MOZ, Nummer 41
Mai
1989

Die Rettung des Abendlandes aus dem Geiste monarchistischer Weltverklärung

oder: Des grünen Doppeldoktors Heimkehr ins Weltreich

Kurz bevor das Abendland konsequenterweise ins Nachtland übergeht, werfen — einem vielzitierten Kraus-Satz zufolge — die Zwerge besonders lange Schatten. So auch Günther Nenning, einer der obskursten Menschheitsretter jener provinziellen Provenienz, die — ob ihrer vielen „Links“- und „Rechts“-Schwenks im Laufe ihrer merkwürdigen politischen Karriere — im Jenseits wahrscheinlich als Ventilator angestellt werden dürften.

Dieser Nenning, den ein Zeitgeist-Magazin erst kürzlich nicht umsonst „Unser Günther“ genannt hat, war zunächst glühender Anti-Kommunist und eifriger Brecht-Boykottierer, hat dann seine Liebe zum Projekt „christlicher Sozialismus“ entdeckt, wurde kurze Zeit als „Linker“ mißverstanden und spielte letztendlich eine mehr als bloß undurchschaubare Rolle im zugegebenermaßen etwas schwer durchschaubaren Stellungskrieg grüner Machtinteressen — um endlich dort zu landen, wohin er eigentlich gehört: „Hätte man doch damals auf Zita gehört!“ heißt ein Artikel in der Schweizer „Weltwoche“, den das menschgewordene Alpenhüterl den staunenden Eidgenossen kurz vor dem denkwürdigen Begräbnis auf den Frühstückstisch knallte. Unbehelligt darf Nenning darin die „republikanische Kälte und Leere“ gegen die „angenehm unverbindliche monarchistische Nostalgie“ ausspielen, die sich ja so angenehm unverbindlich gestaltete, daß in einem „Presse“-Leitartikel mehr oder weniger unverhohlen die konstitutionelle Monarchie als ideale Staatsform anempfohlen wurde und in einem anderen, noch kleinformatigeren Blatt ein Mann, der — trotz seines Namens — weder bei Trost sein dürfte noch über irgendeinen Ernst verfügen kann, schlicht und ergreifend die Kleinigkeit des Ersten Weltkrieges verharmloste.

„Freundlich matt“, so der grenzenlos deutsche Publizist Nenning, käme das „monarchistische Schwarz-Gelb“ hinter dem „Republikanischen Rot-Weiß-Rot“ der Österreicher zum Vorschein, und als Kronzeugen für derartige Thesen müssen Doderer, Joseph Roth und Friedrich Torberg herhalten. „Zum Glück“, so der politische Zufallsgenerator, gäbe es ja keine Marxisten mehr in Österreich, aber auch gänzlich ohne marxistische Analyse weiß Nenning, daß „der (sic!) Österreicher“ sich „weit eher“ für die Türken denn für die Deutschen entscheidet. Eine Ansicht, die unschwer nachzuprüfen ist: vergleichen wir doch nur das Verhalten österreichischer Hoteliers am Wörthersee angesichts westdeutscher Sommerfrischler mit jenem der Flughafenpolizei in Schwechat, die Türken zurückschickte, weil die nicht so richtig beweisen konnten, Touristen zu sein. Aber mit derlei Banalitäten gibt sich ein Nenning nicht zufrieden: entscheidend sei doch vielmehr — frei nach Heimito von Doderer — die Tatsache, daß „diese Deutschen die schrecklichste Verhöhnung des türkischen Nationalgetränks“ Kaffee in die Welt gesetzt hätten — und dergleichen interessiert einen unangenehm verbindlichen Monarchie-Nostalgiker natürlich weit mehr als Lappalien wie der sich erschreckend verschärfende Ausländerhaß gegen Türken und Jugoslawen. Aber weil es damals noch keinen Günther gab und weil die „starke Zita nicht stark genug“ war, ist der geliebte Vielvölkerstaat nicht erhalten geblieben. Stellen wir uns doch nur die historischen Perspektiven vor: gegen wie viele Minderheiten hätte Jörg Haider, Obmann jener Partei, der Nenning unbekümmert Rede und Antwort steht, polemisieren können! Was ist dagegen jener armselige Haufen unterentwickelter Slowenen, der zur deutsch-österreichischen Vielvölker-Staatsraison bekehrt werden kann? Ungeahnte Perspektiven tun sich auf, deren volles Ausmaß nur begriffen werden kann, wenn wir uns im Geiste jenes tolerante Verfahren, das zur Zeit etwa in Kosovo und in Armenien Platz greift, auch innerhalb der Grenzen unseres — dann natürlich weit bedeutenderen Landes — vorstellen:

Ortstafelstürme in Montenegro! Sprengstoff-Attentate in Triest! Ein echt demokratisches Schulmodell in Böhmen! Hurra! Und über allem thront natürlich die „geheimnisvoll weitblickende“ Idee der „Freundschaft mit den USA“, welchselbige uns den wahrhaft freundlichen Umgang mit anderen Völkern schon gelehrt hätte. Von Vietnam bis Nicaragua, von der Schweinebucht bis Hiroshima.

Das gesinnungswandlerische Drehmoment, das es bis zur zweifachen Doktorwürde gebracht hat und überdies auch noch bis zum von Bruno Kreisky verliehenen Ehrentitel eines „Wurschtels“, nennt — vor lauter Monarchie-Euphorie — den notorischen Reaktionär aus dem Europa-Parlament „Otto von Habsburg“ (im Original ohne Anführungszeichen), und ich stell’ mir dabei vor, wie das Kronen-Zeitungsgesponserte Grün-Faktotum dem Schwarz-Gelb-Tatterer den Ring küßt vor lauter Unterwerfungssucht und peinlicher Anbiederei; und wie er dann irgendwas von „Eure kaiserlich-königliche Hoheit“ hervorsabbert — was in der realen Dramaturgie der irrealen Zita-Einscharrungs-Farce einem geweihten Haupte vorbehalten blieb — indes sich unser Günther — bescheiden, wie es seine Art ist — mit der Rolle des universellen Gesamthistorikers zufrieden gibt: „Nach über siebzig Jahren ist der sehr unvollkommene, ärgerlich reaktionäre Habsburgerstaat nun aus der historischen Realität entrückt und aufgestiegen zum Idealtypus. So sollte ein Europa der Nationen aussehen.“ Daß auch der sehr vollkommene, ärgerliche Reaktionär Nenning die Tatsache einer imperialistischen Großmachtpolitik, die in einem Blutbad endete, auf den Terminus „sehr unvollkommen“ reduziert, spricht allein schon Bände und macht erschreckend klar, was wir von einem solchen „Europa der Nationen“ zu erwarten hätten.

Noch schlimmer allerdings ist die Tatsache, daß beispielsweise ein Waldheim genügt, um vielen Österreichern die Greuel des Zweiten Weltkrieges als harmlosen Ausrutscher erscheinen zu lassen, daß eine tote Habsburgerin genügt, um Massen dazu zu bringen, die Monarchie als pittoreskes Operettenland zu sehen, in dem es niemals einen Ersten Weltkrieg gegeben hat — und vermutlich wird uns das nächste Staatskabarett davon überzeugen, daß auch niemals eine Inquisition stattgefunden hat, daß es keine Kreuzzüge gegeben hat und die sogenannte Türkenbelagerung nebst ihrem brutalen Ende nichts weiter war als ein Kaffeeplausch (selbstverständlich ohne die deutschen Melange-Verwasserer!) vor den Toren Wiens, den ein gewisser Kolschitzky (schon wieder eine Geschichtsverfälschung, aber was macht das noch?) perpetuiert hat. Und in zwanzig Jahren werden wir Groß-Europäer aus ehemals österreichischen Landen nicht einmal mehr wissen, daß es einmal — wenn auch nur kurz und auf dem Papierl — eine Neutralität gegeben hat. Und ein gewisser Dr.Dr. wird — nach einer dreitausendsechshundert-gradigen Umdrehung um die eigenen Achse — behaupten, daß die steinernen Freaks im Salzburger Zwergerl-Garten die wirklichen Beherrscher Österreichs waren; womit er wahrscheinlich nicht so unrecht haben wird.

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