werden bei verschlechterten Nachfrageverhältnissen früher ausfallen, erstere werden auch dann weiter inflationär wirken (darin stecken, wie wir sehen werden, Krisenmomente).

Diese Tendenz zur Überakkumulation liefert den Schlüssel zur größten Einzelpreissteigerung der Nachkriegszeit, der sogenannten „Öl-Krise“. Charles Levinson hat schon 1971 auf den enormen Kapitalbedarf hingewiesen, den die Öl-Kapitale zu Aufrechterhaltung und Ausbau ihrer Konkurrenzposition für die siebziger Jahre beanspruchen. [15] Im Gegensatz dazu entwickelte sich die Profitsituation der Öl-Konzerne Anfang der Siebziger eher ungünstig. Durch den starken Ausbau der Jahre zuvor (besonders im Raffineriebereich) waren Überkapazitäten entstanden. Produktionsdrosselung war kostspielig, da dadurch die Kosten pro Tonne steil anstiegen; der Verkauf an die „preisverderbenden“ freien Tankstellen und unabhängigen Heizölhändler war also nicht zu umgehen. D.h. die Akkumulation der Vergangenheit — Überproduktion, „heruntergewirtschaftete“ Preise — stand der notwendigen Akkumulation für die Zukunft — hohe Investitionen, finanziert aus hohen Gewinnen über starke Preissteigerungen — im Wege. [2] Zunächst konnte lediglich der Raffinerieausbau gedrosselt werden. Das war die Situation 1971/72.

Der verlangsamte Raffinerieausbau trug seine ersten Früchte 1973, noch vor dem vierten Nahostkrieg: über die so entstandenen Knappheiten konnten Preisanhebungen durchgesetzt werden, der Gewinn lag bei den US-Mineralölgesellschaften im dritten Quartal 1973 bereits um die Hälfte über dem Vorjahreswert. [17] Der Nahostkrieg erlaubte dann eine „großzügige“ Ausdehnung und Absicherung über die Preise, so daß die Konzerngewinne gleich um etliche 100 Prozent gesteigert werden konnten. [18]

Postwendend wurden die besagten Investitionen in Angriff genommen. Der Run auf neue Ölquellen (Nordsee, Agäis, Ölschiefer, Ölsande, Alaskaöl) war profitmäßig ebenso gesichert wie der Einstieg ins Atomenergiegeschäft. [19] Von neuen Tankerflotten ganz zu schweigen.

Andere Branchen, wie Chemie, Stahl, Papier, Asbest, standen den Öl-Kapitalen nicht sehr viel nach. Im Unterschied zum Öl mußte hier kein Tribut an einen dem OPEC-Kartell ähnlichen Länderverband bezahlt werden. Profit- und investitionsmäßig sind dagegen die Parallelen unübersehbar. [20]

Sieht man also von den Preiserhöhungen ab, die den ölproduzierenden Ländern zugute kommen, so enthüllen die Vorgänge in den oben genannten Branchen, welches inflationäre Pulver die Mischung aus Konzentration und steigendem Kapitaleinsatz darstellt. Doch muß realistisch darauf hingewiesen werden, daß weder der Chemie noch dem Stahlbereich ohne die besonders günstigen Nachfrageverhältnisse 1973/74 (die z.T. mit der Öl-Preis-Krise zusammenhängen) die besagten inflationären Fischzüge möglich gewesen wären; und daß es bei den Öl-Konzernen jahrelanger Vorbereitungen (Ausbau-Drosselung) ebenso bedurfte wie eines günstigen Anlasses (Nahost-Krieg). [21]

Öl, Stahl, Chemie, Papier weisen von vornherein auf den internationalen, nicht auf die BRD beschränkten Charakter dieser Situation hin. Steigender Kapitaleinsatz findet in der BRD im Durchschnitt der ganzen Industrie statt. Ob dies auch im Ausland der Fall ist, wissen wir nicht, halten es aber für sehr wahrscheinlich. Daß der Kapitalstrom in die BRD und der Kapitalexport aus der BRD etwa gleich stark ist, legt jedenfalls ähnlich gelagerte Verwertungsverhältnisse nahe. [22] Die schr viel stärkere Inflation in den anderen Ländern läßt sogar noch stärkere Konzentration und Verwertungsschwierigkeiten vermuten. Bei einigen Ländern wie Italien, England und Japan wissen wir sicher, daß sowohl Konzentration als auch Verwertungsschwierigkeiten höher sind. [23] Freilich wäre es zu kurz gegriffen, damit das volle Ausmaß der inflationären Unterschiede erklären zu wollen. Das Verhalten des Staates, das nicht zuletzt von der Schärfe der Klassenkonflikte geprägt ist, hat hier ebenso einen Einfluß wie die unterschiedliche Militanz der arbeitenden Bevölkerung (sowohl Lohnabhängige als auch Bauern). Schließlich spielt auch die jeweilige Position in der internationalen Konjunkturbewegung eine Rolle.

