FORVM, No. 224
September
1972

Ein Fremdling starb

(Zum Tode Ernst Fischers)

Ernst Fischer, geb. 3.7.1899 Komotau, Böhmen, gest. 31.7.1972 Wien, war eine erfolgreiche Mischung aus Künstler und Politiker. Sein Erfolg bestand unter anderem darin, daß ihm das eine Talent stets in die Quere geriet bei Ausübung des anderen: so blieb er als Künstler wie Politiker ein erfrischender Dilettant, naiver Jüngling noch im hohen Alter, den Professionellen eine stete Verlegenheit, den Freunden und auch nicht wenigen Feinden eben drum ein Mann von unwiderstehlichem Charme.

Den Politiker Ernst Fischer holte der Künstler Ernst Fischer manchmal erst mit peinlicher Verspätung ins frische Leben zurück, z.B. nach allzulanger Anhänglichkeit an den Stalinismus. Und der Künstler Ernst Fischer wurde vom Politiker Ernst Fischer meist allzugründlich unterdrückt, z.B. ehe eine stürmische Begabung für Lyrik (Baudelaire-Nachdichtungen), Drama („Attilas Schwert“), Epos („Prinz Eugen“) reifen konnte aus dem Neuromantischen ins Moderne.

So blieb der zum Literaturkritiker gebremste Künstler: Fischer hat das epochale Verdienst, jene Moderne, bis zu der seine eigene Produktion nicht gedieh, streitbar verpflanzt zu haben in die marxistische Ästhetik; er machte dort Leute heimisch wie Proust, Joyce, Beckett, Kafka — entgegen altmodischen Charakteren wie dem großen Georg Lukács, erst recht entgegen dem gehorsamen Gekläff der neostalinistischen Kulturbürokraten.

Über der Rehabilitierung und Renaissance Franz Kafkas in der Tschechoslowakei, 1962 von Ernst Fischer durchgesetzt, schloß sich das Bündnis zwischen ihm und den „Revisionisten“ dort und im Weltkommunismus überhaupt; Fischer war wieder einmal aus der Kultur in die Politik dilettiert. Mit der Folge, daß ihn die neuen Zaren im Kreml zum Kinderschreck für alle orthodoxen Kommunisten hochstilisierten.

Dementsprechend wurde Ernst Fischer Liebkind der bürgerlichen Massenmedien, insbesondere als er nach dem Einmarsch in die ČSSR das sowjetische Establishment ungestüm angriff. Doch blieb keiner seiner Sträuße gegen Moskau ohne Dornen: er bekannte sich stets ebenso ungestüm als Sozialist. Ein Fischer, der gesagt hätte: Ich war Sozialist, jetzt bin ich’s nicht mehr, weil der Kapitalismus viel schöner ist — war nicht erhältlich. So hörte der Rummel bald wieder auf.

In den letzten Lebensjahren wurde es still in seiner kleinen Gemeindewohnung; ihm geschah recht, und er bekam recht. Bürgerlicher Abkunft (Vater hoher k.u.k. Offizier), ging er zwanzigjährig zu den Sozialdemokraten; seine Klasse hat ihm den unbereuten Verrat nicht verziehen. So wenig verziehen ihm die Sozialdemokraten den Übergang zum Kommunismus, nach 1934; so wenig die Parteikommunisten den Abfall vom Stalinismus, dem er als ZK- und Polbüro-Mitglied, in Prag, Moskau, Wien diente, dort 1945 als Unterrichtsminister, bis 1959 als Parlamentsabgeordneter; und ebensowenig verzieh ihm die Junge Linke, von ihm stets gefördert und verteidigt, seine Treue zu den Prager und sonstigen Revisionisten. [1]

Indem er sich mehrfach wandelte und nach jedem Wandel auch noch selbst kritisierte, war er seinem Ziel, dem Sozialismus treu — ein reich begabter Mann, der sich selbst schadete und folglich arm blieb. Welch ein Fremdling unter klugen Künstlern, die wissen, wann, wo und womit man sich auf den Markt zu bringen hat; welch ein Fremdling unter klugen Politikern, die für Parteitreue Lohn fordern und für Parteiverrat erst recht.

Ernst Fischer als Autor

  • Vogel Sehnsucht. Gedichte, 1920
  • Schwert des Attila. Aufgeführt im Burgtheater Wien 1924
  • Der ewige Rebell. Passionsspiel, aufgeführt in Graz 1926
  • Lenin. Theaterstück, aufgeführt in Wien 1928
  • Krise der Jugend. Essay, Wien 1931
  • Schwarze Flamme. Gedichte von Baudelaire. Wien 1947
  • Freiheit und Persönlichkeit. Essay, Wien 1947
  • Österreich 1848. Historische Studie, Wien 1947
  • Herz und Fahne. Gedichte, Wien 1949
  • Kunst und Menschheit. Globus-Verlag, Wien 1949
  • Der große Verrat. Wien 1949
  • Denn wir sind Liebende. Gedichte, Berlin 1952
  • Dichtung und Deutung. Essays, Globus-Verlag, Wien 1954
  • Prinz Eugen. Roman (mit Louise Eisler), Wien 1955
  • Von der Notwendigkeit der Kunst. Dresden 1961
  • The Necessity of Art. Penguin-Books, London 1961
  • Von Grillparzer zu Kafka. Essayband. Globus-Verlag 1962. (Neuauflage erscheint bei Suhrkamp 1973)
  • Probleme der jungen Generation. Europa-Verlag, Wien 1963 (erschienen in mehreren Ländern)
  • Elegien aus dem Nachlaß des Ovid. Gedichte, Insel-Verlag, Leipzig 1963
  • Zeitgeist und Literatur. Europa-Verlag, Wien 1964 .
  • La necessité de l’art. Édition sociale, Paris 1965
  • Kunst und Koexistenz. Rowohlt 1966
  • Was Marx wirklich sagte. Molden-Verlag, Wien 1968
  • Ein Geisterseher in der Bücherwelt. Über Walter Benjamin. Edition Suhrkamp, 1968
  • Auf den Spuren der Wirklichkeit. Rowohlt 1968
  • Biographie. Rowohlt 1969
  • Von der Notwendigkeit der Kunst (Neuausgabe verändert). Claassen-Verlag, Hamburg 1967 (In 28 Ländern erschienen)
  • Überlegungen zur Situation der Kunst und andere Essays. Diogenes, Zürich 1971
  • Die Revolution ist anders. Ernst Fischer stellt sich 10 Fragen kritischer Schüler. Rowohlt 1971
  • Als nachgelassenes Manuskript wird „Rückkehr aus Moskau“ im Molden-Verlag, Wien 1973, erscheinen.

[1Diese Zeilen waren schon geschrieben, als das Begräbnis Ernst Fischers stattfand. Nicht anwesend waren: das bürgerliche Kultur-Establishment, das SP-Establishment, das KP-Establishment, das Neu-Linke-Establishment. Österreich ist und bleibt Kulturstaat; es wußte schon immer, wie es seine bedeutendsten Männer zu ehren hat.

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