FORVM, No. 144
Dezember
1965

Die Republik hat den Schlußstrich gezogen

Was 1945 Recht war, muss 1965 billig sein

Vorbemerkung

Ich komme der Aufforderung der Redaktion des FORVM zur Stellungnahme zu den Aufsätzen „Die Richter sind unter uns“ (Heft XII/142) und „Die Richter bleiben unter uns“ (Heft XII/143) nach, weil an mich als Bundesminister für Justiz einige Fragen gerichtet wurden, die ich für die Leser des FORVM beantworten möchte. Ich habe in meinen mehr als fünf Jahren Amtszeit als Justizminister an mich gerichtete Fragen niemals unbeantwortet gelassen. Die Redaktion des FORVM hatte es daher gewiß nicht nötig, die Gefahr der Beschlagnahme der „Dokumentation“, die der Oktober-Nummer des FORVM beilag, an die Wand zu malen. Jedermann weiß, daß es nicht meine Art ist, an mich gestellte Fragen mit Beschlagnahmen zu beantworten. Ebenso war das Alibi, das sich die FORVM-Redaktion dem Justizminister gegenüber durch den Hinweis auf meine bisherige Mitarbeiterschaft beim FORVM ausdachte — deplaçiert.

In diesem Zusammenhang muß ich ausdrücklich feststellen, daß der Nachdruck eines von mir im Sammelband des Europa-Verlages „Richter und Journalisten“ veröffentlichten Beitrages im gleichen Heft des FORVM, dem die „Dokumentation“ beilag, ohne meine Kenntnis erfolgt ist.

In einem FORVM, das sich solcher publizistischer Methoden bedient — es geschieht dies schon seit geraumer Zeit —, werde ich als Mitarbeiter und Mitautor nicht mehr aufscheinen.

Als Justizminister werde ich — so wie in den vergangenen Jahren — öffentlich an mich gerichtete Fragen, die von öffentlichem Interesse sind, auch in Zukunft öffentlich beantworten.

Ch. B.

Das FORVM richtet in seinen Ausgaben vom Oktober 1965 und vom November 1965 die Frage an mich, warum bestimmte Richter und Staatsanwälte, die vor 1945 in der NS-Sondergerichtsbarkeit tätig waren, in der österreichischen Justiz „weiter“ tätig sein können. Nachstehend finden die Leser des FORVM meine Antwort.

Zuerst die Daten. Ich habe am 23. Juni 1960 das Amt des österreichischen Justizministers übernommen. Nur ein einziger von den Richtern und Staatsanwälten, die jetzt wegen ihrer Tätigkeit in der NS-Justiz neuerdings in öffentliche Diskussion gezogen worden sind, ist nach dem Jahre 1950 wieder in Dienst gestellt worden (im Jahre 1953). In allen Fällen wurde die Wiedereinstellung durch die Kommissionen, in denen die drei nach Kriegsende wiedererrichteten Parteien vertreten waren, oder durch die Dienstbehörden verfügt, die sowohl die Tatsache der Tätigkeit der betreffenden Richter und Staatsanwälte bei den NS-Sondergerichten wie auch die auf der Hand liegenden besonderen Umstände dieser Tätigkeit kannten. Die wieder in Dienst gestellten Richter und Staatsanwälte wurden damals nach Durchführung eines Beweisverfahrens, in dem das Gesamtverhalten des Einstellungswerbers während der NS-Zeit gewürdigt wurde, für „tragbar“ für die weitere Verwendung im Justizdienst erklärt.

Als ich mein Amt im Jahre 1960 antrat, waren die gegenständlichen Verfahren — mit der erwähnten Ausnahme, bei der die Wiedereinstellung ebenfalls immerhin 7 Jahre vor meinem Amtsantritt erfolgte — fast 15 Jahre rechtskräftig und rechtswirksam abgeschlossen. Die nach 1945 wieder in den Dienst gestellten Richter und Staatsanwälte hatten seither ihren Dienst für die Republik Österreich durch anderthalb Jahrzehnte — inzwischen sind es fast 20 Jahre geworden — tadelsfrei und pflichtgetreu versehen.