3 Konjunktur als Verstärker und Ventil

Seit jeher stieg in der Hochkonjunktur nicht nur die Produktion, sondern auch das Preisniveau. Dies stellen wir bei den vielen Zyklen des letzten Jahrhunderts ebenso fest wie bei den wenigen der Zwischenkriegszeit. Allerdings folgte diesen konjunkturellen Preisschüben ein Preisfall im Abschwung und in der Phase der eigentlichen Krise. Die Ursache dieser konjunkturell beschränkten Inflation liegt in der beschleunigten Akkumulation (Investitionstätigkeit), die in Zeiten zunehmender Nachfrage einsetzt und die schnell über die ebenfalls zunehmende Produktion hinausschießt. Die Krisendisziplinierung der Arbeiterklasse (sprich Profitexplosion im Aufschwung) ist hier ebenso von Bedeutung wie die Kreditausdehnung im Boom.

Die Frage, warum bei den heutigen Abschwüngen der Preisfall ausbleibt, heben wir uns für später auf. Die Krisendisziplinierung der Arbeiter funktioniert auch heute noch, wenn auch (in den kapitalistischen Ländern) eingeschränkt, und wenn auch mehr ideologisch als durch Massenarbeitslosigkeit, verglichen zu früher. Und die Kreditausdehnung läuft eher besser als damals. Daraus folgt, daß das konjunkturell inflationäre Moment auch den heutigen Boom-Situationen eigen sein muß. Mit fortschreitender Entwicklung, sprich zunehmender Kapitalkonzentration, nimmt das inflationäre Ausmaß der Boomphase zu. Mit anderen Worten: die Hochkonjunktur setzt die neuen Momente des auf der Kapitalkonzentration beruhenden Preisauftriebs frei, die Konzentration enthüllt im Boom voll ihre inflationäre Seite. In den letzten Zyklen kommt hinzu noch die Tendenz zur Überakkumulation.

Je mehr Kapitale in den Konjunkturaufschwung hineingezogen werden, um so stärker eilt die Nachfrage der Produktion voraus. Das bedeutet, daß ein weltweiter Boom höhere Inflationsraten zeitigen muß als ein nationaler. Ein solch globaler Boom liegt nun gerade hinter uns — im Gegensatz zu den sechziger Jahren, als die nationalen Konjunkturen asynchron verliefen. [24] Gegen Ende der sechziger Jahre mündeten die Zyklen Westeuropas in eine einzige Wellenbewegung, die 1971 in einen flachen Abschwung ausklang. Dabei fiel der westeuropäische Abschwung mit dem seit 1969 anhaltendenden Konjunkturtal der USA zusammen.

Die gemeinsame Abschwung- bzw. Rezessionsphase 1971/72 bildete den Ausgangspunkt für den globalen Aufschwung Ende 1972 und den Boom 1973. Allein aus konjunktureellen Gründen mußten sich so 1973 Knappheiten und damit Preiserhöhungsspielräume herausbilden, wie sie während zweier Jahrzehnte nicht mehr in diesem globalen Ausmaß existierten. Hinzu kamen die inflationären „Fortschritte“ eines Vierteljahrhunderts Kapitalkonzentration und die Überakkumulation.

Diese dreifache Knappheit bildete nun ihrerseits das Fundament einer langanhaltenden Spekulationswelle. Sie erfaßte nahezu die gesamte Palette des Warenangebotes mit Ausnahme derjenigen Waren, bei denen sich schon frühzeitig Überproduktion (Textilien) ankündigte, oder die, ihrer gebrauchswertmäßigen Beschaffenheit nach, dazu nicht taugten (z.B. Maschinen): angefangen vom Wein, über Leder, Wolle, Kautschuk, über fast sämtliche Metalle bis hin zu Zucker, Getreide und Futtermitteln. Die Rohstoffpreise im Zentrum des Spekulationswirbels lagen 1973 um die Hälfte über dem Durchschnitt von 1972. [25]

Da eine Spekulation immer nur auf reale Knappheiten hin gerichtet sein kann, der Konjunkturumschlag 1974 aber bei den meisten Waren zu reichlichem Angebot von der Produktion her führte (weniger Rohstoffe bei gedrosselter Produktion), mußte auch die Spekulation à la Hausse (auf Preissteigerungen ausgerichtet) zusammenbrechen. Tätsächlich sind die Rohstoffpreise vom Juli bis zum September 1974 um sechs Prozent gefallen (Dollar-Preise). [26] Bei einzelnen Waren wird nun sogar auf Baisse spekuliert, woraus sich ein überdurchschnittlicher Preisfall ergibt. So rutschten die Baumwollpreise von Juli bis September um 43 Prozent, Kupfer um 40 Prozent, Kautschuk um 25 Prozent. [26] Diese Wellenbewegung zeigt den eigenständigen Beitrag der Spekulation zur Inflation 1973/74: bis zur Jahresmitte 1974 verstärkte sie die Inflation, seitdem wirkte sie dämpfend.

