FORVM, No. 445-447
März
1991

Entsorgung der Geschichte

Jörg Haider als Festredner

Wenn es in Kärnten um „Abwehrkampf“ geht, beginnen sogar die Steine zu reden. Alljährlich, um den 10. Oktober, „ruft“ der Ulrichsberg, eine mäßig felsige Erhebung im Nordosten Klagenfurts, kultischer Ort seit keltischer Zeit und deshalb als Kriegergedenkstätte prädestiniert. Der Ulrichsberg „ruft“ und alle kommen: Kärntner Heimatdienst-Organisationen, Abwehrkämpferbünde, farbentragende Studenten, Landsmannschaften, Neonazis und nicht zuletzt die Kameradschaft IV, der Traditionsverband der ehemaligen Waffen-SS. So war es auch 1990.

Zum Ritual der Veranstaltung gehört, daß Sprecher der ehemaligen europäischen Waffen-SS ein Bekenntnis zu einem vereinten Europa ablegen, zu einem Europa, das sie in den internationalen Freiwilligenverbänden der Waffen-SS bereits verwirklicht sahen: „Die epochale Entwicklung in allerletzter Zeit bestätigt die Richtigkeit der damaligen Entscheidung, auch wenn sie nunmehr nur als Vorstufe verstanden wird“, heißt es mit Anspielung auf die Europaideologie der SS in einer aktuellen Aussendung der „Ulrichsberggemeinschaft“. (Die „Gemeinschaft“ ist eine Teilorganisation des „Kärntner Heimatdienstes“ und wird vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes dem rechtsextremen Lager zugerechnet.)

Das herbstliche Treiben auf dem Ulrichsberg, der „Kanzel Kärntens“ (so der ehemalige Landeshauptmannstellvertreter und ÖVP-Obmann Harald Scheucher), ist selbst dem gewiß unvoreingenommenen Blick der Staatspolizei nicht verborgen geblieben. Vor wenigen Monaten erst erklärte der Klagenfurter Polizeidirektor Hans Kampfer in einem Zeitungsinterview: „Hätten wir nicht eingegriffen, der Ulrichsberg wäre heute eine internationale NS-Gedenkstätte. Als wir 1973 (...) den Ulrichsberg übernommen haben, standen dort oben Gedenktafeln von SS-Divisionen aus ganz Europa. Die Staatspolizei hat diesem Spuk ein Ende gemacht.“ (Kleine Zeitung, 29.6.1990) Nebenbei: Die Tafel der Kameradschaft IV mit dem nur grammatikalisch adaptierten Wahlspruch der SS, „Unsere Ehre hieß Treue“, prangt noch heute an der Mauer der Gedenkstätte. Die Frage ist jedoch, was übrigbleibt, wenn die Embleme entfernt werden; wenn die Gedenktafeln abmontiert und wenn — so bei der Feier am 7. Oktober 1990 geschehen — 50 Hakenkreuzabzeichen von der Staatspolizei konfisziert werden. Ist dann der Spuk zu Ende?

Was bleibt, ist nach dem Veteranentreffen im Vorjahr unter anderem der aggressiv formulierte Versuch einer Umdeutung unserer neueren Geschichte, ein Angriff auf das konsensuale Selbstverständnis der Zweiten Republik — vorgetragen von einem amtierenden Landeshauptmann.

Jörg Haider, der schon 1985 — damals noch Landesrat — der Ulrichsbergfeier einen offiziellen Anstrich verliehen hat, nutzte erneut die Gelegenheit, seinen Zuhörern aus dem Herzen zu sprechen — der oftmalige Zwischenapplaus bewies ihm, daß er am rechten Ort die richtigen Worte gefunden hatte. Was „die Mächtigen in der Politik und an den Staatsführungen“, so Haider in seiner Festrede, „bis heute nicht vermochten, nämlich einen dauerhaften, glaubwürdigen und überzeugenden Handschlag zwischen den Feinden von einst herbeizuführen“, das habe die „Begegnung am Ulrichsberg (...) geschafft“.