Wenn jetzt besonders kritisiert wird, daß es sich heute durchwegs um Justizfunktionäre in höheren Rängen handelt, so ist das leicht erklärlich. Wenn man Jahrzehnte im Öffentlichen Dienst steht, erreicht man auch den entsprechend höheren Rang. Wir kennen auf Grund unserer Verfassung weder zweierlei Recht für Staatsbürger noch zweierlei Recht für Richter.

Die Republik Österreich hat sich in den Jahren nach 1945 dafür entschieden, nach Prüfung des Einzelfalles jene Staatsbeamte, die während der NS-Ära im öffentlichen Dienst gestanden waren — nicht nur Richter und Staatsanwälte — wieder in den österreichischen Staatsdienst aufzunehmen, von denen angenommen wurde, daß sie sich jederzeit „rückhaltlos“ für die Republik Österreich einzusetzen bereit sein würden. Das war Gegenstand der Dienstrechtsverfahren, die in den Jahren nach 1945 durchgeführt wurden und in denen die Wiederaufnahmewerber daraufhin überprüft worden sind, ob sie diese Voraussetzung für die Wiedereinstellung erfüllten.

Was der Republik Österreich somit im Jahre 1945 recht war, muß ihr auch im Jahre 1965 billig sein. Auch für unsere Republik gilt der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung. Die Republik muß sich zu dem Grundgesetz bekennen, unter dem sie selbst angetreten ist. Verleugnet sie dieses Gesetz, gibt sie sich selbst auf.

Ich möchte das zur Diskussion gestellte Problem in einen Satz zusammenfassen, dessen Aussagewert mir der wesentlichste in der bisherigen Diskussion zum Gegenstand erscheint. Bisher wurde mir jedenfalls kein schlüssiges Gegenargument bekannt.

Es geht nicht darum, daß NS-Richter noch im österreichischen Justizdienst in Verwendung stehen. Sie stehen wieder in Verwendung. Und zwar seit zwei Jahrzehnten ... Ich muß es immer wieder sagen: Fast alle Wiedereinstellungen erfolgten in den Jahren 1945-1947!

In allen Fällen war bei der Wiedereinstellung die Tätigkeit der Einstellungswerber bei den NS-Sondergerichten den Kommissionen, in denen alle drei damals zugelassenen Parteien vertreten waren, oder den Dienstbehörden bekannt oder erkennbar. Auch die Umstände dieser Tätigkeit waren offenkundig.

Das war das Ergebnis der Untersuchung, die ich im Frühjahr dieses Jahres angeordnet habe, als die Widerstandsbewegung mich dazu aufforderte und auf einige ihrer Meinung nach aufklärungsbedürftige Einzelfälle hinwies. Es wurden dabei alle noch verfügbaren Akten von Sondergerichtsverfahren, die sich in unseren Archiven befinden und in denen Todesurteile gefällt wurden, in die Untersuchung einbezogen. Kein Name und kein Faktum wurde übergangen. Rechtlich relevante neue Tatsachen und Umstände sind dabei nicht hervorgekommen, die die Wiederaufrollung oder Wiederaufnahme von Dienstrechtsverfahren ermöglicht oder gerechtfertigt hätten, die vor anderthalb oder zwei Jahrzehnten rechtswirksam abgeschlossen worden sind.

Wir haben auch die strafrechtliche Seite geprüft und bisher in keinem Fall Voraussetzungen für die Einleitung von Strafverfahren auf Grund der geltenden österreichischen Strafgesetze festgestellt.