Aus den vorangegangenen drei Thesen über die Wirkung von Konzentration, Überakkumulation und Konjunktur gingen eindeutig inflationäre Tendenzen hervor, die in veränderten Bedingungen der Profitwirtschaft ihre Wurzel haben. Unbeachtet ließen wir bisher die Krisenmomente, die sowohl mit der Konzentration als auch mit der tendenziellen Überakkumulation verbunden sind. So wurde z.B. die Krise, die derzeit die Textilindustrie weltweit erfaßt hat, durch jene Preiserhöhungen für synthetische Fasern verschärft, mit denen sich die großen Chemie-Kapitale u.a. gesundzustoßen wußten. Oder: die Treibstoffteuerung hat sowohl die Autoindustrie als auch die Fluggesellschaften in die roten Zahlen gestürzt. Die Autoindustrie konnte nicht in vollem Ausmaß überwälzen, weil das die Massenkaufkraft nicht erlaubte, die Fluggesellschaften mußten den teuren Sprit mit den Profiten bezahlen, weil die Jumbo-Umrüstung zu einem sprunghaften Anstieg der Flugkapazitäten geführt hatte (die alten Maschinen wurden an die Chartergesellschaften abgestoßen, welche nun — wie seinerzeit die „freien Tankstellen“ — die „Preise verdarben“; inzwischen findet auf breiter Front „Bereinigung“ statt [27]).

An diesen Beispielen enthüllt sich die Krisenpotenz, die mit einseitigen Preiserhöhungen verbunden ist; was die Verwertung des einen Kapitals verbessert, muß an anderer Stelle krisenhaft wirken, denn Preismanipulationen erhöhen nun einmal nicht den gesellschaftlichen Reichtum. Solche Krisentendenzen müßten aber letztlich auf Preisfall hinwirken. Ebenso müßte dem Preisauftrieb in der Hochkonjunktur ein Preisabtrieb im Abschwung bzw. in der Krise entsprechen. Mit anderen Worten: die bisherigen Inflationsursachen können eigentlich nur eine zeitlich beschränkte Inflation erklären. Bei der Inflation seit dem Zweiten Weltkrieg handelt es sich aber um eine permanente. Also muß gezeigt werden, welcher Mechanismus auf Verstetigung der Inflation hinwirkte.

4 Der Staat als Inflationär: Das Geheimnis der „inneren Reformen“

Rückblickend auf die Jahre seit 1950 stellen wir fest, daß der Staat seinen Anteil an der Produktion insgesamt nicht bzw. nur unwesentlich verändert hat. [28] Es ist daher falsch, die Inflation von 1945 bis heute hauptsächlich als Ergebnis staatlichen Nachfragedrucks, finanziert etwa über Geldschöpfung, zu begreifen. Mit anderen Worten: die Suche nach der Inflationserklärung beim Staat ist, was den Trend, also den überkonjunkturellen Verlauf angeht, wenig erfolgreich.

Fündig werden wir dann, wenn wir das Verhalten des Staates im Konjunkturellen Zyklus selbst betrachten. Hier zeigt sich, daß in der Regel der Staatsanteil am Ende der Hochkonjunktur und im Abschwung gewachsen ist, während er in der Krise [29] oder im Aufschwung abnimmt. Das heißt aber, die Staatsausgaben sind im Durchschnitt immer dann gewachsen, wenn die konjunkturell rückläufige Nachfrage der Kapitale drauf und dran war, in die Krise zu steuern. Unter Einbeziehung von Konzentration und tendenzieller Überakkumulation bedeutet dies, daß die Staatsausgaben nicht nur die Fortdauer jener inflationären Tendenzen ermöglichte, die konjunkturellen Kanappheiten entsprang, sondern auch jene, die mit der Konzentration und der Überakkumulation zusammenhängen.

Eine solche Funktion hatte — gewollt oder ungewollt — in der BRD die Politik der „Inneren Reformen“, die 1970 ausgabenwirksam einsetzte und die Nachfrageverhältnisse der Jahre 1971/72 prägte. [30] Zum einen vermehrte der Staat die Zahl seiner Bediensteten (mehr Schulen usw.), zum anderen erhöhte er seine Investitionen, vor allem die von Bauten. Diese Ausgabenpolitik wurde durch eine elastische Geldversorgung von der Bundesbank ergänzt, wenngleich dabei die außenwirtschaftlichen Vorgänge (Währungskrisen) zu berücksichtigen sind.

In anderen Ländern, z.B. in den USA, stellen wir ähnliches Verhalten der staatlichen Instanzen fest. [31] Historisch wurzelte diese Ausgabenpolitik in dem Bemühen, eine Wiederholung der Ereignisse nach 1929 von vornherein zu unterbinden. Es konnte dabei lange Zeit nicht eingesehen werden, in wie starkem Ausmaß eine solche stabilisierende Politik von relativer Preiskonkurrenz einerseits und relativ guter Profitabilität andererseits abhing. Je mehr nun die Kapitalkonzentration zunahm, je mehr sie nach der Periode der Weltmarktöffnung neue Marktmacht auf höherer Stufe entstehen ließ und je mehr dann Momente der Überakkumulation hinzutraten, um so stärker wandelte sich der Charakter der Staatsinterventionen. Die Stabilisierung der Beschäftigung war so zunehmend an die Erhaltung relativ hoher Inflationsraten gebunden. Der Staat wurde mehr und mehr zum Vollstrecker der inflationären Konsequenzen der Konzentrationsvorgänge und Überakkumulationstendenzen beim Kapital.