Also ist, was Adenauer und de Gaulle, was Willy Brandt, Tadeusz Mazowiecki und Michail Gorbatschow als Aussöhnung ausgaben, unglaubwürdig und nicht überzeugend? Es muß so sein, denn der „entscheidende Schritt in Richtung Versöhnung“ bedeutet nach Haider „Versöhnung auch der Heimkehrer mit jener Geschichte, für die sie gestanden sind.“ Um zu begreifen, wofür sie standen, müsse man „zur Kenntnis nehmen, daß nicht alles, was in den letzten Jahrzehnten an angeblicher historischer Wahrheitsfindung produziert worden ist, auch dem entspricht, was wirklich das Schicksal Europas gewesen ist.“ Das Schicksal Europas in der Sicht des Kärntner Landeshauptmanns:

„Der Erste Weltkrieg war eine Folge eines nicht mehr haltbaren südslawischen Nationalismus ...“; die „Friedenskonferenz von Versailles und St. Germain“ habe in der Folge „dazu geführt (...), daß ideologische Maßlosigkeit und politischer Wahnsinn dieses Europa in eine nächste Katastrophe getrieben hat“. Womit wir fein heraus wären: im einen Fall der unhaltbare südslawische Nationalismus, im anderen Fall Versailles und der subjektlose Wahnsinn. Wann zuvor sind die Historiker so kurz und bündig blamiert, wann zuvor ganze Bibliotheken zeitgeschichtlicher Literatur so bestimmt zu Makulatur erklärt worden?

Der ehemalige Hochschullehrer Jörg Haider bringt das Kunststück zuwege, über den Zweiten Weltkrieg zu reden, ohne auch nur ein einziges Mal den Namen Hitlers oder den Begriff Nationalsozialismus verwenden zu müssen. Haider liegt eben daran, „stärker als bisher der historischen Wahrheit über die wirklichen Vorgänge des Krieges und der politischen Entscheidungsfindung Rechnung zu tragen“. Wo Geschichte ohne handelnde Subjekte sich gleichsam außengesteuert und schicksalhaft vollzieht, wo Hitlers rassistischer Angriffs- und Vernichtungskrieg in sportiver Wendung als „Völkerringen“ erscheinen darf, steht der „historischen Wahrheit“, auf die Haider abzielt, die lästige Frage nach Schuld und Mitverantwortung glücklicherweise nicht mehr im Wege: „Unsere Soldaten waren nicht Täter, sie waren bestenfalls Opfer (...). Diese Soldatengeneration hat sich nichts vorzuwerfen ...“. Diese Soldatengeneration, nicht der einzelne, der auf dem Ulrichsberg stand, wohlgemerkt, die ganze Generation hat sich nicht vorzuwerfen, daß die Wehrmacht bereitwillig sich zur Komplizin der rassistischen Ausrottungspolitik machte, sie hat sich nicht vorzuwerfen, daß sie zuließ, daß in ihrem militärischen Herrschaftsbereich der Völkermord an Juden, Roma und Sinti geplant und ausgeführt wurde, sie hat sich nicht vorzuwerfen die Strategie der „Verbrannten Erde“, Geiselerschießungen und Vergeltungsaktionen?

Doch wozu sich bei den Schandtaten der Wehrmacht aufhalten, Haider zielt ohnehin aufs Ganze. Die öffentliche Kritik am korporativen Auftreten in- und ausländischer Mitglieder ehemaliger SS-Verbände auf dem Ulrichsberg gibt dem Kärntner Landeshauptmann Gelegenheit, Klartext zu reden: „Wir haben uns für niemanden, der hierherkommt, zu entschuldigen. Daher ist es auch unsinnig, ständig von jenen, die den Ulrichsberg organisieren und durchführen, zu Verlagen, sie mögen sich von bestimmten Waffengattungen ehemaliger Armeen abgrenzen ...“

Die größten, die unfaßlichsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte wurden unter dem Runenzeichen der SS begangen; einem Kärntner Landeshauptmann blieb es Vorbehalten, die Forderung nach einer Abgrenzung von dieser Verbrecherorganisation als „unsinnig“ zu bezeichnen.