Dieses Ergebnis der Durchsicht unserer Akten im Frühjahr und im Frühsommer 1965 hat das Justizministerium amtlich der Öffentlichkeit bekanntgegeben. Ich weiß nicht, warum diese Erklärungen, zu denen ich auch heute uneingeschränkt stehe und die in vollem Einvernehmen mit den Standesvertretern der Richterschaft, dem Präsidenten des Obersten Gerichtshofes sowie dem mir zur Unterstützung in meinem verfassungsmäßigen Wirkungskreis beigegebenen Staatssekretär Dr. Hetzenauer herausgegeben wurden, so sehr das Mißfallen des Mitarbeiters des FORVM gefunden haben.

Man hat mir entgegengehalten, daß meine Stellungnahme und meine Erklärungen „formalistisch“ gewesen sind. Ich glaube, daß man von einem Justizminister nur Maßnahmen verlangen kann, für die die Grundlagen und die Voraussetzungen in der Rechtsordnung gefunden werden können. Wir haben schlechte Erfahrungen mit dem „gesunden Volksempfinden“ der NS-Ära gemacht. Es ist nicht gut, wenn man sich gegenüber dem Justizminister der Republik Österreich auf das „Volksempfinden“ — nur mit anderen Vorzeichen — beruft. Die Demokratie muß es auch vertragen können, daß unangenehme Wahrheiten gesagt werden. Bisher hat jedenfalls niemand vorbringen oder mir entgegenhalten können, daß ich in einem einzigen Fall auf Grund des geltenden österreichischen Rechtes anders hätte verfahren können, als ich es getan habe.

Ich muß es mir versagen, auf die Einzelfälle einzugehen, die in der „Dokumentation“ des FORVM aufgezählt werden. Die gesetzlichen Vorschriften über die Vertraulichkeit des Disziplinarverfahrens und das Amtsgeheimnis verwehren mir die Bekanntgabe von Einzelheiten aus dem Inhalt unserer Akten.

Immerhin kann ich folgendes feststellen: Mein verewigter Amtsvorgänger Dr. Josef Gerö, Statssekretär für Justiz in der am 27. April 1945 gebildeten Provisorischen Staatsregierung unter Staatskanzler Dr. Karl Renner, und in den Jahren 1945-1949 — in diese Zeitspanne fällt im wesentlichen die Wiedereinstellung der „NS-Richter“ — Bundesminister für Justiz, war in den Jahren 1934-1938 Staatsanwalt für politische Strafsachen und in den Jahren 1938-1945 lange dauernder KZ-Haft und politischer Verfolgung ausgesetzt. Justizminister Dr. Gerö, der aufrechte Österreicher und Gegner des Nationalsozialismus, verfügte über eine umfassende Personalkenntnis der österreichischen Justiz und traute sich daher zu, im Einzelfall zu entscheiden, welche seiner früheren Kollegen für die Wiederindienststellung in den Justizdienst der 2. Republik tragbar waren bzw. welche Justizfunktionäre ausgeschieden werden sollten. Justizminister Dr. Gerö hat sich auch in jedem einzelnen Fall die letzte Entscheidung über die Wiedereinstellung vorbehalten, eben weil er die entsprechende Personalkenntnis besaß und weil die halbleeren, infolge der Kriegsereignisse gelichteten Personalstände der Justiz wieder aufgefüllt werden mußten, um eine Wiederherstellung der österreichischen Rechtspflege überhaupt möglich zu machen. So weit das Wirken meines verstorbenen Amtsvorgängers.

Ich selbst wurde persönlich in der „Dokumentation“ bezüglich zweier Personalfälle apostrophiert.

Da gibt es den Fall eines Richters, über den ich 1962 — auf Grund der Aktenlage — einer Organisation von Widerstandskämpfern in einem Brief mitteilte, daß der Betreffende mit der Vollstreckung von Todesurteilen nichts zu tun gehabt hätte. Später hat sich herausgestellt, daß der diesbezügliche Hinweis — ich hatte ihn, wie gesagt, den Akten entnommen — in dieser Form nicht den Tatsachen entsprach.