Als 1973 die BRD ihren traditionellen Rang am Ende des internationalen Inflationsgeleitzuges zu verlieren schien und als damit eine der Exportstützen auf mittlere Sicht dramatisch zusammenzubrechen drohte, als somit auch die Fortsetzung der expansiven Staatsausgaben Krisenmomente reifen ließ, stellte sich für den BRD-Staatsinterventionismus nicht mehr die Alternative „Expansive Staatsausgaben“ (und dadurch Beschäftigungsstabilisierung bei etwas Inflation) versus Krise. Nunmehr drohte beides zur Krise zu führen — sowohl Beibehaltung der expansiven Staatsausgaben (= massive Inflation = Exportverlust = Krisenverstärkung) als auch Nicht-Beibehaltung der expansiven Staatsausgaben (= Kollaps der weniger konzentrierten Branchen bzw. der Branchen mit staatlich verschleierter Überproduktion = gespaltene Konjunktur mit sich ausbreitenden Krisenmomenten).

Als dann von Mai 1973 bis Mitte 1974 eine wohl einmalig scharfe Restriktionspolitik betrieben wurde, zeigten sich sofort die Krisenmomente, welche durch die Inflation bislang verdeckt waren. Die Textilindustrie konnte ihre tendenziell vom Weltmarkt her schwache Position nicht mehr kreditär überbrücken; beim Bau sackte die Spekulation in sich zusammen (welche die stetig sich ausdehnende Staatsnachfrage als Rückgrat braucht); über die Lohnstagnation manifestierte sich die Krise im Automobilbereich, die seit längerem in der Luft lag und die durch Benzinpreiserhöhungen stimuliert wurde.

Diese Zusammenhänge gelten in den anderen kapitalistischen Ländern eher verstärkt. In der Konsequenz bedeutet es, daß der Staatsinterventionismus heute nicht nur von den unvermeidlichen inflationären Schwingungen begleitet ist, sondern daß mit der Konzentration und Überakkumulation die Schwingungen einer kritischen Frequenz nahekommen, bei der das Gesamtsystem zerspringt.

5 Die Inflation verstärkt sich selbst

Infolge einer Preiserhöhung verfügt der Verkäufer über einen größeren Anteil an der gesellschaftlich erarbeiteten Wertmasse. Es findet also ein Werttransfer statt. Nach den vorangegangenen Thesen verläuft der Hauptstrom dieses Transfers hin zum Kapital, vor allem zum konzentrierten, und dabei wieder besonders zu dem, das der Tendenz zur Überakkumulation ausgesetzt ist. Vermittelt über konjunkturell schwankende und bisher staatlich abgesicherte Nachfrageverhältnisse, findet so — bislang unausgesprochen — eine Verarmung der Arbeiterklasse und anderer Teile der Bevölkerung statt, welche nicht über das Privileg von preisbestimmendem Kapitalbesitz verfügen. Im Gegensatz zu früheren Perioden der „Teuerung“ ist jedoch bislang mit der Inflation noch keine Verarmung der besitzlosen Massen in den hochkapitalistischen Ländern verbunden. Im Durchschnitt nahmen sogar die Realeinkommen zu, es kam allenfalls zu vorübergehenden Reallohnstopps, so daß die Zunahme zyklischen Charakter trägt. Im großen und ganzen sank somit auch nicht der Anteil an der Produktion, über den die Massen als Ganzes verfügen. [32] Ob die Reallohneinbußen der US-Arbeiter 1973/74 eine Wende einleiteten, bleibt abzuwarten.

Das bedeutet, daß es den Massen bislang gelungen ist, den Transfer aus ihren Taschen in die Kapitalsäcke zu bremsen und — zeitlich beschränkt — zurückzulenken. Dahinter steht einmal die seit den fünfziger Jahren anhaltende Arbeitskräfteknappheit (eine einmalig lange Phase mit geringer Arbeitslosigkeit in der Geschichte des Kapitalismus!). Zum anderen — das ist für die nicht direkt lohnabhängigen Massen wie Rentner wichtig — trug dazu das enorm gestiegene Bedürfnis nach sozialer Rechtfertigung der bestehenden Ausbeutungsordnung bei. Beides Vorgänge, die die Herrschenden manche Krämpfe kostet.

Das heißt in der Konsequenz ja nichts anderes, als daß der Tendenz zur Extra-Ausbeutung über die Preise eine Grenze gesetzt ist: durch periodisch stattfindende Lohnrunden (in der Flaute fürs Kapital weniger verlustreich als im Boom) und durch „Sozialstaatlichkeit“, vermittelt über Wahlkämpfe.

