MOZ, Nummer 40
April
1989
US-Atomminen gegen Österreich:

Ein lohnendes Ziel

Ein Handbuch der US-Army aus dem Jahr 1984 enthält detaillierte Pläne, wie die Europabrücke bei Innsbruck atomar zu sprengen sei.

aus: Field Manual 5-106

Das Dokument umfaßt 133 Seiten. Der Anhang noch einmal soviel. Es trägt die Ziffer 1984-739-033/277 des „Printing Office“ der US-Regierung. Verfaßt wurde es in der US-Army Engineer School, Fort Belvoir, Virginia 22060. Der Titel des Dokuments: „Field Manual 5106. Employment of Atomic Demolition Munitions.“ Zu deutsch: Anwendung atomarer Sprengmunition.

Das Handbuch enthält technische und operative Informationen, „die ausschließlich für den offiziellen Gebrauch der Regierung“ bestimmt sind, wie am Titelblatt vermerkt ist. Es ist vergleichbar einer Bedienungsanleitung — das „Was, Warum, Wer, Wann, Wo und Wie der Planung und des Einsatzes von atomarer Sprengmunition am Schlachtfeld“ wird ausgeführt, erklärt und illustriert. So weit nichts Überraschendes — jede Armee, die über Atomwaffen verfügt, bereitet sich natürlich auf deren Einsatz vor.

Die — für Österreich — brisante Information findet sich im Kapitel „ADM Planning“, in dem die Sprengung von Dämmen, Straßenzügen, Tunnels und Brücken geplant wird. Am Blatt 3-10 ist — als ein möglicher Fall einer Brückensprengung — die Europabrücke bei Innsbruck skizziert (siehe Graphik). Sie wird namentlich zwar nicht erwähnt — die Zeichnung ist aber so deutlich ausgeführt, daß eine Identifizierung leicht erfolgen kann.

„In der untenstehenden Graphik“, erläutert das Handbuch, würde der Einsatz von Atomminen „an den Punkten A am Ende der Brücke für den Feind eine taktische Verzögerung verursachen. Eine Installierung am Punkt C würde einen Schaden verursachen, dessen Behebung Monate bis Jahre dauern würde“. Aber „wenn wir annehmen, den Feind zu stoppen und verlorenes Territorium zurückzugewinnen, wollen wir Schlüsselbrücken nicht so zerstören, daß eine langanhaltende Verzögerung eintritt. Wollen wir andererseits den Feind von einem Zugang zum Schlachtfeld ausschließen, dann kann eine lange Verzögerung angebracht sein“, gehen die Planungen ins Detail. Tabellen im Anhang, die die passende Sprengstoffmenge empfehlen, komplementieren das Bild.

Das „FM 5-106“ ist nicht das erste in die Öffentlichkeit gelangte US-Dokument, in dem der Einsatz atomarer Waffen gegen Österreich erwogen wird: Anfang der 80er Jahre war es der Operationsplan 100-6, in dem 40 potentielle Atombombenziele in Österreich aufgelistet wurden. Etwas später tauchte der Plan auf, mittels Atomminen, die per Rucksack transportiert werden können, den Salzburger Flughafen zu sprengen. In dem dem Autor vorliegenden Handbuch heißt es, daß jedes angeführte Beispiel „ein gutes potentielles Ziel ist, das es wert ist, in die Überlegungen einbezogen zu werden“. Der grüne Vertreter im Landesverteidigungsrat, Peter Pilz, hält — von der MOZ mit dem Dokument konfrontiert — den Plan denn auch „für einen weiteren Beleg dafür, daß Österreich fix in die Atomkriegsplanung eingebunden ist“.

Ernstzunehmende Planungen

Denn die Brennerautobahn, ein Teil deren die Europabrücke ist, ist eine strategisch zentrale Verbindungsstrecke zwischen NATO-Mitte (BRD) und NATO-Süd (Italien). „Die westliche Allianz würde bei Abschluß des Staatsvertrages ihre militärische Lage durch die Räumung des Brennerpasses beträchtlich erschweren“, erinnert sich der ehemalige Botschafter Österreichs in den USA, Karl Gruber, an die Diskussion in den Vereinigten Staaten vor 1955.