Die seinerzeitige Tätigkeit des betreffenden Richters als Staatsanwalt beim Sondergericht stand damals gar nicht zur Diskussion. Sie war auf Grund der Personalakten bzw. des Wiedereinstellungsverfahrens offenkundig, auch wenn nicht jede Einzelheit der früheren dienstlichen Tätigkeit des Einstellungswerbers im Akt erörtert worden war.

Aber auch im Fall dieses Richters, der immer wieder zitiert wird, hat der Oberste Gerichtshof im Jahre 1962 (!) in einem damals über meine Veranlassung eingeleiteten Disziplinarverfahren festgestellt, daß zur Wiederaufnahme des seinerzeit abgeschlossenen dienstrechtlichen Verfahrens, welches zur Wiedereinstellung geführt hatte, gesetzliche Voraussetzungen fehlen. Der betreffende Richter hatte im übrigen die dienstrechtlich maßgebende Tatsache keineswegs verschwiegen, daß er in den Kriegsjahren als Staatsanwalt beim Sondergericht tätig gewesen ist. Damit auch dieser „Fall“ endlich klargestellt ist: Ich hatte als Bundesminister für Justiz auf Grund der geltenden gesetzlichen Bestimmungen nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes gar keine andere Möglichkeit, als so vorzugehen, wie ich es getan habe, nämlich die Sache auf sich beruhen zu lassen. Auch dazu bekenne ich mich.

Man hat ausgegraben, daß ein Beamter des Justizministeriums — Abteilungsleiter für die Personalangelegenheiten der Justizwache — vor 1945 laut Geschäftsverteilung des Oberlandesgerichtes Wien neben den „Personalsachen der nichtrichterlichen Beamten ausschließlich der Dienststrafsachen, Kraftfahrbetrieb“ auch für den „Verkehr mit der NSDAP, ihren Gliederungen und angeschlossenen Verbänden“ zuständig gewesen sei. Wir sind der Sache nachgegangen. Auch in diesem Fall hat der Beamte weder seine vorübergehende Tätigkeit als Staatsanwalt beim Sondergericht noch als Sachbearbeiter beim Oberlandesgericht Wien jemals bestritten. Seine Wiederindienststellung erfolgte in Kenntnis dieses Umstandes bereits im April 1945 (!), als die Erinnerung an die NS-Blutherrschaft gewiß noch sehr frisch war. Der „Verkehr“ mit der NSDAP, ihren Gliederungen und angeschlossenen Verbänden, der nun als „Novum“ bekanntgemacht worden ist, war Bestandteil des vorgedruckten Geschäftsverteilungsplanes des damaligen Oberlandesgerichtes Wien, dem der junge Amtsgerichtsrat eine Zeitlang zugeteilt gewesen ist. Der „Verkehr“ mit der NSDAP, ihren Gliederungen und angeschlossenen Verbänden wurde neben anderen Routineangelegenheiten im Vordruck des Geschäftsverteilungsplanes angeführt. Der heute mir unterstellte Beamte hat glaubhaft und unwiderlegbar dargetan, daß diese Bestimmung des vorgedruckten Geschäftsverteilungsplanes in keinem einzigen Fall wirksam geworden ist, solange er der betreffenden Abteilung zugeteilt gewesen ist, d.h. daß von ihm der zitierte „Verbindungsdienst“ zur NSDAP oder ihren Gliederungen laut Geschäftsverteilungsplan tatsächlich niemals versehen worden ist. Der Beamte selbst war auch niemals Mitglied oder Anwärter der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen.