Freilich handelt es sich dabei nicht um eine endgültige Grenze, sondern um eine relative: Es bedeutet keine Beendigung des aus der Konzentration und Überakkumulation folgenden Preisauftriebs, sondern im Gegenteil seine Erneuerung. Da bisher die Konzentration noch nicht so weit vorangeschritten ist, daß die einzelnen Kapitale eine von den Marktverhältnissen unabhängige Preispolitik betreiben können, heißt das, daß die inflationäre Retourkutsche des Kapitals im nächsten Aufschwung stattfindet. Dies auf höherer Stufe, unter möglichst großer Vorwegnahme der später zu erwartenden erneuten Lohnkämpfe und Sozialansprüche. Arbeitskräfteknappheit, staatsinterventionistische Nachfragepolitik und Sozialstaatlichkeit führen zu einer Verfestigung und Beschleunigung der Inflation: sie steigt von Boom zu Boom.

Bislang vermittelte sich dieser inflationäre Kreislauf — die „Lohn-Preis-Spirale“ — in der Ideologie der Unternehmer konjunkturell. Mittlerweile ist die Selbstbeschleunigung bereits so weit vorangeschritten, daß innerhalb ein und derselben Konjunktur solche Feed-back-Prozesse ablaufen. Hinzu kommt, daß im letzten Boom 1973 erstmals die Rohstoffländer eine Preiserhöhung durchsetzen konnten, um sich der Schädigung durch erneute Weltinflation, zumindest vorübergehend, zu entziehen. Das Inflationskarussell hat also globale Ausmaße angenommen, und es dreht sich immer schneller.

Die öffentliche Diskussion wird von genau den inflationären Momenten beherrscht, die dem Interesse des konzentrierten und der Überakkumulation ausgesetzten Kapitals entgegenstehen. Wenn sich z.B. die Arbeiter und Angestellten der inflationären Benachteiligung mittels Lohnkämpfen widersetzen, weil die Produktionsfortschritte nicht mehr in sinkenden Preisen weitergegeben werden und sie damit bei fehlenden Lohnerhöhungen vom Wachstum ausgeschlossen sind: dann zieht die bürgerliche Presse voll vom Leder. Und wenn gar die Länder der Dritten Welt (auch dort profitiert nicht die Masse) die vorübergehende Rohstoffknappheit zur Entschädigung jahrzehntelangen Beschisses über zu teure Industriewaren nützen — dann rasselt der Westen mit dem Säbel. Oder wenn die Bauern (ausgebaldowert von der Maschinen- und Treibstoffverteuerung, Leidtragende der Düngemittelteuerung, mit der sich die Großchemie gesundstößt) um Ausgleich kämpfen: dann wird von „Gefahr für den Rechtsstaat“ geredet: Es sind dies jedoch allesamt Folgeerscheinungen der eigentlichen inflationären Struktur des heutigen Kapitalismus, nämlich des Zusammenwirkens von Konzentration, Überakkumulation und Staatsintervention!

Eine andere Seite der inflationären Selbstbeschleunigung vollzieht sich über die Flucht in die Sachwerte. Wenn Wertpapier-(z.B. Pfandbrief-)Sparer ihr Geld im Bausektor anlegen, weil sie von der inflationären Verlierer- zur Gewinnseite überwechseln wollen (die Baupreise stiegen 1970-1973 doppelt und dreifach so schnell wie der Index), so treiben sie dadurch die Preise noch mehr in die Höhe. Und wenn mitten in der konjunkturellen Spekulation ein Exodus aus der Börse hinein in den Warenterminmarkt stattfindet, so wird auch dadurch der inflationäre Höhepunkt weiter nach oben geschoben.

Es ist durchaus möglich, daß diese Vielfalt inflationärer Folgeerscheinungen quantitativ für die empirisch beobachtbare Inflation eine größere Bedeutung hat als die inflationäre Kernstruktur Konzentration + tendenzielle Überakkumulation + staatlicher Nachfrageausgleich. Dennoch billigen wir diesen Folgeerscheinungen qualitativ untergeordnete Bedeutung zu. Sie stellen das inflationäre Schwungrad dar, die genannte Kernstruktur bildet den Motor. Diese Rangordnung, die den inflationären Prozeß durchschaubar macht, entspricht dem methodischen Ausgangspunkt: daß heute nach wie vor das Profitkalkül das strukturierende Prinzip ist. Diese Prämisse ist freilich aus der Analyse der Inflation selbst nicht zu gewinnen (dann hätten wir uns in einem Zirkelschluß bewegt!). Sie ist vielmehr die Summe unserer geschichtlichen Erfahrung.

6 Auch ein Diktator Strauß könnte die Krise nicht verhindern

Wie geht es nun weiter? Wird sich die Inflation immer mehr beschleunigen? Wird ihre Kernstruktur die gleiche bleiben?