Die Relevanz der Überlegungen liegt auf der Hand: Wenn die NATO, so mag die Überlegung sein, sich auf dem Rückzug befindet (etwa von Italien nach Mitteleuropa), dann ist es günstig, dem nachfolgenden Feind die Verbindungslinien zu zerstören. Ein — was die strategischen Überlegungen für Mitteleuropa betrifft — nicht sehr wahrscheinliches („Würde es sich um eine Donaubrücke bei Melk handeln, wäre ich nervöser“, Friedhelm Frischenschlager, FPÖ-Wehrsprecher), aber immerhin realistisches Szenario. Das Sprichwort „Brücken hinter sich abbrechen“ könnte in diesem Fall schaurige Wirklichkeit werden. Denn wenn es auch „nur“ Atomminen sind — die Wirkungen „sind grundsätzlich die gleichen wie bei allen anderen Atomwaffen“, erklärt das Handbuch.

Daß dabei nicht auf österreichische Neutralität Rücksicht genommen wird, ist nicht weiter verwunderlich. Erich Schmidt-Eenboom, wissenschaftlicher Mitarbeiter am renommierten „Informationsbüro für Friedenspolitik“ in Starnberg (BRD), hält Befürchtungen für angebracht, „daß — wenn die Blockade dieser wichtigen Verbindungsstraße nach Italien militärisch geboten und trotz der Optimierung konventioneller Sprengstoffe mit diesen nicht zeitgerecht oder intensiv genug erreicht werden kann — mobile Nuklearmunition zur Zerstörung dieser Brücke eingesetzt würde“.

Europabrücke
Bild: Brenner Autobahn AG

Reaktionen

Nervös und zurückhaltend reagieren Militärs und Wehrpolitiker auf die Anfragen, welche Konsequenzen sie aus den Planungen der US-Army ziehen. Das Bundesministerium für Landesverteidigung verweigert jede Aussage („Wir nehmen zu US-Dokumenten nicht Stellung“), der Armeekommandant befindet sich angeblich auf Urlaub, sein Adjutant Obstl. Wagner, den ich telefonisch erreiche, ist erstaunt und meint, das Ganze sei „köstlich“, Oberstleutnant Brauner von der Pressestelle des Armeekommandos empfiehlt mir, für meine Fragen „jemand kompetenteren zu suchen“. Diesen finde ich dann in Brigadier Gsell, Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit.

„Ich sehe eine Brücke“, meint er. Nicht mehr? „Eine Ähnlichkeit mit dem Brenner ist nicht zu verleugnen. Die gleiche Brücke kann es aber auch in einem gebirgigen Teil der USA, in Kanada oder im Kaukasus geben.“ Und: „Es gibt auf Grund dieses Bildes keinen Hinweis darauf, daß die Vereinigten Staaten planen, die Europabrücke zu sprengen. Ich kann und ich will auf Grund einer Ausbildungsvorschrift nicht annehmen, daß dies eine Bedrohung der Neutralität ist.“

Alois Roppert, Wehrsprecher der SPÖ, hält das Dokument, „sollte es echt sein, für ungeheuerlich“. Gerade die Authentizität aber bezweifelt er, denn vielleicht sei das Ganze nur eine Provokation von Geheimdiensten, um „auszureizen, wie Österreich reagiert. Eine Überreaktion ist deshalb auch nicht angebracht“. Roppert bestätigt allerdings das Bestehen von Überlegungen bezüglich eines Atomwaffeneinsatzes auf österreichischem Territorium — beim Manöver „Kecker Spatz“ (1987) etwa, als französische Truppen vermutlich einen solchen trainierten. Lichals damalige Antwort auf eine parlamentarische Anfrage (solche Überlegungen sind „zumindest, soweit sie die Einbeziehung österreichischen Territoriums betrafen, unhaltbar“) war laut Roppert wohl nur „zur Beruhigung gedacht“.