Nun sei mir auch noch eine persönliche Bemerkung gestattet. Die Legitimation dazu leite ich von meinen eigenen Erfahrungen mit der NS-Justiz ab. FORVM verweist darauf in der November-Nummer. Unter jenen, die — sehr oft selbst gezwungen — bei Sondergerichten, Volksgerichten und Kriegsgerichten in Verwendung standen, gab es viele, die nicht wenige Menschenleben durch aufrechte Haltung und mutigen Widerstand gegen die Zumutung der Rechtsbeugung gerettet haben. Unsere Akten legen Zeugnis von diesen Fällen stillen Helfens — unter eigenem persönlichem Risiko — ab. Nach 1945 — als die Erinnerungen noch frisch waren — meldeten sich nicht nur die Opfer, die anklagten, sondern auch jene, die ihre seinerzeitigen Richter und Staatsanwälte entlasteten. Ich übergehe auch heute diese Stimmen nicht — selbst wenn dies für mich unbequem ist, wie sich u.a. aus der Aufsatzfolge im FORVM ergeben hat und wenn eine solche Haltung unpopulär geworden zu sein scheint.

In dem Vorwort zu meinem Buch „Demokratie, Recht, Gesellschaft“ (Wien 1962) habe ich in einem autobiographischen Hinweis darauf verwiesen, daß ich, als ich 1943 verhaftet wurde, mein Leben und meine Freiheit der Hilfe meiner Freunde aus allen politischen Lagern verdankte, die sich für die Niederschlagung des gegen mich geführten Verfahrens wegen Hochverrates bzw. um eine relativ harmlose Anklage wegen „Nichtanzeige eines hochverräterischen Vorhabens“ bemühten. Ich schrieb wörtlich: „In erster Linie muß ich dabei den öffentlichen Ankläger vor dem Divisionsgericht, den damaligen Oberkriegsgerichtsrat Dr. Karl Trauttmansdorff, heute Rechtsanwalt in Wien, nennen. Die Furchtlosigkeit des Trägers eines der bekanntesten Namen des alten Österreich war ebenso unerschütterlich wie seine rechtsstaatliche Gesinnung. An der Bekundung dieser Eigenschaften hinderte ihn auch die Kriegsmaschinerie des totalen Staates nicht, der sich 1943 zur letzten Perfektion vorbereitete“ (S. 9).

Die Aufgabe, die uns heute manche stellen wollen, ist unlösbar. Wie soll man nach bald einem Vierteljahrhundert Spreu vom Weizen sondern?

Man muß sich zu dem Schlußstrich bekennen, den die Republik Österreich unter eine unselige Vergangenheit gezogen hat — soweit es sich nicht um Straftaten handelt, die nach den österreichischen Gesetzen als unverjährbar gelten. Dieser Schlußstrich unter die Vergangenheit ist umso notwendiger, wenn man sich glaubwürdig und wirksam gegen antidemokratische und antiösterreichische Bestrebungen der Gegenwart wehren will.

Ich habe meinen wiederholten Erklärungen über die Gründe der Weiterverwendung von Richtern und Staatsanwälten im österreichischen Justizdienst, die vor dem Jahre 1945 in der NS-Sondergerichtsbarkeit tätig gewesen sind, nichts hinzuzufügen. Das gilt natürlich auch für die amtlichen Verlautbarungen des Justizministeriums vom 24. Juli und vom 13. Oktober 1965.

Zur Behauptung, daß die vom FORVM genannten Justizfunktionäre in ihrer Mehrheit oder überwiegend Mitglieder der SPÖ und des BSA sind, haben diese Organisationen bereits Stellung genommen. Die Parteivertretung der Sozialistischen Partei Österreichs hat am 30. Juni d.J. offiziell mitgeteilt, „daß sich unter den in der Öffentlichkeit genannten ehemaligen bzw. heute noch aktiven Justizfunktionären nur ein einziges Mitglied der SPÖ bzw. des Bundes Sozialistischer Akademiker befindet. Alle anderslautenden Meldungen entbehren jeder Grundlage“. Als Justizminister habe ich zur Frage der Zugehörigkeit von Justizfunktionären zu erlaubten politischen Parteien und Organisationen nicht Stellung zu nehmen. Ich erwähne die Erklärung der Sozialistischen Partei vom Sommer d.J. in diesem Zusammenhang lediglich der Vollständigkeit halber.