Die Konzentration des Kapitals wird auch in Zukunft zunehmen, weil dies im Interesse der bestehenden Kapitale ist und weil dem Staat die Machtbasis zur Kontrolle fehlt — selbst den Idealismus irgendwelcher Regierungschefs unterstellt. Ebenso scheint die Tendenz zu wachsendem Kapitaleinsatz zumindest einige Jahre anzuhalten (wenngleich weder theoretisch noch empirisch Anlaß besteht, diese Tendenz für die restliche Zeit des kapitalistischen Systems anzunehmen). Auch der konjunkturelle Gleichschritt wird weiterbestehen, da er ja durch die Konzentration und Multinationalisierung des Kapitals an Bedeutung eher gewinnt. Damit bleibt bis auf weiteres die inflationäre Grundstruktur erhalten — gleichzeitig aber auch die damit verbundenen Krisenmomente.

Wie unter 4 dargelegt, kommt es entscheidend auf den Staat an, welche Seite, ob die inflationäre oder die krisenhafte, sich durchsetzt. Wie wir für die BRD 1973 feststellten, kann es zu Konstellationen kommen, wo sich die Alternative Inflation/Krise nicht mehr stellt, wo die Inflation nur noch ein relativ kurzfristiges Aufschieben der Krise bedeutet. Wie immer sich dieser Punkt weltweit stellt (wir konnten hier die Sackgasse nur für die BRD ausleuchten), es muß mittelfristig von einem Steigen des Staatsanteils ausgegangen werden: viele entscheidende Produktivitätsfortschritte sind in Zukunft an stärkere staatliche Vorleistungen gebunden. Es sei hier nur auf die vielfältigen staatlichen Umweltschutzanlagen verwiesen, die errichtet werden müssen. Oder auf die staatlichen Projekte zur langfristigen Energiesicherung. Auf mittlere Sicht kommt es infolgedessen zu einem Übergewicht der inflationären Momente über die depressiven.

Eine Milderung der inflationären Tendenz kann — unter Beibehaltung der kapitalistischen Ordnung — nur erreicht werden, indem der Einkommensanteil der Lohnabhängigen eingeschränkt wird. Steht dem Kapital ein größerer Anteil zur Akkumulation zur Verfügung, wird die Situation der Überakkumulation tendenziell entschärft. Offen bleibt, ob die notwendige Ausdehnung des staatlichen Sektors dies aufwiegt bzw. ob die der Konzentration entspringende Inflation überkompensierend wirkt. Die Strategie, den Lohn- bzw. den Konsumanteil einzuschränken — seit etlichen Jahren das Credo der bürgerlichen Wissenschaft und Politik —, wirkt sicher antiinflationär (sofern sich’s die Arbeiterklasse gefallen läßt!) — ob dies auch nur entfernt zur Stabilisierung hinreicht, bleibt dahingestellt.

Wenn also der inflationäre Motor kaum gebremst werden kann, so ist es für die staatlichen Instanzen um so wichtiger, das inflationäre Schwungrad möglichst am Wachsen zu hindern, es zu verkleinern oder gar abzumontieren. Es gilt also nicht nur, den Lohn/Konsumanteil zu verkleinern, sondern überhaupt den gesamten Einkommensprozeß einer möglichst rigorosen Einkommenspolitik des Staates zu unterwerfen. Beides, sowohl die Verkleinerung des Konsumanteils als auch die Kontrolle des Einkommensprozesses, setzen einen autoritären Staat voraus, dessen Kaliber irgendwo zwischen Franco und de Gaulle zu bemessen wäre.

Die Alternative zu dieser Quasi-Diktatur wäre die Fortsetzung der Inflation bis hin zur galoppierenden Inflation. Da in einer galoppierenden Inflation die Spekulation ungeheuer anschwillt (man hält Waren zurück, um sie teurer zu verkaufen) und weil dann die Kosten/Gewinn-Verhältnisse für die Unternehmen weitgehend unübersichtlich werden (die Spekulation springt von Ware zu Ware), wird aus Vorsichtsmotiven die Produktion eingeschränkt. Abgesehen von allen politischen Erschütterungen, die mit der galoppierenden Inflation verbunden sind, kommt es also zur Krise, denn Produktionseinschränkung bedeutet nichts anderes. Wie alle vorangegangenen galoppierenden Inflationen zeigen, muß dann ein Schnitt in den Vermögensverhältnissen erfolgen — Entwertung des Geldes und der Forderungen bzw. der Schulden, Neuausgabe einer Währung — was auch wieder eine autoritäre Quasi-Diktatur erfordert.

Das bedeutet, daß die Inflation die Herrschenden nur vor eine zeitliche Wahl stellt: Entwicklung einer Quasi-Diktatur jetzt oder später. Die Alternative: entweder Beibehaltung des parlamentarischen Systems (wo nur minimale offene Gewalt ausgeübt werden muß, weil die Gewalt der Verhältnisse selbst ausreicht) oder Quasi-Diktatur stellt sich der Bourgeoisie als eine Frage des Zeitpunkts.