Unter Gelächter und Applaus seiner mehr als zweitausend Zuhörer verkündete Jörg Haider auf dem Ulrichsberg: „die Geschichte erfordert langsam ihre Anerkennung und es ist notwendig, daß manches erst in die Hirne der Entscheidungsträger hineinkommt, was noch dort an Bildung nicht vorhanden ist“. Sein Exkurs zu „bestimmten Waffengattungen“ blieb nicht das einzige Exempel mangelnder Bildung in den Hirnen von Entscheidungsträgern. Er wußte auch Neues über die Grundlagen unserer Republik und über die Grundlagen des neuen Europa zu berichten:

„Eure Opfer, Männer und Frauen der Soldatengeneration, sollen für dieses Europa (...) nicht umsonst gewesen sein. Eure Opfer werden erst in den nächsten Jahren in das richtige Licht gerückt werden, weil an der Gesamtentwicklung dieses Europas deutlich gemacht wird, daß die Grundlage von Euch für Frieden und Freiheit gelegt wurde (...). Jetzt ist eine Chance für einen Frieden in Freiheit für alle gegeben (...). Dafür haben Sie gekämpft ...“ Und noch einmal dasselbe im Zusammenhang mit einem Angriff auf den Kärntner Autor Janko Messner, der bezweifelt hatte, daß die Heimkehrer, so wie es auf dem Ulrichsberg geschrieben steht, dem „Vaterland“ ihre Treue, ihre Tapferkeit und ihre Liebe zurückgebracht hätten. Messner, der als Kriegsteilnehmer und Schwerverwundeter weiß, wovon er redet, hatte in einer Kontrafaktur dieses „Ulrichsberg-Vermächtnisses“ davon gesprochen, daß die Heimkehrer dem „Vaterland“ doch eher ihre Stummelbeine, ihr erloschenes Augenlicht, ihre ergrauten Haare, ja auch, ihre angeschissenen Unterhosen zurückgebracht hätten. Das war Haider denn doch zuviel der „historischen Wahrheitsfindung“ und so kam er, noch einmal, ins Grundsätzliche: „Meine Damen und Herren, geistige Freiheit ist in einer Demokratie etwas Selbstverständliches, aber sie findet dort ihre Grenzen, wo Menschen jene geistige Freiheit in Anspruch nehmen, die sie nie bekommen hätten, hätten nicht andere für sie den Kopf hingehalten, daß sie heute in Demokratie und Freiheit leben können.“

Wo hat dieser Mann Geschichte gelernt? Daß die Soldaten aller Waffengattungen Großdeutschlands ihren Kopf für geistige Freiheit, für Demokratie und Freiheit hingehalten hätten, hat nicht einmal die nazistische Propaganda behauptet und die nahm es bekanntlich auch nicht so genau. Muß man dem Kärntner Landeshauptmann tatsächlich erklären, daß die Grundlagen unserer Freiheit, unserer Demokratie, nicht von jenen geschaffen wurden, die — freiwillig oder gezwungen — für Führer und Vaterland kämpften, sondern von jenen, die gegen diesen „Führer“ und gegen dieses „Vaterland“ standen: von den alliierten Truppen, von Widerstandskämpfern und Partisanen (die Haider noch heute als „Feinde dieses Landes“ bezeichnet); muß man den Kärntner Landeshauptmann tatsächlich daran erinnern, daß unsere Zweite Republik auf den Trümmern von Auschwitz und Mauthausen steht und nicht auf den Gewehrläufen deutscher Landser; — oder muß man sich langsam an die Tatsache gewöhnen, daß dieser österreichische „Entscheidungsträger“ unter dem Applaus der Ulrichsberggemeinde sich anmaßt, darüber zu befinden, wer würdig ist, geistige Freiheit in Anspruch zu nehmen und wer nicht — so wie er darüber befindet, welche Historiker „zeitgemäß“ sind und welche nicht.

Der österreichischen Historikerin Erika Weinzierl, die an ihrem Schreibtisch „Gedankengebilde“ erfinde, prophezeite Haider auf dem Ulrichsberg: „Es wird die Zeit kommen, wo solche Historiker nicht mehr zeitgemäß sind.“ Was heißt die Prognose, daß die Zeit kommen werde, da Historiker wie Erika Weinzierl nicht mehr „zeitgemäß“ sein werden, anderes, als daß die Zeit kommen wird, da all jenes wieder salonfähig sein wird, wogegen Erika Weinzierl seit Jahrzehnten einsteht: Geschichtslüge und Antisemitismus, Entsorgung und Recycling der Geschichte im Sinne Jörg Haiders. Wir haben allen Anlaß, das Kommen jener Zeit zu fürchten. Ihren Vorgeschmack haben wir bereits. Und er geht an die Kehle.

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