MOZ, Nummer 58
Dezember
1990
Gewalt:

Die Saat geht auf

„Spiegel“ und „profil“ sind geil auf die Saat der Gewalt. Symptome und nicht Ursachen stehen im Zentrum der Berichterstattung.

Öffentlichkeit als Bühne
Bild: Contrast/P. Piel

Sozial deklassiert, ausgegrenzt, medial zu blinden Gewalttätern stilisiert. Jugendliche, ob sie sich „Hooligans“, „Skinheads“, „Red Brothers“ oder wie auch immer nennen — gemeinsam ist ihnen die gesellschaftliche Ablehnung, der Versuch, Aufmerksamkeit zu erlangen.

Die Öffentlichkeit nimmt sie als Rowdies, als Gefährdung von Ruhe und Sicherheit wahr. Ihre Lebenssituationen, die Motivationen für ihr Handeln, bleiben dabei unterbelichtet.

Geil auf Gewalt

Durch die voyeuristische Live-Berichterstattung von den Ereignissen im Heysel-Stadion — als Bilder der Tötung von 39 Menschen in Millionen Wohnzimmer übertragen wurden —, schien ein Sättigungspunkt in Sachen Fußballgewalt erreicht. In jüngster Zeit werden erneut Schreckensbilder gemalt.

„Des anzige, wos do stimmt, san die Hasch-Preise“, so kommentiert ein Szenejugendlicher die kürzlich erschienene Titelgeschichte „Saat der Gewalt“ des Nachrichtenmagazins „profil“.

Mediengerecht inszenieren die Autoren diverse Gewaltakte Jugendlicher. Der besondere Zynismus liegt in einer teilweisen Einsicht für die Situation der ‚Raubtiere‘, so „profil“, und der gleichzeitigen Stigmatisierung. „Die Alarmabteilung der Polizei hat rund um den Platz mehrere Mannschaften postiert. Im Heckraum der Polzei-VW-Busse blitzen die Plastik-Kampfschilder im fahlen Laternenlicht. Als die verfeindeten Banden einander gegenüberstehen, kommt durch den Polizeifunk die Meldung ‚Schüsse am Rudolfsplatz‘.“

Die Rede ist von „Hooligans“ — laut Duden Halbstarke, Rowdies- und ‚Ausländer‘-Banden.

Pate für diese Auseinandersetzungen stand unter anderem das Jugendmagazin „Rennbahn-Express“. In einer großaufgemachten Geschichte wurde im vergangenen Jahr über eine „Türkenbande“ berichtet, welche angeblich wilde Schlägereien auf ihrem Konto verbucht haben sollte. Die einzigen, die noch imstande waren, sich dagegen zu wehren, fand das Jugendmagazin in den „Hools“.

Michl Kofler vom Wiener Verein Streetwork, meint, daß damit die Situation explodierte. „In den Köpfen hat Krieg geherrscht, ohne daß er bis dahin wirklich stattfand.“

Dieser Verweis auf die letzte Bundes- heer-PR-Kampagne bringt die gesellschaftliche Einbettung dieser ‚Kämpfe‘ zum Ausdruck. Ihre mediale Rezeption ist zum Teil Ursache und Ausdruck dieser gesellschaftlichen Grundströmung. Ausländerfeindlichkeit bei Parteien, in Medien, an den Schulen, in der Familie, am Arbeitsplatz und am Stammtisch erfährt somit eine schaurige Umsetzung. Vierfarbig abgelichtet, beinahe zum Anfassen.

Soldaten an der Grenze, die Warnung „Wien darf nicht Chicago werden“, der Ruf nach Sicherheit, Aufrüstung der ‚Sicherheitskräfte‘ stehen mit an der Wiege der gewalttätigen Fehden.

So beklagte sich die „Neue Kronen Zeitung“, „daß man keinen Grund fand, gegen die brutalen Außenseiter scharf vorzugehen, und sie laufen ließ“. Die Sozialwissenschaftler des Instituts für Kulturstudien, Rufer in der Wüste, stellten in einer Studie über jugendliche Fußballfans in Österreich fest: „Es war eine großteils von einer ‚Law and Order‘-Mentalität getragene Sensations- und Tendenzberichterstattung, die jeweils zwischen ‚pädagogischem Appell‘ und dem Ruf nach ‚hartem Durchgreifen‘ pendelte und zum Großteil bestenfalls unter dem Übertitel ‚Hetzkampagne‘ zu subsumieren war.“

Wobei diese ‚Berichterstattung‘ den Jugendlichen in ihrem Wunsch nach Beachtung und Anerkennung in gewisser Weise — unter negativen Vorzeichen — entgegenkommt. Die andere Seite der Medaille: die gesellschaftliche Akzeptanz polizeilicher Repression, Kriminalisierung und für namentlich genannte und abgebildete Jugendliche ein Gruppendruck, der sie erneut unter ungeheuren Zugzwang stellt. Nicht selten werden so die Biographien junger Menschen geschrieben.

Die einsichtigen ‚profil‘-Autoren unterlegten ihre bedrohlichen Bilder im zitierten Artikel mit folgendem Begleittext: „Plötzlich waren die Skins berühmt. Sie nahmen Geld für Interviews und mußten ihrer medial kolportierten Gefährlichkeit nun umso gerechter werden. Etliche aus der Gruppe sitzen unterdessen wegen schwerer Gewaltdelikte.“

Individualisierung und Identität

Gewaltakte Jugendlicher werden, je nach Absicht, einerseits subjektivistisch, d.h. ausschließlich auf die Rolle des ‚Gewalttäters‘ bezogen, andererseits auf deren Bild als ‚jugendliche Opfer‘ gesellschaftlicher Zustände verkürzt. Für den Soziologen Wilhelm Heitmeyer ist der „dialektische Auseinandersetzungsprozeß der Jugendlichen mit der gesellschaftlichen Realität“ Erklärungsansatz. Angelpunkt ist hierbei die Identitätsfindung im gesellschaftlichen Umfeld.