Autoritäre Einkommenspolitik heißt auch Verlust der Tarifautonomie und damit Aufgabe der Gewerkschaftsorganisation bzw. Integrierung in den Staat (Bildung von Staatssyndikaten) und bedeutet Rückgang des Lohnanteils. Das schlösse jedoch nicht aus, daß auch in (dieser) Zukunft reale Einkommenssteigerungen möglich wären. Auch müßten wir in diesem Fall nicht unbedingt mit Massenarbeitslosigkeit im realen Sinn des Wortes rechnen.

Andererseits bedeutet diese Quasi-Diktatur auch nicht, daß damit die Probleme der Produktion (wie das der Überakkumulation) glatt im Sinne des Kapitals zu lösen wären. Da diese Quasi-Diktatur von den Kapitalinteressen ausgeht, ist sie Objekt der nach wie vor anarchisch verlaufenden Kapitalakkumulation im Weltmaßstab. Als Weltsystem, als Imperialismus, potenziert der Kapitalismus demnächst seine Probleme, die totalitäre Verfügbarmachung des Menschen erheischend: Hungerkatastrophen, Umweltverwüstungen, physische und psychische Epidemien. Die autoritäre Verkrustung unter einer Quasi-Diktatur würde partielle Zusammenbrüche fördern: die kapitalistische Welt tendiert zum autoritären Chaos.

[1Mit „Konzentration“ ist hier auch das gemeint, was bei Marx den Namen „Zentralisation“ trägt.

[2Gegenüber den Gewerkschaften vollzieht sich dieser Prozeß z.B. durch übertarifliche Zuschläge, welche in den großen Unternehmen bis zu 40 Prozent der Tariflöhne ausmachen. Dadurch wird für die in diesen Betrieben beschäftigten Lohnabhängigen der Tarifvertrag, und damit die Gewerkschaft, zunehmend unwichtiger.

[3R. F. Lanzilotti: Pricing Objectives in Large Companies, in: American Economic Review. Band 48, 1958; derselbe: Hearings before Joint Economic Committee, 86th Congress 1959

Kapitalskonzentration und PreisPreisanstieg in Prozent
  monopolisierte Industriezweige nicht monopolisierte Industriezweige
1947-52 23 12
1954-57 16 5

Quelle: Why do we spend so much money. o.O. (USA) 1973, S. 41

[4Paul Baran/Paul Sweezy: Monopolkapital, Frankfurt 1967, S. 63ff

[5Siehe den Bericht, den Baran/Sweezy im vorgenannten Buch auf S. 381 zitieren.

[6Umsatzsteigerungen sind gerade bei Konsumgütern im großen und ganzen eine Folge von Einkommensverbesserungen. Steigen die Einkommen, nehmen die Umsätze zu, weshalb sich eine Preissenkung von selbst verbietet. Stagnieren die Einkommen, so kann über Preissenkungen nur ein minimaler Mehr-Umsatz gewonnen werden. Um bei niedrigerer Gewinnspanne über mehr verkaufte Stücke einen größeren Gesamtgewinn zu erzielen, muß der Umsatzzuwachs meist beachtlich sein. Je überschaubarer die Märkte von seiten der Anbieter werden — und das ist bei der Oligopolisierung der Fall —, um so mehr fällt das ins Gewicht.

[71969-1974 verteuerten sich: Autoreparaturen um 53 Prozent, Kraftstoff um 44 Prozent, PKW um 35 Prozent, Wartung um 29 Prozent (nach Handelsblatt vom 30. September 1974).

[8Siehe IPW-Berichte (Institut für Politik und Wirtschaft, Berlin/Ost), Nr. 10 bis 12/1971, Nr. 9/1972 und Nr. 1/1974.

[9Siehe WSI-Mitteilungen (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut der Gewerkschaften, Düsselddorf) Nr. 2-3/1971 und Nr. 6/1973.

[10Siehe dazu Aike Blechschmidt/Gerhard Hoffmann/Reinhard v. d. Marwitz: Die inflationäre Struktur des Kapitalismus, Lampertheim 1974 (Kübler Verlag), Kapitel 2.

[11Siehe dazu meinen Aufsatz in: Handbuch I, Perspektiven des Kapitalismus, hrsg. von Volkhard Brandes, Köln 1974, S. 275ff. (Während die Profitrate 1950-1962 zwischen 19 Prozent und 24 Prozent schwankte, bewegte sie sich nach 1962 zwischen 12 Prozent und 22 Prozent).

[112 Henryk Großmann: Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems, Leipzig 1929

[13Zum Reallohn und zum Staatsanteil siehe weiter unten.

[14Siehe dazu meinen Aufsatz im Jahrbuch „Gewerkschaften und Klassenkampf“ Frankfurt 1974.

[15Charles Levinson: Inflation, das weltweite Problem, dt. Ausgabe Hamburg 1972, S. 237-249 (englisch: 1971)

[216 Siehe Wirtschaftswoche Nr. 34/1971, Nr. 29/1972, Nr. 43/1972.

[17Siehe Handelsblatt 6. Februar 1974; NEUES FORVM Dezember 1973, S. 11-13; April 1974, S. 5ff, besonders S. 17-19.