Ich stelle zusammenfassend fest:

Es bestehen nach der geltenden Rechtslage keine Möglichkeiten, in den Jahren nach 1945 rechtswirksam abgeschlossene dienstrechtliche Verfahren, durch die die Wiedereinstellung von Richtern und Staatsanwälten verfügt wurde, wieder aufzunehmen, soweit im Zeitpunkt der Wiedereinstellung die Umstände der früheren Tätigkeit bekannt oder offenkundig waren. Dies trifft nach den Ergebnissen der Untersuchung, die wir in den letzten Monaten durchgeführt haben, auf sämtliche bisher in der Öffentlichkeit genannten Justizfunktionäre zu.

Was schließlich den Vorschlag betrifft, durch ein eigenes Gesetz zu bestimmen, daß Richter oder Staatsanwälte, die in der gleichen Eigenschaft in der Zeit vom 1. September 1939 bis 9. Mai 1945 in der Strafrechtspflege mitgewirkt haben, auf eigenen Antrag in den Ruhestand zu versetzen seien, so ist er an die falsche Adresse gerichtet. Denn wenn man eine solche Bestimmung einführen wollte, so müßte sie nach dem Gebote, Gleiches gleich zu behandeln, auch für jene ehemaligen Richter und Staatsanwälte gelten, die nunmehr nicht als Richter oder Staatsanwälte, sondern in anderweitiger Stellung im Staatsdienst stehen. Ebenso müßten gleichartige Bestimmungen für andere Beamtengruppen, die in der NS-Ära im öffentlichen Dienst gestanden sind, geschaffen werden. Solche Aufgaben, die u.a. eine Novellierung der Dienstpragmatik und des Gehaltsüberleitungsgesetzes voraussetzen würden, stellen sich aber als koordinierende Maßnahmen auf dem Gebiete des öffentlichen Dienstrechts dar und fallen daher in die Kompetenz des Bundeskanzleramtes. Warum wendet man sich eigentlich niemals an die für das Dienstrecht der öffentlich Bediensteten einschließlich der Justizangehörigen zuständigen Zentralstellen? Vielleicht, weil es bequemer und marktgängiger ist, den Justizminister anzugreifen?

Aber auch der Weg einer „freiwilligen“ Zwangspensionierung — auf sie laufen die Vorschläge hinaus — ist in Wahrheit kein Ausweg. Ohne die Sanktion einer allenfalls bestehenden echten Möglichkeit der Zwangspensionierung der betroffenen Richter und Staatsanwälte, die sich weigern, „freiwillig“ in den Ruhestand überzutreten, wird jeder Vorschlag, sich mit gesetzlichen Maßnahmen zu behelfen, die wenigstens den „freiwilligen“ Übertritt in den Ruhestand ermöglichen, wirkungslos bleiben und nur diskriminierend wirken bzw. neuerlich allgemeine Unruhe schaffen. Ich kann daher dem sehr umstrittenen Weg, den man in dieser Beziehung in der Bundesrepublik Deutschland gegangen ist, für Österreich nicht das Wort reden.

Allerdings: Ein Verfassungsgesetz mit rückwirkender Kraft kann auch die in den Jahren 1945-1949 verfügten Wiedereinstellungen jederzeit aufheben. Ein solches rückwirkendes Verfassungsgesetz müßte sich gegen Richter und Staatsanwälte richten, die — wie immer ihre Tätigkeit vor 1945 heute beurteilt wird — rund 20 Jahre ihrem Dieristeid getreu der Republik Österreich gedient haben, ohne daß ihnen dafür Vorwürfe gemacht werden können. Sie haben ihren vollen Beitrag zum Werk des Wiederaufbaues der 2. Republik Österreich geleistet.