Der grüne Pilz kündigt parlamentarische Anfragen an den Verteidigungs- und an den Außenminister sowie an den Bundeskanzler an: „Damit muß sich die Politik beschäftigen.“ Weiters will er eine Plenardebatte des Nationalrates zu diesem Thema sowie eine Sitzung des Landesverteidigungsrates verlangen. Letzteres Anliegen könnte die Unterstützung der SPÖ finden — meint doch auch Roppert, daß „sich der Landesverteidigungsrat und der außenpolitische Rat mit dem Field Manual beschäftigen sollen, vorausgesetzt, es ist echt“.

Der ehemalige Verteidigungsminister Frischenschlager hält Tirol zwar für „den neutralitätspolitisch sensibelsten Raum“, sieht aber ein Problem bei einer politischen Debatte über das US-Handbuch: „Der Minister müßte dem zwar nachgehen, aber das Dementi wird folgen.“

Natürlich. Dennoch wäre eine Debatte angebracht. Gerade im Zusammenhang mit der EG-Diskussion einerseits und der immer offensichtlicher werdenden NATO-Annäherung des Bundesheeres andererseits sollte jeder Hinweis ernstgenommen werden. Auch wenn das zitierte „Field Manual 5-106“ nicht mehr gültig sein dürfte, da in Folge des NATO-Atomwaffenmodernisierungsbeschlusses von Montebello (1983) ein Teil der Atomminen aus Europa abgezogen wurden. Denn erstens wurde eben nur ein Teil abgezogen, der Rest bleibt zur Verwendung der Special Forces erhalten, und zweitens ist seit 1983 neue mobile Nuklearmunition in den „Livermoore Laboratories“ in Entwicklung. Drittens wird im Handbuch mehrmals darauf hingewiesen, daß sich die Überlegungen über den Einsatz von atomarer Sprengmunition „auf Ziele in der Nähe befreundeter Armeen“ beziehen.

Wird nun diese Aussage mit Behauptungen des ehemaligen Kommandierenden der Streitkräfte für NATO-Süd, General Pasti, kombiniert, der meinte, daß der Brenner „unseren Informationen nach von Österreich nicht zur Verteidigung vorbereitet ist“, ergibt sich ein Bild, das trefflich zur Massierung des Bundesheeres im Donautal paßt.

Laut „Heeresgliederung 87“ können bis zu 80% der österreichischen Truppen im Donauraum konzentriert werden — der Westen des Bundesgebietes wird zur freien Verfügung der NATO gehalten: nur mehr etwa 200 Soldaten sind im Tiroler Raum ortsgebunden eingesetzt. Der Ausbau der sogenannten „Festen Anlagen“, die zum Sperren wichtiger Verbindungswege dienen, wird im Westen vernachlässigt — aus Kostengründen, wie es heißt. Darauf angesprochen, erwidert Ex-Minister Frischenschlager zwar, „was Sperren betrifft, ist Tirol nicht so schlecht“, andererseits demonstriert er mir auf einer Landkarte, daß zwei der drei im Landesverteidigungsplan (der offiziellen Grundlage österreichischer Sicherheitspolitik) als zentral eingestufte Regionen Österreichs (die Mur-Mürz-Furche und eben das Inntal) relativ offen seien.

Doch selbst ein massiverer Ausbau des Bundesheeres, auch im — für die NATO wichtigen — Westen des Bundesgebietes, ändert nichts am zentralen Problem: Realistische Kriegsszenarien, zu denen der Einsatz von Atomwaffen gehört, ergeben Bedrohungsbilder, denen nicht begegnet werden kann. Bezeichnend, daß Militärs auf die Frage, wie nun in einer solchen Situation verteidigt und geschützt werden kann, nur auf den offiziellen Landesverteidigungsplan verweisen oder überhaupt schweigen.

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