[18Die BP erzielte eine Gewinnsteigerung von 350 Prozent (Handelsblatt 31. Jänner 1974). Esso (Exxon) erzielte 1973 einen 59prozentigen Gewinnzuwachs gegenüber 1972, im ersten Halbjahr 1974 lagen seine Gewinne nochmals um 55 Prozent über dem Vorjahreszeitraum (Handelsblatt 25. Jänner und 22. Juli 1974).

[19Esso (Exxon) steigerte sein Investitionsprogramm für 1974 um 70 Prozent (Handelsblatt 8. Jänner 1974), in der gesamten US-Mineralölindustrie stiegen die Investitionen im 1. Halbjahr 1974 um 50 Prozent (Wirtschaftskonjunktur Nr. 6/1974). Im 3. Quartal 1974 stieg der Exxon-Gewinn auf 800 Mio. $ — es ist jetzt das größte Unternehmen der Welt.

[20Zur Chemiebranche siehe: Handelsblatt 20. und 29. April, 4. September, 23. August, 29. November 1974 (für die BRD-Chemie), Wirtschaftskonjunktur Nr. 6/ 1974 (für die US-Chemie).

[21Heute sind die Mineralölkonzerne bei einigen Produkten wieder in Preisschwierigkeiten, weil der Absatz zurückgeht.

[22Siehe dazu das Jahresgutachten des Sachverständigenrats 1973. Tabelle 42, und Handelsblatt 25. Juni 1974.

[23Für England siehe Andrew Glyn/Bob Sutcliffe: Die Profitklemme, Berlin 1974 (Rotbuch-Verlag; engl. bei Penguin, 1972). Die hohe Konzentration in Italien rührt noch vom Faschismus her, wo Massolini die wichtigsten Industriezweige in Staats-Trusts zusammenfügte, eine Einrichtung, die nach 1945 nur wenig verändert wurde. Diesem hochkonzentrierten, zentralen Bereich steht ein sehr zersplitterter Teil gegenüber, der jedoch ein Gegengewicht zum konzentrierten Sektor bilden kann. In Japan kontrollieren die fünf großen Handelshäuser praktisch die gesamte Industrie (siehe Frankfurter Rundschau 26. Jänner 1974). Zum Gesamtkomplex der Konzentrationswirkung siehe Gerd Maas: Inflation und Industriepreis, Gersthofen 1974, S. 86-92.

[24Siehe dazu Jahresgutachten des Sachverständigenrats 1972, Ziffer 36ff.

[25Siehe Handelsblatt vom 11. Juni 1974 und OECD Outlook Nr. 15.

[26Siehe Handelsblatt vom 29. Oktober 1974.

[27Siehe dazu Handelsblatt 3. und 21. September, 22. Oktober 1974.

[28Siehe dazu: Lange Reihen zur Wirtschaftsentwicklung, hrsg. vom Statistischen Bundesamt Wiesbaden/Stuttgart/Mainz 1973, S. 154-159.

[29Hier ist die reale Seite gemeint, nämlich der staatliche Anteil an Gütern und Dienstleistungen — und der nimmt in der Krise ab. Einen scheinbaren Gegensatz bildet das Deficit spending des Staates in der Krise; dabei gehen aber die Einnahmen zurück (Steuergeschenke an die Unternehmer), besonders bei den Kommunen (Gewerbesteuer!), so daß der Staatsanteil (Regionalkörperschaften und Kommunen mit gemeint) sinkt.

[30Siehe dazu: Jahresgutachten des Sachverständigenrats 1972, Ziffer 264ff.

[31Siehe dazu Franz-Josef Claus: Konjunktur und Neoklassik. Sparen und Investieren, öffentliche Haushalte und wirtschaftliches Wachstum in der konjunkturbewegten Volkswirtschaft (USA 1929-67), Berlin/München 1969.

[32Der private Verbrauch (Konsumausgaben der privaten, also nicht-öffentlichen Haushalte, worin die Haushaltsausgaben der Kapitalisten etc. eingeschlossen sind, welche aber anteilmäßig kaum gestiegen sein dürften) betrug 1950-1970 immer 55-56 Prozent vom Bruttosozialprodukt. Das „Masseneinkommen“ (Nettolöhne + Nettogehälter + Renten + Beamtenpensionen + Unterstützungszahlungen) betrug 1960 wie auch 1970 47 Prozent vom Bruttosozialprodukt (nach: Lange Reihen zur Wirtschaftsentwicklung, herausgegeben vom Statistischen Bundesamt Wiesbaden/Stuttgart/Mainz 1973, S. 158f, und nach dem Monatsbericht der Deutschen Bundesbank Nr. 9/1974, S. 64+ und 69+). Da die Zahl der Köpfe, auf die das „Masseneinkommen“ verteilt wird, in derselben Zeit zugenommen hat (die Zahl der Lohnabhängigen nahm von 13,6 Millionen 1950 auf 22,4 Millionen 1970 zu), ist der Pro-Kopf-Anteil natürlich rückläufig. Eine Analyse auf Pro-Kopf-Basis ist hier jedoch methodisch nicht zulässig.

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