Heitmeyer verwendet den Begriff der strukturellen Gewalt „als Kennzeichen von sozialer Ungerechtigkeit und Ungleichheit, denen der ‚stumme Zwang‘ innewohnt, anders leben zu müssen, als man möchte“.

Unter diesen Umständen bieten die sogenannten Gleichaltrigengruppen für manche Jugendliche letzte Möglichkeiten der Identitätsstiftung.

Gewalt als Schleuse für Ängste und Unsicherheiten Jugendlicher, gleichsam anderen Angst zu machen.

„Das bedeuet auch, daß Gewaltaktionen häufig keine irrationale, sondern höchst rationale Konsequenz von Erfahrungen sind, die Jugendliche in dieser Gesellschaft machen.“

Bimbos

Wie bei der Gleichaltrigengruppe bereits kurz angesprochen, ergeben sich über ‚Naturkategorien‘ besondere Identifikationspotentiale. Als solche gelten unter anderem: Alter, Rasse, Geschlecht. Unter Berücksichtigung der sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse bietet dies eine Erklärung für Ausländerfeindlichkeit und rechtsradikale Orientierungen mancher Jugendgruppen.

Die Annahme, daß diese Gruppen quasi Vorfeldorganisationen für die einschlägig bekannten Nazi-Parteien sind, oder wie der Innenminister Blecha es formulierte, „die Skinheads sind gleichsam als österreichische SA-Truppe angeworben worden“, ist nicht eindeutig belegbar. Roman Horak vom Institut für Kulturstudien, weist auf die unterschiedlichen Organisationsformen von Jugendgruppen und Nazi-Parteien hin als Grund für die fruchtlosen Rekrutierungsversuche rechtsradikaler, faschistischer Parteien. Dann und wann sei es gelungen sogenannte „Bimbos“ — Gruppenaußenseiter — anzuwerben.

Ohne die Bedeutung nazistischer Parolen zu verharmlosen, sehen die Wiener Streetworkerinnen eher das Moment der Provokation und den Wunsch nach Aufmerksamkeit gegeben als eine eindeutige politische Orientierung.

Hools

Im Rahmen der bereits zitierten Studie „Im Abseits? Jugendliche Fußballfans in Wien“ wurde durch eine Befragung festgestellt, daß die Gewaltbereitschaft unter jungen Fans hoch mit rechten, autoritären politischen Einstellungen korreliert. „Die Einstellung gegenüber der Rolle der Frau, Entwicklungshilfe, Ausländern und Antisemitismus tragen deutliche Merkmale rechtsextremer Einstellungsmuster und allgemein des Autoritarismus.“

Die Aussage „Gäbe es wieder Arbeitslager, kämen Zucht und Ordnung von alleine“ bejahten 28% aller Befragten und 71% der rechtsextremen Zielgruppe.

Bei den Fußballfans kam es zu bemerkenswerten Veränderungen. Lag das Durchschnittsalter von in Fan-Klubs Organisierten zu Beginn der 80er Jahre noch bei 20/21 Jahren, so sind die heutigen Hooligans durchschnittlich 13/14 Jahre alt. Eindeutig feststellbar ist auch eine schwächere Vereinsbindung. Ging es in der Vergangenheit noch um Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Vereins-Fans, liegen nunmehr die Linien zwischen Linz und Wien und vor allem zwischen ‚Inländern‘ und ‚Ausländern‘. Heute schließen sich die Fans der traditionell verfeindeten Großvereine Rapid und Austria zwecks Aktionen gegen ‚Ausländer‘ zusammen.

Laut einer noch nicht veröffentlichten Umfrage des Instituts für Kulturstudien haben 11% aller befragten Jugendlichen in Fansektoren ihre Parteipräferenz für die Ausländer-Halt-Gruppierung kundgetan. Eine genauere Betrachtung, im Hinblick auf gewalttätige Zielgruppen, läßt noch beängstigendere Zahlen erwarten.

Streetwork

Mit dem ‚Problem‘ Jugendbanden und Gewalt beschäftigen sich im positiven Sinne SozialarbeiterInnen im Rahmen von „Streetwork“.

Im Programm des Wiener Vereins „Streetwork“ heißt es: „Streetwork ist die Methode der Sozialarbeit, mit der sogenannte ‚Problemjugendliche‘ erreicht werden, die bestehenden Angebote im Freizeit- und Sozialbereich nicht annehmen bzw. davon ausgeschlossen werden.“ StreetworkerInnen lassen sich von den Grundsätzen der Parteilichkeit für die Jugendlichen, der Freiwilligkeit des Kontakts und der Anonymität leiten.

Angesichts der Komplexität der Ursachen, der Verknüpfung gesellschaftlicher, systemimmanenter und individueller Verhältnisse als Handlungsmotivation können sozialpädagogische Ansätze nur an der Oberfläche der Problemlagen wirken.

Die ‚irrationale‘ Reaktion auf Verhältnisse, bei Jugendbanden über Gewalttätigkeit ausgedrückt, zum Teil gepaart mit nazistischer Phraseologie, sollte nicht in Abrede gestellt und deren Gefährlichkeit nicht verharmlost werden. Solange aber damit politisches Kleingeld verdient und von wirklichen Ursachen abgelenkt werden kann, ist die Verdickung des Nährbodens für diese gesellschaftlichen Auseinandersetzungen nicht aufhaltbar.