Ich werde mich daher, falls eine Initiative für die Erlassung eines rückwirkenden Verfassungsgesetzes zur Wiederaufrollung rechtskräftig abgeschlossener dienstrechtlicher Verfahren ergriffen werden sollte — und zwar von welcher Seite immer —, aus den vorstehend dargestellten Gründen als Bundesminister für Justiz dagegen wenden.

Nachbemerkung

Zu dem Satz: „Die Redaktion des FORVM hatte es daher gewiß nicht nötig, die Gefahr der Beschlagnahme der „Dokumentation“, die der Oktobernummer des FORVM beilag, an die Wand zu malen. Jedermann weiß, daß es nicht meine Art ist, an mich gestellte Fragen mit Beschlagnahmen zu beantworten.“ — FORVM wußte dies in der Tat. Zu allem Überfluß sagten ihm seine Rechtsfreunde, daß sich für Dr. Broda aus obzitierter Dokumentation keine Klags- und somit Beschlagnahmelegitimation ergeben könne. Wohl aber für fünf weitere im Text genannte Personen.

Zu dem Satz: „In diesem Zusammenhang muß ich ausdrücklich feststellen, daß der Nachdruck eines von mir im Sammelband des Europa-Verlages, ‚Richter und Journalisten‘, veröffentlichten Beitrages im gleichen Heft des FORVM, dem die ‚Dokumentation‘ beilag, ohne meine Kenntnis erfolgt ist.“ — Dem Beitrag ging der urheberrechtliche Vermerk „mit freundlicher Genehmigung des Europa-Verlages“ voraus.

Zu dem Satz: „Es wurden dabei alle noch verfügbaren Akten von Sondergerichtsverfahren, die sich in unseren Archiven befinden und in denen Todesurteile gefällt wurden, in die Untersuchung einbezogen.“ — Oscar Bronner schlug zweimal vor (FORVM XII/1. Sonderheft, S. 8, FORVM XII/143, S. 493), alle nicht mehr verfügbaren Akten von Sondergerichtsverfahren, die sich nicht mehr in unseren Archiven befinden und in denen Todesurteile gefällt wurden, in die Untersuchung einzubeziehen: „Solche Tatsachen könnten dem Bundesministerium für Justiz bekanntwerden, wenn es vom US-Document Center in Westberlin oder von den Justizbehörden in Ostberlin die Rapporte der Sondergerichte an das Reichsgericht anforderte; das Material wird an private Stellen nicht ausgefolgt, wohl aber an Gerichte, Untersuchungsbehörden und Regierungen. Solcherart ließen sich die Aktenbestände des Justizpalastes, die dort stark gelichtet wurden, wiederum komplettieren.“

Zum Satz: „Zur Behauptung, daß die vom FORVM genannten Justizfunktionäre in ihrer Mehrheit oder überwiegend Mitglieder der SPÖ und des BSA sind, haben diese Organisationen bereits Stellung genommen.“ — FORVM hat eine solche Behauptung nie aufgestellt.

Zu den Sätzen: „Was schließlich den Vorschlag betrifft, durch ein eigenes Gesetz zu bestimmen, daß Richter oder Staatsanwälte, die in der gleichen Eigenschaft in der Zeit vom 1. September 1939 bis 9. Mai 1945 in der Strafrechtspflege mitgewirkt haben, auf eigenen Antrag in den Ruhestand zu versetzen seien, so ist er an die falsche Adresse gerichtet ... Warum wendet man sich eigentlich niemals an die für das Dienstrecht der öffentlich Bediensteten einschließlich der Justizangehörigen zuständigen Zentralstellen?“ Oscar Bronner (FORVM XII/143, S. 493) hielt den Nationalrat der Republik Österreich für die richtige Adresse; in der Tat ist dieser, gemäß Verfassung, die für Gesetze zuständige Zentralstelle.

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